War Beethoven ein Genie?

  • Liebe Forianer ;)


    Der Titel trügt - Er ist nur der Aufhänger für ein wesentlich komplexeres Therma.
    Immer wieder wird das "Genie Mozart" zitiert, gelegentlich auch das "Genie Bach" - wesentlich öfter das "Genie Glenn Gould" :D


    Beethoven ist zweifellos einer der bedeutendsten Komponisten der Musikgeschichte überhaupt - manche stellen ihn über Mozart.


    Interessanterweise hat man ihn oft als den "Titanen" bezeichnet, seltener als "Genie"


    Man könnte nun darüber diskutieren, was ein Genie in der Musik überhaupt auszeichnet (Bach bezeichnete sich selbst als fleißigen Arbeiter und meinte, er habe sich alles durch Fleiß und Übung angeeignet, bei Mozart finden wir zumindest eine Bemerkung aus der Kindheit, die in eine ähnliche Richtung hinweist) und wer ein solches war.
    Dann könnte man auch fragen, warum beispielsweise Haydn und Schubert, zumindest soweit mir bekannt - NIEMALS als Genies bezeichnet wurden, man könnte erörtern ob nachschöpfende Künstler, wie Karajan, Gould, etc. überhaupt mit dem Attribut "Genie" belegbar sind.
    Letztlich könne man sich noch mit dem Begriff "Genie" generell, und seinem Sinnwandel im Laufe der Geschichte und Musikgeschichte befassen - und ergänzend noch, wer aus Eurer heutigen Sicht zu den musikalischen Genies zählt. Man bedenke: Echte Genies sind rar.....


    Ich hoffe, daß das ein interessanter Thread wird
    und wünsche Euch viel Freude damit.


    Liebe Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich halte von dem Begriff "Genie" überhaupt nichts, oder doch sehr wenig, zumal er, wie Du andeutetest, heute derart inflationär verwendet wird (mit Gould könnte ich mich ja noch anfreunden, aber heute ist vermutlich sogar Michael Jackson ein Genie). Meines Wissens kam der Begriff im heutigen Sinne ohnehin erst im letzten Drittel des 18. Jhds. auf (Sturm&Drang, empfindsame, frühromantische Literatur usw.) und war schon immer weniger mit der Qualität der entstandenen Werke konnotiert als mit äußerlichen, persönlichen oder charakterlichen Eingenschaften. Weil seitdem Biographen, besonders populäre, sich immer lieber auf Psychologisiererei, Anekdötchen etc. stürzen als auf "langweilige" Werkanalysen oder trockene historische Fakten, kommt der Begriff gelegen: ein Genie ist außergewöhnlich, launisch, jähzornig, verkannt, usw. Es sind eher Kabinettstückchen wichtig (wie sie der kleine Mozart wohl wirklich manchmal vorführen mußte) oder irgendwelche außerordentlichen Zirkusnummern als die tatsächlichen kreativen Leistungen.
    Ein Aspekt ist auch die scheinbare Mühelosigkeit von "Wunderkindern" wie Mozart oder Mendelsohn, die es bei Beethoven oder Brahms so nicht gegeben zu haben scheint. Aber hier wird maßlos übertrieben, durch Legendenbildung. Echte Spätentwickler scheinen mir eher selten zu sein (Bruckner?); die 3 Klaviersonaten des 20jährigen Brahms oder das op. 1 des ca. 22-25jährigen Beethoven zeigen, dass, wenngleich keine Wunderkinder, die Begabung im relativ jungem Alter schon voll ausgeprägt war. Mendelssohn war in späteren Jahren ein sehr selbstkritischer Komponist (und heute haben ja viele Hörer den Eindruck, dass er die Hoffnungen, zu denen er als 16-20jähriger Anlaß gab, eher enttäuscht hat).
    Also, wenn es auf die Resultate ankommt, war Beethoven selbstverständlich ein Genie, denn für das Endergebnis ist ja gleich, wie mühevoll der Entstehungsprozess war. Das romantische Klischee erfüllt er sogar viel besser als Mozart, dazu kommt die seltsame Diskrepanz, die zwischen der oft mühevollen und langsamen kompositorischen Arbeit und dem von Zeitgenossen bezeugten faszinierenden Improvisationsvermögen Beethovens besteht.
    (Ich habe übrigens den Eindruck, das Schubert ständig und allenthalben als Genie bezeichnet wird, zumal er viele biographische Klischees aufs Beste erfüllt.)
    Und man hat ja auch im 19. Jhd. schon Künstler, die sich selbst gemäß ihrem eigenen Geniekonzept inszenieren, besonders deutlich (bis zur Karikatur) wohl Berlioz und Wagner, Liszt, teils auch Schumann.


    Worin die angebliche besondere Genialität einiger nachschaffender Künstler gegenüber anderen bestehen soll, weiß ich überhaupt nicht. Das hängt m.E. hauptsächlich mit gewissen Charaktereigenschaften (etwa Goulds Exzentrizität oder die Launen der Operndiven), in neuerer Zeit natürlich auch schlicht mit marketing zusammen, sagt aber sehr wenig über die Resultate aus.


    viele Grüße
    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Natürlich ist Beethoven ein Genie, und zwar das größte überhaupt in der ganzen Musikgeschichte. Dafür ist Bach überhaupt kein Genie, wenn überhaupt, dann ein handwerklich geschickter Akkordarbeiter. Punkt.


    So, nach dieser polemischen Einführung nun ein paar Ausführungen:


    Mozart - Das Genie?!?


    Sicherlich war Mozart eine der überragendsten musikalischen Begabungen der Geschichte, sein Frühwerk ist für das Alter einfach konkurrenzlos gut, die Technik weit entwickelt usw.
    Aber:
    Der Eindruck, dass sich Mozart vieles einfach so aus dem Ärmel schüttelte, rührt meiner Meinung nach vor allem auch daher, dass so wenig Skizzen von ihm erhalten sind und etliche überlieferte Anekdoten von Kompositionen beim Kegeln etc. diesen Genie-Status noch zu untermauern scheinen.


