Schuberts Winterreise: Konzeptionen, Interpretationen, Ästhetik

  • Die Graessli-Zeichnungen zur "Winterreise" gefallen mir ganz außerordentlich gut. Sind die publiziert?


    Die Winterreise gibt's ja in allerlei Bearbeitungen, auch unterschiedlichen Stimmlagen. Ich fraem ich da manchmal tatsächlich, wie ich bei dem Zyklus HIP definieren will, zumal ich selbst ein emotionaler Hörer bin und zu Einspielungen greife, die mir den Gehalt des Werkes am besten erschließen. Dem Satz :


    Die Analyse ist gelungen, wenn sie zeigen kann, dass ein Werk nicht anders sein kann als es ist.

    stimme ich zu, ich gehe davon aus, dass das bei Dalhaus inkludiert, das mehrere Analysen eines Werkes möglich sind.


    Bewegend empfinde ich z.B. diese Aufnahme von der beiden letzten Teile der "Winterreise" mit dem jungen Thomas Quasthof mit den Wintersonnen und dem 82-jährigen Hans Hotter mit dem "Leiermann", beide zusammen und einer dem anderen lauschend. Gerade bei Hotter wirkt die feine Stimmgestaltung wie etwas, das der Sänger in einer Weise verinnerlicht hat, dass es einfach fließt. Er muss nicht mehr gestalten, es ist einfach da. Auch den jungen Quasthoff finde ich in dem Film beeindruckend.



    Die Kombination Schäfer/Koch klingt den Hörschnipseln nach zu urteilen reizvoll, zumal der zeitgenössische Hammerflügel für unsere heutigen Ohren eher morbide klingt.


    Persönlich schätze ich diese Aufnahme sehr:



    Die Winterreise für Streichquartett und Bariton.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Hallo


    Diese interkulturelle "Neuschöpfung" der Winterreise geht natürlich weit über das Thema "Interpretation" hinaus. Eingebettet werden Gedichte von Saadi, Rabi Mayyeri und Mehdi Akhavan-Sales.

    Ich betrachte das Projekt eher von der Seite der Poesie, die interkulturell angereichert und konsequenterweise auch musikalisch multikulturell unterlegt wurde.

    https://www.youtube.com/watch?v=hWvgjccBxxQ


    Gruß Wolfgang

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Die Graessli-Zeichnungen zur "Winterreise" gefallen mir ganz außerordentlich gut. Sind die publiziert?


    ...


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Lieber Thomas Pape


    Nein, die Zeichnungen wurden nicht gedruckt. Es war, wie ich mich erinnern kann, in Diskussion sie als Buch zu veröffentlichen. Das Projekt wurde allerdings nicht realisiert. Einzig die Webseite macht die Bilder öffentlich.

    Ich habe Walter Grässli ein Mai gesendet, dass seine Zeichnungen hier besprochen werden. Seine Antwort mache ich hier publik:


    Vielen Dank für Dein Mail. Ich in sehr berührt und finde mich verstanden. Am meisten steht die Interpretation von Kurt Widmer, am Hammerflügel Rolf Junghanns, dahinter. Der Leiermann am Schluss, ist für mich wie Musik aus dem Jenseits, da, wo beide nun bereits sind! Kurt ist im letzten Monat verstorben. Rolf Junghanns schon viel früher.


    Es ist schön das zu lesen!

    Liebe Grüsse


    Walter



    Eine Anmerkung von mir: Der Bariton Kurt Widmer ist der Vater des Sängers Oliver Widmer.


    LG moderato


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    Ich bin soweit, in meinen Beiträgen Rechtschraibfehler stehen zu lassen als menschlicher Protest gegen die perfekte KI-Welt.



  • Ich bin auch nach dem dritten Hören noch irritiert, vielleicht noch mehr als bei der ersten Begegnung. Schäfer hatte auch mit dieser CD versucht, der Interpretationsweise zur Zeit Schuberts nachzuzspüren und sich dabei auf Vogl berufen.



