Welche DREI Gesamtaufnahmen der BEETHOVEN-Symphonien würdet Ihr auswählen, wenn nur DREI Euch für den Rest Eures Lebens begleiten dürfen?

  • Bertarido hat diesen Thread vorgeschlagen - aber nicht selbst eröffnet - der im Orignal so hätte lauten sollen:


    Zitat

    Welche beiden Gesamtaufnahmen der Beethoven-Symphonien würdet Ihr auswählen, wenn nur zwei Euch für den Rest Eures Lebens begleiten dürfen?


    Um die Suizid-Rate bei den Forianer zu senken, habe ich das Thema in meiner unendlichen Güte und Milde folgendermaßen abgeändert:


    Welche DREI Gesamtaufnahmen der Beethoven-Symphonien würdet Ihr auswählen, wenn nur DREI Euch für den Rest Eures Lebens begleiten dürfen?


    Ich finde, das ist immer noch schwer genug.
    Damit es nicht nur eine gewöhnliche Aufzählung wird, soll jeder Mitspieler eine kurze (oder auf wunsch auch längere) Begründung für seine Wahl angeben - und zwar - der Übersichtlichkeit halber - möglichst in der Form:


    AUFNAHME 1
    Begründung (eventuell auch mehrzeilig)
    AUFNAHME 2
    Begründung (eventuell auch mehrzeilig)
    AUFNAHME 3
    Begründung (eventuell auch mehrzeilig)


    Ich meine, das könnte ganz interessant werden.
    Mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,


    vielen Dank, dass Du meine Anregung aufgegriffen hast, diesen Thread zu eröffnen (was ich natürlich auch selbst hätte tun können und sollen). Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse. Dass ich nur zwei Gesamtaufnahmen zulassen wollte, hatte den einfachen Grund, dass mir selbst bislang nur zwei einfallen. Ich werde daher den dritten Platz unbesetzt lassen. In der nächsten Zeit stehen einige weitere Gesamtaufnahmen auf meiner Playlist, und ich hoffe, auch in diesem Thread Anregungen zu gewinnen. Vielleicht habe ich dann "meinen" dritten Zyklus bald gefunden.


    1. Leonard Bernstein, Wiener Philharmoniker, 1977-1979
    Dass ich ein großer Verehrer von Leonard Bernstein bin, ist kein Geheimnis. Sein subjektivistischer, hoch-emotionaler Zugang zur Musik, der eine Aufführung als Nach-Schöpfung eines Werkes begreift, ist mir sehr nahe, und ich finde, dass er neben Mahler und Brahms bei Beethoven zu den glücklichsten Ergebnissen geführt hat. Bernsteins Beethoven-Interpretationen mit den Wienern finde ich durchweg gelungen, insbesondere die Symphonien 3, 5, 7 und die alles überstrahlende 9., die ich nie so bewegend gehört habe wie hier. Die Live-Aufnahme hat den Vorteil, sowohl auf CD als auch auf Video verfügbar zu sein. Normalerweise mache ich mir nichts daraus. Dirigenten beim Dirigieren zuzusehen, aber bei Bernstein ist auch das lohnend.



    2. Paavo Järvi, Deutsche Kammerphilharmonie, Bremen, 2006-2009
    Eine moderne, von allem romantischen Bombast entschlackte Lesart der Beethovenschen Symphonien. In der Summe frisch, dramatisch, aufregend und fesselnd. Nie klang Beethoven so unverbraucht wie hier. Die exzellente Klangqualität der Multi-Kanal-SACDs trägt das ihrige zum Hörgenuss bei.




    3. ???

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Da der Thread explizit nur Gesamtaufnahmen, d. h. alle neun Symphonien unter einem Dirigenten erlaubt, fallen für mich so interessante und unverzichtbare Interpreten wie Stokowski (2-9), Knappertsbusch (1-3, 5, 7, 8), Martinon (3, 5, 7, 9) oder Horenstein (1, 3, 5-9) unter den Tisch. Diese also nicht zu nominieren, liegt schlichtweg an den Spielregeln.


    Dann gibt es etliche Beispiele, die zwar Studiozyklen vorgelegt haben, wo ich aber dann doch eher zu anderweitigen Live-Aufnahmen tendiere. Hier zu nennen sind u. a. Klemperer, Karajan oder Wand.


    Es bleiben also nur Gesamtaufnahmen übrig, die mich irgendwie von der Ersten bis zur Neunten komplett überzeugen, und das sind nun doch eher wenige. Trotzdem will ich den wahnwitzigen Versuch starten, diese auf drei zu reduzieren und hier zu benennen. Die Reihenfolge ist chronologisch.