    Der "Star" unter den Würzburger Musikwissenschaftlern, Prof. Dr. Ullrich Konrad, dessen Forschungsschwerpunkt bei Mozart liegt, hat indessen etliche der erhaltenen Skizzen untersucht und kommt zu dem Schluß, dass hinter der scheinbaren Leichtigkeit und Perfektion Mozartscher Kompositionen harte Arbeit steckt. Dies belegen unter anderem Skizzen zu einem Kanon, den Mozart mit ein paar Freunden gerne gesungen hat, in denen Mozart in Partiturnotation etliche Varianten erprobt, wie es am besten funktioniert etc. Ein Artikel über diese Untersuchung erschien vor einiger Zeit im Bild der Wissenschaft (denke ich jedenfalls, dass es darin war.)
    Wie schwierig es ist, die scheinbare mozartische Leichtigkeit in den Kompositionen zu erreichen, kann wohl jeder bezeugen, der das jemals versucht hat (Ulli? :hello: )


    Im übrigen stimmt es ja nicht, dass Beethoven und Brahms keine Wunderkindkarrieren gehabt hätten bzw. haben hätten können.
    Es ist nur so, dass Beethoven in jungen Jahren vor allem als Klaviervirtuose auffiel und erst später als Komponist in Erscheinung trat, wenn seine ersten Kompositionsversuche auch schon sein Talent bezeugen. (Meines Wissens sind die Variationen über einen Marsch von Dressler das erste veröffentlichte Werk)
    Brahms war ebenfalls ein pianistisches Wunderkind, der allerdings durch behutsamen Aufbau seitens seiner Kompositionslehrer und Klavierlehrer davor geschützt wurde, zu früh "verheizt" zu werden. Dadurch wurde ihm erst einmal ein solides Handwerkszeug vermittelt. Das Ergebnis ist beeindruckend, ich kenne keine Komposition von Brahms, die nicht handwerklich perfekt gemacht (und wunderschön) wäre.


    Auch Bruckner, der als Spätentwickler gilt, hat im Alter von nur 18 Jahren unter anderem eine Messe in C-Dur geschrieben, die einfach ausnehmend gute Musik ist, alle Ansätze reifer Brucknerscher Musik in sich trägt und wirklich bezaubernd schön ist.


    So, zurück zu Beethoven, und warum ich ihn für das größte Genie überhaupt halte:


    Beethoven hat musikalisch den Weg bereitet für die komplette Musik des 19. Jahrhunderts und ins zwanzigste Jahrhundert hinein.
    Beethoven hat um seine Werke gerungen, das ist wahr, aber was dabei herauskam ist unglaublich. Ein paar seiner Errungenschaften:


    -Entwicklung der Sinfonie zur Charaktersinfonie, weg vom Gelegenheitscharakter früherer Sinfonik, jede Sinfonie als prägnantes, eigenständiges, einmaliges Kunstwerk
    -Verlagerung des Schwerpunktes innnerhalb der Sinfonie vom Kopfsatz zum Finale, eine Tendenz, die in der Romantik weiter entwickelt wurde, siehe Mahler und Brahms
    -Die Einführung des vokalen in die Sinfonik (jaja, ich weiß, eigentlich war das Peter von Winter, aber naja, der ist wohl mehr für Spezialisten), die viele spätere Sinfoniker von Mendelssohn bis Schostakowitsch beeinflusst hat
    -In der 6. Sinfonie ist meiner Meinung nach schon die Keimzelle für die Sinfonische Dichtung der Romantik angelegt, das Ausbreiten von Gefühlen und Stimmungen wird hier erstmals eindeutig über die Verarbeitung thematischen Materials gestellt.


    Allgemein hat Beethoven also mit seinen 9 Sinfonien ein Vermächtnis hinterlassen, um welches die späteren Sinfoniker nicht herumkamen, auf irgendeine Weise musste sich jeder Komponist mit diesen Werken auseinandersetzen und wurde gewissermassen davon auch geprägt.


    Eine weitere wesentliche Entwicklung war die "Versinfonisierung des Solokonzertes", ein stärkeres Vermischen der beiden Gattungen, verstärkt ab dem dritten Klavierkonzert und im Violinkonzert zu beobachten, eine Entwicklung, die bei Brahms meiner Meinung nach einen Höhepunkt findet.


    Die Entwicklungen, die sich in den letzten Klaviersonaten und Streichquartetten andeuten, deuten meiner Meinung nach bis ins 20. Jahrhundert voraus.


    Nun ja, so viel erstmal dazu, ob man daraus ableiten kann, ob jemand die Kriterien für ein "Genie" erfüllt oder nicht, weiß ich nicht.


    Im Endeffekt sind sehr viele Komponisten ja irgendwie genial, oder nicht?


    Gruß, flo

    "Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik"


    Wise Guys 2000

  • Hallo!


    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Beethoven ist zweifellos einer der bedeutendsten Komponisten der Musikgeschichte überhaupt - manche stellen ihn über Mozart.
    Interessanterweise hat man ihn oft als den "Titanen" bezeichnet, seltener als "Genie"
    Dann könnte man auch fragen warum beispielsweise Haydn und Schubert, zumindest soweit mir bekannt - NIEMALS als Genies bezeichnet wurden, man könnte erörtern ob nachschöpfende Künstler, wie Karajan, Gould, etc. überhaupt mit dem Attribut "Genie" belegbar sind.


    Also, Beethoven ist für mich auf jeden Fall ein Genie. Schubert möchte ich ohne Zögern auch so bezeichnen. Bei Haydn fällt es mir schon schwerer, ich weiß auch nicht warum.
    Der Begriff Genie, so wie ich ihn für Beethoven, Mozart etc. verwende, ist bei Karajan, Gould etc. unangebracht.


