Eine inhaltlich gewaltig-emotionale Oper mit großem Orchester, so hatte ich Jenufa in Erinnerung,
auch dass ich sie mindestens viermal gesehen hätte. Dem war aber nicht so, laut meinen
Programmzetteln waren es nur zwei Aufführungen, die erste 1966 und die letzte 1998 mit der
begnadeten Eva Marton als Küsterin. Sie schlug das Publikum schon in den Bann, bevor sie einen
Ton gesungen hatte und gab der Kindsmörderin Glaubhaftigkeit und klangliche Strahlkraft. Da konnte
heute Deborah Polaski nicht mithalten, ihre Stimme ließ Glanz vermissen, geriet leicht an den Rand
der Schärfe, vor allem störte ein ausgeprägteres Vibrato. Dennoch sang sie technisch versiert und
war eine glaubhafte Darstellerin. Wie schon 1998 sang heute Karita Mattila die Jenufa, damals
38, heute 54jährig. Ich erinnere mich nicht mehr an ihren damaligen Stimmklang, heute begann die
finnische Sopranistin fast wie ein Mezzosopran mit voll klingender Tiefe, erreichte aber auch ohne
Einbuße die hohen Sopranhöhen, ohne Brüche, ohne störendes Vibrato und mit einer Schallstärke,
die Frau Polaskis Isolden-erfahrene Stimme bei weitem übertraf. Dabei blieb sie immer klangschön;
ihr eher dunkles, fast slawisch anmutendes Timbre wechselte in der Höhe einem weißen Glühen,
was (entsprechend dem zu singenden Text) am Ende des dritten Akts einem überirdisch-himmlischen
Klang gleichkam. Ihr Gebet im zweiten Akt war herzzerreissend. Letztlich hat sie altersbedingt nicht
mehr die Jungmädchenstimme, d.h. Stimmklang und Spiel divergierten etwas. Das spielte aber keine
Rolle, dafür war sie stimmlich zu sehr in Topform. Sie wäre bestimmt auch eine hervorragende
Küsterin (für diese Rolle braucht man sicher eine Lebens- und Bühnenerfahrung, die eine jüngere Sängerin
nicht haben kann; deswegen ist das Zeitfenster für die Küsterin wohl auch sehr schmal). Miroslav
Dvorsky sang einen guten Laca, Renate Behle imponierte als blinde, offensichtlich allwissende
Großmutter Burya durch ihr intensives Spiel. Gesanglich gab es auch bei den weiteren Rollen keine
Ausfälle: Martin Homrich sang den Stewa, Wilhelm Schwinghammer eindrucksvoll den
Altgesell. Die Barena wurde mit großer Stimmkraft von Gabriele Rossmanith gesungen.
Zum Gesamtgelingen der Aufführung trug ganz wesentlich der warme, durchsichtige Klang der
Philharmoniker Hamburg unter der Leitung von Susanna Mälkki bei. Diese junge finnische Dirigentin
hatte mit dem Orchester offenbar gut geprobt und es war eine Freude, ihr beim Dirigieren zuzusehen.
Die realistische Inszenierung stammte von Olivier Tambosi, für das Bühnenbild, ein weiter, durch
hohe Holzwände begrenzter Raum, der sich nach hinten öffnen ließ und jahreszeitlich zum Stück
passend die Sicht auf Kornfelder oder Schneerieseln freigab, zeichnete Frank Philipp Schlößmann
verantwortlich. Das Stück wird in dieser Besetzung noch einmal am 1. November gegeben. Es gibt
noch reichlich Karten.
Leider gehört die Oper Jenufa nicht zu den Publikumsrennern, dabei hätte sie das verdient. Das
Thema (junges Mädchen wird geschwängert, verlassen, die (Stief)-Mutter tötet das Neugeborene,
um der Stieftochter zu einem Mann zu verhelfen, das Verbrechen wird aufgedeckt; es geht also
auch und vor allem um Schuld und Sühne) ist aber auch nicht einfach und eignet sich nicht recht
zum wohligen Mitleiden wie bei Verdis Traviata oder Puccinis Butterfly.