    1. Wilhelm Furtwängler, Wiener Philharmoniker (1-7), Stockholmer Philharmoniker (8), Orchester der Bayreuther Festspiele (9) (1948-1954)


    Da mag ein Beckmesser jetzt monieren, dass das ja gar keine "echte" Gesamtaufnahme sei. EMI sah das jedenfalls anders. Freilich ist die Auswahl hier etwas willkürlich. Mittlerweile könnte man einen kompletten Zyklus der Wiener Philharmoniker basteln, bei Erscheinen der Box galt dies noch nicht für die 8. und 9. Symphonie. Egal. Auch wenn meine Auswahl im Detail eine andere wäre, das ist ein Beethoven, den man einfach gehört haben muss. Sehr eigenwillig, aber im Ergebnis immer schlüssig. Ein Tor ins späte 19. Jahrhundert.



    2. Carlo Maria Giulini, La Scala Philharmonic Orchestra (1-8) & Berliner Philharmoniker (9) (1989-1993)


    Auch hier könnte man pedantisch sagen, dass dies kein "echter" Zyklus sei. Giulini nahm die Neunte in Mailand nicht mehr auf, aber kurz davor eben in Berlin. Solche Kleinigkeiten fallen nicht ins Gewicht hinsichtlich des Ergebnisses. Ein schön klangsatter und bassstarker, im besten Sinne "altmodischer" Zugriff auf Beethoven. Die Tempi sind zuweilen sehr breit, für heutige Hörer vielleicht ungewohnt. Trotzdem (oder gerade deswegen) für mich mit die überzeugendste Gesamtaufnahme.



    3. Frans Brüggen, Orchestra of the Eighteenth Century (2011)


    Die dritte Nennung fällt angesichts der beiden anderen aus der Reihe. Es handelt sich um eine Gesamtaufnahme auf historischen Instrumenten. Für mich jedenfalls die bislang überzeugendste in HIP, da dem alten Brüggen hier die Symbiose, ja Versöhnung zwischen traditionellem Beethoven-Bild und historisch informierter Aufführungspraxis überzeugend gelingt. Hier gibt es keine HIP-typischen Mätzchen, keine Jagd nach akurater Einhaltung der Metronomzahlen. Eine echte Offenbarung. Für mich vielleicht der bisher beste Beethoven des 21. Jahrhunderts.


    Dass ich nun so gute Gesamtaufnahmen wie Bernstein, Ormandy, Szell, Toscanini, Monteux, Krips, Solti, Järvi, Immerseel, Hogwood usw. nicht nennen konnte, schmerzt zwar, aber so sind eben die Spielregeln.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Wenn ich je 3 Aufnahmen jeder Beethovensinfonie (oder sogar 27 insgesamt, beliebig verteilt) haben könnte, würde ich ganz sicher keine 3 GA nehmen.
    Das Problem ist hier tatsächlich, dass ich, obwohl ich ca. 10 GA im Regal habe, kaum eine GA in Gänze wirklich gut kenne :untertauch: da ich sicher viel mehr Beethovensinfonien gehört habe, als ich nur wenige Einspielungen der Werke hatte und die in den letzten 10-15 Jahren gekauften GA oft nur stichprobenartig oder jedenfalls selten wiederholt gehört wurden.
    Und etliche Einzelnaufnahmen oder Beinahe-GA, ebenfalls vor der Zeit der billigen GA-Boxen gekauft, kenne ich zwar gut, es fehlen dann aber einige Einspielungen. z.B. wäre Bernsteins Aufnahme der Eroica (NYPO, Sony) vermutlich in meinen Top 3, die 2.,4. und 7. aus der New Yorker GA schätze ich auch sehr hoch, aber die 1., 9. oder 6. kenne ich gar nicht (von denen habe ich die Wiener Mitschnitte) und die 5. gefällt mir nicht besonders.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich käme unter den Vorgaben vermutlich sogar mit zwei GA aus, einer eher romantisch geprägten und einer eher strengeren, die Tempoangaben von Beethoven berücksichtigenden. Und das wären wohl diese beiden:


  • Als ich diese Aufnahme - etwa 5 Jahre nach ihrem Erscheinen erstmals hörte, da war sie mir zu "sportlich" - zu "modern" - ich nannte sie damals "Beethoven in Turnschuhen" Inzwischen ist sie zu einer Ikone geworden, zu einem Standbild des eleganten Klanges - zur Referenz. Ich zitiere hier Pressestimmen, weil sie in etwa das aussagen, was ich persönlich empfinde. Hier gibt es keine Brüche, und generell nichts was das Ohr des Höreres beleidigen könnte, sondern Schönklang pur. Auch wenn die Dynamik an die Grenzen geht, so geht dies nie auf Kosten des musikalischen Gesamtbildes. Dieses hat Priorität gegenüber "dramatischen Spannungen" Karajan quasi als Sonne am Beethovenschen Sternenhimmel.