    Zunächst mal wird mit dem Wort Genie viel zu oft um sich geschmissen, ich versuche auch, es sehr sparsam zu benutzen, nur für ganz wenige absolut herausragende Menschen. Dem Begriff haftet allerdings viel Subjektives an, denn was ich genial finde, kann ein anderer langweilig finden (siehe Pianoflos Anmerkung zu Bach).


    Eine Definition für den Begriff "Genie" habe ich nicht parat. Mozart ist für mich der Inbegriff eines Genies bzw. eines genialen Menschen.
    Meistens wird der Begriff ja für Künstler verwendet. Van Gogh, Shakespeare, Leibniz sind für mich auch "Musterbeispiele" für Genies, obwohl sie doch von der Persönlichkeit sehr unterschiedlich sind. Es kommt wohl eher auf ihr Werk an.


    Gibt es in jeder Profession Genies, d.h. sollte man einen in dem jeweiligen Gebiet absolut herausragenden Menschen als Genie bezeichnen? Dann ist der Begriff Genie auch für reproduzierende Künstler anzuwenden.


    Zudem verwende ich das Adjektiv "genial" weitaus häufiger. Auch ein "Nicht-Genie" kann geniale Momente haben. Zum Beispiel finde ich die ein oder andere Interpretation eines Musikwerks genial, ohne die Interpreten als Genies bezeichnen zu wollen.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Salut,


    da fängt's ja schon an... Pius empfindet Haydn irgendwie nicht so ganz als Genie, von anderer Seite wird Bach das Genie abgesprochen [Bach war hier meiner Meinung nach Tiefstapler!] usw... usf...


    Meiner Meinung nach gibt es zwei Dinge zu beachten:


    1] Die Einordnung eines Künstlers als "Genie" ist subjektiv


    2] Der Begriff "Genie" wird heute viel zu leichtsinnig verwendet. Im 18. JH noch hatte er lediglich die Bedeutung von "außerordentlicher Begabung".


    Es gibt zu 2] eine Aussage von Leopold Mozart, die ich heraussuchen werde.


    Im Übrigen bezweifle ich - zumindest für mich - eine Beurteilung abgeben zu können und zu dürfen, ob nun jemand eine Genie im heutigen Sinne ist, oder nicht.



    Grüße vom
    Genius

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von pianoflo
    Sicherlich war Mozart eine der überragendsten musikalischen Begabungen der Geschichte, sein Frühwerk ist für das Alter einfach konkurrenzlos gut, die Technik weit entwickelt usw.


    Mendelssohn war m.E. bis etwa Anfang 20 Mozart tatsächlich überlegen. Die Streichersinfonien mit 12-14, das Oktett und die Ouverture zum Sommernachtstraum mit 16, soweit war Mozart erst etwas später (etwa bei den Violinkonzerten oder KV 271)


    Zitat


    Im übrigen stimmt es ja nicht, dass Beethoven und Brahms keine Wunderkindkarrieren gehabt hätten bzw. haben hätten können.


    Der Punkt ist doch eher, ob "Wunderkind" notwendig für "Genie" ist, m.E. nicht (es ist keinesfalls hinreichend, denn viel Wunderkinder werden hinterher keine)



    Genau. das sind nämlich wieder ganz andere Kriterien! Zwar ist die Originalität ebenfalls ein klassisches Genie-Kriterium, aber der musikhistorische Einfluß, auf den Du zu Recht hinweist, ist schon wieder viel zu nüchtern-rational ;)
    Außerdem war Beethoven vielleicht ein größerer Neuerer als Mozart, aber als Monteverdi, Haydn oder Wagner? Vermutlich nicht. Gluck und CPE Bach waren radikale Innovatoren, wir zählen sie eher nicht zu den ganz großen Komponisten (von den berüchtigten "Neutönern" des 20. Jhds. wil ich lieber gar nicht anfangen)


    Zitat


    Im Endeffekt sind sehr viele Komponisten ja irgendwie genial, oder nicht?


    Das will man hoffen... :D deswegen halte ich die Diskussion für wenig fruchtbar


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
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    (Bob Dylan)

  • Hallo,


    ich halte Mendelssohn auch für einen sehr sehr begabten Komponisten, schon in jungen Jahren. Allerdings tragen die Streichersinfonien teilweise doch noch Züge von ambitionierten Kompositionshausaufgaben inklusive Stilkopien aus früherer Zeit, vor allem Polyphonie.
    Trotzdem ragen etliche Stellen der Streichersinfonien heraus und zeigen deutlich die enorme Kunstfertigkeit des kleinen Mendelssohn. Richtig gelungen finde ich das Konzert für Violine und Streichorchester, das er im Alter von 13 Jahren schrieb.


    Im übrigen, zum Thema Wunderkind-Karrieren, diese sind sicherlich nicht Bedingung für das Wort Genie, meine Ausführungen dazu waren lediglich eine Reaktion auf den vorher geposteten Beitrag.


    Gruß, flo

    "Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik"


    Wise Guys 2000

  • Hallo JR


    Zitat

    Außerdem war Beethoven vielleicht ein größerer Neuerer als Mozart, aber als Monteverdi, Haydn oder Wagner? Vermutlich nicht.


    Ich glaube doch. Sowohl Monteverdi als auch Wagner waren große Neuerer - aber vor allem auf einem Gebiet. Beethoven hat aber nicht nur der Symphonie völlig neue Dimensionen erschlossen (und wie schon richtig geschrieben wurde, haben alle Komponisten danach an diesem Brocken schwer zu kauen), seine 32 Klaviersonaten sind ein musikalischer Kosmos ohne Vergleich, seine Streichquartette schweben auf neuen Höhen, die nur von sehr wenigen Kollegen erreicht wurden und seine einzige Oper zeigt, dass wenn die Sterne in dieser Beziehung etwas günstiger gestanden hätten, Beethoven auch auf diesem Sektor zu Großem in der Lage gewesen wäre (er scheiterte ja in erster Linie daran, dass sich für ihn die praktischen Anforderungen eines "Unterhaltungswerkes" wie eine Oper nicht mit seinen idealistischen künstlerischen Anforderungen vereinbaren ließen - eine Diskrepanz, die erst Wagner überwinden konnte).

