Michael Korstick - Nicht nur - ein bedeutender Beethoven Interpret unserer Tage

  • Hallo Stabia,


    Michael Korstick ist gewiss ein Pianist, der polarisiert (dies aber ganz sicher nicht wegen technischer Defizite).
    Im seinem Falle glaube ich den Grund zu verstehen: Zwei Eigenschaften kennzeichnen seine Interpretationen: zum Einen die Texttreue. Die Realisierung dessen, was der Komponist unmissverständlich fordert, wird unmissverständlich umgesetzt.
    Nun lässt sich aber nicht Alles in Noten schreiben, die Werke erfordern, erzwingen ja in jedem Moment vom Interpreten Entscheidungen. Und da sucht Korstick nach den Lösungen, die ihm selbst plausibel erscheinen, offensichtlich nach einem langen Analyse- und Denkprozess, kombiniert mit musikalischer Empfindung und Erfahrung. Ich finde es interessant, dass er „nicht Alles ganz anders“ spielt (laut eigener Aussage hat er eher nur Verachtung für Interpreten, die glauben, man müsse „Alles ganz anders als die Anderen“ machen). Mit der selben Begründung spielt er aber auch nichts "so wie Andere" in dem Sinne, dass das die Tradition ist. So kommen wirklich außergewöhnliche Aufnahmen zustande.
    Das Interview mit Korstick, das in der Textbeilage zur Aufnahme der Hammerklaviersonate abgedruckt ist, gibt ein schönes Beispiel, denn er begründet darin die Wahl seiner Tempi, wobei er auch ganz klar sagt, dass die Richtigkeit der Entscheidung für den extrem langsamen dritten Satz nicht beweisbar ist. Gute Gründe sind es aber allemal – vor Allem sind es Gründe, bei denen nicht er selbst, sondern der Komponist im Mittelpunkt steht.


    Als Ergebnis sind aus meiner Sicht extreme, radikale Aufnahmen entstanden – aber Beethoven hat ja auch extreme und radikale Werke geschrieben: die Hammerklaviersonate finde ich zum Beispiel moderner als Vieles aus dem 20. Jahrhundert, und Korstick hat (wie auch manch anderer große Pianist) die Gabe, diese Radikalität „herüberzubringen“ – und damit meine ich wirklich: in unsere Zeit zu retten, in der Lautstärke, Dissonanzen, die musikalische Entwicklung usw. die Ohren ganz anders geprägt haben als die der Hörer zu Beethovens Zeit. Ein Gestaltungsmittel neben vielen ist die Dynamik, die ihm der moderne Konzertflügel bietet. Dass er dabei das Klaviermöbel nicht immer mit Samthandschuhen behandelt, finde ich ganz angemessen. Beethoven hat das mit seinen Flügeln auch nicht gemacht.


    Meine ganz persönliche Sicht auf die eingespielten Aufnahmen ist:


    opp. 53 , 111 und 120 sind beeindruckend geschlossen gespielt, in den Tempi rasant, aber doch nicht wirklich extrem, die Zeiten für die Sätze bei op. 53 sind praktisch identisch mit denen der Pollini-Aufnahme. Gulda spielt die Diabelli-Vaiationen sicher „extremer“ als Korstick. Details spielen gar nicht die große Rolle, aber am Ende hat man wirklich Beethoven gehört. Etüdenhaft? – ich finde es eher großartig, dass der Hörer nicht in den Gefühlen des Interpreten versinkt, sondern dass die Musik für sich selbst sprechen darf.
    Op. 106 finde ich absolut großartig: ich teile nicht das Urteil, dass man im langsamen Satz den Faden verliert.
    Noch zur Aufnahme der Milhaud-Konzerte: da lernt man Korstick von einer ganz anderen Seite kennen, farbig, brillant, sogar elegant. Bei dieser Aufnahme ist der Flügel sicher nicht kaputtgegangen. Interessant wäre dennoch, wenn man Aimard oder Tharaud zum Vergleich hören könnte.


    Nun ist es ja – dem Himmel sei Dank – so, dass nicht jedem das Selbe gefallen muss. Und damit wären wir wieder beim Polarisieren: es ist doch ein Segen, dass es Interpreten gibt, die polarisieren, und zwar auf Grund ihrer künstlerischen Statur (wäre es auf Grund von Werbekampagnen, ich würde anders urteilen).



    Beste Grüße
    Pylades

  • Also, nun werde ich mir die CD´s noch einmal anhören.
    Nach so guten, ausführlichen Antworten ist das einfach notwendig.


    Vielleicht werde ich von Saulina zur Paulina
    Was gäbe ich drum, Beethoven selbst zu hören!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!


    Gruß aus Bonn :hello: :hello: :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Hallo zusammen,


    noch ein Nachtrag zu Michael Korstick:


    folgende Meldung ging vor einiger Zeit durch die Presse (zitiert nach der Neuen Musikzeitung, Leipzig):


    Das Landgericht Berlin untersagt Verwertung von Korstick-Einspielung auf Kuschel Klassik Vol. 10
    Der Pianist Michael Korstick hat gerichtlich durchgesetzt, dass der Musikkonzern Sony BMG das CD-Album "Kuschel Klassik Vol. 10" in der vorliegenden Form vom Markt nehmen muss.



    Michael Korstick, der in der Musikwelt als einer der wichtigsten Beethoven-Interpreten der Gegenwart gilt, hatte den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, nachdem er darauf aufmerksam geworden war, dass seine Aufnahme von Beethovens Bagatelle Op. 126 Nr. 1, welche auf seiner letzten beim Label Ars Musici erschienenen CD mit Werken von Beethoven und Schubert (ausgezeichnet mit dem Echo Klassik 2005 als "Solistische Einspielung des Jahres") enthalten war, ohne seine Kenntnis und Zustimmung zur Verwendung für "Kuschel Klassik" an Sony BMG weiterlizenziert worden war. Sony BMG war dabei in gutem Glauben gewesen, eine wirksame Lizenz für diese Art der Verwertung erworben zu haben. Da eine solche Weitergabe jedoch vertraglich an die Zustimmung des Künstlers gebunden war, hat das Landgericht Berlin jetzt eine mittlerweile rechtkräftige einstweilige Verfügung erlassen (16 0 731/06), mit der Sony BMG der weitere Vertrieb dieses Titels untersagt wird.


