Euer persönliches Mahler-Symphonien-Ranking (2015)

  • Mein gegenwärtiges Ranking sieht so aus:


    Nr. 2

    Nr. 3

    Nr. 1

    Nr. 5

    Nr. 9

    Nr. 6

    Nr. 7

    Nr. 4

    Nr. 8


    Das Lied von der Erde sehe ich nicht als Symphonie an.



    Liebe Grüße


    Portator

  • Das Lied von der Erde sehe ich nicht als Symphonie an.

    Mahler sah das anders. Die Publikation des Werkes, die im April 1912 auf der Grundlage der Partitur-Reinschrift vom September 1909 erfolgte, trägt den Titel:

    „Das Lied von der Erde. Eine Symphonie für eine Tenor- und eine Alt- (oder Bariton- ) Stimme und großes Orchester“.


    Aber er hatte natürlich eine ganz eigene Vorstellung von "Symphonie". Schon mit seiner "Ersten" sprengte er ja deren klassische Gestalt in gleich mehrerer Hinsicht. Und die Einbeziehung von lyrischer Sprache in die sinfonische Musik, die - wie ich hier im Forum ja aufzuzeigen versuchte - völlig anderer Art ist, als dies in anderen Formen von Lied-Sinfonik der Fall ist, spielt dabei eine maßgebliche Rolle.

    Das "Lied von der Erde" stellt gleichsam den Höhepunkt von Mahlers tiefgreifender Fortentwicklung und Umgestaltung der Gattung "Sinfonie" dar. In diesem Sinne war für ihn das "Lied von der Erde" tatsächlich eine "Symphonie".

    Bruno Walter meinte:

    "Es ist vollkommen richtig, das >Lied von der Erde< das >Mahlerischste< seiner Werke zu nennen".

  • Lieber Helmut Hofmann,


    vielen Dank für Deine Erläuterungen. Die Aussage von Bruno Walter kann ich unterschreiben, da ich sie teile. Allerdings ist meine Vorstellung von einer Symphonie eine herkömmlichere als die von Gustav Mahler.


    Mit Recht schreibst Du daher von einer "Fortentwicklung". Meine Vorstellungswelt ist da noch nicht so weit entwickelt.



    Liebe Grüße


    Portator

  • Mir scheint relativ offensichtlich, dass zwei sinfonische Werke Mahlers sich erheblich weiter von der Vorgabe einer "Sinfonie" (auch "Programmsinfonien" wie Liszts Faust oder Tschaikowskys "Manfred" eingeschlossen) entfernen, als die anderen 9, nämlich die 8. und das Lied von der Erde, das erste eher eine sinfonische Kantate, das zweite ein sinfonischer Liedzyklus. Wohingegen bei allen anderen Mahlersinfonien die Lieder oder Chorpartien nur einzelne Sätze in einem sonst eindeutig von den üblichen Satzfolgen und -typen instrumentaler Sinfonien (natürlich mit den Freiheiten, die sich schon Beethoven in den späten Quartetten und die Programmmusiker danach in sinfonischen Werken genommen hatten) Kontext sind. Hätte Mahler länger gelebt (oder wäre nicht so abergläubisch bzgl. der 9. Sinfonie gewesen), hätte dLvdE vielleicht die laufende Nummer 9 erhalten usw.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich definiere eine Sinfonie als ein (überwiegendes) Instrumentalwerk. Dass das einzelne Sätze mit Vokalanteil einschließen kann, ist seit Beethovens "Neunter" bekannt, und Mahler hat dieser Möglichkeit in seinen "Wunderhorn"-Sinfonien ausgiebig gefrönt. Wenn aber ein Werk überhaupt keinen einzigen reinen Instrumentalsatz beinhaltet, sondern ausschließlich aus einer Folge von (Orchester-) Liedern besteht, dann wird es meines Erachtens sehr schwierig, das wirklich noch als "Sinfonie" (die ja ursprünglich die instrumentale Einleitung eines mehrteiligen Vokalwerkes war) zu definieren. Ich liebe das "Lied von der Erde" heiß und innig, sehe dieses Werk aber (wie die meisten hier) nicht als Sinfonie an und habe es (wie die meisten hier) deshalb nicht in mein "Ranking" aufgenommen. Daran ändert auch Mahlers eigener Untertitel nichts. Hätte er nicht Angst vor dem "Fluch der Neunten" gehabt und das "Lied von der Erde" wirklich offiziell zu seiner 9. Sinfonie gemacht, hätte er sie meiner Auffassung nach auch anders gestaltet, mit mindestens einem reinen Instrumentalsatz dabei, wahrscheinlich mehreren, in jedem Fall aber einer anderen Gewichtung zwischen Vokalanteilen und reinen Instrumentalanteilen. So versuchte er den "Fluch" zu umgehen, indem er diese "Sinfonie" als einen Zyklus von Orchesterliedern gestaltete, was formal und in der Definition eben nicht einer Sinfonie entspricht.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zum Thema "Symphonie-Kantate" bei Mahler gibt es einen sehr instruktiven Aufsatz von der Legende der deutschen Musikwissenschaft: Carl Dahlhaus.


