Oper: “Darstellung mit Stimme und Gesang” und/ oder “Spiel auf der Bühne”?

  • Dann müssten aber auch Mezzo Rollen wie der Cherubino von einem jugendlichen Tenor gesungen werden oder der Oktavian . Und in manchen Opernhäusern wird die Hexe von Hänsel und Gretel von einem als Frau verkleideten Tenor gesungen.

  • Wir können nicht Beiträge willkürlich hin und her verschieben. Das ergibt dann ein zusammenhangloses Patchwork, weil wir zwar die Beiträge in einen beliebigen Thread verschieben können, aber nicht WOHIN in diesem Thread, das ist durch den Zeitstempel vorgegeben.
    Zudem entstehen dadurch immer "Patchwork-Threads" die nicht wirklich strategisch durchgeplant wirkeg lässt sichn.


    Völlig lässt sich das Thema "Inszenierung" - auch wenn dies gewünscht wird - leider nicht ausblenden, lediglich unterdrücken, bzw abmildern. Ich möchte dies an meiner Person als Beispiel demonstrieren, und zugleich die Eingangsfrage subjektiv beantworten.


    In meiner frühen Jugend (ca mit 15) interessierten mich von Opern vorzugsweise die "schönsten Arien" und natürlich die berühmt-berüchtigten Opernchöre. Ich war vorzugsweise Plattenhörer - dorthin bin ich auch heute wieder zurückgekehrt.
    Mich interessierte damals weder WER der Sänger/die Sängerin war, es zählte nur der Ohrenschmaus, nach WAS hier eigentlich gesungen wurde .. Arien losgelöst von der Oper. Die mir zur Verfügung stehenden Interpreten waren sämtlich von "Deutsche Grammophon" - was einen zumindest Mindeststandard garantierte. Aufnahmen mussten STEREO sein, historische Aufnahmen mied ich anfangs wie der Teufel. Später konnte ich mir dann Gesamtaufnahmen von Opern kaufen, vorzugsweise deutsche und französische Spieloper, Mozart, italienischer Belcanto, sowie Verdi. Irgendwann gab es dann im Fernsehen Opernübertragungen (in SW) und auch die ersten Opernbesuche fanden statt. Sie waren in Sachen Stimme zu Beginn enttäuschen, weil die Stimmen leiser waren als auf Schallplattem wo überdiese kleinere stimmliche Schwächen cachiert worden waren. Die Handlung interessierte mich nur am Rande, vor allem weil sie opft unlogisch war, und ich erst mit 23 Jahren begann italienisch zu lernen.Was mich aber begeisterte war die Ausstattung, das quasi "hautnahe Erleben" historischer Zeiten. Auch Verdis historisch völlig unhaltbare und verfremdende Darstellung des "Don Carlos" konnte mich auf diese Art begeistern. Einzelne Charaktäre sind ja wunderbar gelungen , vor allem der verbitterte und unerbittliche, bigotte Philipp II, sowie der Grossinquisitor. Er wird als gebrechlicher böser Fanatiker dargestellt, der - welcher Doppelsinn - noch dazu blind ist.
    Das Autodafé ist eine wunderbare Darstellung der Gerichtsbarkeit des 16. Jahrhunderts und Bühnenbildner und Ausstatter aller Zeiten haben sich stets bemüht es recht gruselig, eindrucksvoll und prunkvoll zu gestalten. Verdi muß das auch so gesehen haben - denn er schrieb eine wunderbar schaurige Musik dazu.
    Kommen wir zu Mozart, Die Zauberflöte, ein meiner Meinung nach einerseits dümmliches Stück, aber bei geeigneter Aufführung sehr eindrucksvoll. Auf Tonträger offenbart sich bei den Sprechstellen die gesamte Verworrenheit und Hohlheit des Textes (darüber diskutiere ich gerne - im entsprechenden Thread - hier aber nicht) Bei geschickter suggestiver "Bebilderung" und "Aktion" wird das glänzend verdeckt.
    Cosi Fan tutte lebt von der Leichtigkeit des Rokoko und ein paar Spitzen auf zeitgenössische Moden, Die "Entführung" - ein schwaches Buch nach Bretzners Schauspiel lebt einer seits von der stilisierenden Musik, welche türkische Einflüsse aufweist, ABER keine türkische Musik ist, andrerseits von der exotischen Umgebung, Mozart selbst hat dieses Singspiel für publikumswirksam gehalten, es aber nicht wirklich geliebt.....