    Korstick hatte seinen Ruf als ernsthafter und maßstabsetzender Interpret insbesondere der Werke Beethovens durch die missbräuchliche Verwendung seiner Aufnahme unter Nennung seines Namens als Interpret von "Kuschel Klassik" gefährdet gesehen und jeglichen Kompromiss ausgeschlossen.


    Der Künstler: "Die Idee, ausgerechnet späten Beethoven als Kuschelmusik zu verramschen, ist vollkommen absurd. Es ist schlimm genug, dass es klassische Musiker gibt, die sich beim Massenpublikum anbiedern und sich als Popstars vermarkten lassen. Aber dieses Spiel spiele ich ganz einfach nicht mit."


    Wenn ihm jeder Musikfreund dafür die Füße küssen würde: er bräuchte nie mehr vor dem Konzert die Schuhe putzen…


    Beste Grüße
    Pylades

  • Zitat

    Original von Pylades
    Der Künstler: "Die Idee, ausgerechnet späten Beethoven als Kuschelmusik zu verramschen, ist vollkommen absurd. Es ist schlimm genug, dass es klassische Musiker gibt, die sich beim Massenpublikum anbiedern und sich als Popstars vermarkten lassen. Aber dieses Spiel spiele ich ganz einfach nicht mit."


    Wenn ihm jeder Musikfreund dafür die Füße küssen würde: er bräuchte nie mehr vor dem Konzert die Schuhe putzen…


    Ich habe zwar noch keine Aufnahme von ihm gehört, aber durch dieses Statement wird er mir ausgesprochen sympathisch! :yes:
    :hello: Andreas

  • Zitat

    Wenn ihm jeder Musikfreund dafür die Füße küssen würde: er bräuchte nie mehr vor dem Konzert die Schuhe putzen…


    Ich glaube Herr Korstick legt nicht so sehr viel Wert darauf, daß man ihm die Füße küsst - vielmehr würde er es begrüßen, daß man seine CDs erwirbt ...


    Und da gibt es sicher mehr Gründe als dieses Statement - Ich besitze bereits 2 Beethoven-Einspielungen dieses Künstlers, eine auf Ars Musici, eine auf seinem neuen Label OEHMS Classics, welches eine neue Gesamtaufnahme aller Beethoven-Sonaten mit ihm in Planung hat.


    Mein Urteil steht noch nicht endgültig fest - es schwankt zwischen "individuell" und "eigenwillig" bis hin zu "eigensinnig"- was ja ohnedies in eine Richtuing weist - jedoch eine Dosierungsfrage ist. Letztlich ist man auch als (Amateur)Rezensent nicht immer in gleicher Tagesverfassung- so schwanken die Beurteilungen natürlich - das sollte man offen aussprechen.
    Eines kann ich jedoch sicher behaupten: HÖRENSWERT und interessant sind seine bisherigen Aufnahmen allemal - und ich bin gespannt was da noch kommt....


    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Hallo heute morgen


    Habe mich ertappt gefühlt, weil ich auch schon einmal "Kuschelrock"CD selber produziert habe mit einer Zusammenstellung himmlischer Beethoven-Adagios für ganz liebe Leute, die mit Klassik nichts am Hut haben, aber davon schier begeistert waren. Wie soll man anders so etwas unters Volk bringen.


    Ich denke, daß Herr Korstick natürlich alles Recht der Welt hat, über seine Einspielungen und deren Verwertung zu entscheiden.


    Gestern abend habe ich mir seine Einspielung von Op. 53 noch mal angehört.


    1. Satz ok, komme ich mit klar


    2. Satz, diese nachgeschriebene Überleitung zwischen 2 extrem guten Sätzen, darüber habe ich an anderer Stelle im Tamino schon gelesen. Manche möchten darauf sogar verzichten.
    Aber die große Kunst scheint mir zu sein, das. was da an Noten geschrieben ist, mit Ausdruck zu füllen. Ich habe einige Beispiele, muß sie noch einmal durchhören.. Hier - grausame Langeweile, der Satz wird regelrecht zu Nichts gemacht.

    3. Satz gefällt mir gut.


    Heute morgen - ausgeschlafen - Hammerklaviersonate:


    1. Satz sehr schnell, der Versuch, alles hörbar zu halten, geht auf Kosten des Ausdruckes. Ist wahrscheinlich technisch nicht anders machbar. Aber das ist als alternative Interpretationslösung in Ordnung


    2.Satz ebenso. Gefällt mir eigentlich sehr gut


    3.Satz fast eine halbe Stunde. Das schafft ja nicht einmal Barenboim.
    Für mich eine einzige Zumutung. Diese wunderbare Musik, von Kempff in allen Einspielungen geradezu consecriert, kann nicht singen, klagen, Hoffnung schöpfen. Meines Erachtens darf man das nicht!


    4.Satz: Das Largo in Fortsetzung von Satz 3 viel zu largo.
    Dann geht die Post ab, Wahnsinnstempo. Da kann ich mir die Diskussion, ob denn Beethovens Metronom richtig geeicht war schon vorstellen.
    Hier jedenfalls ist es nicht möglich, die Stimmführungen zu gestalten, die zum Verständnis nötig sind. Der Spuk ist, brilliant gespielt, als artistische Leistung wahrnehmbar, nach reichlich 11 min zu Ende.
    Das ist für mich keine Referenzaufnahme, bestenfalls als das eine Ende der Gauß`schen Verteilungskurve der Möglichkeiten anzusehen.


    Gruß aus Bonn :rolleyes:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Zitat

    Original von Stabia


    3.Satz fast eine halbe Stunde. Das schafft ja nicht einmal Barenboim.
    Für mich eine einzige Zumutung. Diese wunderbare Musik, von Kempff in allen Einspielungen geradezu consecriert, kann nicht singen, klagen, Hoffnung schöpfen. Meines Erachtens darf man das nicht!


    Liebe Stabia,


    schreib doch im Hammersonaten-Thread etwas zu Kempffs Aufnahme. Die fehlt dort nämlich noch .... :D


    Korsticks Aufnahme des dritten Satzes ist wirklich die mit Abstand langsamste (oder sollte man besser sagen "extremste"? Das Grundproblem einer solchen Deutung des dritten Satzes ist weniger das langsame Tempo an sich, sondern die Temporelationen überhaupt. Wäre wirkich interessant zu wissen, wie Kempff die übrigen Sätze nimmt.