    Einen schönen Nikolaus-Advent wünscht

    Holger

  • Lieber rodolfo,


    das deckt sich mit meinen Erlebnissen. Die 8. hat auf CD kaum Wirkung, im TV etwas mehr. Aber Live kann sie eine Wucht sein! Ich habe sie in Weimar im Schloßhof erlebt, als Weimar Kulturhauptstadt war. Die Akustik brachte die Wucht nicht annähernd rüber. Aber 2x im Gewandhaus, das war ein Supererlebnis, mit rund 600-700 Mann auf der Bühne. Davon träume ich heute noch.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • 2, 3, 1, 8, 6, 9, 5, 7, 4

    An meiner Reihenfolge von fünf Jahren hat sich grundsätzlich nichts geändert. Die ist konstant geblieben. Wahrschenlich liegt es auch daran, dass ich seither selten eine der Sinfonien gehört habe. Obwohl ich viele Einspielungen zur Hand habe, ist mir Mahler am liebsten, wenn ich ihn im Konzertsaal auf mich wirken lassen. Er verlangt zwingend nach dem Raum. Dafür sind die Werke "architektonisch" auch ausgelegt. Oft klingt etwas von weit her. Das kann die Studioproduktion gar nicht wirkungsmächtig genug erfassen. Allenfalls würde ich in meinem Ranking die erste Sinfonie weiter nach vorn rücken. In ihr und in den zeitnahen "Liedern eines fahrenden Gesellen" finde ich den ganzen Mahler schon angelegt. Er war keine dreißig, als er beide Werke schuf. Das Versprechen ist das Faszinierende. Allein der Beginn der Sinfonie ist für mich betörend. Und der Finalsatz lässt die Schwierigkeiten ahnen, die er sich mit seinen gigantischen Instrumentarium auferlegt.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Ich kann die BBC Reihenfolge schon ganz gut nachvollziehen, die ersten drei Plätze jedenfalls würde ich genauso besetzen:


    9

    3

    2

    danach ginge es aber anders weiter

    6

    7

    5

    4

    1

    8


    Nicht nachvollziehen kann ich einige der Empfehlungen. Dass Rattle in Berlin die beste 2. dirigiert haben soll, kann ich mir einfach nicht vorstellen, seine erste Aufnahme wurde seinerzeit auch in GB mit Preisen überhäuft, ich fand sie völlig uninteressant und habe sie gleich weiterverkauft. Auch Abbado bei Nummer 9 würde ich stark bezweifeln, Gielen ist sicher bei 6 oder 7 gewichtiger als bei 5. Kubelik (1), Haitink (3), Bernstein (7) und Solti (8) sind aber gut gewählt. Die Liste leidet natürlich auch darunter, dass wieder einmal jeder Dirigent nur einmal genannt werden durfte. Bernstein wäre sicher auch bei 9 und 3 eine erste Wahl.

  • Habe ich mir kürzlich zugelegt - ist (noch! - limitierte Edition) günstig zu erstehen für 36 Euronen und alles neu remastert. Die klassische Haitink-Gesamtaufnahme (Philips, jetzt Decca) wollte ich immer haben - es sind auch alle Liedzyklen dabei u.a. mit Jessye Norman:


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    Ein "Ranking" kann ich nicht aufstellen, da jede Symphonie eine Welt für sich ist. Am seltensten höre ich allerdings die 8. - alle anderen ähnlich häufig.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Lieber Rheingold!


    Ich habe mal in diesen Thread geschaut, wiewohl ich eigentlich Rankings von musikalischen Werken nicht schätze.