    Musikhistorisch finde ich das durchaus interessant, einen neuen Ansatz sehe ich darin nicht. Wie auch? Singen wir vor zweihundert Jahren? Das funktioniert am Ende doch nicht - auch wenn sich inzwischen etliche Sängerin darin versuchen und damit in die musikalische Struktur eingreifen. Wenn ein Gipfelwerk wie die "Winterreise" im Musikbetrieb nicht mehr die Ausnahme ist, sondern zur Regel wird, bleibt es wohl nicht aus, dass sich Interpreten etwas einfallen lassen müssen, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Gerade in jüngster Zeit hat es eine regelrechte "Winterreisen"-Schwemme auf dem Musikmarkt gegeben. Zum Vergleich möchte ich das Regietheater heranziehen. Wie immer man zu dessen szenischen Deutungen stehen mag, die musiaklische Substanz blieb in der Regel unangetastet.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rheingold1876


    Ich bleibe gelassen. Ich verstehe den Ansatz von Koch/Schäfer als Hinweis, dass zur Zeit Schuberts der Notentext nicht sakrosankt und unantastbar war. Dies ging im Laufe der Geschichte vergessen. Angesicht der hunderten von Interpretationen, die dem Notentext folgen und in den lesbaren Grenzen interpretieren, kann diese, den Notentext erweiternde Auslegung Bestand haben.


    Zu ihrer Aufnahme von "Die schöne Müllerin" kann man dies lesen:

    Zitat:

    "...versteht sich aber nicht als Akt rekonstruierenden Historismus’, sondern als bewusst subjektive Anverwandlung einer historischen Praxis, die aber weit über die bloße Ornamentierung des gegebenen Notentextes hinaus geht……..“


    Greifen andere Sänger und Sängerinnen in gleicher Weise in den Notentext ein (Verzierungen, Änderung der musikalischen Linie in Melodie und Begleitung)? Hast du weitere Beispiele?


    Ich nehme an, dass Koch/Schäfer bei öffentlichen Vorträgen die Interpretation sich von der vorangegangenen unterscheidet.


    LG moderato

    Ich bin soweit, in meinen Beiträgen Rechtschraibfehler stehen zu lassen als menschlicher Protest gegen die perfekte KI-Welt.



  • Lieber Rheingold1876, .......

    Zitat von Rheingold1876

    die musiaklische Substanz blieb in der Regel unangetastet.

    .....und wie Schäfer die Winterreise singt ist auch nicht die Regel, seltsamer Vergleich!

    Ich jedenfalls bin glücklich über die Interpretation, wie über die gesamte Entwicklung der HIP Szene!

    Du gehörst doch auch noch zu denen, die die alten Zöpfe lieben :)!

    Bitte nicht falsch verstehen, ich verurteile das nicht, und es ist wahrlich nicht böse gemeint!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Am meisten steht die Interpretation von Kurt Widmer, am Hammerflügel Rolf Junghanns, dahinter.

    Lieber Moderato,


    die Aufnahme habe ich mir auf dem zweiten Markt bestellt und bin neugierig, zumal mir der Pianist Rolf Junghanns gut vertraut ist. In den 1980ern hat der mit den Instrumenten der Sammlung Neumeyer einige feine Plattenaufnahmen gemacht, die mir den Klang der historischen Flügel sehr nahe gebracht haben. In der Schubert-Zeit waren die Instrumente auch entwickelt genug, um bei seinen Klavierwerken ein vergleichendes Hören in Betracht zu ziehen. Bin sehr gespannz, wie die Sänger damit umgehen (aus dem Plural kannst Du schließen, dass die Aufnahme von Schäfer auch noch her muss).


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • Das Kunstlied war für mich immer am äußersten Rand.....


    aber heute gleich zweimal die Winterreise gehört mit Pears/Britten und Quasthoff/Spencer. Das hätte ich noch vor ein paar Jahren nicht "geschafft". Und in einem kleinen Kaufrausch noch einigen CDs bestellt.....


