Hallo,
ich schreib etwas anders über Musik, als es gewöhnlich in der Musik-Kritik geschieht. Ich möchte kurz erklären, wie ich das tue:
Musik besteht aus folgenden Komponenten:
1. Harmonik. Darunter versteht man - im weitesten Sinne - die Akkordfolge in der Musik. Die Akkorde können dabei sehr komplex sein und über dur und moll weit hinausreichen. Die Harmonik ist für mich die wichtigste Komponente in der Musik, da sie am stärksten die Emotion trägt. Der Fortgeschrittenste aller Harmoniker ist vor mir Anton Bruckner. Deswegen mochte ich diesen Komponisten auch schon mit 14 Jahre so sehr, durch seine achte Sinfonie kam ich zur Klassik.
2. Melodik. Dabei handelt es sich eben um die Melodie in einem Stück, ich nenne diese Melodie normalerweise "Thema". Oft ist es eine Folge von Frage und Antwort. Es gibt aber auch "the unaswered question" von Charles Ives - eben nur eine Frage. Auch andere Komponisten wie etwa Bruckner weichen von diesem Frage- und Antwort-Schema ab.
3. Rhythmik: Hier geht es ums Metrum der Musik, um die Takte (Viervierteltakt, Dreivierteltakt, Fünfvierteltakt usw.) und die Gewichtung der Noten in einem Takt (schwer bzw. leicht) sowie die Notenwerte (Ganze, Halbe, Viertel, Achtel uslw.) in einem Takt. Ein einfaches Beispiel: Die Folge einer Duole und einer Triole in einem Takt ist mir als "Bruckner-Rhythmus" bekannt. Dieses einfache rhythmische Stilmittel sorgt dafür, daß Bruckners Werke rhythmisch nicht starr wirken. Der Opfertanz aus Strawinskys "sacre du printemps" wirkt z.B. deswegen so spekatulär, weil es ständig Taktwechsel gibt.
4. Kontrapunktik (Polyphonie): Dies ist mehrstimmige Musik. Einfacher Kontrapunkt: Zweistimmig, doppelter Kontrapunkt: Dreistimmig usw.
5. Form: Harmonik, Melodik, Rhythmik und Kontrapunktik werden in der Musik oft nicht frei verwendet, sondern in eine Form gebracht. In der Klassik ist z.B. die Sonatenhauptsatzform bekannt, sie besteht aus Exposition (die Themen werden vorgestellt), Durchführung (Verarbeitung der Themen) und Reprise (Wiederholung der Exposition, manchmal verändert). Danch kommt noch eine Coda am Schluß. Es gibt aber auch Variationsformen, wo ein Thema verändert wird, dies sind Chaconne und Passacaglia. Aber auch andere Formen kommen vor, wo Themenkomplexe eigengesetzlich wiederholt werden, wie z.B. in Bruckner-Adagios.
Zur Interpreation:
Was ich bisher schrieb, steht in den Noten. Die Musiker müssen das jetzt auch noch spielen. Was gehört dazu?
1. Phrasierung: Dies ist das "Zusammenbinden" von aufeinanderfolgenden Noten zu Phrasen. Man kann sich dies wie eine Art Satzbau vorstellen.
2. Artikulation: Dies ist das Singen und/oder Sprechen innerhalb einer Phrase.
Dies ist mir am wichtigsten, es gibt auch Dynamik (Abstand zwischen laut und leise), die Registrierung (bei Orgelkompositionen) und sicher noch mehr, wie Intonation (Reinheit der Tonhöhe), Legato, Staccato, Tenuto usw.
Wenn ich dann schreibe, daß ich einen Komponisten oder ein Werk "groß" finde (ich mag den Begriff nicht, mir fällt aber auch nichts besseres ein) oder die Aufführung eines Werkes "inspiriert", handelt es sich um ein sogenanntes subjektes ästhetisches Urteil. Dies kann von Person zu Person recht unterschiedlich ausfallen. Verschiedene Hörer haben z.B. verschiedene Lieblingspianisten. Ich mag z.B. Paul Badura-Skoda sehr, ein Freund von mir mag ihn nicht. Das liegt wohl hauptsächlich an seiner Artikulation und Phrasierung.
Leider habe ich nur Abitur-Wissen in Musik, aber ich hoffe, es reicht, um Musik und deren Interpretationen verständlich darzustellen. Gerne würde ich Harmonielehre studieren, das interessiert mich am meisten - aber ich bin eben Chemiker und bin das auch gerne.
Liebe Grüße
Andreas