    Nimmt man diesen - und anderen Opern - den historisierenden (nicht historischen) Bezug - dann werden sie uninteressant.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Kommen wir zu Mozart, Die Zauberflöte, ein meiner Meinung nach einerseits dümmliches Stück

    Meiner Meinung nach überhaupt nicht. Natürlich gibt es die Ebene des Wiener Vorstadt- und Hanswurst-Theaters, klar, aber es gibt darüber hinaus noch so viele andere Ebenen, das hier ein ungeheuer komplexes und vielschichtiges Theaterstück entstanden ist, dass so viel Ideen der damaligen Zeit auf die Bühne bringt wie kaum ein anderes Werk des Musiktheaters.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Wir können nicht Beiträge willkürlich hin und her verschieben. Das ergibt dann ein zusammenhangloses Patchwork, weil wir zwar die Beiträge in einen beliebigen Thread verschieben können, aber nicht WOHIN in diesem Thread, das ist durch den Zeitstempel vorgegeben.
    Zudem entstehen dadurch immer "Patchwork-Threads" die nicht wirklich strategisch durchgeplant wirkeg lässt sichn.


    In diesem Falle wäre ein Verschieben allerdings leicht möglich, weil es in dem Thread Oper und Regietheater zum letzten Mal am 30.12. etwas Neues gab. Ich hätte meinen Beitrag Nr. 18 natürlich gleich dort platzieren sollen. :pinch:

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Dennoch würde ich eine Lesart dieser Oper nicht von vornherein ausschließen, in der Eva eine alte Jungfer ist. Dann müsste mich allerdings der Regisseur davon überzeugen, dass dies eine schlüssige Interpretation ist. […] Auch [ein Hans Sachs in Frauenkleidern] ist meiner Meinung nach nicht a priori absurd.


    Und hier habe ich ein großes Problem, weil ihr von der Regietheater-extrem-Fraktion JEDES noch so absurde Beispiel nicht ablehnt und damit ALLES nivelliert. […] Wenn alles möglich ist und nichts unmöglich, dann wird es völlig überflüssig, sich ernsthaft mit Stücken zu beschäftigen und das rauszuarbeiten, was wirklich drin ist, sondern man kann einfach alles x-beliebige reinpacken. Das ist eine Beliebigkeit und Willkür, die das Nachdenken über richtige oder falsche Interpretationen nicht befördert, sondern sich dieser Notwendigkeit einfach entledigt.


    Dass »alles möglich« ist, hat Bartarido in Beitrag Nr. 20 ja eben gerade nicht gesagt, sondern nur, dass es »eine schlüssige Interpretation« sein muss. Man kann nun natürlich, wie etwa Gerhard das tut, den Freiheitsgrad bei Inszenierungen von vorneherein so eingeschränkt sehen, dass das, was Bertarido zur Textinterpretation aus Wikipedia zitiert, nicht zugelassen wird. Dann kann man natürlich auf einer theoretischen Ebene über manche Inszenierungsideen gar nicht mehr diskutieren, sondern sie nur noch diskreditieren (oder es bleiben lassen). Im anderen Fall aber gilt: Was darüber auf einer eher allgemeinen oder theoretischen Ebene von so genannten Befürwortern des Regietheaters gesagt wird, ist in aller Regel nicht die Verteidigung einer tatsächlichen Inszenierung, sondern nur das Offenhalten einer Möglichkeit, nämlich dass mich, vielleicht, »der Regisseur davon überzeugen« könnte, dass es eine schlüssige Interpretation ist. Leider wird das nicht immer auseinander gehalten und das führt dann zu entsprechend heftigen Reaktionen (bis hin zum Ignorieren).