    So habe ich dazu auch nicht beizutragen. Aber Deiner p. p. Bemerkung möchte ich durch entschieden beipflichten!

    Obwohl ich viele Einspielungen zur Hand habe, ist mir Mahler am liebsten, wenn ich ihn im Konzertsaal auf mich wirken lassen. Er verlangt zwingend nach dem Raum. Dafür sind die Werke "architektonisch" auch ausgelegt.


    Beste Grüße

    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Habe ich mir kürzlich zugelegt - ist (noch! - limitierte Edition) günstig zu erstehen für 36 Euronen und alles neu remastert. Die klassische Haitink-Gesamtaufnahme (Philips, jetzt Decca) wollte ich immer haben - es sind auch alle Liedzyklen dabei u.a. mit Jessye Norman:

    Die habe ich mir auch kürzlich gekauft:), allerdings die Vinyl-Version. Die dicke Box habe ich für € 10 erstanden. Und letzte Woche habe ich die Box mit den Neumann-Aufnahmen und der Tschechischen Philharmonie erstanden. Bin bei Mahler jetzt komplett!

    Beste Grüße

    Lutz

    :hello:

  • Die habe ich mir auch kürzlich gekauft :) , allerdings die Vinyl-Version. Die dicke Box habe ich für € 10 erstanden. Und letzte Woche habe ich die Box mit den Neumann-Aufnahmen und der Tschechischen Philharmonie erstanden. Bin bei Mahler jetzt komplett!

    :) Neumann ist für mich absolut unverzichtbar mit der wunderbaren Tschech. Philh. - früher hatte ich glaube ich die Einzel-LPs - dann Einzel-CDs und jetzt die Supraphon-CD-Box. Es gibt noch die späten zweiten Aufnahmen mit der Tschech. Philh. von ihm, aber nur die 1. bis 6. und 9. Er ist dann leider vor Abschluss des zweiten Zyklus verstorben. Sonst als Gesamtaufnahmen habe ich neben Neumann und jetzt Haitink Abbado, Bernstein, Chailly und Svetlanov. Die reichen mir als GAs! :hello:


    Liebe Grüße

    Holger

  • Ich kann die BBC Reihenfolge schon ganz gut nachvollziehen, die ersten drei Plätze jedenfalls würde ich genauso besetzen:

    Als eine Einzelmeinung kann ich die zwar verstehen, aber besonders wenn es von einer Redaktion stammen sollte, wunderte es mich für 2020 schon. Wenn man die 3. durch die 5. ersetzt, hätte das von 1960, vor dem Mahler-Boom, stammen könnte. Schaut man sich an, welche Sinfonien bis Anfang der 1960er hauptsächlich gespielt und aufgenommen wurden, dominieren 1,2,4,5 und 9. (Walter hat genau diese 5 aufgenommen, bei Klemperer fehlt die erste und die 7. ersetzt quasi die 5., bei Scherchen fehlen 4 und 9 unter den offiziellen Einspielungen, aber die Überschneidungen sind sehr deutlich und ich bin relativ sicher, dass auch die wenigen anderen Mahler-Aufnahmen vor ca. 1960 von diesen 5 Werken dominiert werden.) Zwar habe ich nicht viel zu Mahler gelesen, aber mein Eindruck war schon, dass die drei Instrumentalsinfonien 5-7 zumindest von einigen Kommentatoren deutlich höher eingeschätzt werden.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • … aber mein Eindruck war schon, dass die drei Instrumentalsinfonien 5-7 zumindest von einigen Kommentatoren deutlich höher eingeschätzt werden.

    Bei den strikt musikwissenschaftlich ausgerichteten Kommentatoren ist das - meines Wissens - nicht der Fall. Die meiden solche Wertungen, wie sie diesem Thread zugrunde liegen. Sie zeigen zwar Entwicklungen in der Anlage und im musikalischen Satz der Mahlerschen Sinfonik auf, enthalten sich dabei aber jeglicher Bewertung.

    Nur zwei sind mir in der Literatur, die ich bei meiner Beschäftigung mit Mahlers Sinfonien - in der ich jetzt beim "Lied von der Erde" angelangt bin - heranzog, als vereinzelt wertende Kommentatoren begegnet: Th. W. Adorno in seiner berühmten Mahler-Schrift von 1960 und der Dirigent George Alexander Albrecht in seinem - allerdings auf Allgemeinverständlichkeit angelegten und aus der Wiedergabe einer Vortragsserie bestehenden - Buch "Gustav Mahler, Die Symphonien", Hameln 1992.

