Entdeckungsreise ins Mittelalter

  • Guten Abend, Forenianer/Nutzer,


    Ich habe vor kurzem eine Prüfung in der Vorlesung "Geschichte des Mittelalters" abgelegt.
    Nun bin ich auf der Suche nach einem Einstieg in die Musik der Zeit,, weis aber nicht so recht wo ich da anfangen soll?!
    Ich war heute deswegen in der Bibliothek -> und habe da verschiedenste CDs dazu gefunden, mit angeblich mittelalterlicher Musik. Da ich mich nicht auskenne, habe ich mich danach wieder in die bekannten Gefilde des Mozartregals zurück gezogen ;)
    Meine Frage wäre nun ob jemand hier im Forum, der sich damit auskennt, vielleicht die Güte besäße mir ein paar Vorschläge für Hörproben für die Musik des Mittelalter bis zur Renaissance zu nennen? :hail:


    Lg. euer Teilzeituser/Forenjüngling Traubi ;)

    Die gute Zeit fällt nicht vom Himmel, sondern wir schaffen sie selbst; sie liegt in unserem Herzen eingeschlossen

    .

  • Hallo Traubi,


    vielleicht kann dir ja ein Werk des 20. Jahrhunderts einen Einstieg in die dir noch unbekannte Welt der mittelalterlichen Musik erleichtern: du kennst doch bestimmt die "Carmina burana" von Orff, oder? Orff hat diese mittelalterlichen Texte zwar neu vertont, aber durchaus archaisch und an mittelalterliche Musik (u.a. den gregorianischen Choral) angelehnt. Inzwischen fand man auch einige der orginalen Melodien zu den Texten in Form von Neumen - so kam es vor, dass bei einigen Aufführungen vor dem Orff-Werk diese original mittelalterlichen Kompositionen oder andere mittelalterliche Musik erklangen. (So bin ich zum ersten Mal live mit mittelalterlicher Musik in Berührung gekommen). Es gibt natürlich neben den geistlichen Chorälen auch weltliche Musik, Minnelieder etc.


    Vielleicht kann dir diese 3er-Box mittelalterlicher Musik einen Einstieg geben, wenn du nicht den Umweg über Orff nehmen willst:



    So richtig spannend wird es dann aber eigentlich erst am Ausgang des Mittelalters und dem Aufkommen der Renaissance. Hier beginnt dann erst die eigentliche Entwicklung der mehrstimmigen Musik, sprich: ab da wird es dann richtig spannend! :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Es gibt hier schon mehrere Threads mit vielen Empfehlungen. Inzwischen ist diese Musik sehr gut auf CD dokumentiert, so dass es gar nicht so leicht ist, einen schnellen Überblick zu erhalten.
    So kann man nicht nur die etablierten und bis heute verwendeten "Gregorianischen Gesänge" erhalten, sondern, soweit rekonstruierbar, die ganze Breite unterschiedlicher einstimmiger "Prä-Gregorianik". Sofern man da nicht zum Spezialist werden will, reicht sicher überall eine Auswahl.
    Die erste Mehrstimmigkeit findet sich in den sog. "organa" der Notre-Dame-Schule, als erste Komponistennamen sind Perotin(us) und Leonin(us) überliefert. Auch weltliche Musik der Troubadure und Minnesänger gibt es schon aus dem 12. Jhd. Spätestens ab dem 14. Jhd. ("ars nova") gibt es raffinierte und komplexe mehrstimmige Musik, sowohl geistlich wie auch weltlich. Der berühmteste Komponist des 14. Jhds. war Guillaume du Machaut.


    Hier zwei alte Threads


    Musik des Mittelalters - nur für Historiker ?
    Musik des Mittelalters



    Eine der besten Sammlungen ist eine von harmonia mundi, die erweitert neu aufgelegt wurde (die neue rote Box ist allerdings vergriffen). Du kannst Dir aber jedenfalls die Info bei jpc ansehen und dann schauen, ob Du in einer Bibliothek oder bei youtube ähnliche Stücke der Komponisten bzw. Schulen findest. Oft sind die Komponisten nicht zuverlässig überliefert, daher wird etliche Musik nach den entsprechenden Sammlungen referenziert, zB "Codex Chantilly" oder eben auch die Carmina burana (wobei hier hauptsächlich eine Textsammlung überliefert ist)


    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Danke erst einmal für eure Antworten.
    Die CD-Vorschläge habe ich mir mal im Internet rausgesucht, einen der CD-Vorschläge konnte ich sogar in der Bücherei Wien vorbestellen :jubel:
    Auch die Threads sind sehr nützlich, dankeschön.



    vielleicht kann dir ja ein Werk des 20. Jahrhunderts einen Einstieg in die dir noch unbekannte Welt der mittelalterlichen Musik erleichtern: du kennst doch bestimmt die "Carmina burana" von Orff, oder?