    Rund zehn Jahre später nahm Karl Böhm den Zyklus mit den Wiener Philharmonikern auf - Quasi ein Gegenstück zur Karajan Aufnahme. Der Klang ist noch eine Spur runder und fülliger, die Tempi ausgewogen. Da Böhm mein erklärter Lieblingsdirigent ist - und die Wiener Philharmoniker nicht nur mein "Hausorchester" - sondern eines der besten Orchester der Welt - konnte ich gar keine andere Wahl treffen. Persönlich ziehe ich diese Aufnahme sogar jener unter Karajan vor.


    Der dritte im Bunde war eine schwere Wahl - einige Kandidaten wären in Frage gekommen.
    Klemperer machte das Rennen deshalb, weil er mit seiner wie in Stein gemeisselten Interpretation einen optimalen Kontrast zu den beiden Erstgenannten darstellt. Er trifft das Klische des "Giganten" vermutlich am Besten, wenn man von dern historischen Aufnahmen Furtwänglers absieht....

    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • ...jetzt lese ich hier zum vierten Mal herein- jedes Lesen bringt mich näher an den Suizid.
    Den zu umgehen ich versuche, meine drei Favoriten zu nennen.


    Zunächst Scherchen in Lugano '65.
    Schönklang gibt es dort nicht, keinen "Wohlfühl-Beethoven".
    Eher den Versuch, dem nahezukommen, was Beethoven notiert hat, was mit den damaligen Mitteln nur schwerlich möglich war.
    Aber das ist es ja gerade!
    Wild, ungehobelt ... aber auch erstaunlich zart ... was nicht kultiviert werden muss, weil sich alles ganz von selbst entwickelt.
    Auch ich bin nicht einverstanden mit all den Patzern und Intonationsschwierigkeiten - und doch: nirgends sonst höre ich diese Spannung, Anspannung und eben auch Erlösung wie hier.
    Vielleicht ist Beethovens Musik ja derart wild und lotet Extreme aus?


    Klemperer 1960 in Wien: nee, nicht mit den Wienern, sondern mit seinem Orchester.
    So "felsartig" wie im Studio ist er gar nicht, sondern erstaunlich geschmeidig. Natürlich nicht, seinen Charakter zu verleugnen; NICHT schöne Musik zu machen, sondern ehrliche.


    Und Frans Brüggen. Wieder nicht der Zyklus bei Philips, aber auch nicht der späte bei Glossa, sondern der von 1996 aus Paris. Da scheint Brüggen verbinden zu können zwischen Scherchen und Klemperer ... sogar Böhm.
    Schön darf es sein, aber nicht zum Selbstzweck. Agressiv darf es sein, aber nicht um seiner selbst willen.


    So. Nun habe ich die drei meiner liebsten Aufnahmen genannt - und keine davon kann man kaufen. Oder nur mit erheblichen finanziellem Aufwand. Wahrscheinlich ist Mord das höhere Risiko denn Suizid.... grins.


    Herzliche Grüße,
    Mke


  • Ja. Der EMI-Zyklus entstand Ende der 80er/Anfang der 90er und wurde ursprünglich für Intercord produziert (zumindest teilweise, aber da bin ich mir nicht ganz sicher). Die Hänssler Einspielungen wurden zwischen 1997 und 2000 aufgenommen.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • An den Scherchen-Live-Zyklus dachte ich auch einen Moment lang, lieber Mike. Die Faszination erfasst da auch mich, während mich seine oft gerühmten Studioeinspielungen von Beethoven eher kalt lassen. Live ist live, noch dazu in sehr ordentlichem Stereo. Der Finalsatz der Siebten ist Wahnsinn, schneller geht kaum.


