Ohrenschmaus des 20. Jahrhunderts?

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Richtige Musik "zum Genießen" findet man aber kaum (oder doch ?)
    Das Argument, Musik müsse "erarbeitet" werden oder "erlitten" kann ich für mich nicht gelten lassen, Mozart mußte ich mir auch nicht "erarbeiten" Das gilt natürlich auch für viele andere Komponisten.


    Lieber Alfred,


    vor kurzem habe ich mit einer Sängerin folgendes diskutiert:


    vorweg zur Erklärung: sie hat zuerst Technik studiert, dann Gesang - und sie ist mit einer Gesamtaufführung der Richard Strauß Lieder beschäftigt (leider in nicht ganz professionellem Rahmen)


    Ihre Behauptung war, daß gegenüber den Schwierigkeiten der Strauß Lieder es einfacher wäre, Mozart, Verdi oder Bizet zu singen...bzw. sie brachte das alte Argument, daß Musik des 20.Jh schwieriger wäre als die frühere...


    ich habe widersprochen:
    Der Unterschied der musikalischen Arbeit besteht IMO darin, daß die Werke des 20.Jh zwar kompliziertere Tonfolgen und Harmonien aufweisen, aber mit der richtigen Absolvierung ist es meist schon getan.


    Klassische Stücke hingegen müssen interpretatorisch ausgearbeitet werden, man muß sich Aufnahmen anhören (man sollte) man muß sich stilistisch informieren, man muß interpret. Vergleiche anstellen. Und aufgrund des Bekanntheitsgrades der Stücke ist man zu wesentlich höherer Genauigkeit gezwungen. (bei einem Mozart Klavierkonzert kennt das Publikum nahezu jeden Ton)


    auf dem Fettgedruckten bestehe ich!
    Ausschlaggebend dafür war (leider) der Fortschrittsgedanke, der die Entwicklung der Musik "in größere Höhen" führen hätte sollen, stattdessen ist man auf dem Abstellgleis gelandet...
    (nicht zu vergessen, daß diese Fortschrittsgedanken von Wagner und Liszt getragen wurden...)


    Kompliziert ist eben nicht besser...


    eine ähnliche Problematik gibt es jedoch bei Polyphoner Musik:
    hier zählt die Größe einer Komposition auch nach der Komplexität - wer am schwierigsten schreiben kann, hat gewonnen...
    Außerdem ist das Hören der polyphonen Musik nie und nimmer ein Genuß sondern erfordert konzentrierte Aufmerksamkeit...es sei denn man wartet nur auf die Einsätze des Hauptthemas und ist mit sich zufrieden, wenn man diese erkennt.... Nein, man sollte alles hören können, auch die Dinge, die gleichzeitig ablaufen...


    ich glaub, auch bei Mozart gibt es soviele Feinheiten in der Struktur, den Melodien und nebenstimmen, dann auch in der Instrumentation zu hören, daß man immer wieder was neues herausfinden kann, wenn man will.. (nicht wahr, Ulli)


    als kleines Beispiel, die "Quam olim Abrahae" Fuge aus dem Requiem - ich hab das Stück oft mit Chören gespielt und bin jedesmal von neuem über irgend ein Detail überrascht


    um noch einen kleinen Vergleich zur Kochkunst zu wagen (liebe Moziwis!): das, was uns am besten schmeckt, ist nicht immer das gesündeste, und zur ausgewogenen Ernährung gehört manchmal auch das, was wir nicht so gerne mögen...