    Wünsche noch ein schönes Wochenende !


    Kalli

  • Ihr Lieben, so sehr interessiert mich das Thema nun auch wieder nicht, als dass ich noch mehr Zeit darauf verwenden würde wollen.


    Greifen andere Sänger und Sängerinnen in gleicher Weise in den Notentext ein (Verzierungen, Änderung der musikalischen Linie in Melodie und Begleitung)? Hast du weitere Beispiele?

    Wir hatten erst neulich einen Austausch über die neue "Müllerin" von Konstantin Krimmel und über eine Aufnahme von Christoph Prégardien. Da ging es auch um derlei Ansätze.

    Du gehörst doch auch noch zu denen, die die alten Zöpfe lieben :) !

    Bitte nicht falsch verstehen, ich verurteile das nicht, und es ist wahrlich nicht böse gemeint!

    Das kann ich nicht falsch verstehen, weil es nicht stimmt.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


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  • Lieber Rheingold1876


    Diese Diskussion ging gänzlich an mir vorbei.


    Konstantin Krimmel Bariton


    Ich danke für deinen Hinweis.


    Es grüsst dich herzlich


    moderato

    .

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  • Ich bleibe gelassen. Ich verstehe den Ansatz von Koch/Schäfer als Hinweis, dass zur Zeit Schuberts der Notentext nicht sakrosankt und unantastbar war.

    Lieber Moderato,


    ich bleibe auch gelassen. Neues und Ungewohntes weckt erst einmal Neugier. Warum sollte man das verschmähen? ^^ Nur die Begründung ist schon etwas seltsam. Es war doch so, dass Schuberts Musik für die Zeitgenossen kaum verständlich war, so radikal neu und anders war sie. Da kann man deshalb nicht ohne Grund vermuten, dass die Bearbeitungen in die Richtung gingen, das Ungewöhnliche dem Zeitgeschmack anzupassen in dem Sinne, dass die Härten glatt gebügelt wurden, damit das Ganze eingängiger wird und so alles zu den Hörkonventionen der Zeit passte. Das wird nämlich nicht gesagt, in welche Richtung diese Bearbeitungen denn gingen und welche Intentionen sie verfolgten. Letztlich ist nicht entscheidend, dass bearbeitet wurde, sondern wie bearbeitet wurde und warum überhaupt. Schuberts Musik ist auch heute noch eine Zumutung, besonders die Radikalität der Winterreise. Nur kann der Hörer heute, der Erfahrungen mit Mahler und Schostakowitsch hat, damit umgehen. Also warum sollte ein solcher Bearbeitungstil "Schule" machen - nur weil es HIP ist?


    Einen schönen Sonntag wünschend

    Holger

  • Eine Aufnahme möchte ich noch nennen, die Tenorlage hat mich zuerst gestört, es wurde dann besser aber..... man ist eben Bariton gewohnt. Aber die Begleitung durch das Henschel Quartett gefällt mir sehr.

    Hotter/Moore und Bär/Parsons habe ich inzwischen auch angehört. Mit Hotter hatte ich erst "gefremdelt" - aber dann ging doch die Sonne auf - bei Olaf Bär ging das schneller. Vielleicht hat man früher anders gesungen.....


  • Am meisten steht die Interpretation von Kurt Widmer, am Hammerflügel Rolf Junghanns, dahinter. Der Leiermann am Schluss, ist für mich wie Musik aus dem Jenseits, da, wo beide nun bereits sind! Kurt ist im letzten Monat verstorben. Rolf Junghanns schon viel früher.

    Klingt sehr interessant, die Aufnahme. Notiert ist Kurt Widmer als Barition. Ich würde ihn aber eher als Bass vermuten (bei einer Aufnahme der Messe de Nostre Dame von Guillaume de Machaut wird er auch als Bass genannt). Er singt aber nicht als Bass, und das ist der Reiß der Aufnahme. Mit heller Basstimme vorgetragen würde man zunächst etwas Hybrides zwischen Tenor und Bariton vermuten. Die Stimme wirkt dadurch gedämpft, was vorzüglich zu Thema und Schneestimmung passt. Ich kann jetzt zunächst nur für "Gute Nacht", "Nebensonnen" und den Leiermann sprechen, aber die gefallen mir ausnehmend gut, auch das Klavierspiel von Rolf Junghanns.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • Eine Webseite möchte ich den Liebhabern des Zyklus Winterreise nicht vorenthalten.