    Gruß
    Joseph

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • - Berliner Philharmoniker, Claudio Abbado


    - Wiener Philharmoniker, Simon Rattle


    - Wiener Philharmoniker, Christian Thielemann


    (und die 4., 5., 6. und 7. unter Carlos Kleiber, aber da gibt es leider keine Gesamtaufnahme)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Joseph,


    ich sah mich schon genötigt, mich zu entschuldigen, Aufnahmen zu nennen, die eigentlich nicht zu haben sind.
    Den Scherchen-Zyklus aus Lugano kann man auf dem japanischen Markt wohl noch erwerben - wobei die Brieftasche ganz erheblich schrumpfen wird; und zwar in ähnlich rasantem Tempo wie die Lesart des Dirigenten. Und wohl auch des Komponisten.


    Faszinierend allenthalben, wie Scherchen seine Sicht erweitert hat innerhalb von zehn Jahren zwischen den Studioaufnahmen und den Aufführungen in Lugano.
    Die ja auch kein Zyklus sind, sondern jeweils gekoppelt waren mit zeitgenössischer Musik wie Xenakis oder Dallapiccola.
    Scherchen stellt "neue Musik" vor, die auch schonmal älter sein darf. Ein grandioses Konzept, das Hörfaulheiten wegwischen wollte.


    Nur allzuviele jüngere Aufnahmen bedienen diese Faulheiten und sind deshalb auf dem Plattenmarkt verfügbar.


    Herzliche Grüße,
    Mike

  • Meine Favoriten sind:


    Toscanini, NBC Orch.


    Leibowitz, Royal Philharmonic Orchestra


    Zinman, Tonhalle Orchester


    (Alle 3 bewegen sich innerhalb der Partitur des Komponisten)


    :hello: Herbert

    Tutto nel mondo è burla.

  • Meine erste Wahl gilt mittlerweile ganz klar Christian Thielemann:



    Dieser Dirigent ignoriert keineswegs die letzten Jahrzehnte der sogenannten historisch informierten Aufführungspraxis, aber er unterwirft sich hierbei nicht "Das darfst du nicht "-Zwängen, sondern gibt immer der Musik, der Förderung des verstehenden und emotional nachvollziehenden Hörens, und dem künstlerischen Ausdruck den Vorzug vor irgendeiner Dogmatik.


    Einen Komponisten könnte man mit einer Blume und die Hörer mit Insekten in einem Punkt vergleichen. Die Blume benutzt oft die äußeren Schönheiten und die reizvollen Düfte, um das Insekt zum Kern der Blüte zu locken. Der Komponist benutzt die Schönheiten von Melodie, Harmonie und Rhythmus, um den Hörer anzulocken und zu erst einmal engagieren oder "einzufangen". Dort soll er jedoch nicht stehenbleiben, sondern zum Kern der künstlerischen Aussage durchdringen.
    Die Aufgabe des Interpreten ist es, diesen Vorgang durch seine immer notwendigen Interpretationen zu unterstützen. Thielemann gelingt das ganz außerordentlich.
    Er benutzt den edlen und -unter ihm jedenfalls- dunklen Klang der Wiener Philharmoniker, um den Hörer durch Wohlklang und Schönheit zunächst anzulocken.
    Dann macht er dem Hörer die Musik verständlich, da die innere Sättigung der musikhungrigen Seele ja dadurch erreicht wird, dass sowohl die Gefühle als auch der Verstand angesprochen wird. Thielemann nutzt also hinsichtlich Artikulation und Phrasierung durchaus die Erkenntnisse, die man darüber in den letzten Jahrzehnten gewann. Allerdings ist er nicht nur historisch informiert, sondern auch interpretationshistorisch informiert. Er kennt auch die Aufführungen der großen Alten wie Kna und vor allem Fu. Wichtige Aspekte dieser mittlerweile schon wieder historischen Interpretationen waren unter anderem die Aspekte Wucht und agogische Flexibilität. "Dort, wie sie recht hatten, haben sie recht" wird sich ein Thielemann aus rein musikalischen Gründen gesagt haben. So läßt er auch diese Dinge einfließen und übersetzt (interpretiert) diese Partituren auf eine - wie ich finde- hochmusikalische, hochreflektierte und hochsensible Art und Weise, woraus sich eine moderne zukunftsweisende Interpretation ergibt. Niemand vor ihm hat übrigens die Scherzi so mitreißend hinbekommen, finde ich.
    Positiv muss auch erwähnt werden, dass diese Aufnahmen in der Blue-ray-Fassung sowohl in Stereo als auch in 5.1. Surround eine für mich bis dato unerreichte technische Klangqualität haben, was für mich schon sehr wichtig ist.