    liebe Grüße,
    Wolfgang

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • tastenwolf


    Ich stimme mit dir absolut überein das die Musik des 20. Jahrhunderts ( wie mMn auch die Musik der 2. Hälfte des 19. ) "leichter" zu interpretieren ist als jene von Mozart, Bach etc.. Jedoch glaube ich nicht das dies einzig und allein an der "Unwissenheit" des Publikums liegt die den Unterschied halt einfach nicht erkennen. Ich bin vielmehr der Meinung das dies an der veränderten Arbeits- und Schreibweise der Komponisten liegt. Zu Mozarts Zeiten wurden einfach vom Interpreten gewisse Vorkenntnisse als gegeben angenommen, diese Kenntnisse wurden nicht in die Noten geschrieben, das "wiederzuentdecken" nennt man halt heutzutage "Interpretation". Je weiter die musikalische "Entwicklung" voranschritt desto genauer schrieben die Komponisten ihre Vorstellungen in die Partituren ( man muss sich ja nur mal Mahler- oder Strausß ( :baeh01: ) Partituren ansehen, wie genau jede einzelne Klangfarbe niedergeschrieben ist ). Insofern hat man eigentlich keine Freiheiten mehr sondern es ist praktisch deine "Pflicht" als Interpret den Notentext genau zu exerzieren und ja nichts daran zu verändern. Gottseidank ist unsere Notenschrift absolut nicht perfekt so das immer noch gewisse "Lücken" bleiben die man dann als Musiker nach eigenen Vorstellungen ausführen kann.

  • Das zuletzt gehörte Werk war Zemlinsky "Kleider machen Leute". Eine Oper nach der gleichnamigen Novelle von Gottfried von Keller, allerdings wesentlich boshafter. Und es macht einen diebischen Spaß der Handlung zu folgen. Die Bürger von Goldach sonnen sich im Glanze des vermeintlichen Grafen und lehnen sich in ihrer eigenen Spießbürgerlichkeit zurück. Ein Höhepunkt im 1. Akt ist die Walzerszene, wenn die Honoratioren der Stadt Strapinski ihre Aufwartung machen. Es erklingt ein Walzer, Zigaretten werden gerecht und sie singen:
    "Wenn Männer fröhlich beisammen sind
    Und die Herzen sich öffnen und heben,
    Das Gespräch im Kreise bedächtig rinnt,
    Müssen Wolken sie bläulich umschweben -
    Tabak, oh, dich schilt man vergebens,
    Du Krone des männlichen Lebens."


    Soweit ich weiß, ist dies die einzige komplette Einspielung.



    Leider sind Opern von Zemlinsky immer noch eine Seltenheit auf unseren Bühnen. "Kleider machen Leute" wurde in der gerade zu Ende gehenden Spielzeit am Theater Hagen aufgeführt. In Brüssel gab es vor 2 Jahren die beiden Einakter "Die florentinische Tragödie" und "Der Zwerg", beides Opern nach Geschichten von Oscar Wilde.


    Sophia

  • Zitat

    Insofern hat man eigentlich keine Freiheiten mehr sondern es ist praktisch deine "Pflicht" als Interpret den Notentext genau zu exerzieren und ja nichts daran zu verändern.


    lieb, mich darauf aufmerksam zu machen - jedoch wehre ich mich instinktiv gegen Begriffe wie Pflicht und vor allem Exerzieren 8o - wenn man so was in der Musik macht, dann klingts auch danach...



    warum schreiben die Komponisten noch immer Begriffe wie Piano und forte und nicht exakte Dezibelzahlen.


    erst ein einziges mal habe ich die Metronische Angabe gefunden, wie ein accellerando zu machen ist - (Th. Adés: Powder her face - eine Angabe, innerhalb von mehreren Takten den Schlag von 120 auf 180 zu erhöhen) wie sowas exakt nachzuvollziehen wäre, ist mir unklar.


    wie laut wird ein crescendo....


    Solange solche Begriffe verwendet werden, ist die Freiheit der Musik noch nicht vom Militarismus oder der Computerisierung bedroht.


    und das waren nur die musiktechnischen Begriffe,


    ganz zu schweigen von Vortragsangaben - was ist ein dolce, ein espressivo etc.


    Nein, der Mensch wird auch weiterhin nicht durch die Maschine ersetzt werden... :hello:


    Ciao,
    Wolfgang

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Hallo Forianer!


    Ohrenschmaus des 20. Jahrhunderts ist in meinen Augen: Schönbergs Verklärte Nacht und die Gurre-Lieder.


  • War nicht persönlich auf dich bezogen, nicht gleich in den falschen Hals kriegen.


    In Tempofragen nimm mal Bartok her der in seinen Werken penlichst genau seine Metronomzahlen schreibt.
    Ebenso kann man beobachten wie ab ca. der 2.Hälfte des 19.Jahrhunderts die Unterscheidung an Dynamischen Zeichen immer mehr zunimmt. Nimm nur mal die Brahmssinfonien zur Hand und schau dir die Balance-Dynamik an. So genau hat das vorher niemand geschrieben und das wird bis ins 20. Jahrhundert ja noch immer extremer.