    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Liebe Klavierfreunde,


    nach dem im Thread zu Alfred Brendel das Interview mit Michael Korstick erwähnt wurde, habe ich den Link rasch kopiert:


    Zitat


    Korstick ist sehr kompromißlos in der Sache, weiß sein Urteil aber immer gut zu begründen. Passt zu seiner Art Klavier zu spielen.


    Herzliche Grüße,:hello::hello:



    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)


  • Vielen Dank! Das ist wirklich sehr lesenswert, ich befürchte nur, dass hier ein Gelehrter spricht, dem es kaum einer Recht machen kann und der mit gesuchter Akuratesse sein m.E. arg bodenschweres und nicht immer inspiriertes Klavierspiel zu legitimieren sucht. Bezeichnenderweise lässt er von Michelangeli die Beethoven op.7-Aufnahme gelten, eine der langweiligsten Aufnahmen dieser Sonate überhaupt. Kann ja sein, dass sie sehr genau ist, was den Notentext betrifft, aber sie ist eben auch schrecklich langweilig, nicht nur wegen des langsamen Tempos im ersten Satz. Ich sage das auch, weil ich Korstick mal in B4 Klassik gehört habe, wo er einige Aufnahmen seiner Wahl vorgestellt hat. Das war eine grausam langweilige und irgendwie betont gelehrt wirkende Sendung - der Mann hat einfach Null Humor, deswegen gelingen ihm auch die Diabelli-Variationen nicht.


    Viele Grüße,
    Christian

  • Hallo,


    Unabhängig von Korsticks eigenwilliger Beethoven Interpreatition gefällt mir seine Liszt/Chopin/Schumann Platte sehr gut. Für Liszt bringt er die nötige Bravour mit. Die Sonate hat unter seinen Händen "Biß" ohne ins Extrem (wie z.B. Horowitz/Agerich) zu gehen. Chopin (Fantasie-Polonaise op. 61) spielt er etwas zurückhaltender (Hier gefällt mir Stanislav Bunins einstige DG-Deutung deutlich besser). In Schumanns Carnaval op. 9 vereint er das Homoreske mit dem Brillianten. Im großen und Ganzen sehr hörenswert. :hello:


    Leider habe ich Korsitk noch nicht live hören können! Es soll angeblich auch eine Einspielung aller 12 transzendentalen Etudes von Liszt mit ihm geben! Kennt jemand diese Aufnahme?


    Gruß
    Niko

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  • Hallo zusammen,


    Zitat

    Original von Christian B.:
    ...wo er einige Aufnahmen seiner Wahl vorgestellt hat. Das war eine grausam langweilige und irgendwie betont gelehrt wirkende Sendung - der Mann hat einfach Null Humor, deswegen gelingen ihm auch die Diabelli-Variationen nicht.


    Vielleicht ist es ja so, dass hier zwei Arten von Humorempfindung einfach chemisch nicht zusammenpassen? Ich finde die Diabelli-Variationen in der Interpretation vn Korstick nämlich durchaus voller Humor. Auch seine Beschreibung ist witzig:


    Zitat

    Original von Michael Korstick:
    "Wie ein Zug, der auf einem abschüssigen Gleis herunterfährt und auf den Schlussakkord prallt."


    Zum Werkverständnis hilft das zwar nicht besonders, aber ein treffendes Bonmot ist es trotzdem.


    Zitat

    Original von scriabin007.:
    Unabhängig von Korsticks eigenwilliger Beethoven Interpreatition gefällt mir seine Liszt/Chopin/Schumann Platte sehr gut. Für Liszt bringt er die nötige Bravour mit. Die Sonate hat unter seinen Händen "Biß" ohne ins Extrem (wie z.B. Horowitz/Agerich) zu gehen. Chopin (Fantasie-Polonaise op. 61) spielt er etwas zurückhaltender (Hier gefällt mir Stanislav Bunins einstige DG-Deutung deutlich besser). In Schumanns Carnaval op. 9 vereint er das Homoreske mit dem Brillianten. Im großen und Ganzen sehr hörenswert


    Das sehe ich ganz genauso - wobei ich statt Bunins Einspielung eher die von Pollini zum Vergleich sehen würde.
    Ebenfalls sehr hörenswert seine "russische" Platte mit Werken von Tschaikowsky, Liapunov , Prokofieff (die achte Sonate) und Mussorgskys "Bildern einer Ausstellung". Bei denen ändert er sogar den Notentext - trotzt seines Interviews in "Partituren" - allerdings liefert er eine Begründung mit, die man vielleicht nicht für richtig halten muss, von der man aber zugeben muss, dass es sie sehr ernsthaft erarbeitet ist.
    Auch bei diesem hochvirtuosen Programm beweist er stupende Technik, die keinerlei Vergleich scheuen muss, die aber wieder nur die Voraussetzung für seine Interpretaton ist und nicht Selbstzweck.


    Gruß
    Pylades

  • Diabelli-Variationen wieder gehört - es muß doch an dem Mann etwas dran sein - aber - ich glaube, daß sich da einfach die Geschmäcker scheiden.


    Das mag notengetreu sein, aber völlig humorlos. Wenn es doch wenigstens den bissigen Humor der alternden Beethovens hätte.
    In meinen Ohren Heruntergeklimpere, so wie ich es im Konzertsaal gehört habe. Da mag mal etwas eher lyrisch gespielt werden, dann aber gleich wieder zu langsam.
    Punktum, ich kaufe nichts mehr, bin nicht mehr neugierig.


    Gut so, daß man eine große Wahl hat, auch von Pianisten der jüngeren Generation, die offenbar aus Beethovens Musik noch viele Facetten herausholen können, ohne, daß es gekünstelt wirkt, die Korstick nicht findet.


    Gruß aus Bonn :boese2:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Liebe Leute,


    ganz so schlecht ist Korsticks Aufnahme der Diabelli-Variationen nun auch wieder nicht. Aufgrund der Diskussion in diesem Thread habe ich sie mir eigens nochmals angehört. Es mag zwar genügend abweichende Sichtweisen von anderen Interpreten geben, doch Korsticks präzise Darstellung hat sehr wohl ihre Berechtigung, auch wenn sie vielleicht nicht allen auf Anhieb zusagt. Im Übrigen hat er mich 58 Minuten lang keine einzige Sekunde gelangweilt - und das ist auch eine beachtliche Leistung!