    (Aber das ist bitte mit Vorbehalt zu nehmen. Meine Kenntnis der Mahler-Literatur ist höchst begrenzt! Ich wollte nur sagen: Mir ist eine solche Höher-Einschätzung der drei Instrumentalsinfonien 5- 7 dort nicht begegnet.)

  • Naja, die BBC macht ja eine Wertung, bei der die 8. und die drei "mittleren" Instrumentalsinfonien hinten landen, d.h. irgendeine Art von Wertung ist hier ohnehin im Spiel.

    Daher meinte ich Wertungen auf einem ähnlichen "populärwissenschaftlichen" Niveau eines besseren Konzertführers, einer Vortragsreihe o.ä. Dass sich Wissenschaftler heute (das war in der anderen Zeiten der MuWi oder Kunstgeschichte durchaus anders) vor allzu offenen Wertungen scheuen, ist klar, daher schrieb ich "Kommentator", um einen weiteren Bereich zu erfassen. Ich habe zB das Buch von Martin Geck zur "deutschen" Musik zwischen Beethoven und Mahler irgendwo im Hinterkopf (der ist ziemlich wertend für einen MuWi Ende des 20. Jhds.)

    Es ist jedenfalls etwas überraschend, wenn mit einem Austausch (3 gegen 5) eine journalistische Wertung nach 60 Jahren "Mahlerboom" mit dem nach verbreiteter Ansicht bornierten und einseitigen Mahlerbild der 50er Jahre beinahe übereinstimmt.

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    (Bob Dylan)

  • Ich kenne die Mahler-Literatur eigentlich relativ gut - bis zu einem gewissen Zeitpunkt. Adornos Mahler-Buch hatte auf die Mahler-Rezeption insbesondere in der deutschen Musikwissenschaft sehr großen Einfluss. Das war einerseits sehr fruchtbar - insbesonders was die Analyse der Symphonien 9 und 10 angeht (Sponheuer "Logik des Zerfalls" z.B.). Manchmal wurde aber Adorno auch regelrecht nachgebetet. Insbesondere Adornos kapitale Fehlinterpretation und Unverständnis der 7. Symphonie mit ihrem Verriss des Finales als positivistischem Lärm hat der Rezeption sehr geschadet. Dass ausgerechnet die 7. Symphonie einen besonders hohen Stellenwert in der Musikwissenschaft hätte, kann man also gerade nicht behaupten. Ein denkwürdiges Erlebnis: Bei einer Aufführung einer anderen Mahler-Symphonie in der Bielefelder-Oetker Halle meinte ein Liebhaber neuer Musik in der Pause: Stände die 7. auf dem Programm, würde er den Saal verlassen. Das sei ja keine Musik, sondern nur Lärm... Adorno lässt grüßen! :D


    Schöne Grüße

    Holger

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Die Symphonien von Mahler habe ich durch Inbal in FFM kennen und lieben gelernt, später kamen viele und bessere Interpretationen dazu, meine liebste wurde die 2.!


    1/ 2.Symphonie Kaplan LSO, Scherchen WSOO Bernstein NYP

    2/ 3.Symphonie Haitink CGO, Scherchen ORTF

    3/ 4.Symphonie Sanderling BBC NSO Gielen SWRSO

    4/ 1.Symphonie Roth Les Siécles

    5/ 5.Symphonie Barshai JDP Bernstein NYP

    6/ 6. Symphonie Gielen SWRSO

    7/ 7. Symphonie Gielen SWRSO

    9/ 9. Symphonie Gielen SWRSO

    8/ 8. Symphonie Gielen RFSO *, Inbal RSOF


    * Live zur Eröffnung der Alten Oper FfM :thumbup:


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Weil gerade die "Siebte Symphonie" angesprochen wurde:

    Ich habe mal nachgeschaut, wie sie hier in diesem Ranking-Thread platziert ist: Nur einer hat sie auf Platz drei, bei allen anderen rangiert sie in der zweiten Hälfte der Liste, und oft darin auf den letzten Plätzen.

    Warum? Man erhält, bis auf wenige Ausnahmen, in der Regel darauf leider keine Antwort, was - für mich - die Problematik solcher - hier sehr beliebter - Threads ausmacht. Man präsentiert eine Liste, gibt aber nicht in wenigstens einigen Stichworten an, warum sie für einen so und nicht anders aussieht.