    Natürlich muss der andere Zyklus bei mir derjenige von Herbert von Karajan sein, für mich eindeutig der dritte digitale Zyklus, der einfach noch perfekter, kraftvoller, strahlender und großorchestraler klingt, als die Vorgänger (Peter Schreier als Tenor wird natürlich sehr vermißt, aber man kann ja nicht immer alles haben....)




    Karajans Klangbild ist - im Gegensatz zu Thielemann - durch Helligkeit, Breite, Größe und brilliante Strahlkraft gekennzeichnet, was bei entsprechenden Stellen wie dem letzten Satz der 5. Symphonie, aber auch bei der Eroica oder der Neunten sehr effektiv wirken kann.


    Sein Ansatz zeichnet sich durch einen großen Bogen, große Zusammenhänge und an den richtigen Stellen auch viel schlüssige Dramatik aus.
    Besonders gut finde ich die 3, 5, 7 (nicht so sehr den 2. Satz, dafür aber die anderen sehr, die ich bei ihm eigentlich als am schwungvollsten überhaupt erlebe) und die 9. Die erste und zweite finde ich bei ihm nicht so zwingend, auch nicht die 8., aber wenn es von ihm eine Symphonie gibt, die es bei mir im Player nicht lange aushält, dann ist es die Pastorale. Sie kommt m.E. seinem Grundansatz und seinem Naturell nicht sehr entgegen, was sich genau entgegengesetzt zur Veranlagung Thielemanns darstellt, der für die Pastorale m.E. eine echte Referenz gelungen ist. Vor ihm haben das m.E. noch Furtwängler, Giulini, Abbado mit den Wienern und Wand ebenfalls sehr gut hinbekommen. Am schönsten klingt mir die 6. aber in dieser Wiener Aufführung mit Christian Thielemann.


    Doch welche Gesamteinspielung soll denn noch als Dritte genannt werden?
    Rattle mit den Wienern (die finde ich übrigens auch sehr gut, je länger ich hörend darüber nachdenke)? Harnoncourt mit COE mit seinem ihm eigenen Stil und Ansatz? Wand als soliden Vertreter eines aufnahmetechnisch aktualisierten Klassizismus? Brüggen als bester Dirigent für die Einspielungen mit Darmsaiten und alten Instrumenten (ich meine, das ist so) ?


    Da kann ich mich nicht wirklich entscheiden. Am liebsten wäre mir hier - ehrlich gesagt - die bevorstehende Rattle-Neueinspielung (es wird wohl aus Live-Konzerten zusammengestellt werden) mit den Berliner Philharmonikern, wahrscheinlich im Eigenvertrieb durch deren Label. Ich hoffe und bin in diesem Fall sogar zuversichtlich, dass diese Symphonien auf Blue-ray und (SA)CD herauskommen werden. Zwar kenne ich hiervon nur immer Ausschnitte über Youtube, die allerdings gefielen mir ausnahmslos sehr gut. Übrigens mag ich auch die Fünfte mit Harnoncourt lieber in der neueren Version mit den Berliner Philharmonikern, aber da wir hier ja nicht von einer Gesamteinspielung reden können, kann das für meine Auswahl der 3. Lieblingszyklen keine Rolle spielen.
    Ich gebe gerne zu, dass für Nennung meiner 3. Gesamteinspielung eine ganze Menge Hoffnung und Vorschusslorbeeren mitschwingen. Da meine Hörerfahrung mir aber sagt, dass der ohnehin schon immer zu Spitzengruppe zählende Rattle in den letzten Jahrzehnten sehr gereift ist, traue ich ihm eine Referenzeinspielung zu, die einerseits nicht alles anders machen will, um sich selbst zu rechtfertigen, aber sich einfach durch hohe Qualität, Reife und Klangschönheit auszeichnen wird.


    So wie die Lage jetzt ist, wäre für mich übrigens die Thielemann-Gesamteinspielung diejenige, die ich behielte, wenn ich nur eine Aufnahme der Symphonien behalten dürfte.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Übrigens mag ich auch die Fünfte mit Harnoncourt lieber in der neueren Version mit den Berliner Philharmonikern [...].


    Oh ja, die Aufnahme hörte ich neulich in der Digital Concert Hall. Das ist für mich wohl sogar Harnoncourts überzeugendste Beethoven-Aufnahme überhaupt. Welche Töne er dem Orchester entlockt, das hier so gänzlich anders klingt. Wenn die Pauken in den letzten Takten des Werkes noch einmal regelrecht aufheulen, das ist schon einmalig. Und dann noch mit über 80 stehend dirigiert. Schade, dass seine Auftritte in Berlin sehr rar geworden sind. Und einen neuen Zyklus brauchen wir uns von ihm, bei aller Euphorie, auch nicht mehr erhoffen.