    Die Sache mit dem herabrollenden Zug habe ich übrigens auch nicht verstanden und kann sie auch nicht hörend nachvollziehen.


    Live erlebt habe ich Michael Korstick bis jetzt nur einmal, und zwar nicht in einem Konzert, sondern im Rahmen einer Präsentation im Berliner Kulturkaufhaus. Korstick ist kein Mensch, der sich showmäßig in Szene setzt. Er wirkt bescheiden, ruhig und ausgeglichen. Im Interview erweckte er den Eindruck, er würde über jede einzelne Note grübeln (das passt zu seinen PR-Fotos, die ihn beim Studium von Beethovens Handschriften zeigen). Als Beispiele trug er bewußt langsame Sätze aus Beethoven-Sonaten vor, obwohl das Publikum bei einer Präsentation sicherlich etwas anderes erwartet hatte.


    Viele Grüße
    Framk

  • Hallo zusammen,


    unterschiedlicher könnten die beiden folgenden Sichtweisen kaum sein:



    Woran mag es wohl liegen? - ich denke, dass hier völlig unterschiedliche "ästhetische" Sichtweisen auf Interpretation als solche vorliegen:


    - zum Einen die Sicht, dass das musikalische Werk etwas vom Komponisten mitteilt, was gewissermaßen einen Vermittler, einen "Erzähler", einen "Erklärer" braucht; die Deutung ist Sache des Interpreten, der dazu sogar in das Werk eingreifen darf (dadurch, dass er z.B. die vom Komponisten verlangte Phrasierung ändert),


    - zum Anderen die Auffassung, dass in dem Werk "schon Alles drin ist", es quasi nur einen "Vorleser" braucht, die Deutung ist Sache des Hörers. (In diesem Sinne wäe zu fragen, warum eine notengetreue Darstellung humorlos sein kann, wenn doch der Humor schon im Werk ist.)


    Sicher ist jede praktische Interpretaton irgendwo zwischen diesen beiden Extremen angesiedelt. Die erste Extremposition einzunehmen hieße letztlich, über ein Werk zu improvisieren, die zweite, dass eine Maschine der ideale "Interpret" wäre. Pianisten wie Brendel, Cziffra, Kempff, Richter vertreten eher die subjektivierende SIcht, andere, wie Pollini, Gulda, der späte Gilels oder Korstick eher die objektivierende - mit allen denkbaren Schattierungen. (Wo mag man wohl Gould einordnen?)


    Zitat

    Dazu noch ein Zitat von Korstick (aus dem "Partituren"-Interview):


    "Die Texttreue sind nur zehn Prozent. Wenn sie da ist, aber das Stück ist langweilig gespielt, kann ich nur sagen: Wegschmeißen! Aber wenn umgekehrt alles einen wunderbaren Zug hat und virtuos ist, aber die Dynamik nicht beachtet wird, sage ich auch: Schmeißt es weg!"


    Gruß
    Pylades

  • Zitat

    Original von Pylades
    Woran mag es wohl liegen? - ich denke, dass hier völlig unterschiedliche "ästhetische" Sichtweisen auf Interpretation als solche vorliegen:


    - zum Einen die Sicht, dass das musikalische Werk etwas vom Komponisten mitteilt, was gewissermaßen einen Vermittler, einen "Erzähler", einen "Erklärer" braucht; die Deutung ist Sache des Interpreten, der dazu sogar in das Werk eingreifen darf (dadurch, dass er z.B. die vom Komponisten verlangte Phrasierung ändert),


    - zum Anderen die Auffassung, dass in dem Werk "schon Alles drin ist", es quasi nur einen "Vorleser" braucht, die Deutung ist Sache des Hörers. (In diesem Sinne wäe zu fragen, warum eine notengetreue Darstellung humorlos sein kann, wenn doch der Humor schon im Werk ist.)



    Sehr schön differenziert, wie ich finde. Wie sehr Korstick der zweiten ("positivistischen") Variante zuneigt, wird da sehr schön deutlich, wo er Kempffs Interpretation von Beethovens op. 129 kritisiert:



    Zitat

    Das ist kein slawischer Pianist – ein teutonischer Versuch, humorvoll zu sein, würde ich sagen. Diese völlig willkürlichen Ritardandi mitten im Thema, das ist so ein deutscher Versuch, lustig zu sein. Ich finde es auch belustigend, aber nicht humorvoll, eher unfreiwillig komisch.



    Viele Grüße


    Bernd

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  • Zitat

    Original von Zwielicht


    Sehr schön differenziert, wie ich finde. Wie sehr Korstick der zweiten ("positivistischen") Variante zuneigt, wird da sehr schön deutlich, wo er Kempffs Interpretation von Beethovens op. 129 kritisiert:


    Mal abgesehen von der Fragwürdigkeit des Begriffes "positivistisch" (ich dachte eigentlich, der hätte seit mindestens 30 Jahren ausgedient), relativiert Korsticks Äußerung mit den "10%" (und sein knapp halbstündiges Adagio in op.106 :wacky: ) diese Einordnung doch ziemlich. Außerdem verstehe ich seine Kritik an Kempff anders. Er kritisiert IMO nicht in erster Linie, dass überhaupt nichtnotierte Ritardandi gespielt werden, sondern zunächst, dass sie "willkürlich" sind und vor allem, dass sie den Zweck nicht erreichen, nämlich lustig sein sollen, es aber nicht sind. Letzteres wäre für mich jedenfalls der zentrale Einwand.
    Er teilt in dem Interview schon ziemlich aus, leider ohne das klar wird, was genau, Lewis, Brendel, Volodos bei Schubert am Notentext nicht beachten und so völlig verkehrt machen. Dafür bräuchte man wohl die Beispiele.


    Ich habe allerdings noch nie was von Korstick gespielt gehört, daher kann ich darüber nichts sagen.