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Stilkopien


    AAAAAAHHHHHHHH....!!!!!!


    :motz:

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Theophilus


    Ich glaube doch. Sowohl Monteverdi als auch Wagner waren große Neuerer - aber vor allem auf einem Gebiet. Beethoven hat aber nicht nur der Symphonie völlig neue Dimensionen erschlossen (und wie schon richtig geschrieben wurde, haben alle Komponisten danach an diesem Brocken schwer zu kauen), seine 32 Klaviersonaten sind ein musikalischer Kosmos ohne Vergleich, seine Streichquartette schweben auf neuen Höhen, die nur von sehr wenigen Kollegen erreicht wurden und seine einzige Oper zeigt, dass wenn die Sterne in dieser Beziehung etwas günstiger gestanden hätten, Beethoven auch auf diesem Sektor zu Großem in der Lage gewesen wäre (er scheiterte ja in erster Linie daran, dass sich für ihn die praktischen Anforderungen eines "Unterhaltungswerkes" wie eine Oper nicht mit seinen idealistischen künstlerischen Anforderungen vereinbaren ließen - eine Diskrepanz, die erst Wagner überwinden konnte).


    (Ich bin der Ansicht, dass Beethoven in der Oper zu Großem nicht nur in der Lage war, sondern durchaus solches verwirklicht hat... :D )


    Ja, aber Haydn z.B. hat Sinfonie und Quartett wie wir sie kennen mehr oder weniger erfunden (wenn natürlich auch nicht ganz allein) und dabei ebenfalls Höhen erreicht wie wenige andere, insbesondere aber eine Basis für Beethoven geliefert...
    Ich will die Bedeutung Beethovens keinswegs schmälern, aber m.E. hatte er eher als etwa Monteverdi und Haydn herausragende Vorgänger, an die er anknüpfen konnte, und das tat er ja auch, in gewisser Weise sogar recht "konservativ" Die Wirkung Beethovens war gewiß durchschlagend, aber auch hier zeigt sich m.E., dass er eher als Abschluß einer Epoche zu sehen ist. Chopin konnte nichts mit seiner Musik anfangen, Schumann verehrte sie natürlich , bezieht sich aber eher "negativ" auf sie


    Bei Wagner und Monteverdi kann man noch anführen, dass der Einfluß von Wagner sich ja nicht nur auf die Oper, sondern auch auf andere Gattungen (selbst auf die Literatur) erstreckt und dass Monteverdi die seinerzeit relevanten Gattungen, nämlich Oper, weltliches Madrigal und Kirchenmusik revolutionierte (oder auch schon gleich für eine gewisse Zeit perfektionierte), er konnte ja nichts dafür, dass es kein Streichquartette und Klavierkonzerte gab...


    Aber ich gebe natürlich zu, dass man das alles nicht gut vergleichen kann; es ist etwas anderes, eine Gattung überhaupt zu etablieren als eine, die schon etabliert ist, zu "neuen Höhen" zu führen. Und es gibt zweifellos großartige Komponisten, wie etwa Bach oder Brahms, die man nur schwer als innovativ in dem Sinne wie die oben genannten es waren, nennen kann.


    viele Grüße


    JR

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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Hallo,


    Zunächst freue ich mich einmal darüber,daß, einer der meinte, diese Diskussion sei "wenig fruchtbar" immerhin schon drei hervorragende Beiträge aus seiner Feder (ähh.. Tastatur) beigesteuert hat.... :D


    Man könnte drüber diskutieren was fruchtbar und was nicht fruchtbar ist - Tatsache ist, es wird nachgedacht - und da kann ich mir wenig Fruchtbareres vorstellen.... :D


    Aber auch ich habe vor allem über den begriff "Genie" nachgedacht.


    Hier wird beispielsweise immer damit verbunden, daß ein "Genie" einerseits seine Leistungen ohne besondere Anstrengung vollbringen muß, andererseits muß es stets was "Neues" sein :D


    Ich selbst hätte Genialität mit keiner der beiden Bedingungen in Verbindung gebracht, icht würde von einem Genie "Aussergewöhnliches" erwarten...


    LG
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Salut,


    was will Alfred eigentlich? Reden wir nun über Beethoven oder Genies?


    :D


    Ich habe lange gesucht, um die Briefstelle zu finden – ich kam nicht auf den Gedanken, dass Mozart dies aus Paris schrieb. Mozart berichtet am 14. Mai 1778 an seinen Vater über seine Kompositionsschülerin ["meine scolarin"], die Tochter des duc de guines:


    […] heüte habe ich ihr die 4te Lection gegeben, und was die Regln der Composition, und das sezen anbelangt, so bin ich ziemlich mit ihr zufrieden – sie hat mir zu den Ersten Menuett den ich ihr aufgesetzt, ganz gut den Bass dazu gemacht. Nun fängt sie schon an 3 stimmig zu schreiben. Es geht; aber sie Ennuirt sich gleich; aber ich kann ihr nicht helfen; ich kann ohnmöglich weiter schreiten. Es ist zu fruh, wenn auch wirklich das Genie da wäre, so aber ist leider keines da – man wird alles mit kunst thun müssen. Sie hat gar keine gedancken. Es kömmt nicht. Ich habe es auf alle mögliche art mit ihr Probirt, unter andern kamm mir auch in sinn, einen ganz simplen Menuett aufzuschreiben, und zu versuchen, ob sie nicht eine variazion darüber machen könnte? – ja, das war umsonst – Nun, dachte ich, sie weis halt nicht, wie und was sie anfangen soll – ich fieng also nur den ersten tact an zu variere, und sagte ihr, sie solle so fortfahren, und bey der idée bleiben – das gieng endlich so ziemlich. Wie das fertig war, so sprach ich zu ihr, sie möchte doch selbst etwas anfangen – nur die erste stimme, eine Melodie – ja, sie besann sich eine ganze viertl stund und es kamm nichts. Da schrieb ich also 4 täckte von einem Menuett und sagte ihr –sehen sie, was ich für ein Esel bin; izt fange ich einen Menuett an, und kann nicht einmahl den den Ersten theil zu ende bringen – haben sie doch die güte und machen sie ihn aus; da glaubte sie das wäre ohnmöglich; Endlich mit vieller mühe – kam etwas an tage; ich war doch froh, das einmahl etwas kamm. Dann muste sie den Menuett ganz ausmachen – das heist, Nur die Erste stimme. Über Haus aber habe ich ihr nichts anders anbefohlen, als meine 4 täckte zu verändern. Und von ihr etwas zu machen – einen andern anfang zu erfinden – wens schon die nemliche Harmonie ist, wenn Nur die Medlodie anders ist. Nun werde ich morgen sehen, was es ist. […]