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • ...das stimmt lieber Joseph II. Ich denke da an eine Missa Solemnis, die ich vor einigen Wochen (oder Monaten) auf einem ZDF-Kulturkanal sah. Harnoncourt machte beim Dirigieren nur noch sehr vorsichtige und langsame Bewegungen und brauchte sehr lange, um aus dem Nebenraum zum Orchester zu gelangen.
    Dieses typische, elektrisierende Hineinpowern von Akzenten usw. , das geht nicht mehr. Ich war durchaus etwas betroffen ob der offensichtlich dem Alter geschuldeten Schwäche, obwohl sich das ja für mich schon bei der Annahme jenes Klassikpreises andeutete.


    Es erinnert einen ein bisschen an den sehr späten Brüggen, der auch nur noch mit sparsamen Handbewegungen vor dem Orchester saß.
    Beide Dirigenten wirken so ein bisschen wie alte Päpste, die nicht zu viel mehr als zu knappen und ruhigen segnenden Handbewegungen fähig sind.
    In beiden Fällen tat das übrigens dem musikalischen Ergebnis keinen Abbruch. Im Gegenteil: Bei einigen Stellen der Missa (da, wo die Solovioline viel zu tun bekommt) erlebte ich bei dieser TV-Aufzeichnung nach, was für eine überirdische, seltene Atmosphäre dort herrschte. Da kam dann die Eigenheit der Musik mit der speziellen Situation eines Dirigenten in seiner Spätphase zusammen. Man spürte, dass sich alle der Kostbarkeit dieser Momente bewusst waren. Da gab es kein Wollen mehr, keinen Kampf, keinen Überzeugungswillen. Ich werde das nicht vergessen.


    Von daher kann ich mir also auch nicht vorstellen, dass es noch eine neue Beethoven -Gesamtaufnahme geben wird.
    Der Blick auf den Terminkalender auf harnoncourt.info zeigt aber auch, dass der Dirigent sich durchaus noch so Einiges vorgenommen hat, hauptsächlich in Wien.
    Meinem Eindruck nach ist es diese Arbeit, die den Körper des Musikers immer noch am Leben erhält - sein Geist ist ja hellwach, wie eh und je.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Ich sehe gerade, lieber Glockenton, dass Harnoncourt derzeit doch im Begriff ist, seinen (wohl letzten) Beethoven-Zyklus mit dem Concentus Musicus Wien zu machen. Es fehlen nur mehr die letzten drei Symphonien, die in der gerade angelaufenen Spielzeit 2015/16 im Wiener Musikverein zur Aufführung gelangen. Da der ORF mitschneidet, ist womöglich sogar eine Veröffentlichung geplant, wie bei den späten Mozart-Symphonien. Wäre ja wunderbar.


    Beste Grüße
    Joseph

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hört man in die Proben hinein, Scherchen welch ein Antreiber. Das häufigste Wort: Tempo!
    Die Musiker aus Lugano kommen gehörig ins Schwitzen.


    Ich kenne nicht alle Sinfonien dirigiert von Scherchen. Das, was ich bisher hörte, entspricht meinem Beethoven Bild schon ziemlich.
    Die Luft muss brennen.


    So wie bei Scherchens Eroica (Wien 1953) oder Furtwänglers Neunter (1942) oder Kleibers Siebter (mit den Bayern in Japan).


    Bei den kleinen sind Norrington oder Antonini erste Wahl, aber auch Immerseel (sind ja nur drei zulässig)
    bei den großen 3, 5, 7 und 9 denke ich an Gardiner (zweite Aufnahme, live aus NY), Scherchen ...lasse ich offen, weil ich nicht drei überschreiten soll.