    Zu den beiden oben skizzierten Extrempositionen: Ich glaube, dass kein von beiden richtig ist. Natürlich ist der Humor in einem Werk wie Beethovens Achter oder den Diabellis schon drin. Aber eine Interpretation kann ihn mangelhaft oder besonders deutlich herausarbeiten. Ich glaube kaum, dass man allgemein sagen kann, dass dieses besonders deutliche Herausarbeiten bei einer besonders strengen Befolgung des Notentexts automatisch folgt oder im Gegenteil eine besondere Freiheit erfordert.
    Wenn ich beim Anhören allerdings das Gefühl der peinlich genauen Kontrolle habe, sieht es mit dem Humor eher schlecht aus. (Es kann wohlgemerkt alles präzis kalkuliert und kontrolliert gespielt werden, aber es darf nicht hörbar sein.) ZB bei Gilels' und vielleicht auch bei Pollinis Beethoven habe ich häufig genau diesen Eindruck, bei Gulda nicht. Obwohl alle drei (von einigen etwas breiten Tempi bei Gilels) sich kaum Freiheiten bei rubato, Artikulationsvorschriften usw. lassen.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Es kann wohlgemerkt alles präzis kalkuliert und kontrolliert gespielt werden, aber es darf nicht hörbar sein.) ZB bei Gilels' und vielleicht auch bei Pollinis Beethoven habe ich häufig genau diesen Eindruck, bei Gulda nicht. Obwohl alle drei (von einigen etwas breiten Tempi bei Gilels) sich kaum Freiheiten bei rubato, Artikulationsvorschriften usw. lassen.


    Warum eigentlich nicht?


    Stört Euch bitte nicht an dem von mir gewählten Begriff "präzise". Ich habe damit nicht das notengetreue "Vorlesen" der Komposition gemeint. Ob Korstick jede Note richtig spielt kann ich im Übrigen auch nicht überprüfen, weil ich von den Diabelli-Variationen keine Noten habe.


    Mit "präzise" meinte ich eher eine Klarheit und Direktheit im Ausdruck, die es mir als Zuhörer ermöglicht, der Musik eine knappe Stunde lang konzentriert zu folgen, ohne dabei "abzuschalten".


    Entschuldigt bitte, falls ich durch eine unglückliche Wortwahl die Diskussion in eine falsche Bahn (möglicherweise ungebremst auf den Prellbock zu) gelenkt zu haben.


    Viele Grüße
    Frank

  • Zitat

    Original von Frank Pronath


    Warum eigentlich nicht?


    Warum was nicht? ;)


    Zitat


    Stört Euch bitte nicht an dem von mir gewählten Begriff "präzise". Ich habe damit nicht das notengetreue "Vorlesen" der Komposition gemeint. Ob Korstick jede Note richtig spielt kann ich im Übrigen auch nicht überprüfen, weil ich von den Diabelli-Variationen keine Noten habe.


    Mit "präzise" meinte ich eher eine Klarheit und Direktheit im Ausdruck, die es mir als Zuhörer ermöglicht, der Musik eine knappe Stunde lang konzentriert zu folgen, ohne dabei "abzuschalten".


    Ich bezog mich ja nicht auf dich, sondern auf die von Bernd zitierte Gegenüberstellung des Pylades die Rolle des Interpreten betreffend. Um die zu problematisieren erwähnte ich ein Beispiel aus meiner Hörerfahrung. Bei einer groben Einteilung in eher "neutrale", "buchstabengetreue" und "freie", "romantische", "willkürliche" Interpreten sind Gulda, Gilels (jedenfalls bei den Studioaufnahmen der Beethovensonaten) und Pollini gewiß alle in die erste Gruppe einzuordnen.
    Dennoch finde ich etliches bei Gilels' frühem Beethoven ziemlich streng und humorlos (und Pollini habe ich ähnlich in Erinnerung, nur schneller), bei Gulda gar nicht.
    (Da kaum ein Werk Beethovens durchgehend NUR humorvoll ist, kann es natürlich in Einzelfällen sein, dass die Aspekte, die der "humorlose" Interpret stattdessen hervorhebt, die Interpretation retten.)
    Ich wollte damit darauf hinweisen, dass auch ein "objektiver" Interpret kein "Vorleser" ist, sondern die Unterschiede beträchtlich sein können. Und von diesen Unterschieden kann abhängen, wie gut etwas im Werk angelegtes, wie Humor, herausgebracht wird.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Mal abgesehen von der Fragwürdigkeit des Begriffes "positivistisch" (ich dachte eigentlich, der hätte seit mindestens 30 Jahren ausgedient),


    Wenn der Positivismus seit 30 Jahren ausgedient hätte, dann könnte man natürlich auch den Begriff irgendwann mal zu den Akten legen :D. Im Ernst: Der problematischen und komplexen Begriffsgeschichte bin ich mir schon bewusst, deshalb habe ich "positivistisch" ja in Anführungszeichen gesetzt. Gemeint ist in einem zweifellos unscharfen Sinn einfach eine Methodik der Interpretation (egal, ob von Noten, Texten oder Bildern), die sich in Korsticks Sinn als "texttreu" versteht.



    Zitat

    relativiert Korsticks Äußerung mit den "10%" (und sein knapp halbstündiges Adagio in op.106 :wacky: ) diese Einordnung doch ziemlich.


    Korstick ist ja offenbar ein intelligenter Mann und weiß, dass er nicht sagen kann: "Die Texttreue sind hundert (achtzig, fünfzig) Prozent." Aber die vorhergehenden Sätze sprechen schon eine eindeutige Sprache:


    Erst wenn Sie eine Partitur so erarbeitet haben, dass jeder Bogen, jede dynamische Bezeichnung genau an der richtigen Stelle ist, können Sie anfangen zu interpretieren. Aber die Mühe macht sich ja keiner.


    ERST die "Texttreue", DANN die Interpretation - und wie wichtig er erstere nimmt, wird ja hinreichend deutlich, wenn er tatsächlich "keinem" zugesteht, "texttreu" zu spielen. Wenn man wissen will, was Korstick zu den neunzig Prozent "Interpretation" meint, dann wird man mit Ausnahme ganz weniger Bemerkungen (Linien "müssen von innen heraus gestaltet werden") nicht fündig werden. Dagegen nehmen die zehn Prozent "Texttreue" erheblichen Raum in seinen Ausführungen ein. Interessant die Bemerkung zu Gulda:


    Nur mit den langsamen Sätzen kann er nichts anfangen. Aber was ich an ihm sympathisch finde: Er macht keinen Hehl draus. Er referiert einfach den Text. Er war halt so ein Typ, dem diese Innenspannung fehlt.