    Leopold Mozart antwortete am 28. Mai:


    […]Du schreibst, heute habe ich der Mad.lle des Herzogs die vierte Lektion gegeben, und Du willst, dass sie schon selbst Gedanken aufschreiben soll, - meinst Du alle Leute haben Dein Genie?[…]


    Die Mozarts meinen in ihren Briefen sicherlich das, was Alfred und ich grundsätzlich auch unter dem Begriff "Genie" verstehen, nämlich eine "außergewöhnliche Begabung". Hat man diese nicht, ist Hopfen und Malz nicht verloren, man kann es sich erarbeiten - man wird alles mit kunst tun müssen. [Auch eine schöne Definition von Kunst!] So hat es zumindest Johann Sebastian Bach nach eigenen Angaben gemacht und: "von dem kann man wenigsten noch etwas lernen", so jedenfalls Mozart [sinngemäß]...


    Wenn ein Mensch etwas kann, was ih nicht kann - und da gibt es jede Menge [Malen, Schreiben, Kochen, Häuser bauen..] dann ist das im Bezug auf mich etwas "außergewöhnliches" - und das finde ich genial.


    Mozart hatte diese "außergewöhnliche Begabung" bereits in jungen Jahren. Deswegen war er aber meines Erachtens kein Genie im heutigen Sinne. Das Außergewöhnliche war wohl zunächst die musikalische Frühreife, eine besondere Befähigung, Musik in jungen Jahren zu spielen, zu komponieren. Aber auch er hat hart, sehr hart an sich und seiner Musik gearbeitet.


    trés cordialement
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hello again,


    Haydn hat also die Sinfonie erfunden? Ich weiß, dass diese Meinung oft erwähnt wird, aber den Weg zur klassischen Sinfonie haben andere bereitet, schon die Bach-Söhne lösen sich von Suiten und Ouvertüren-Schematas, die Mannheimer Schule hat auch das ihre dazu beigetragen, Haydn hat dies zwar konsequent weiterentwickelt, aber erfunden würde ich dazu nicht sagen. Beim Streichquartett trifft dies wohl schon eher zu, auch wenn z.B. Orchesterquartette von Stamitz o. ä. durchaus auch solistisch aufgeführt wurden.


    Wenn man Genie tatsächlich als jemanden definiert, der absolut Außergewöhnliches leistet, sind wohl die meisten heutzutage noch bekannten Komponisten früherer Zeiten Genies, weil der Otto Normalkomponist jener Zeit, der für die kompositorische Alltagskost sorgte, nach und nach in Vergessenheit geriet (oft zu Recht, manchmal auch klar zu Unrecht).


    @ Ulli: Ich weiß, Stilkopien ist kein hübsches Wort, aber wenn man um 1820 Stücke im Stil einer französischen Ouvertüre und strenge Fugen im Bachschen Sinne schreibt, kommt es mir durchaus wie eine Stilkopie vor.


    Zur Diskussion progressiver und konservativer Komponist:


    Ich finde, man kann die Leistung eines Komponisten nicht danach bemessen, ob er wie beispielsweise Beethoven versucht die Grenzen einer Gattung zu sprengen, weil sie ihm als zu enges Korsett erscheinen, oder ob er wie beispielsweise Brahms eher konservativ denkt und die traditionellen Formen mit neuen Inhalten erfüllt. Beides kann unglaublich gut sein. Zum Beispiel finde ich "die lustigen Weiber von Windsor" eine wahnsinnig schöne Oper, auch wenn im Endeffekt verwundert, dass ein Komponist sieben Jahre nach dem Erscheinen vom fliegenden Holländer und immerhin nach den Premieren von Tannhäuser und Lohengrin eine derart traditionelle Musik schreiben kann.


    Grüße, flo (Genie ;) )

    "Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik"


    Wise Guys 2000

  • pianoflo


    Zitat

    Natürlich ist Beethoven ein Genie, und zwar das größte überhaupt in der ganzen Musikgeschichte. Dafür ist Bach überhaupt kein Genie, wenn überhaupt, dann ein handwerklich geschickter Akkordarbeiter. Punkt.


    Das ich nicht lache. Wo wohnst du eigentlich?

    "Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten" Gustav Mahler

  • Hallo,


    wo ich wohne, steht doch in meinem Avatar, oder nicht?


    Im übrigen freut es mich, dass einer auf meine polemischen Provokationen reagiert. Trotzdem bin ich der Meinung, dass Bachs Musik von einigen wenigen guten Eingebungen und einer ganzen Menge großer handwerklicher Tüchtigkeit lebt.


    Dass ich nicht lache schreibt man übrigens mit Doppel-S bzw. Scharf-S, früher mal.


    Gruß, flo

    "Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik"


    Wise Guys 2000

  • Frage dich doch einmal: Was ist " handwerklichen Tüchtigkeit"? Kann das jeder erlernen? Würden jemand wie wir damit Bach nahekommen?