    Die kenne ich natürlich, hatten die mal in der Oberstufe im Musikunterricht. ;)

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  • Auch hier möchte ich mal meinen Senf in Form einer Empfehlung hinsichtlich von CDs geben: Ich empfinde die Produktionen des Labels Naxos in vielen musikalischen Stilrichtungen durchaus als lobens- und vor allen Dingen preiswert. Wobei ich in diesem Fall natürlich an käuflichen Erwerb dachte, Du ja wohl eher Tipps zur Ausleihe meintest. Ich bin seinerzeit auch mit Naxos bei der Musik des späten Mittelalters angefangen. Nur die Magister Perotinus und Leoninus sind bei mir von anderen Labels vertreten.


    Das Medienhaus (vulgo Stadtbibliothek) meiner zweiten Heimatstadt ist in den letzten Jahren die Klassik betreffend (CDs, DVDs, vor allem aber Notenmaterial) gewaltig zusammengestutzt worden, aber gerade das Label Naxos scheint den Verantwortlichen hier der Anschaffungen Wert zu sein.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

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  • Das Medienhaus (vulgo Stadtbibliothek) meiner zweiten Heimatstadt ist in den letzten Jahren die Klassik betreffend (CDs, DVDs, vor allem aber Notenmaterial) gewaltig zusammengestutzt worden


    Womit wir quasi schon wieder bei der anderen neuen Traubi-Rubrik wären...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Besorg dir dies mal



    Andreas Scholl ist natürlich immer eine Empfehlung wert, von den Lebensdaten her (um 1400) würde ich Oswald von Wolkenstein allerdings fast schon eher der Renaissance als dem Mittelalter zurechnen wollen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Eine akustische Reise ins Mittelalter ist immer langwierig, schwierig, hypothetisch und kostspielig.


    Langwierig, weil ja viel Länder Musik hinterlassen haben, sehr oft von anonymen Autoren, die man kaum systematisch ordnen kann. Es befindet sich hier sehr viel geistliche Musik, weil es zumeist die einzige ist, die aufgeschrieben wurde. Weiters sind die Übergänge zur Renaissancemusik fliessend, ein willkommener Anlass immer wieder Renaissancewerke auf "Mittelalter" CD einzuschmugglen. Das hat vor allem 2 Gründe: zum einen ist Renaissancemusik besser dokumentiert, zum anderen ist sie für unsere Ohren meist weniger gewöhnungsbedürftig.


    Schwierig und hypothetisch. Da andere Notensysteme als in späteren Zeitaltern verwendet wurdem bzw sie oft anders zu deuten waren, klingt ein und dasselbe Werk - von verschiedenen Ensembles dargeboten oft recht unterschiedlich.


    Kostspielig, wegen der enormene Vielfalt. Wer 5 oder 6 CDs mit mittelalterlicher Musik gehört hat, der ist erst am Anfang....
    Auch ich bin der Meinung, daß Naxos CDs hier ein guter und preiswerter Einstieg sind


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Von Naxos habe ich u.a. zwei CDs mit dem Ensemble "Tonus Peregrinus" mit Leonin/Perotin und Dunstable. Renaissancemusik gibt es ziemlich viel, u.a. mit der Oxford Camerata.


    Bei harmonia mundi ist allerdings auch einiges in den preiswerten Reihen wie "musique d'abord" zu Naxos-ähnlichen Preisen erhältlich. Die oben gezeigte Box mit dem Bild aus dem Berry-Stundenbuch is gebraucht für ca. 15-20 EUR zu haben, die 6 CDs enthalten. Die Sammlung enthält natürlich als Eigenwerbung die Verweise auf die "spezialisierten" CDs, von denen die gesammelten Stücke stammen.



    "Vorgregorianik"
    Gregorianik
    Frühe Polyphonie (Notre Dame usw.)
    weltliche Musik (Troubadoure etc.)
    Ars Nova
    Spätes MA/frühe Renaissance


    Das ist für mich persönlich zB an einstimmigen vorgregorianischen und gregorianischen Gesängen längst genug :untertauch: .
    Für die Notre-Dame-Schule und die folgende "Musik der Gotik" habe ich noch die gleichnamige folgende Sammlung, die momentan spottbillig (gebraucht ab <1 EUR) ist (es gibt auch eine gleichnamige Einzel-CD ohne Texte, aber die Doppel-CD hat sehr ausführliche Begleittexte). Diese Aufnahmen waren vor 40 Jahren Pionierleistungen und sind auch immer noch sehr hörenswert.



    Die frühe weltliche Musik (Troubadoure, Minnesänger usw.) interessiert mich nicht so sehr (zumal altfranzösisch für mich Kauderwelsch ist :untertauch: ), da habe ich noch eine etwas schräge Naxos-CD, evtl. noch einen Sampler. Was mir zB noch fehlt, ist eine Auswahl der Lieder (Cantigas de Santa Maria), die der spanische König Alfonso X. "el Sabio" beauftragt oder gesammelt hat (Mitte 13. Jhd.).


    Nur einen kleinen Eindruck von der sehr reichhaltigen Ars Nova u. "ars subtilior" ab dem 14. Jhd. geben die letzten CDs in der obigen Sammlung. Aber ab dieser Epoche gibt es relativ viele Aufnahmen, etwa die Messe de Nostre Dame, vieles andere von Machaut, die Tournai-Messe, Codex Chantilly usw. Da wird man mit den entsprechenden Stichworten fündig.



    https://de.wikipedia.org/wiki/Baude_Cordier

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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