    Hier wird deutlich, dass Korstick die reine Texttreue (das "Referieren des Textes") nicht ausreicht. Aber für die restlichen neunzig Prozent findet er wieder nur den Begriff "Innenspannung"... Naja, mit dem Verbalisieren musikalischer Interpretation tun wir uns schließlich alle schwer.


    Meine Einschätzung Korsticks als "Positivisten" (pardon!) bezog sich zunächst nur auf das Interview, nicht auf sein Klavierspiel. Ich besitze von Korstick auch nur op. 53, op. 106 und die Diabelli-Variationen - und habe alle Aufnahmen schon länger nicht mehr gehört. Das Adagio der Hammerklaviersonate ist jedenfalls in der Tat ein erstaunlicher Ausreißer.




    Zitat

    Außerdem verstehe ich seine Kritik an Kempff anders. Er kritisiert IMO nicht in erster Linie, dass überhaupt nichtnotierte Ritardandi gespielt werden, sondern zunächst, dass sie "willkürlich" sind und vor allem, dass sie den Zweck nicht erreichen, nämlich lustig sein sollen, es aber nicht sind. Letzteres wäre für mich jedenfalls der zentrale Einwand.



    Korstick deutet hier m.E. schon an, dass man "Humor" nicht in das Werk "hineininterpretieren" soll - jedenfalls nicht durch ein Spiel, das gegen den Notentext verstößt. In erster Linie bezeichnet er die Ritardandi Kempffs doch als "willkürlich", weil sie nicht im Notentext stehen. Dass sie zudem ihre Wirkungsabsicht verfehlen, kommt noch hinzu.


    Aber bei aller Wertschätzung für Korstick und sein Interview: ob sich hier eine tiefgehende Textexegese lohnt, lasse ich mal dahingestellt ;).



    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Zwielicht,


    wieder weiß ich nicht auf die Schnelle, wo genau ich es gelesen habe, aber Beethoven selbst hat, wie seine Schüler bemerkt haben, immer mal daneben gegriffen. Auch bei seinen Schülern hat er solche Fehler selten korrigiert, aber, wenn es am Ausdruck mangelte, konnte er bissig und ungeduldig werden. Und das ist eigentlich die Antwort auf die Korstick´sche Rüge der Kempff´schen Ritardanti.


    Der Mann ist auch in seinem Spiel für mich ein penibler, akkurater (so sitzt er auch auf dem Stuhl) Pedant, der das Instrument vor sich traktiert, so wie ich es bei der Diabellivariation von Liszt gehört habe. Da hatte ich um den schönen Flügel Angst. Ich kann mir deshalb kaum vorstellen, daß sein Liszt-Spiel eine Offenbarung sein kann - so ohne jegliche Eleganz.


    Gruß aus Bonn :no: + :untertauch:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

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  • Hallo Stabia,


    im Konzert habe ich Korstick leider (?) noch nicht erlebt. Ich habe seine Aufnahmen, die ich seit längerem nicht mehr gehört habe, als sehr direkt und "hart" in Erinnerung. Seine Hammerklaviersonate verdient wegen ihres atemberaubend nach der Metronomisierung Beethovens gespielten ersten Satzes schon besondere Beachtung. Dass er dann aber das Adagio sostenuto, worauf ja oben schon Johannes hingewiesen hat, mit fast einer halben Stunde Spielzeit "versenkt", bleibt verblüffend. Für mich fällt da alles auseinander. Wenn schon ein langsames Tempo bei diesem Satz, dann so wie in der großartigen Arrau-Einspielung.


    Zumindest in dieser Aufnahme ist Korstick ein Pianist der Extreme - langweilig finde ich das nicht, nur irritierend. Op. 53 und die Diabelli-Variationen schienen mir wesentlich unspektakulärer abzulaufen. Ich müsste mir die Einspielungen aber nochmal anhören.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Ich habe seine Aufnahmen, die ich seit längerem nicht mehr gehört habe, als sehr direkt und "hart" in Erinnerung.


    Hallo Bernd,


    das trifft den Klang der Diabelli-Variationen ziemlich gut. Ich habe mir diese nun noch einmal angehört: gerade die technisch vertrackten Variationen mit ihren rhythmischen Reibungen sind bei Korstick schon exzellent durchleuchtet, man hört trotz zuweilen schneller Tempi Details, die bei den Konkurrenten untergehen (bspw. Pollini, Brendel).


    Dennoch vermag mich diese Aufnahme nicht in den Bann zu ziehen: dem Klavierklang fehlt es nicht nur an lyrischer Innigkeit, sondern meines Erachtens auch an Ausdruck: man höre sich die Akkordballungen der ersten Variation im Vgl. zu Brendel an: Korstick spielt das mächtiger und auch sauberer, aber die Akkorde, die den scheinbaren harmlosen Walzer hier regelrecht zertrümmern, klingen bei Korstick irgendwie neutral und haben keinen "Ausdruck" (ich finde kein anderes Wort dafür), bei Brendel sind sie emtional "aufgeladen" und voller Ingrimm - er bringt hier trotz schwächerer manueller Leistung das chrakteristische des Stücks viel besser zum Vorschein. Dies ist nur ein Beispiel, im Gesamten hat dies aber zur Konsequenz, dass mich Korsticks Einspielung recht bald zu langweilen beginnt, so bestechend sein Spiel auch sein mag. Aber mir ist es zu neutral.


    Dennoch muss ich sagen, dass man vor dem Lebensweg des Pianisten, der ja anscheinend einen völlig eigenen Weg ging, nur den Hut ziehen kann. Das ist schon ziemlich einmalig und ich wünsche ihm, dass er sich im Rahmen seiner Sonaten-Gesamteinspielung noch mehr freispielt und dabei neue Wege beschreitet. Eigentlich finde ich es auch ziemlich hart, wie er hier zuweilen beurteilt wird, aber wer so viel austeilt wie er in den oben zitierten "Partituren", muss eben auch was einstecken können (wer weiß, ob er hier nicht mal ins Forum reinschaut!).