  • Hallo Michael und Wolfgang!


    Zu eurem Thema kann ich eigentlich nur sagen, dass ich eine gewisse Freiheit für wichtig erachte.
    Natürlich denkt sich jeder Komponist, wie sein Werk zu interprtieren ist oder besser gesagt, wie es andere Vortragen sollen.
    Vielleicht ist es bei den moderneren Komponisten so, dass sie eben kleinlichst vorschreiben wollen, was wie arrangiert werden muss (angebrachte Beispiel Bartók).


    Persönlich bin ich der Meinung, dass den Dirigenten (und gegebenfalls Solisten) eine gewisse interpretatorische Freiheit, oder Raum zur Weiterentwicklung gegeben werden muss.
    Denn das macht viele musikalische Werke aus: der Charakter und der Stil des Interpreten. Dadurch entsteht Vielseitigkeit...eine freie Entfaltung (aber in gewissen Richtlinien, die der Komponist vorschreiben soll - ich denke, dafür reichen die musikalischen Zeichen, auch wenn diese ebenso unterschiedlich interpretierbar sind).


    Gruß, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Maik


    Persönliche Freiheit muss sein, aber mit gewissen Grenzen. Ich selbst bin eher jemand der "aus dem Bauch heraus" interpretiert und nicht zuerst 20 Bücher durchwälzt um vielleicht die richtige Phrasierung für eine Zeile herauszufinden. Aber ein gewisses Maß an "Authentizität" muss sein. Es darf einfach nicht mehr passieren das z.B. Mozart oder Beethoven Symphonien mit 12 1.Geigen-Pulten gespielt werden( warum dies so gemacht wurde wurde eh schon des öfteren hier im Forum geschrieben, muss also nicht wiederholt werden geh Alfred? :stumm: ).

  • Natürlich müssen diese Grenzen sein. Wenn sie nicht wären, dann könnte ja gleich jeder Dirigent eine Sinfonie oder sonst ein Werk an einigen Stellen einfach etwas umkomponieren...das hat jetzt zwar nichts mit interpretieren direkt zu tun, aber er macht sich das Werk eben so, wie er es haben will...


    Grenzen müssen da sein...jedoch nicht übertrieben oder zu sehr einschränkend.


    Das mit den Geigen hab ich noch gar nicht gelesen...wo steht das?


    Gruß, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Es ging nicht direkt um die STreicherbesetzung sondern einfach im allgemeinen darüber warum z.B. Karajan die Musik eben so interpretiert hat wie er es getan hat. War eben ein ganz anderer Zugang zur Musik als heute ( steht glaub ich im "Was ist dran an Karajan"-Thread )

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  • Sicherlich könnte der Zugang zur Musik auch an der jeweiligen Epoche liegen.
    Soll natürlich keines Falls bedeuten, dass alle, die in ein und derselben Epoche leben, auch gleiches Empfinden bzw. den gleichen Zugang haben!
    Die Epoche oder die Zeit, in der man lebt, ist sicher ein wichtiger Hintergrundaspekt. Aber vorrangig liegt der Zugang, denke ich, an einem jeden einzelnen Charakter. Er ist eher vielleicht eher etwas perönliches und lässt sich nicht verallgemeinern.


    Danke für den Thread. Werde ich mal in den nächsten Tagen nachlesen.


    Gruß, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Zitat

    Natürlich denkt sich jeder Komponist, wie sein Werk zu interprtieren ist oder besser gesagt, wie es andere Vortragen sollen.


    das sehe ich nicht so...


    es ist eine unglückliche Entwicklung im 19.Jh passiert bis hin zur Tyrrannei der seriellen Musik.


    ich halte es für falsch zu denken, daß Komponisten über die Interpretation der eigenen Werke Auskunft geben können.
    Komposition ist zunächst einmal die Anordnung der Töne... die Vortragszeichen werden nur von wenigen auf das Genaueste festgelegt. Also die unbedingte Entsprechung von Notenbild und Musik gibt es IMo nicht. Sonst würde es sich erübrigen, eine Komposition ein zweites Mal aufzuführen.