    Zu dieser Frage fällt mir gerade der Satz ein, mit dem Jens Malte Fischer die Besprechung der "Siebten" in seiner großen (und das meine ich nicht von quantitativ) Mahler-Biographie einleitet:

    "Wenn nur dieses Finale nicht wäre … - die Siebte hätte das Zeug dazu gehabt, beim Publikum und bei den Interpreten zur Favoritin unter Mahlers Werken zu avancieren.


    Gestern Abend habe ich sie mir wieder einmal angehört, und als besagtes Finale lief, tauchte wie zwangsläufig Adornos Verriss vor meinem geistigen Auge auf:

    "Ein ohnmächtiges Mißverhältnis zwischen der prunkvollen Erscheinung und dem mageren Gehalt des Ganzen wird man auch bei angestrengter Versenkung kaum sich ausreden lassen. Technisch trägt Schuld due unentwegte Diatonik, deren Monotonie bei so ausgiebigen Dimensionen kaum zu verhindern war.

    Der Satz ist theatralisch, so blau ist nur der Bühnenhimmel über der allzu benachbarten Festwiese. Die Positivität des per aspera ad astra aus der Fünften (…) kann sich nur als Tableau, als Szene mit buntem Getümmel offenbaren (…)

    Mahler war ein schlechter Jasager. Seine Stimme überschlägt sich, wie die Nietzsches, wenn er Werte verkündet, aus bloßer Gesinnung redet (…). Seine vergeblichen Jubelsätze entlarven den Jubel, seine subjektive Unfähigkeit zum happy end denunziert es selber."


    Hat er nicht recht?, fragte ich mich. Dieses Finale präsentiert sich als gigantischer Leerlauf, ohne jegliche auf eine intendierte musikalische Aussage hinauslaufende innere Linie. Und dies, und da liegt der Unterschied zum Rondo-Finale der Fünften, weil keinerlei motivisch-thematische Arbeit stattfindet, stattdessen sich wie ein einer Art Collage in einem gigantischen Über-C-Dur ein gewaltiges Tschingderassabum mit eingelagerter Idyllik ereignet.


    Kann man dieses Finale wirklich so positiv hören und verstehen, wie das Richard Specht 1913 tat, wenn er meinte:

    "Aber all das öffnet sich ins Weite, spannt die Flügel aus, wenn die Pauke in turbulenter Lustigkeit loslegt und eine frohe, sonnenselig leichtsinnige Freudigkeit aus jedem Ton dieses brausenden C-Dur spricht."

    Oder wie Paul Bekker 1921:

    "Nacht ist vorbei, Tag kommt herauf. Mit Pauken, Fanfaren und klingendem Spiel in leuchtendem C-Dur. Kein Dämmern mehr, kein Sichdurchringen aus Zwielicht und Ahnungen zur Anbetung des aufgehenden Lichtes, wie im ersten Satz."


    Also wenn schon mit solchen Begriffen operiert werden soll, dann ist für mich dieses Rondo-Finale eher eine selbstquälerisch-verzweifelte musikalische Evokation einer sonnenseligen, heiter leichtsinnigen Welt, die im schmerzlichen Wissen darum erfolgt, dass es sie in der Realität nicht gibt, sie darin keinen Bestand haben kann, so sehr erwünscht, ja ersehnt das auch wäre.

    Das scheint mir eher eine, der grundlegenden kompositorische Intention Mahlers entsprechende, Interpretation dieses Finales zu sein.


    So ähnlich hat ja auch Mathias Hansen das Finale aufgefasst, wenn er dafür plädiert, es nicht wörtlich zu nehmen, da es sich im Grunde um ein "ironisches, stellenweise gar frivoles Spiel" handele.

    Ich würde allerdings dagegenhalten, dass man Mahler mit einem solchen Verständnis des Finales unrecht tut. Hinter allem, was er komponierte, steht geradezu blutiger Ernst, auch wenn sich die Musik in Banalität, scheinbarerer Alltäglichkeit, Oberflächlichkeit oder gar Ironie und Frivolität entfaltet. Dahinter steht bei ihm allemal abgrundtiefes Leiden!