    Viele Grüße,
    Christian

  • Hallo,


    was haltet Ihr eigentlich von der Zugabe auf Korsticks Diabelli-Variationen-CD? Korstick spielt die Variationen in f-moll Hob. XVII, 6 von Joseph Haydn mit der gleichen Ernsthaftigkeit (das Wort Humorlosigkeit vermeide ich jetzt) wie zuvor das Beethoven-Werk. Das Klischee vom guten alten Papa Haydn wird hier von Korstick nicht bedient.


    Es scheint, Korstick würde Haydns Variationen noch als Ausrufezeichen hinter die Diabelli-Variationen setzen, als wollte er uns unmißverständlich sagen, das sei eben seine Sichtweise, wie diese Musik zu spielen sei - basta!


    Habt Ihr den gleichen Eindruck?


    Viele Grüße
    Frank

  • Hallo zusammen,


    Zitat

    Original von Frank Pronath:
    Es scheint, Korstick würde Haydns Variationen noch als Ausrufezeichen hinter die Diabelli-Variationen setzen, als wollte er uns unmißverständlich sagen, das sei eben seine Sichtweise, wie diese Musik zu spielen sei - basta!


    Habt Ihr den gleichen Eindruck?


    ...diesen Eindruck kann ich nicht ganz nachvollziehen - unmittelbar hintereinander hatte ich die beiden Stücke der CD noch nicht gehört - und der Versuch auf Grund des obigen Beitrages hat dazu geführt, dass die Variationen von Haydn ganz schön von dem "Diabelli-Moloch" erschlagen wurden, das "Ausrufezeichen" höre ich nicht, eher etwas Wehmütiges, fast Abschiednehmendes.
    Dennoch finde ich die Zusammenstellung passend - als historische Perspektive zweier Spätwerke der gleichen Gattung - und wenn etwas neu ist an den Diabelli-Variationen (zum Beispiel im Vergleich zu Bachs Goldberg-Variationen), dann dies, dass sie ein "historisches Bewusstsein" haben. In ihnen wird nämlich viel Vergangenes zitiert, sei es z.B. "direkt" aus Don Giovanni oder als "Stilzitat" wie z.B. die gesamte Fughetta.


    Zweierlei kann man beim Vergleich deutlich ausmachen: welchem Wandel die Kompositionskunst in den dreißig Jahren unterlegen war, die zwischen diesen Werken liegen, aber auch, in Hinsicht auf das Klischee vom guten alten Papa Haydn (Zitat Frank Pronath), was für ein fabelhafter Komponist der doch war.


    Gruß
    Pylades

  • Hallo Pylades,


    kann es sein dass iDu mch ein wenig mißverstanden hast? Ich hatte eigentlich weniger die Werkzusammenstellung gemeint, sondern vielmehr die Ernsthaftigkeit in Korsticks Interpretation (wobei zugegebenermaßen die Kombination beider Werke auch eine Rolle spielt).


    Oder habe ich jetzt etwas mißverstanden?


    Viele Grüße
    Frank

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Habe heute die Fortsetzung seines Beethoven-Zyklus mit den Sonaten No. 4, 9, 10 und 12 gehört, als erstes op. 7.


    Er gehört zweifellos zu den Pianisten, deren Spiel unschwer zu erkennen ist. Das allein ist natürlich kein Nachweis künstlerischer Qualität. Immerhin hebt es ihn ziemlich unverwechselbar aus der Masse von Beethoven-Einspielungen hervor.


    Wie könnte man denn nun sein Spiel bezeichnen? Als erstes kam mir die Bezeichnung 'kristallin' auch bei dieser Einspielung in den Sinn. Der Gestaltungswillen läßt einen alsbald aufhorchen: da versucht einer eine ziemlich radikale Sicht rüberzubringen. Besonders deutlich wird das wieder im langsamen Satz der 'Grande Sonate', der mit 10:23 extrem ausgedehnt erscheint. Umso hurtiger laufen die anderen Sätze ab. Dadurch wirkt der Kontrast noch stärker. Selbstzweck oder künstlerisches Konzept?


    Über die technische Perfektion Korsticks braucht man glaube ich keine Worte zu verlieren. Es fällt - mir jedenfalls - allerdings nicht leicht, sich seine äußerst eigenwillige Formgebung zu erschließen.


    Etwas ratlose Grüße


    helmutandres

  • Hallo zusammen,


    Zitat

    Original von Frank Pronath:
    kann es sein dass iDu mch ein wenig mißverstanden hast? Ich hatte eigentlich weniger die Werkzusammenstellung gemeint, sondern vielmehr die Ernsthaftigkeit in Korsticks Interpretation (wobei zugegebenermaßen die Kombination beider Werke auch eine Rolle spielt). Oder habe ich jetzt etwas mißverstanden?


    ...nein, es war wohl mein Missverständnis: ich hatte deinen Beitrag so interpretiert, dass du die Variationen von Haydn ausdrucksmäßig als Ausrufezeichen empfindest. Ob sich jemand etwas bei der Reihenfolge (erst Beethoven, dann Haydn) der Stücke auf der CD gedacht hat? - wer weiß.


    Zitat

    Original von helmutandres:
    Wie könnte man denn nun sein Spiel bezeichnen? Als erstes kam mir die Bezeichnung 'kristallin' auch bei dieser Einspielung in den Sinn. Der Gestaltungswillen läßt einen alsbald aufhorchen: da versucht einer eine ziemlich radikale Sicht rüberzubringen. Besonders deutlich wird das wieder im langsamen Satz der 'Grande Sonate', der mit 10:23 extrem ausgedehnt erscheint. Umso hurtiger laufen die anderen Sätze ab. Dadurch wirkt der Kontrast noch stärker. Selbstzweck oder künstlerisches Konzept?
    ...Es fällt - mir jedenfalls - allerdings nicht leicht, sich seine äußerst eigenwillige Formgebung zu erschließen.


    Eine sehr treffende Bezeichnung: kristallin!


    Meine Sicht dazu: vielen Werken Beethovens ist etwas "Utopisches" inhärent; in den Klaviersonaten und in den Quartetten äußert sich dies auch durch die zu Beethovens Zeit "utopischen" Anforderungen. Insofern bedeutet z.B. ein "Prestissimo" bei Beethoven ganz sicherlich: der Pianist hat an die Grenze zu gehen! - das Risiko, die "Utopie", muss spürbar bleiben.