    Jeder Interpret gibt seinen Teil zur Aufführung dazu.


    ich gehe von der menschlichsten Musikform aus - dem Gesang...
    Wäre es nicht schrecklich - die Tosca von verschiedenen Sängerinnen gleich zu hören...


    Was in der Instrumentalmusik passiert, ist IMO nur ein müder Abklatsch der Gesanglichen Möglichkeiten - vielleicht ist daher der Hang zur Technisierung erklärbar.



    Zitat

    Natürlich müssen diese Grenzen sein. Wenn sie nicht wären, dann könnte ja gleich jeder Dirigent eine Sinfonie oder sonst ein Werk an einigen Stellen einfach etwas umkomponieren...das hat jetzt zwar nichts mit interpretieren direkt zu tun, aber er macht sich das Werk eben so, wie er es haben will...


    Was heißt denn umkomponieren?? die Töne werden nicht verändert..


    na hoffentlich passiert das, daß sich jeder das Werk eben so macht.... wenn er weiß, was er will - vorausgesetzt, er hat eine Idee....


    Ich finde es so schade, die Debatten um "Richtig oder Falsch" zu führen...


    ein Sänger hat mir vor kurzem gesagt, ihm ist wichtig, daß die Empfindung wahr ist...
    das ist eine ganz andere Dimension musikalischer Arbeit, echte Gefühle auszudrücken...


    lg,
    Wolfgang

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Hallo Wolfgang,


    zum Ersten: Da ich ja auch ein Neuling in der Welt der klassischen Musik bin, bin ich gerne bereit, meine Meinung zu revidieren.
    Ich bin mir dessen voll bewusst, dass ich nicht immer "inhaltlich" richtige Dinge schreibe. Meist schreibe ich aus Empfindungen und ich habe es eben so empfunden, dass ein Komponist so etwas "plant" oder versucht "unter Kontrolle" zu halten...


    Gerne höre ich mir die Meinung oder gar das Wissen eines in der Materie vertrauteren Menschen an.



    Zum Zweiteren: Ich will es mal so ausdrücken. Es war eine rein hypothetische, theoretisch aufgestellte Fantasie. Ich bin mir dessen eigentlich bewusst, dass kein Komponist die Töne verändert. Eben das habe ich damit versucht auszudrücken!
    Es soll interpretiert werden, denn ansonsten bräuchte man, wie du angeführt hast, eine Komposition nur einmal vortragen.
    Aber es soll eben im Rahmen bleiben...nicht ausschweifen...das wollte ich mit dem umkomponieren vermitteln.



    Gruß, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Welche der ernsten Musik zuzurechnenden Musikstücke , etwa ab 1925 würdet Ihr jemandem empfehlen, der gerne "schöne" Musik hören möchte, die ihn in gute Stimmung versetzt, oder "erhabene", ähnlich wie das die Musik der "Wiener Klassik " im Allgemeinen vermochte ?


    Schöne Musik, die in gute Stimmung versetzt:


    Cage, Feldman


    Erhabene Musik (Beethoven):


    Stockhausen


    :angel:

  • Zitat von Reinhard


    Ich denke mal, Pelleas und Melisande oder auch die Gurre-Lieder könnten auch denen gefallen, die Schönberg sonst nicht so mögen...


    Bei dem Thread-Titel sind mir als erstes gleich Schönbergs Gurre-Lieder eingefallen (obwohl schon 1913 uraufgeführt). Ich meine, sie sind auch etwas für Wagner-Fans und Wagner-Einsteiger. Gielen/SWR führen das Werk am 2. November im Wiener Konzerthaus auf.


    Gleich danach kam mir Puccinis Turandot in den Sinn. Diese Oper halte ich auch für einen Ohrenschmaus. Ebenfalls in Wien zu hören in der Volksoper. Musikalisch etwas derb, optisch eher Richtung Insekten-Musical bei Holiday on Ice.




    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • 6 Jahre Pause !!!


    Ein Indiz für das Interesse an diesem Thema ?
    Oder einfach nur Zufall ?
    Vielleicht auch nur "verschüttet" und vergessen ?


    Dieser Thread kann - bei existierendem Interesse - wieder fortgesetzt werden - was insofern interessant ist, weil von jenen, die sich ursprünglich hier beteiligt haben nur mehr wenige im Forum sind.
    So ist es, als ob ein neues Thema gestartet worden wäre.....