    Ich denke, dass Klaus Jungheinrich die Sache eher trifft, wenn er anmerkt:

    "Die Spannung des Finales resultiert aus den vielfältigen Überschneidungen der kontrastierenden, dennoch aufeinander bezogenen Themen, die Triviales ganz nah heranholen, um es - ohne das Moment oberflächlicher Parodierung - einfach durch die blanke Summe und den brutal-ungeschlachten Einsatz von Positivität ins Groteske, Unglaubwürdige zu verzerren und zu verfinstern. (…) Apotheose der Selbstzerstörung."

    Bis auf die Behauptung, dass die Themen aufeinander bezogen seien - was ich nicht hören und sehen kann -, würde ich ihm in diesem Verständnis des Finales folgen.

  • Man sollte das Finale der Siebten auch nicht zu ernst nehmen. Ist dieses nicht eine Parodie des "Meistersinger"-Vorspiels von Wagner, gleichsam aktualisiert für die letzten Jahre des Fin de siècle (Uraufführung 1908), das Pathos, welches 1868 noch überzeugend herüberkam, auf die Schippe nehmend. Ich höre Mahler insgesamt weniger als andere Komponisten, obwohl ich ihn sehr schätze. Diese Monumentalwerke gehen nicht einfach mal nebenbei (ähnlich bei Bruckner). Eher sind es einzelne Sätze, die ich ab und an auflege, da die Muße für seine Symphonien nicht immer gegeben ist. Neben dem notorischen Adagietto aus der Fünften sind das bei mir dann am ehesten die Finalsätze der Ersten, Dritten und eben der Siebten. Ketzerisch gesprochen, empfinde ich gerade den Finalsatz der Dritten als verhinderte eigenständige Symphonische Dichtung, was sich der Komponist bestimmt verbitten würde.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich habe mal nachgeschaut, wie sie hier in diesem Rangking-Thread platziert ist: Nur einer hat sie auf Platz drei, bei allen anderen rangiert sie in der zweiten Hälfte der Liste, und oft darin auf den letzten Plätzen.

    Warum? Man erhält darauf leider keine Antwort, was - für mich - die Problematik solcher - hier sehr beliebter - Threads ausmacht. Man präsentiert eine Liste, gibt aber nicht in wenigstens einigen Stichworten an, warum sie für einen so und nicht anders aussieht.

    Das stimmt nun nicht, denn einige andere und ich haben zumindest ein paar Begründungen für die Rangfolge angegeben. Und bei der 7. ist es in der Tat das Finale, das mir diese ansonsten sehr geschätze Symphonie verleidet. Ich wünschte, ich könnte in dem Rondo-Finale eine Parodie sehen wie Joseph II. oder ein "ironisches, stellenweise gar frivoles Spiel" wie der zitierte Autor. Aber ich fürchte, Mahler hat es dort tatsächlich ernst gemeint, weswegen ich auch schrieb, dass dieser Satz ganz unmahlerisch sei. Und selbst wenn der Schlusssatz eine Parodie wäre, dann fände ich ihn musikalisch immer noch uninteressant. "... gigantischer Leerlauf, ohne jegliche auf eine intendierte musikalische Aussage hinauslaufende innere Linie" trifft es sehr gut, finde ich.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Das stimmt nun nicht, denn einige andere und ich haben zumindest ein paar Begründungen für die Rangfolge angegeben.

    Richtig, Bertarido!

    Ich habe mich deshalb in meinem obigen Beitrag sofort wie folgt korrigiert:

    "Man erhält, bis auf wenige Ausnahmen, in der Regel darauf leider keine Antwort..."

    (Korrigiert habe ich auch den Tippfehler "Rangking")

    Übrigens:

    Die einleitende Passage war nicht als Kritik an dem Konzept des Ranking-Threads gedacht, sondern als Ausdruck des Bedauerns darüber, dass man zumeist nichts über Gründe erfährt, die der jeweiligen Rangliste zugrunde liegen. Das dort eingesetzte Wort "Problematik" ist also ein Fehlgriff.

  • Ich glaube, keine andere Rezeption einer Mahler-Symphonie ist so vorurteilsbelastet und geradezu von einer Hermeneutik der Verständnisverweigerung geprägt wie die der 7. Auch hier ist es wohl so, dass die durchaus positive Rezeption des Publikums mit der der Kritik im Widerspruch steht. Die Uraufführung in Prag war ein großer Erfolg - dann in Wien mäkelten die Kritiker am Finale herum. In der Tat - ich habe eine Aufführung in der Bielefelder Oetker-Halle erlebt - ist die Interpretation des Finalsatzes heikel. Dirigent und Musik müssen aufpassen, dass der Überschwang nicht ins Lärmende umkippt.