  • Was darüber auf einer eher allgemeinen oder theoretischen Ebene von so genannten Befürwortern des Regietheaters gesagt wird, ist in aller Regel nicht die Verteidigung einer tatsächlichen Inszenierung, sondern nur das Offenhalten einer Möglichkeit, nämlich dass mich, vielleicht, »der Regisseur davon überzeugen« könnte, dass es eine schlüssige Interpretation ist.


    Lieber Dieter, damit hast Du es genau auf den Punkt gebracht.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Und genau deshalb, lieber Dieter , gehe ich auch nach der Premiere, häufiger in die gleiche Aufführung. Meistens besuche ich die Premiere oder Wiederaufnahmen und dann die dritte oder vierte Vorstellung, weil zum einen die Sänger sich eingesungen haben und ich mich mehr auf die Inszenierung konzentriere und immer wieder neue Details entdecken. Aber wäre ein Hans Sachs in Frauenkleidern von den anderen Meistern genauso respektiert und hätte eine solche Stellung in der damaligen Gesellschaft?

  • @ Stimmenliebhaber: Danke für den Tipp!
    Tamino ist viel angenehmer, wenn man ein gewisses Duo auf die Ignorierliste setzt! :hello:

  • Aber wäre ein Hans Sachs in Frauenkleidern von den anderen Meistern genauso respektiert und hätte eine solche Stellung in der damaligen Gesellschaft?

    Die Frage ist doch total einfach zu beantworten, aber darum geht es doch gar nicht: Es geht um totalen Tabubruch, das Brechen auch der allerletzten Tabus, die totale Dekonstruktion der Stücke. Erst dann sind einige voll zufrieden, wenn die totale "Freiheit der Kunst" alle anderen Werte, welcher dieser entgegenstehen könnten, endgültig hinweggefegt hat. Ein verantwortungsvoller Umgang mit den Stücken, Resepkt vor dem Werk und den Intentionen der Autoren, Wünsche des Publikums, ein Stück, für das sie Karten gekauft haben, auch als solches zu erkennen, das alles hat in diesem Weltbild keinen Platz. Totalitarismus ist immer ein Übel, egal auf welchem Gebiet...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • @ Stimmenliebhaber: Danke für den Tipp!
    Tamino ist viel angenehmer, wenn man ein gewisses Duo auf die Ignorierliste setzt!:hello:

    Ja, finde ich auch.


    Nur leider musste ich durch ein Zitieren nun doch wieder was davon lesen...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Tamino ist viel angenehmer, wenn man ein gewisses Duo auf die Ignorierliste setzt!


    Ja, finde ich auch.


    Nur leider musste ich durch ein Zitieren nun doch wieder was davon lesen...