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Richtige Musik "zum Genießen" findet man aber kaum (oder doch ?). Das Argument, Musik müsse "erarbeitet" werden oder "erlitten" kann ich für mich nicht gelten lassen, Mozart mußte ich mir auch nicht "erarbeiten" Das gilt natürlich auch für viele andere Komponisten.

    Die Bedingung "Musik nach 1925" ist aber auch nicht so richtig durchgängig berücksichtigt in diesem Thread ...



    Als Musik, die man sich nun wirklich überhaupt nicht erarbeiten muss, werfe ich mal in den Ring:


    Hans Pfitzner, Sextett g-moll op. 55, ein spätes Werk, das an den Hörer nur wenig erschröckliche Anforderungen stellt und jedem, der seinen historisch berechtigten Widerwillen gegen Pfitzner hintan stellt, unmittelbar eingängig sein sollte.

  • Welche der ernsten Musik zuzurechnenden Musikstücke , etwa ab 1925 würdet Ihr jemandem empfehlen, der gerne "schöne" Musik hören möchte, die ihn in gute Stimmung versetzt, oder "erhabene", ähnlich wie das die Musik der "Wiener Klassik " im Allgemeinen vermochte ?


    Findest Du die Musik von Egk oder Orff "schön"? Das könnte eventuell ein Anhaltspunkt für Empfehlungen sein.


    Nach 1925 waren natürlich auch noch viele romantischere Tonsetzer am Werk. Neben Strauss und Pfitzner kann man da vieles nennen.


  • Bereits erwähnt wurde das Konzert für 2 Klaviere und Orchester von Francis Poulenc von 1932.


    Poulenc bediente sich bei Mozart und machte daraus einen wahren Ohrenschmaus.
    Die CD mit Jos van Immerseel erschien 2011.



    Richard Strauss komponierte Mitte des 20.Jahrhunderts "Vier Letzte Lieder".
    Jessye Norman und Kurt Masurspielten sie 1982 auf CD ein.
    Nicht "schön" sondern "wunderschön".


    Ein Riesenhit wurde die 3.Sinfonie von Henryk Gorecki aus dem Jahr 1976.
    1992 war die CD mit Dawn Upshaw und David Zinman mehrere Wochen lang in den Popcharts vertreten.
    Dabei handelt es sich keineswegs um Popmusik.
    Die "Sinfonie der Klagelieder" erwies sich jedoch als Verkaufsschlager.
    Ein Beweis dafür,daß auch sinfonische Musik des 20.Jahrhunderts ein großes Publikum erreichen kann.

    mfG
    Michael

  • Vor einiger Zeit war ich in einem Konzert des Leipzig Quartetts. Neben mir sassen eine Frau und ein Mann ungefähr meines Alters, wo man entweder gesetzt oder nochmal richtig jung ist. Sie sind wohl gekommen weil es gratis war, und sie haben genervt. Wenn sie schon nicht reinredeten oder lachten, oder eine Coladose auf dem Parkett abstellten, dann war es die laut tickende Armbanduhr der jungen Frau, die mir besonders bei Kurtag auffiel, und ich habe gehasst. Aber nach Kurtag kam dann Bach, und da sagte er mit einer plötzlich weichen gerührten Stimme: "Ach,..Bach". Und da habe ich alles verziehen.
    Es ist mir schwierig vorzustellen, dass jemand mal so sagen wird: "Ach, Ferneyhough"

    Julius

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  • Vor einiger Zeit war ich in einem Konzert des Leipzig Quartetts. Neben mir sassen eine Frau und ein Mann ungefähr meines Alters, wo man entweder gesetzt oder nochmal richtig jung ist. Sie sind wohl gekommen weil es gratis war, und sie haben genervt. Wenn sie schon nicht reinredeten oder lachten, oder eine Coladose auf dem Parkett abstellten, dann war es die laut tickende Armbanduhr der jungen Frau, die mir besonders bei Kurtag auffiel, und ich habe gehasst. Aber nach Kurtag kam dann Bach, und da sagte er mit einer plötzlich weichen gerührten Stimme: "Ach,..Bach". Und da habe ich alles verziehen.
    Es ist mir schwierig vorzustellen, dass jemand mal so sagen wird: "Ach, Ferneyhough"


    Bei den Leuten, die während der Musik reden und stören, ist das in der Tat schwer vorstellbar...