    Iain C. Phillips hat vieles, beinahe alles (siehe unten), zusammengetragen, was es zu diesen Liedern an Medien im Internet zu finden gibt.


    https://winterreise.online


    530 offizielle Aufnahmen


    113 private inoffizelle Mitschnitte


    331 Aufnahmen mit Ausschnitten des Zyklus Winterreise


    118 Kunstwerke


    30 Filme


    194 Publikationen


    25 Äusserungen verschiedener Persönlichkeiten


    die ursprünglichen Gedichte von Wilhelm Müller


    den von Schubert verwendeten Liedtext


    27 Übersetzungen in verschiedene Sprachen


    23 You Tube Beiträge


    135 Webseiten


    :!:


    Was fehlt, sind die exemplarischen Analysen der Lieder des Zyklus "Winterreise", die Helmut Hofmann im Tamino-Forum veröffentlicht hat.


    Schuberts Winterreise in liedanalytischer Betrachtung



    .

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  • Bei der Wetterfahne stolpere ich jedes Mal über die Stelle Tt. 35/36:


    Wie ist der Triller hier auszuführen? Als kleine Terz (f-gis)? Da das gis neben (über, unter) dem Trillerzeichen nicht aufgelöst wurde, gilt es (eigentlich)... Das wäre dann nach meinen Gedanken eher ein Tremolo denn ein Triller und ich empfände dies als sehr ungewöhnlich, wenn auch Ungewöhnliches nichts Ungewöhnliches bei Schubert ist. Oder wird nur verlangt, das gis als Vorschlag zu spielen und einen gewöhnlichen Triller auf f/g anzuschließen? Und wie wäre in der Konsequenz der triolische Vorschlag (bzw. Nachschlag) zu spielen: e-f-gis oder e-f-g? Das gis ist ja (auch hier) nicht aufgelöst worden, gilt also (immer) noch... allerdings wäre dann ein e-fis-gis logischer... Durch die Singstimme darüber kann man dies leider bei diversen Aufnahmen nur relativ schlecht erhören.


    Ich vote für gis als Vorschlag, Triller auf f/g und Nachschlag e-f-g --> a. Das # vor dem g verstehe ich also ausschließlich auf den Vorschlag bezogen.

    „Wir sind nie einer Meinung!“ - „Das seh' ich anders ...“

  • Wovon schreibt Ulli?




    Aus dem Autograph (Morgan Library, Washington)



    Grösser


    Ich bin soweit, in meinen Beiträgen Rechtschraibfehler stehen zu lassen als menschlicher Protest gegen die perfekte KI-Welt.



  • Danke für das Einstellen der Notenbeispiele!

    :cheers:

    „Wir sind nie einer Meinung!“ - „Das seh' ich anders ...“

  • Die drei schwarzen Striche beim gis, wie sind sie zu lesen?


    Die blassere Tinte pp tr mit einer Wellenlinie, bedeutet dies Triller oder Tremolo?

    Ich bin soweit, in meinen Beiträgen Rechtschraibfehler stehen zu lassen als menschlicher Protest gegen die perfekte KI-Welt.



  • Die drei schwarzen Striche bei den gis, wie sind sie zu lesen?

    Das dürften drei Fähnchen für den kurzen Vorschlag sein; im Druck auf zwei reduziert.

    Die blassere Tinte pp tr mit einer Wellenlinie, bedeutet dies Triller oder Tremolo?

    Ich gehe von Triller aus; Tremolo ergibt nur Sinn, wenn f-gis „getrillert“ werden müsste - das war ja eben meine Ausgangsfrage.