    Wenn du die beiden letzten Fragen mit "ja" beantwortest, dann hast du nicht CDU gewählt (Achtung Witz), dann machst du jeden angehenden Komponisten hoffnungsvoll, sagst aber auch etwas Blödsinniges (meine Meinung).


    Bach war sehr fromm. Deshalb hat er verschiedene Werke mit "soli deo gracias" signiert. Und er war sehr produktiv. Wahrscheinlich wollte er das bestmögliche mit dem in seinen Augen von Gott geschenkten Talent machen.


    Vielleicht hat Bach in der Formel:


    "Talent x Einsatz (des Komponisten) = Werk"


    bei Einsatz besser abgeschnitten.


    Aber der Punkt ist doch der: Ohne ein gehöriges Maß an Genie, sprich Talent, ist doch kein Werk wie das von Bach vorstellbar.


    Kann jemand der nur sehr viel Disziplin und Wille hat, ein Werk wie die Chaconne aus der zweiten Partita komponieren?


    Ich glaube kaum.

    "Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten" Gustav Mahler

  • Jetzt fetzt Euch doch nicht so...


    :hello:


    SMOB: Ich dachte immer, SDG bedeute soli deo gloria, also Gott allein zu Ehren, oder gibt es verschiedene Varianten?


    Die "Formel" finde ich garnicht mal so schlecht, allerdings fehlt noch der Stimmungsfaktor. Nicht an jedem Tag ist man so gelaunt, dass man etwas hochwertiges vollbringen kann, oder? Ich würde also ergänzt meinen:


    Talent [K] x Einsatz [K] x (Laune / 100) [K] = Werk [K].


    Das [K] kann man dann wegkürzen...


    Die Formel ist wirklich gar nicht so übel, wenn man Faktoren im Bereich von -10 bis +10 Ansetzt. In Mozarts besten Tagen käme dann heraus:


    10 x 10 x 10 = 1.000 [z.B. Zauberflöte]


    Ein Komponist, den ich nicht so mag:


    -10 x 1 x 10 = -100 [wobei dies nicht das schlechteste Werk ist...]


    oder ein schlecht gelaunter Betthoven, dem alles bis zum Himmel stinkt:


    10 x -10 x - 10 = 1.000 [5. Sinfonie ??]


    ;)


    LG
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von pianoflo
    Haydn hat also die Sinfonie erfunden? Ich weiß, dass diese Meinung oft erwähnt wird, aber den Weg zur klassischen Sinfonie haben andere bereitet, schon die Bach-Söhne lösen sich von Suiten und Ouvertüren-Schematas, die Mannheimer Schule hat auch das ihre dazu beigetragen, Haydn hat dies zwar konsequent weiterentwickelt, aber erfunden würde ich dazu nicht sagen. Beim Streichquartett trifft dies wohl schon eher zu, auch wenn z.B. Orchesterquartette von Stamitz o. ä. durchaus auch solistisch aufgeführt wurden.


    Ich weiß selbst, und hatte auch schon eingeräumt, dass Haydn natürlich nicht die Sinfonie erfunden hat. Aber man kann wohl dafür argumentieren, dass er wesentlich zur Herausbildung des "Klassischen Stils" (wenn man Rosen folgt) beigetragen hat und damit zur Etablierung der Sinfonie als zentrale Gattung der Instrumentalmusik. Sicher ist es historisch etwas ungerecht, nicht nur die "Frühklassiker" wie die Bach-Söhne, die Stamitze sondern auch Zeitgenossen wie Vanhal oder Michael Haydn einfach unter den Tisch fallen zu lassen, aber das tut schon ETA Hoffmann nur wenige Jahre nach Haydns Tod. Graf Waldstein schrieb Beethoven nicht ins Stammbuch, er möge Glucks Geist aus Salieris oder CPE Bachs Geist aus Vanhals Händen empfangen :D
    Und ich kenne inzwischen ein paar Stücke von weniger bekannten Zeitgenossen und wenn ich die auch durchaus hörenswert finde, es ist kein zweiter Satz "Londoner" oder "Pariser" Sinfonien dabei...


    Zitat


    @ Ulli: Ich weiß, Stilkopien ist kein hübsches Wort, aber wenn man um 1820 Stücke im Stil einer französischen Ouvertüre und strenge Fugen im Bachschen Sinne schreibt, kommt es mir durchaus wie eine Stilkopie vor.


    Klar, aber auch Mozart fertigte in diesem Alter "Stilkopien" von JC Bach an, das war halt nur ein Zeigenosse


    Zitat


    Zur Diskussion progressiver und konservativer Komponist:


    Ich finde, man kann die Leistung eines Komponisten nicht danach bemessen, ob er wie beispielsweise Beethoven versucht die Grenzen einer Gattung zu sprengen, weil sie ihm als zu enges Korsett erscheinen, oder ob er wie beispielsweise Brahms eher konservativ denkt und die traditionellen Formen mit neuen Inhalten erfüllt. Beides kann unglaublich gut sein. Zum


    Jetz bin ich etwas verwirrt... :rolleyes:
    Du hast doch selbst (nicht zu Unrecht) die Progressivität und die Nachwirkung von Beethoven als entscheidende oder doch zentrale Qualitätsmerkmale ins Spiel gebracht?!?! Warum machst Du so schnell einen Rückzieher?


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Jetzt fetzt Euch doch nicht so...


    Sorry, aber Bach bedeutet mir viel. Bei dem Thema bin ich empfindlich. Jetzt kann ich die fanatischen Glaubenskriege der Geschichte besser nachvollziehen...


    Mit der Formelveränderung hast du Recht. Dadurch werden auch die äußeren Einflüsse zumindest etwas mitgezählt. :D. Etwas vereinfacht ist sie aber schon noch.



    PS:

    Zitat

    SMOB: Ich dachte immer, SDG bedeute soli deo gloria, also Gott allein zu Ehren, oder gibt es verschiedene Varianten?