    Was die langsamen Sätze angeht, möchte ich exemplarisch auf Korsticks eigene Aussagen zu seiner extremen Sicht auf das "Adagio sostenuto", den dritten Satz der Hammerklaviersonate, verweisen. Während er bei den schnellen Sätzen dieses Stücks Beethovens eigene Metronomangaben, die mit den Satzbezeichnungen übereinstimmen, als Vorgabe nimmt, sieht er bei diesem Satz eine Diskrepanz zwischen der Metronomangabe und eben der Tempovorschrift Adagio sostenuto, und er hält sich an die, wie er sagt, "abstraktere und bindendere Angabe, nämlich die sprachliche". Darüber hinaus hält er an diesem Tempo als dem Grundtempo des Satzes fest, nach vorgechriebenen Tempoänderungen findet er wieder dahin zurück.


    Die Frage "Selbstzweck oder künstleriches Konzept?" würde ich eindeutig mit "künstlerichem Konzept" beantworten. Radikale Genauigkeit als die Voraussetzung, nicht das Gefühlsleben des Interpreten als Maßstab zu setzen, sondern die von Beethoven intendierte Emotionalität der Werke im Hörer entstehen und damit den Hörer in gewisser Weise in der Verantwortung zu lassen.


    Gruß
    Pylades

  • Liebe Klavierfreunde,


    wen die Aussagen Korsticks zum Adagio der Hammerklaviersonate interessieren:




    Herzliche Grüße,:hello::hello:



    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Anfang November respektive April gibt es in Essen eine interessante Kombination zu erleben:


    Michael Korstick spielt am 3. November Beethovens Klavierkonzerte 1 & 2, begleitet von Christoph Bernius und seinem HIP-Ensemble "Das Neue Orchester". Dann am 4. November das c-moll Konzert. Die Konzerte 4 & 5 folgen dann am 5. und sechsten April. In der zweiten Programmhälfte wird jeweils eine der vier Brahms-Symphonien gespielt.


    Christoph Bernius habe ich in bester Erinnerung: Seine Einspielung von Mendelssohns "Lobgesang" nehme ich gerne mit auf die sprichwörtliche Insel.


    Wenn Essen nur nicht so weit weg wäre ....:D


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Neue CD mit Beethoven-Sonaten Nr. 5, 6, 7 und 8


    Hallo zusammen,


    gestern habe ich "Vol. 4" der in Arbeit befindlichen Beethoven-Gesamtaufnahme von Michael Korstick erhalten und bis heute ausgiebig gehört. Um es gleich vorweg zu nehmen: erneut bin ich begeistert. Unter den Händen Korsticks bewahrt sich diese frühe Beethoven-Musik bis heute einen aufrührerischen Impetus, einen "Stachel" und zugleich einen "großen Zug", den ich so von keiner anderen Aufnahme kenne. Dabei setzt der Interpret keinerlei Mätzchen ein, um diesen Ausdruck zu erreichen. (Er spielt allerdings fantastisch gut Klavier.)


    Wie bei den bisherigen Veröffentlichungen der Serie zeigt auch diese wieder die pingelige Genauigkeit Korsticks bei der Realisierung der Phrasierungsanweisungen des Komponisten (ich empfehle, einmal an Hand der Noten mitzuhören), es zeigt sich aber auch erneut die Bereitschaft des Pianisten, bei diesen frühen Werken die volle dynamische Bandbreite des Flügels einzusetzen - und es gibt auch wieder die enormen Kontraste zwischen sehr langsam genommenen langsamen Sätzen (mit dem Extremfall das "Largo e mesto aus op. 10, Nr. 3) und rasanten Prestos.


    Einzelne Sätze habe ich verglichen mit Aufnahmen anderer Pianisten: Claudio Arrau, Emil Gilels (dessen Spiel Korstick eigener Aussage gemäß stark beeindruckt hat) und Richard Goode.


    - Arraus Spiel ist vergleichsweise unstet: er benutzt hin und wieder Tempodifferenzierungen um Themen abzusetzen, auch wenn diese nicht vorgeschrieben sind. So sehr ich Arraus Aufnahmen der späten Sonaten bewundere: bei den frühen klingt er manchmal so, als seien diese nur ein Vorspiel für das, was noch kommt. Korstick nimmt auch den frühen Beethoven ernst, er beweist, dass diese Werke auch dann "groß" wären, wenn, sagen wir, Beethoven das Komponieren im Jahre 1800 eingestellt hätte.


    - Gilels sehr genaues und tonschönes Spiel ist im Vergleich zu dem Korsticks statischer, was sich im Wesentlichen an den Tempi festmacht, die durchgängig langsamer sind. Speziell bei der Sonate op. 10, Nr.1, "Prestissimo", merkt man den Unterschied deutlich. Hier ist Korstick eine Minute schneller (Gilels benötigt für den Satz 4:56 Minuten), und das ist hier eine Welt. Bei der "Pathetique" sind die Unterschiede nicht so groß, aber dennoch deutlich.


    - Der meiner Meinung nach recht unterschätzte Goode kommt in den Tempi Korstick recht nahe, manchmal übertrifft er ihn sogar (z.B. in op. 10, Nr. 2). In der Praxis hat das wenig Auswirkungen, denn durch die deutlich eingeschränkte Dynamik tut sich bei ihm dennoch weniger und Korsticks Ansatz wirkt deutlich dramatischer (mag sein, dass sich dies zum Teil durch die etwas flaue Aufnahmetechnik bei Goode erklären lässt).


    Zusammengefasst: alle vier Interpreten bieten großartiges Beethovenspiel, wobei mein Eindruck der ist, als würden im Spiel Korsticks die Qualitäten der anderen vereint - woraus dann seltsamerweise doch etwas völlig Eigenes, aber auch völlig Beethoven-Adäquates entsteht.


    Die Aufnahmetechnik unterstützt den Ansatz Korsticks, den man vielleicht knapp mit den Attributen "Genauigkeit und Dramatik" beschreiben könnte, in der Abbildung der dynamischen Bandbreite und in der Klarheit des Klangs nach Kräften.


    Gruß
    Pylades

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