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich meine, dass es auch in der Musik des 20. Jhds. Etliches gäbe, was man als Ohrenschmaus bezeichnen könne.


    Dabei will ich gar nicht mal die Spätestromantik eines Richard Strauss oder Sergej Rachmaninow usw. bemühen. Auch Komponisten wie Debussy, Ravel, Respighi lieferten sicher vieles, was Futter für einen sensualistisch-genussorientierten Zugang bietet.


    Darüber hinaus würde ich etwa Hindemiths Sinfonie "Mathis der Maler", den Schluss von Honeggers 3. Sinfonie, Messiaens "Banquet Celeste" oder die 4. Sinfonie von Gloria Coates empfehlen.



    Richtige Musik "zum Genießen" findet man aber kaum (oder doch ?)

    Wie wäre es mit Filmmusik oder dem Musikantenstadl - je nach Vorliebe?



    Das Argument, Musik müsse "erarbeitet" werden oder "erlitten" kann ich für mich nicht gelten lassen, Mozart mußte ich mir auch nicht "erarbeiten" Das gilt natürlich auch für viele andere Komponisten.

    Hm. Bei Mozart besteht natürlich die Gefahr, dass man (vor allem bei Vorliebe für ästhetisierende Interpretationen à la Karl Böhm) an der Oberfläche hängenbleibt und gar nicht zu den Schichten vordringt, die Arbeit bedeuten könnten. Von Beethoven und Schubert mal ganz zu schweigen.



    Frage: Welche der ernsten Musik zuzurechnenden Musikstücke , etwa ab 1925 würdet Ihr jemandem empfehlen, der gerne "schöne" Musik hören möchte, die ihn in gute Stimmung versetzt,

    Siehe oben.



    oder "erhabene", ähnlich wie das die Musik der "Wiener Klassik " im Allgemeinen vermochte ?

    Hm. Welche Musik der "Wiener Klassik" würdest Du als "erhaben" bezeichnen? Den zweiten Satz aus Beethovens 7. Sinfonie?


    Die Messe für Doppelchor von Frank Martin und Etliches aus der Kammermusik von Schostakowitsch würde ich durchaus als "erhaben" bezeichnen. In einem anderen Sinne auch die "Atmosphères" von Ligeti oder "Vom Winde beweint" von Kancheli.


    :hello:

  • "Vom Winde beweint" von Kancheli.


    Da ich das vorhin hier gelesen habe und der Titel mich sofort ansprach und interessierte, habe ich mir das Stück auf youtube mal angehört...Wow! Das war ja absolut gänsehaut-erregend (also positiv gemeint)...vielen Dank, dass du das hier angeführt hast.
    Habe mir gleich noch ein weiteres Stück des Komponisten zu Gemüte geführt (King Lear) und das war ebenfalls beeindruckend.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Peter Sculpthorpe (1929 - Launceston, Tasmanien): Requiem for Cello alone (z.B. mit Pieter Wispelwey)
    Gija Kancheli (1935 - Tiflis, Georgien): Nach dem Weinen (z.B. mit Mstislaw Rostropowitsch oder Julius Berger)
    John Tavener (1944 - London, England): Thrinos (z.B. mit Steven Isserlis oder Raphael Wallfisch)
    Petris Vasks (1946 - Aizpute, Lettland): Gramata Cellam (z.B. mit Sol Gabetta, Li-Wei oder David Geringas)
    Giovanni Sollima (1962 - Palermo, Italien): Alone (z.B. mit Li-Wei oder Boris Andrianov)



    Das alles kann man hören, wenn man einen neugierigen und risikofreudigen Cellisten kennt oder ein langjähriger Besucher von Lockenhaus ist. Ein weitere Möglichkei: ihr könnt euch durch die in Klammer angeführten Einspielungen hören.