    „Wir sind nie einer Meinung!“ - „Das seh' ich anders ...“

  • Ist dies nun Interpretation oder Notenkunde?

    Ich bin soweit, in meinen Beiträgen Rechtschraibfehler stehen zu lassen als menschlicher Protest gegen die perfekte KI-Welt.



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  • Wie ist der Triller hier auszuführen? Als kleine Terz (f-gis)? Da das gis neben (über, unter) dem Trillerzeichen nicht aufgelöst wurde, gilt es (eigentlich)... Das wäre dann nach meinen Gedanken eher ein Tremolo denn ein Triller und ich empfände dies als sehr ungewöhnlich, wenn auch Ungewöhnliches nichts Ungewöhnliches bei Schubert ist. Oder wird nur verlangt, das gis als Vorschlag zu spielen und einen gewöhnlichen Triller auf f/g anzuschließen? Und wie wäre in der Konsequenz der triolische Vorschlag (bzw. Nachschlag) zu spielen: e-f-gis oder e-f-g? Das gis ist ja (auch hier) nicht aufgelöst worden, gilt also (immer) noch... allerdings wäre dann ein e-fis-gis logischer... Durch die Singstimme darüber kann man dies leider bei diversen Aufnahmen nur relativ schlecht erhören.

    Ich finde eindeutig die Ausführung mit übermäßiger Sekund (nicht: kleiner Terz) f-gis richtig. Erstens entspricht das der Notation, denn ein Triller f-g hätte ein Auflösungszeichen und gegebenenfalls beim Nachschlag gis dann wieder ein Kreuz benötigt. Zweitens wäre der Vorschlag gis sowohl zum folgenden Triller f-g als auch zum Nachschlag mit g harmonisch schief, wofür es an dieser Stelle keinen erkennbaren Grund (z.B. im Liedtext) gibt. So hingegen verbinden sich die beiden "Triller"-Töne f und gis mit dem d und h aus der Gesangslinie zu einem verminderten Septakkord (gis-h-d-f) in E-Dur, der sich dann folgerichtig nach a-moll auflöst. Bei der Ausführung f-g ergäbe sich hingegen mit der Gesangslinie ein einfacher Dominantseptakkord in G-Dur (g-h-d-f), der nach C-Dur aufgelöst werden müsste und deshalb in der a-Moll-Umgebung keinen Sinn ergibt. Die Notation mit dem "tr" mag bei einer übermäßigen Sekund ungewöhnlich sein, ist aber dennoch logisch, weil es eben noch eine Sekund und keine Terz ist (wie z.B. am Ende des dritten Teils der Wandererfantasie, wo Schubert über die kleine Terz h-d ausdrücklich "tremolando" schreibt).

    In allen mir verfügbaren Aufnahmen spielen die Pianisten f-gis bzw. die entsprechend transponierte übermäßige Sekund (Michael Raucheisen, Gerald Moore, Benjamin Britten, Alfred Brendel, Charles Spencer, Svjatoslav Richter, Gerold Huber). Gerald Moore schreibt in seinem Buch über die Liederzyklen dazu kein Wort, vermutlich weil die Sache so klar ist.


    Ich vote für gis als Vorschlag, Triller auf f/g und Nachschlag e-f-g --> a. Das # vor dem g verstehe ich also ausschließlich auf den Vorschlag bezogen.

    Damit veränderst Du inakzeptabel das Original :).

  • Damit veränderst Du inakzeptabel das Original

    Nö. Ich tue nur das, was Du so gerne machst: interpretieren.


    Aus harmonischer Sicht würde ich Deinen Ausführungen sogar gerne zustimmen; allein mich stört das Tr.-Zeichen, das üblicher Weise bei kleinen und großen Sekunden Anwendung findet, nicht hingegen bei übermäßigen. Hier wäre dann ein ausgeschriebenes Tremolo eindeutiger gewesen. Wenn der Vorschlag g# nicht wäre, würde man f/g trillern.