    Du hast natürlich Recht. Ich bin eher ein guter Legastheniker als ein Lateiner.

    "Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten" Gustav Mahler

  • So, jetzt noch mal zum besseren Verständnis:


    Natürlich kann nicht jeder von uns mit fleißigem Üben und Basteln das Kompositionsniveau eines Johann Sebastian Bach erreichen, weil dazu natürlich so etwas wie Talent gehört. Aber mindestens die Beherrschung des Bachschen Choralsatzes sollte für jeden, der sich damit beschäftigt, drin sein. Im übrigen werden Fugen bzw. Chaconnes und Passacaglias im Bach-Stil von jeden bayrischen Schulmusikstudenten im Examen verlangt, dafür braucht man mehr handwerkliches Geschick als unendliches musikalisches Genie. Ich glaube eher, dass ein durchschnittlicher Musikstudent in der Lage ist, ein Stück wie die Chaconne aus Bachs zweiter Partita zusammenzubasteln als einen Satz aus einer Beethovensinfonie bzw. einen vom Niveau her vergleichbaren Sinfoniesatz zu komponieren.


    Bei Bachs Musik geht es mir einfach so, dass sie mich in höchstem Maße anödet und langweilt, dieses ewige Sequenzieren oder diese unglaublich langen Arien mit den tausend Wiederholungen, ich mag diesen Komponisten einfach nicht, deswegen habe ich auch eine derart polemische Äußerung über ihn formuliert. Ich halte beispielsweise Henry Purcell für einen Komponisten, der aus den gleichen zeitlichen Bedingungen wie Bach deutlich mehr an eigenständigen und in diesem Sinne genialen Kompositionen herausholt, diese berühren mich weit mehr als jedes Bach-Werk.
    Im übrigen ist ja mittlerweile daraus eine recht hübsche Diskussion entstanden, gut so.


    So viel zum Thema Bach, auf weitere Diskussionen über ihn werde ich mich nicht einlassen. Ich habe keine Lust, mich mit SMOB oder sonst wem zu "fetzen" über ein Thema, das ich nicht als wirklich bedeutend erachte.


    Zur Diskussion Progressivität oder Traditionalismus: Ich sehe mein letztes Posting nicht als Rückzieher, es widerspricht sich nicht, wenn ich behaupte, dass Brahms ebenfalls ein großartiger Komponist war. Ich habe ihn ja nicht in seiner Bedeutung über Beethoven gestellt. Brahms war ja auch nicht rückständig, er hat meines Erachtens auch viel für die Form der Sinfonie und des Solo-Konzertes geleistet.


    Nur von der Bedeutung in der Musikgeschichte her gibt es meiner Meinung nach keinen größeren Komponisten als Beethoven, Genie hin oder her. Ich halte seine Leistungen insgesamt für bedeutender als die eines Brahms oder Schumann, obwohl ich dennoch diese Komponisten wohl auch schätzen darf.


    Im übrigen mache ich niemandem zum Vorwurf, Stilkopien etc. zu machen, es ist in der kompositorischen Entwicklung durchaus gut, sich mit den großen Meistern der Vergangenheit zu beschäftigen. Ich bezweifle auch nicht, dass Haydns Einfluss wesentlich gewichtiger als der von Stamitz oder den Bach-Söhnen ist, nur wehre ich mich gegen die Vermutung, dass er ein größerer Neuerer als Beethoven gewesen sein sollte.


    So, jetzt langts für heute,


    Gruß, flo

    "Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik"


    Wise Guys 2000

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Sagitt meint.


    Ich verstehe nicht ganz, was für eine Diskussion hier geführt wird ? Reden die Zwerge über Giganten ? Natürlich wird jeder von uns irgendeinen großartigi finden oder langweilig, aber davon unabhängig sind doch alle große Musiker gewesen, was einem sofort einleuchet, wenn man die Musik der vielen hört, die auch zu Zeiten der Großen lebten ,komponierten und aufführten, teilweise sogar erfolgreicher als die die Großen waren.
    Mir ist mal wieder deutlich geworden, als ich jetzt gerade Falstaff von Salieri gesehen und gehört haben. Durchaus achtbare Musik,leicht eingängig, also nachvollziehbar, warum er seinen solchen Erfolg hatte, aber doch ein keiner Weise an die Seite eines Mozarts zu stellen.
    Wir schreiben hier über Menschen, die in vielen Teilen der Welt hohes Ansehen geniessen, Menschen begeistern.
    Wer kann an deren Bedeutung zweifeln ?


    P.S. Beethoven ist mein Hausgott. Heisst, ich wohnte in der Bonner Umgebung als junger Mann und habe mit Beethoven den Raum der Klassik betreten. Nicht nur die Graugans kann geprägt werden.....

  • Zitat

    Original von sagitt
    Sagitt meint.


    Ich verstehe nicht ganz, was für eine Diskussion hier geführt wird ? Reden die Zwerge über Giganten ? Natürlich wird jeder von uns irgendeinen großartigi


    Das ganze Forum (wie viele andere) besteht tatsächlich genau darin, so etwas zu tun. :D
    Ich kann überhaupt nichts so gut wie Salieri komponieren oder Karajan dirigieren konnten, aber warum sollte mich das davon abhalten, sie zu beurteilen? Ich kann auch nur mäßig kochen und kaum schreinern, dennoch erkenne ich eine versalzenen Suppe oder einen schiefen Schrank.
    Ich denke schon, dass eine Diskussion eines so schillernden Begriiffs wie "Genie" nicht völlig sinnlos ist und sei es nur mit einem negativen Ergebnis. Interssant doch z.B., dass Mozart Genie mit "Einfallsreichtum" gleichsetzte und es ihm schwerfiel, zu verstehen, dass jemand die Mechanik der Kunst beherrschte, aber keinen eigenen Menuett (ich dachte immer das sei sächlich...) schreiben konnte, usw. Oder wie Innovation bewertet wird.
    Es sollte (muß es aber auch nicht) allerdings nicht in wenig fruchtbares ranking oder bashing einzelner Komponisten abgleiten.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Interessant doch z.B., dass Mozart Genie mit "Einfallsreichtum" gleichsetzte und es ihm schwerfiel, zu verstehen, dass jemand die Mechanik der Kunst beherrschte, aber keinen eigenen Menuett (ich dachte immer das sei sächlich...)