    Ich habe schon länger im Kopf, zur 7. mal einen kleinen Aufsatz zu schreiben. Die Sache ist nur schwierig, weil Mahler ab der 4. keine Programme publiziert hat. Deshalb gibt es wenig "Beweisbares", wenn man eine Deutung riskiert. Es gibt einen Hinweis in der Mahler Literatur, der wirklich wertvoll ist, der aber einfach nicht aufgegriffen und zuende gedacht wird. Der stammt von Constantin Floros, der versucht zu zeigen, dass Mahlers 7. eine Auseinandersetzung mit Nietzsches Zarathustra ist. Der Zarathustra war für Mahler ein ungemein wichtiges Buch, das er in- und auswendig kannte, daraus seinen Schwestern und seiner Tochter immer wieder vorgelesen hat. Wenn das so sein sollte, dann zeigt dies den ganzen Krampf der an Adorno anknüpfenden Rezeption insbesondere in der Musikwissenschaft, die versucht, da völlig abwegig eine "negative Dialektik" in dieses Finale hineinzuinterpretieren und das Positive als Negatives zu deuten: Das Positive darf ja nach Adorno nicht positiv sein, sonst ist es "bedenkenlos", ruchlos, sinnleer. Was aber, wenn dieses Jubel-Finale tatsächlich ein "Ja sagen" zum Leben im Sinne von Nietzsche ist und d.h. eben den Deutungsschlüssel gerade nicht Hegel bereithält? Wenn man wie Adorno den falschen philosophischen Deutungsschlüssel wählt und Nietzsche durch Hegel ersetzt, muss man dann leider zwangsläufig Mahlers 7. verkennen, was die Mahler-Rezeption im Anschluss an Adorno geradezu überdeutlich zeigt.


    Es empfiehlt sich auch in eine Deutung aufzunehmen, dass Mahler die 7. offenbar als Gegenentwurf zur 6. Symphonie konzipiert hat. Nicht nur, dass der menschliche Lebensbaum im Finale der 6. durch drei Hammerschläge vom Schicksal gefällt wird, das Leben also unterliegt, während menschliches Leben im Finale der 7. mit seinem Lebenswillen triumpfiert. In der 6. dominieren die Symmetriebrüche, die 7. ist dagegen symmetrisch, geradezu spiegelsymmetrisch, aufgebaut. Das kann einfach kein Zufall sein. Das dämonische Scherzo in der Mitte wird wie ein böser Krankheitsherd von zwei beschwichtigenden Nachtmusiken eingekapselt und damit "unschädlich" gemacht. Dann gibt es die klassische Komplementarität Sonatenallegro-Rondo-Kehrausfinale. Was hört man denn in diesem Finalsatz, wenn man wirklich unvoreingenommen hinhört? Es ist ein Fest, ein barocker Tonfall, die Musik hat etwas von einer überwältigenden Theater-Illusion (auch das, die Betonung der Illusion, ist barock). Und es dominieren die Märsche, welche den Fest-Charakter unterstreichen. Der Überschwang, der Enthusiasmus, ist romantisch wiederum. Wer hier nur Lärm und "bedenkenlose Positivität" hören will, der nimmt einfach nicht wahr, dass dieses ganze Finale am Ende in der Stimmung zu kippen droht, wenn die bösen Erinnerungen auftauchen. Bei Mahler ist es immer wieder so, dass wenn der Triumpf sich selber zu feiern sucht, also das "Andere" komplett zu verdrängen können meint, meldet es sich gerade mit Macht. So auch hier. Was passiert? Die bösen Erinnerungen werden mit viel Trommelwirbel eilig weggescheucht. Hat das nicht etwas von einem chinesischen Neujahrs-Feuerwerk? Die Dämonen sind eine Realität, man kann sie nicht abschaffen, sie sich aber mit viel Getöse auf Zeit erfolgreich vom Leib halten. Schildwaches Nachtlied: "Bleib mir vom Leib" sagt da der Soldat. Die Musik, das musikalische Fest des Lebens, besiegt die Dämonen und der Mensch sagt so "Ja" zum Leben im Sinne von Nietzsches Lebensphilosophie, indem sich die Jubelfeier mit allem Tam Tam Krach machend die bösen Nachtgeister verschreckend erfolgreich vom Leib hält - nicht zuletzt damit auch das Unterliegen unter das Schicksal in der 6., die brutalen Hammerschläge, lautstark übertönen will. Ich finde, dieser großartige Finalsatz der 7. (ich mag ihn sehr!) wird geradezu grotesk missdeutet und verkannt. Ich kann da nur sagen: Vergesst doch mal einfach in diesem Fall den ganzen Adorno-Ballast und hört nur hin, was in diesem alles andere als musikalisch trivialen Satz wirklich passiert! :D