    „Wir sind nie einer Meinung!“ - „Das seh' ich anders ...“

  • Aus harmonischer Sicht würde ich Deinen Ausführungen sogar gerne zustimmen; allein mich stört das Tr.-Zeichen, das üblicher Weise bei kleinen und großen Sekunden Anwendung findet, nicht hingegen bei übermäßigen. Hier wäre dann ein ausgeschriebenes Tremolo eindeutiger gewesen.

    Dazu müsste man jetzt nachsehen, ob Schubert das Triller-Zeichen auch bei anderen übermäßigen Sekunden angewandt hat. Das weiß ich aus dem Gedächtnis nicht. Außerdem ist ja immer noch nicht klar, ob im Autograph wirklich ein "Triller" oder ein "Tremolo" gemeint ist. De facto ist die Sache meines Erachtens aber wie gesagt sowieso klar.


    Wenn der Vorschlag g# nicht wäre, würde man f/g trillern.

    Dazu würde Lothar Matthäus sagen "Wäre, wäre, Fahrradkette" ;). Aber Spaß beiseite: In diesem Fall würde man ohne den Vorschlag zwar f-g trillern, aber grundsätzlich kommt die übliche Notation mit Akzidentium über dem Trillerzeichen zur Anzeige der oberen Nebennote bei Schubert nicht vor, und er überlässt es einfach dem Spieler, aus dem Zusammenhang die richtigen Töne zu erkennen. Wenn das nicht eindeutig möglich ist, dann schreibt er statt dessen Tremolo mit den beiden ausgeschriebenen Noten, so z.B. beim berühmten Bass-Triller in der B-Dur-Sonate, den er beim zweiten Mal nicht als Triller sondern als Tremolo b-ces ausschreibt (was manche Pianisten zu der falschen Schlussfolgerung führt, hier exakte 32stel statt eines Trillers zu spielen). Stünde da einfach nur ein weiterer Triller über B, dann würde man vermutlich mit B-C trillern.

  • was manche Pianisten zu der falschen Schlussfolgerung führt, hier exakte 32stel statt eines Trillers zu spielen

    Das finde ich eben gerade wegen der bewusst abweichenden Notation und der folgenden 16tel-Figur chromatisch abwärts sehr logisch (sollten wir aber dann zu D960 verschieben).

    „Wir sind nie einer Meinung!“ - „Das seh' ich anders ...“

  • Das finde ich eben gerade wegen der bewusst abweichenden Notation und der folgenden 16tel-Figur chromatisch abwärts sehr logisch (sollten wir aber dann zu D960 verschieben).

    Lohnt sich nicht: In den neuen Urtext-Ausgaben ist das kein rhythmisch gebundenes sondern ein freies Tremolo, also klanglich mit dem Triller identisch. Der Grund für die abweichende Notation ist der besagte.

  • Eine Entdeckung, die ich John Elliot Gardiners Aufnahme der 3. Sinfonie von Johannes Brahms verdanke, ist diese: Im abgedruckten Interview mit dem Dirigenten über die Brahms Sinfonie steht:



    Das bewegendste seiner Huldigungen an Schubert ist für mich das hintergründige, unwiderstehliche kleine Stück, das er für Frauenstimmen geschrieben hat: Einförmig ist der Liebe Gram. Brahms macht aus dem letzten Lied der Winterreise - dem mit dem Leiermann - einen beklemmenden sechsstimmigen Kanon, indem er Stränge von Schuberts Vokalmelodie und die rechte Hand der Klavierbegleitung über ein verziertes Ostinato (ebenfalls im Kanon) legt. Es ist sehr viel mehr als nur die geschickte Darbietung eines strengen Kontrapunktes, es ist seine besondere Art, zu einem verehrten Vorgänger und einer weiter entfernten, jedoch noch lebendigen musikalischen Vergangenheit Verbindungen zu knüpfen.


    für Frauenchor A cappella: Einförmig ist der Liebe Gram Op. 113, Nr. 13:


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