    Brockhaus sagt zumindestens auch, dass das Menuett sächlich ist.
    Von einer männlichen Form habe ich noch nie etwas gehört.
    Woher hast du denn diese Form?



    Gruß, Peter.

  • Sagitt meint:


    Ist einer der Großen kein Genie, wenn er mal einen schiefen gebastelt hat ? Mein Hausgott Beethoven hat sicher einige schiefe Schränke gebastelt, aber da ist so vieles Gültiges, das ja auch überlebt hat. Für mich schon ein Kriterium. Starke Werke können eine Zeitlang vergessen werden,aber sie verschwinden nicht, sh. Matthäus-Passion. Von allen Großen überleben Werke in aller Welt. Was diskutieren wir ? Ob sie ausreichend Begabung hatten, sie ein Genie zu nennen ? Ich mag Wagner wirklich nicht, aber käme nie auf die Idee, ihm die Genialität seiner Musik abzusprechen. Er hat Gültiges geschaffen, das weltweit interessiert.Mir reicht diese Erkenntnis. Die Frage, wer der Größte sei, finde ich unsinnig und würde mich dazu an keiner Diskussion beteiligen.

  • Hallo Sagitt,


    Es ging ja hier nicht darum, irgendjemandem etwas zu- oder abzusprechen - es ging vielleicht darum den Begriff "Genie" zu definieren. Beispielsweise könnt man zur Erkenntnis kommen, daß es "Genies" in Wirklichkeit gar nicht gibt, sondern "lediglich" hochbegabte Menschen die zudem auch noch hart arbeiteten.


    Nach meiner eigenen Definition ist "Genie" ein Phantom. Desto näher man dem Genie kommt, desto verletzlicher und menschlicher wird es.
    Das bedeutet ab in keiner Hinsicht eine Abwertung des Geschaffenen - Fast bin ich geneigt zu sagen: Im Gegenteil.


    Man kann natürlich jedes Thema in Frage stellen, bzw seinen Sinn hinterfragen. Aber andererseite gibt es durchaus schlechtere Wege seine Zeit zu verbringen :)


    Beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Die Frage lautet: War Beethoven ein Genie?


    „Genie“ bedeutet (gem. Duden): 1. überragende schöpferische Geisteskraft; 2. hervorragend begabter, schöpferischer Mensch.


    Daraus ergibt sich zweifelsohne: Ja, Beethoven war ein Genie.


    Gruß, Cosima 8)

  • Hallo


    @ Cosima:


    Daraus ergibt sich aber auch genauso zweifelsfrei, dass kein Interpret, sei er auch noch so gut, ein Genie kann, weil Reproduktion von Noten nicht als schöpferisches Tun gewertet werden kann.


    Gruß, flo

    "Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik"


    Wise Guys 2000

  • Lieber Flo, ich denke, das ist so nicht ganz richtig. Der Musiker, der 'Noten reproduziert' tut das doch im Rahmen eines schöpferischen Prozesses, er schafft doch Musik im eigentlichen, ich meine also im wörtlichen Sinne. Ich neige auch nicht dazu, Interpreten als 'Genie' zu bezeichnen, aber ich glaube das 'Machen' von Musik auf diesem allerhöchsten Niveau setzt doch einen eigenen enormen kreativen Input geradezu zwingend voraus, es geht doch um viel mehr als das blosse Reproduzieren...


    Liebe Grüsse, Moritz

    "Das beste, an dein Übel nicht zu denken, ist Beschäftigung."
    Ludwig van Beethoven

  • Hallo Alfred,


    bedeutet, eine " Genie" zu sein, man sei ein perfekter Mensch ? Dann werden wir wohl keinen Musiker finden, der zu diesem Begriff passt. Wer wollte seine private Zeit mit einem Mozart, Beethoven, Schumann oder Brahms verbringen ? Ich jedenfalls nicht. Aber deren Schöpfungen sind Ausdruck einer über die Zeit reichenden Begabung. Alle musikalisch Begabten haben die gleichen Noten, viele sind,sehr,geschult, aber was sie komponieren, reicht allenfalls für den Tag oder kurz darüber hinaus. Warum werden wir heute noch vom Perdono aus Figaros Hochzeit zutiefst angerührt, von Beethovens Wucht fast umgeworden, von Schuberts Abgründen erschüttert ? Weil sie in diesem Punkte, durch diese Tätigkeit allerhöchste Schöpferkraft bewiesen. Welchen Begriff man dafür dann wählt, ist mir nachrangig.


    Aus dem spätsommerlichen Bremen
    schöne Grüsse


    Sagitt

  • Hallo,


    egal, auf welchem Niveau, für mich ist musizieren kein schöpferischer Akt, es sei denn Improvisationen im Jazz etc., aber davon reden wir hier ja nicht. Der kreative Rahmen, der gesetzt wird ist derart gering, dass klassisches Musizieren doch vor allem auf Reproduktion und nicht auf Schaffung etwas eigenständigen beruht.


    Klar sind manche Interpretationen so weit vom Notentext entfernt, dass man schon fast von einer Neuschöpfung sprechen kann :stumm: :D


    aber, egal, auch ein Richter oder Karajan, oder wer auch immer, ist nur das Medium, das die Musik des schöpferischen Genies zum klingen bringt und kann nicht selber ein Genie nach dieser Definition sein.


    So sehe ich das jedenfalls,


    Gruß, flo

    "Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik"


    Wise Guys 2000

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