    Schöne Grüße

    Holger

  • Ich finde, dieser großartige Finalsatz der 7. (ich mag ihn sehr!) wird geradezu grotesk missdeutet und verkannt. Ich kann da nur sagen: Vergesst doch mal einfach in diesem Fall den ganzen Adorno-Ballast und hört nur hin, was in diesem alles andere als musikalisch trivialen Satz wirklich passiert!

    Selten habe ich Dir von Herzen mehr zugestimmt als hier, lieber Holger. Du bringst es völlig auf den Punkt. Genauso empfinde ich übrigens auch bzgl. Adornos Ausführungen zu Sibelius (wir hatten dies an anderer Stelle im Detail). Der Ballast in der Rezeption erinnert mich entfernt an jene von Schostakowitschs 12. Symphonie, die ebenfalls von Anfang an von der Kritik zerrissen wurde ("Parteitagsmusik"), auch hier besonders der Finalsatz. Das auch ihm innewohnende doppelbödige Element fiel unter den Tisch.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Diskographische Situation

    Schaut man sich an, welche Mahler-Symphonien am öftesten aufgenommen wurden, sieht dies (gemäß einer koreanischen Diskographie) folgendermaßen aus:


    Nr. 1: 223

    Nr. 2: 170

    Nr. 3: 120

    Nr. 4: 186

    Nr. 5: 177

    Nr. 6: 136

    Nr. 7: 101

    Nr. 8: 72

    Nr. 9: 154

    Nr. 10: 92

    DLvdE: 128


    Also von am häufigsten bis am seltensten: 1 - 4 - 5 - 2 - 9 - 6 - DLvdE - 3 - 7 - 10 - 8


    Selbst die Achte ist insofern alles andere als vernachlässigt, wenngleich die Erste dreimal so oft eingespielt wurde.


    Die frühesten Aufnahmen:


    Nr. 1: Mono: Bruno Walter (1939), Stereo: Sir John Barbirolli (1957)

    Nr. 2: Mono: Oskar Fried (1924), Stereo: Bruno Walter (1958)

    Nr. 3: Mono: Sir Adrian Boult (1947), Stereo: Kirill Kondraschin (1961)

    Nr. 4: Mono: Hidemaro Konoye (1930), Stereo: Paul Kletzki (1958)

    Nr. 5: Mono: Bruno Walter (1947), Stereo: Rudolf Schwarz (1958)

    Nr. 6: Mono: Eduard Flipse (1954), Stereo: Erich Leinsdorf (1965)

    Nr. 7: Mono: Hermann Scherchen (1950), Stereo: Maurice Abravanel (1964)

    Nr. 8: Mono: Leopold Stokowski (1950), Stereo: Jascha Horenstein (1959)

    Nr. 9: Mono: Bruno Walter (1938), Stereo: Leopold Ludwig (1960)

    Nr. 10: Mono: Berthold Goldschmidt (1960), Stereo: Eugene Ormandy (1965)

    DLvdE: Mono: Bruno Walter (1936), Stereo: Fritz Reiner (1959)

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Schaut man sich an, welche Mahler-Symphonien am öftesten aufgenommen wurden, sieht dies (gemäß einer koreanischen Diskographie) folgendermaßen aus:


    Nr. 1: 223

    Sollte die erste Sinfonie wirklich so oft aufgenommen worden sein? Richtig aufgenommen? So, wie wir es verstehen - unter Studiobedindungen und im Idealfall auf Tonträger gebracht?

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Berücksichtigt sind Studio- und Live-Aufnahmen. Hier die Diskographie. Leider müsste man sich durchklicken, um das immer genau zu eruieren. Sicherlich sind aber viele Mitschnitte dabei.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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