    Liebe Grüße aus Wien
    Giovanni

    Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum. (Friedrich Nietzsche)

  • Ich glaube, hier muss man sich einmal vergegenwärtigen, was "Ohrenschmaus" überhaupt ist. Und da gibt es manche Bedeutungen: Hörgenuss, Schönklang, Vergnügen, Freude, Erfüllung. Es ist sicherlich in erster Linie eine Sachen der individuellen Empfindung. Meine Frau, die vieles mit mir gemeinsam hört, empfindet manches, was ich höre nicht immer als Ohrenschmaus, und wenn ich mich unter Freunden umhöre, und auch wenn ich die Berichte über die Vorlieben der Taminos lese, muss ich sagen, wird nicht nur die Musik des 20 Jahrhunderts, sondern auch die frühererJahrhunderte von den Einzelnen unterschiedlich als Ohrenschmaus empfunden oder auch nicht. Bei vielen ist es auch eine Frage des Wiedererkennens. Melodien, die man häufig hört, werden dann sogar zu "Ohrwürmern"
    Hier sind schon eine Reihe Komponisten, die z.T. bis weit ins 20 Jahrhundert gelebt und komponiert haben, genannt worden.
    Ich kann hier eine ganze Reihe von Komponisten des 20. Jahrhunderts aufzählen, von denen ich einzelne oder sogar eine ganze Reihe von Werken besitze, u. a. Alfano, Alfvén, Bax, Egk, Elgar, Chatschaturian, Debussy, Delius, Enescu, Glasunow, Goldmark, Grofè, Mahler, Nielsen, Pizzetti,, Poulenc, Puccini, Rachmaninow,, Ravel, Reger, Respighi, Schostakowitsch, Sibelius, Skrjabin, Stenhammar, Strawinsky, Richard Strauss, Suk, Vaughan Williams, beii denen ich viele oder zumindest einzelne Werke oder Teile daraus durchaus als Ohrenschmaus empfinde.
    So z. B. bin ich ganz hingerissen, wenn ich das Adagio aus dem Ballett Spartakus von Chatschaturian höre. Begeistert war ich z. B. auch, als ich in einem Konzert in der Kölner Philharmonie das "Stabat Mater" von Poulenc hörte. Von Strawinsky mag ich sehr gerne Petrouschka oder Der Feuervogel, nichts abgewinnen kann ich hingegen - auch nach mehrmaligem Hören - seinem Sacre du Printemps. Und wenn ich an Puccini denke, so schmeicheln doch seine Werke, von denen zumindest Madame Butterfly, La Fanciulla del West, das Tryptichon und Turandot auch schon ins 20. Jahrundert gehören, in großen Teilen den Ohren
    Selbst von Arnold Schönberg empfinde ich die in diesem Thema schon genannten Werke als Ohrenschmaus.
    Zum Schluss sei noch eine Oper genannt, die schon ins 21. Jahrhundert gehört (Uraufführung 2007): "Marius et Fanny" von Cosma.
    Wenn man Interesse zeigt und Musik bewusst (nicht nur als Hintergrund zu anderen Tätigkeiten) hört, erschließt sich dem Ohr vieles, und wenn es manchmal auch erst beim zweiten oder dritten Hören ist.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Wenn man postmoderne Klangwirkungen schätzt, die fernöstliche und europäische Einflüsse der Nachkriegsavantgarde und der Zwölftonmusik verschmelzen und dabei neben herberen Strukturen beispielsweise auch an das Pathos eines Messiaen erinnern, so kann ich folgende Doppel-CD empfehlen, bei der bereits das Cover Freude bereitet:

    Keine Musik, die dem Ohr stets vordergründig schmeichelt, aber von erlesener Schönheit allenthalben. Weiteres kann man auch den begeisterten amazon-Kritiken entnehmen.


    Und nach wie vor sehr preisgünstig. Ich habe die Scheiben schon vor Jahren gleich nach der Veröffentlichung gekauft.


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Nach den Werken für Violoncello solo, die ich euch gestern vorgestellt habe, will ich heute drei Bühnenwerke empfehlen, die nicht so ganz ins Schema der traditionellen Oper passen. Die Komponisten stammen alle aus der „neuen Welt“: George Gershwin (1898–1937), Leonard Bernstein (1918–1990) und Astor Piazzolla (1921–1992).


    Wer von euch meine spärlichen Beiträge kennt muss natürlich Porgy and Bess erwarten. Und er irrt nicht. Gershwin, der erfolgreiche Komponist unzähliger Filmschlager und einiger der erfolgreichsten Musicals seiner Zeit, hat mit diesem Meisterwerk die erste „schwarze“ Oper geschaffen (meine Empfehlung: Smallens 1952 mit der Price und Warfield oder Rattle 1988 mit White und Haymon).