    Fazit: ich würde gar nicht auf die Insel fahren, weil ich mich nicht begrenzen könnte :untertauch:


  • Künstler: Inge Borkh, Ruth Siewert, Richard Lewis, Royal Philharmonic Orchestra, Rene Leibowitz
    Label: Scrib, ADD, 1961/1962


    Spiegel vom 25. 11. 85: »Radikaler als Leibowitz, der bei Webern und Ravel studierte und seinerseits Boulez und Henze unterrichtete, dürfte wohl noch kein Dirigent die Schönfärbereien gängiger Beethoven-Feiern entlarvt haben. ..Alle thematischen Strukturen werden rigoros trockengelegt, die rhythmischen eisern durchgehalten. So erlebt Beethoven sein längst fälliges Comeback als Avantgardist.«



    Künstler: Sinead Mulhern, Carolin Masur, Dominik Wortig, Konstantin Wolff, La Chambre Philharmonique, Emanuel Krivine
    Label: Naive, DDD, 2009/2010


    Stereoplay 11 / 11: "Krivine wollte die ursprüngliche Brisanz und erregte Aufbruchstimmung von Beethovens,, Neungestirn" zum Klingen bringen - das ist ihm hier über weite Strecken vortrefflich gelungen."



    Künstler: Swedish Chamber Orchestra, Thomas Dausgaard
    Label: Simax, DDD, 2000-2009


    W. Pfister in FonoForum 7 / 02: "Wenn überhaupt Beethovens Sinfonien in kammerorchestraler Besetzung, dann nur so wie hier. Den Sprengstoff, der einst in dieser Musik lag, man scheint ihn in dieser impulsiv-feurigen, jugendlich- elastischen Interpretation noch heute hautnah zu spüren."


    :hello: LT

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Das ist für mich wohl sogar Harnoncourts überzeugendste Beethoven-Aufnahme überhaupt.



    Da halte ich mit dieser Aufführung dagegen! Schlicht und einfach großartig (auf einer der DVDs findet sich auch ein längerer und sehr interessanter Probenausschnitt).

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Ich hätte wirklich sehr gerne die C-Dur-Messe mit Harnoncourt, weil von diesem "schwierigen" Werk kaum gute Einspielungen vorliegen; die überzeugendste der paar, die ich gehört habe, ist vermutlich Giulinis (EMI). Aber ich bin nicht bereit, EUR 30 für 2 DVDs, die ich letztlich dann eher doch nicht gucke (weil ich Musik normalerweise höre, nicht sehe) dafür auszugeben. Gäbe es die auf einer CD für EU 15 hätte ich sie vermutlich schon gekauft, aber so... :no:

    Struck by the sounds before the sun,
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  • AUFNAHME 1


    Eine "normale", schöne Aufnahme ohne Extravaganzen. Zum Kennenlernen des Sinfonien-Zyklus bestens geeignet, aber auch ein Hörgenuss für den erfahrenen Beethoven-Hörer.



    AUFNAHME 2


    Zusammen mit der "Erläuterungs-CD" Norringtons ein genial gespielter Zyklus, dessen rhythmische Raffinessen beeindrucken. Diese Konzertmitschnitte mit den SWR RSO sind beeindruckende Tondokumente.



    AUFNAHME 3


    Trotz der vergeigten Einspielung der 9. Sinfonie gefällt mit Harnoncourts ruppige, ungestüme Art, die Werke aufzuführen. Eine Interpretation, die aufhorchen lässt und einen aktiven Hörer erfordert. (Zu diesen Einspielungen gab es auch mal eine CD, auf der man ein Interview mit dem Maestro zu den Sinfonien hören konnte. Nicht ganz so informativ, wie Norringtons Ausführungen, aber dennoch sehr hörenswert.)

  • Wer kann aus 9 Kostbarkeiten, die zum Großartigsten gehören, was je komponiert wurde objektiv auswählen. Die Aufgab ist gestellt.....


    Also aus den Großen die 3 für mich Größten (Liebsten)


    3. Sinfonie, 6. Sinfonie und die 7. Sinfonie. Alle zelebriert von Wilhelm Furtwängler, der für mich gerade bei Beethoven unübertroffen ist.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!


  • Lieber Operus,


    es ging in dieser Rubrik nicht darum, aus den 9 Beethoven-Sinfonien drei auszuwählen, sondern darum, aus allen Gesamteinspielungen der 9 Beethoven-Sinfonien drei auszuwählen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Wenn ich mir den bisherigen Verlauf des Threads mit grossen Interesse ansehe, dann stelle ich fest, das einige GA nominiert haben, bei denen sie doch einige Sinfonien-Aufnahmen in Frage stellen.
    :?: Was soll dann so eine Nominierung ?
    :!: Wenn ich für "den Rest des Lebens" eine GA auswählen soll, dann bitte sollen alle Neun Sinfonien mich auch für "den Rest des Lebens" zufriedenstellen.