    Der Komponist Leonard Bernstein wurde mit seiner West Side Story weltweit bekannt. Aber sein Bühnenwerk Mass für die Eröffnung des John F. Kennedy Centers in Washington ist genau die Art Musik die genau zu diesem Thread passt. Ein befreundeter Priester gestand mir einmal, dass nicht zuletzt Mass sein Leben entscheidend geprägt hat. Ich gestehe, die Erstaufführung in deutscher Sprache 1981 in Wien hat mich damals nicht begeistert – erst Kristjan Järvi schaffte das 2006. Neben der Aufnahme durch den Komponisten von 1971 gehört das Dokument dieser Aufführungsserie zu den wirklich erstklassigen Einspielungen – doch was Marin Alsop 2008 realisierte stellt beide in den Schatten (als Naxos-Aufnahme noch konkurrenzlos preiswert).



    Mit der Tango Operita Maria de Buenos Aires von Astor Piazzolla, des „Königs“ des argentinischen Tangos, ich durfte es im August 2000 im Theater an der Wien erleben, begegnete mir, und dank Gidon Kremer ein Werke voll Leidenschaft und Poesie – die Fassung der Kremerata Baltika schuf Leonid Desyatnikov. Das Tangoquartett dieser Aufführung könnt ihr auch auf der Einspielung aus 1997 mit Gidon Kremer erleben: Kremer – Violine, Glorvigen – Bandeon, Sacharov - Klavier, Posch – Kontrabass.



    Das wären sie nun, drei untypischen Opernbeiträge - dreimal Ohrenschmaus: der manchmal als Jazz-Oper bezeichnete Porgy, Mass - A Theatre Piece For Singers, Players and Dancers und die Tango Operita Maria de Buenos Aires.


    Liebe Grüße aus Wien
    Giovanni

    Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum. (Friedrich Nietzsche)

  • Der Komponist Leonard Bernstein wurde mit seiner West Side Story weltweit bekannt. Aber sein Bühnenwerk Mass für die Eröffnung des John F. Kennedy Centers in Washington ist genau die Art Musik die genau zu diesem Thread passt. Ein befreundeter Priester gestand mir einmal, dass nicht zuletzt Mass sein Leben entscheidend geprägt hat. Ich gestehe, die Erstaufführung in deutscher Sprache 1981 in Wien hat mich damals nicht begeistert – erst Kristjan Järvi schaffte das 2006. Neben der Aufnahme durch den Komponisten von 1971 gehört das Dokument dieser Aufführungsserie zu den wirklich erstklassigen Einspielungen – doch was Marin Alsop 2008 realisierte stellt beide in den Schatten (als Naxos-Aufnahme noch konkurrenzlos preiswert).


    Hallo Giovanni,


    kannst du mir das oben genannte Werk einmal näher beschreiben, würde mich sehr interessieren.


    Viele Grüße!

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Ich glaube, hier muss man sich einmal vergegenwärtigen, was "Ohrenschmaus" überhaupt ist. Und da gibt es manche Bedeutungen: Hörgenuss, Schönklang, Vergnügen, Freude, Erfüllung. Es ist sicherlich in erster Linie eine Sachen der individuellen Empfindung.


    Genau, für mich sind die Lachenmannschen Geräuschcollagen Ohrenschmäuse. Ich verspeise das nunmal gerne.
    Deshalb habe ich Alfred auch gefragt, um dann darauf bezugnehmend relativ ähnliche Stile empfehlen zu können.
    Aber das scheint seiner Konzeption zuwider zu laufen.

  • Was "Klangrausch" betrifft, gibt es viel mehr in der Musik des 20. Jhds. als zB bei Mozart oder Beethoven, weil Klangfarbe ein viel wichtigerer Parameter geworden ist. Nicht nur bei Nachromantikern (wie Korngold usw., davon wurde weiter oben ja schon vieles genannt), sondern auch bei Messiaen, Boulez usw. Mag freilich sein, dass viele diese Klänge erst einmal als exotisch empfinden. Aber die Musik wäre ja ziemlich überflüssig, wenn sie genauso klänge wie gehabt.

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