    Zwei Kandidaten haben die Bernstein-GA mit den Wiener PH (DG) ausgewählt. Da bin ich auch nah dran gewesen, da hier soweit fast alles stimmig ist. Aber für diesen Thread käme mir diese GA nicht zur Auswahl, weil ich dann eine Sinfonie Nr.5 hätte, die mir zu "artig" geraten ist ... und das bei Bernstein. Welch ein Unterschied und welch ein Wahnsinn lieferte Bernstein mit unbändiger Emotion doch bei seiner Aufnahme mit dem Bayerischen RSO (DG) ab - das ist für mich Beethovens Fünfte in Vollendung - mein absoluter Favorit (neben Karajan).


    Auch die hochgeschätzte Paavo Järvi - GA (SONY, DVD, 2010) könnte ich trotz aller positiver Eigenschaften nicht alleine auswählen, weil Sinfonie Nr.9 für mich nicht das grosssinfonische Format hat, das ich mir letztendlich wünschen würde.


    Würde ich alleine nach dem Klang in Verbindung mit ausgezeichneter Int gehen, so müsste ich die zweite und digitale GA von Solti / CSO (Decca, DDD) auswählen. Weil mr aber bei der Siebten in dieser GA die Tempi nicht gefallen, scheidet diese aus. Ausserdem finde ich die Vierte in der analogen GA mit Solti unerreicht. Ich brauche Beide um mit Solti zufrieden zu sein !



    :!: Bleibt für mich nur eine GA übrig, mit der ich auskommen würde:
    Bernstein / New Yorker PH (SONY)
    Mehr Emotion bei gleichzeitiger Tiefe finde ich bei keiner GA für alle 9 Sinfonien.
    Man könnte die langen Spielzeiten in der Sinfonie Nr.5 bemängeln, die mich allerdings (ungleich weniger als Johannes) stören, denn das macht Bernstein durch einen dramatischen Zugriff wieder wett, der mich ebenfalls packt.


    Die GA besitze ich in drei verschieden remasterten Versionen:
    Zuerst als Einzel-CD´s, von den ich nicht alle Sinfonien bekommen konnte; deshalb gekauft als GA C1985 in der 20-bit-Remastering Version und später in Hoffnung auf eine noch bessere Klangqualität die abgebildete mit 24-bit-Remastering:



    SONY, 1961-1970, 1959 (VC), ADD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Welch ein Unterschied und welch ein Wahnsinn lieferte Bernstein mit unbändiger Emotion doch bei seiner Aufnahme mit dem Bayerischen RSO (DG) ab - das ist für mich Beethovens Fünfte in Vollendung - mein absoluter Favorit


    Das ist ja hochinteressant, diese Aufnahme kenne ich gar nicht. Ist das die Aufzeichnung des Amnesty International Concerts aus dem Kongresssaal des Deutschen Museums? Ich habe gerade mal gesucht, leider scheint die nicht separat auf CD veröffentlicht zu sein, sondern nur im Rahmen einer Box.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Hallo Bertarido,


    ja, in der Bernstein-Beethoven-6CD-Box ist das Amnesty-Konzert 1976 mit der Sinfonie Nr.5 (mit dem grossartigen KK Nr.4 mit Arrau und der hier phänomenalen Leonore III) u.a. enthalten:

    DG, ADD/DDD


    Die enthaltenen Ouvertüren sind ansonsten die gleichen Aufnahmen mit den Wiener PH, wie in der DG-GA. Die Sinfonie Nr.7 ist Bernsteins letzte Aufnahme mit dem Boston SO und die Neunte ist die Wiedervereinigungsaufnahme mit "Freunde schöner GF".
    Ausserdem die Missa aus Amsterdam und die Streichquartette op.131 und 135 in den Streichorchesterfassungen.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Die enthaltenen Ouvertüren sind ansonsten die gleichen Aufnahmen mit den Wiener PH, wie in der DG-GA. Die Sinfonie Nr.7 ist Bernsteins letzte Aufnahme mit dem Boston SO und die Neunte ist die Wiedervereinigungsaufnahme mit "Freunde schöner GF".
    Ausserdem die Missa aus Amsterdam und die Streichquartette op.131 und 135 in den Streichorchesterfassungen.


    Die anderen Sachen aus der Box habe ich schon, aber wenn sowohl die 5. als auch das Klavierkonzert mit Arrau so phänomenal sind, werde ich dann doch mal in die Tasche greifen müssen...


    Wenn übrigens die Aufführung der Neunten im Konzerthaus Berlin gemeint ist: da hat Bernstein "Freiheit, schöner Götterfunken" singen lassen!

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

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