    Ich halte von solchen Ignorierlisten nicht viel. Zum einen: Man schließt sich dadurch selbst zu einem Teil von der Diskussion aus. Immerhin könnte es sein, dass sich auch Beiträge von anderen Mitgliedern auf das Ignorierte beziehen und dann fehlt unter Umständen doch der Zusammenhang. Nach meinem Verständnis wäre es deshalb zumindest mutig, sich trotzdem noch in einer entsprechenden Diskussion zu Wort zu melden. Zum anderen: Es steht mir frei, Beiträge anderer zu lesen oder zu ignorieren. Wenn ich es aber wirklich nicht mehr fertig brächte, die Beiträge von bestimmten Mitgliedern zu lesen, weil es mich zu stark belastet, dann hätte ich immer noch die Möglichkeit, das ganz einfach für mich selbst entsprechend zu handhaben. Ich müsste das nicht auf die Art und Weise, wie man das hier beispielsweise von Gerhard und jetzt von Stimmenliebhaber oder m.joho zu lesen bekommt, laut kund tun. Das hätte für mich doch zu sehr einen Beigeschmack von Es-dem-Anderen-zeigen-Wollen, vielleicht gar von Gehässigkeit. Aber vielleicht kommt da ja teilweise auch eigene Verletztheit zum Ausdruck, die ich nur nicht nachvollziehen kann, weil ich als Laie weniger tief in der Materie stecke oder weil ich den Kontakt im Internet weniger persönlich nehme. Was ich aber mitteilen möchte, auch wenn es jetzt von den Betreffenden vielleicht gar nicht gelesen wird: Es liegt mir wirklich fern, hier im Forum jemanden zu beleidigen oder persönlich anzugreifen. Sollte das doch passiert sein, so möchte ich mich dafür entschuldigen. Freilich kommt es, im wirklichen Leben und auch hier, manchmal vor, dass man mit einer Äußerung aneckt oder jemanden verletzt, ohne das gewollt zu haben, ja ohne das letztlich nachvollziehen zu können. Und umgekehrt geht das ja auch: Man will jemandem etwas verbal auf die Nase hauen und es kommt gar nicht so an. Kommunikation kann schwierig sein.

  • Und da sag´ noch einer, der Text sei nicht neben der Musik das Um und Auf zum Verständnis und Erfühlen eines Werkes. SIehe Libretto Thread... ;)


    Auf Deutsch wie in allen anderen Sprachen.

  • Zitat von »Rheingold1876«

    Zitat

    So ist es. Und das ist schade, weil JLang ein wirklich spannendes Them angestoßen hatte. :(


    Zitat Stimmenliebhaber

    Zitat

    Das kann ja auch gerne weiterdiskutiert werden. Ich habe mir nur erlaubt, auf die von "Zweiterbass" geäußerte Idee von Eva als alter (Pardon: "in die Jahre gekommene") Jungfer zu antworten.


    Liebe Taminos,
    habt Dank, dass das Thema als interessant empfunden wurde. Gegen Abschweifungen ist doch gar nichts einzuwenden, spontane Gedanken zurückzuhalten tut nicht Not: das ist Kommunikation :) Und da die Abschweifungen nicht in endlosen Schimpfkaskaden geendet sind, ist doch alles gut.


    Ich habe mittlerweile über den wirklich nachdankenswerten Beitrag von La Gioconda gegrübelt. Dabei bin ich für mich zur Erkenntnis gekommen, dass die von mir aufgeworfene Frage eine Frage der Erwartungen ist. Ich kann mich damit begnügen, mich von der Schönheit einer Stimme überwältigen zu lassen, noch dazu, wenn sie in einer Sprache singt, die ich nicht verstehe und ich mich nicht bemühen will, zur Text-Klang-Einheit vorzudringen. Ich kann eine solche Haltung akzeptieren, aber sie ist nicht die meine, weil sie mir allzu schnell langweilig wird: nichts gegen schöne Stimmen, aber das kann ja nicht alles sein. Hier kommt man zum "Grundproblem" der Oper: Primat von Text oder Musik/Gesang? Natürlich kann man das nicht gegeneinander ausspielen, aber es ist ein in der Geschichte der Oper viel diskutiertes Spannungsfeld. In Hinsicht auf die von mir aufgeworfene Frage müsste dieses Feld erweitert werden um den Aspekt "Darstellung". Man bewegt sich in einem Dreieck aus Text, Musik/Gesang und Darstellung (körperlich, wie gesanglich). Sicherlich hat sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr Gewicht auf die Darstellung gelegt, die bisweilen auch sehr körperlich anstrengend werden kann. Dass das mitunter auf die Ressourcen geht, die man zur stimmdarstellerischen Durchdringung von Rollen benötigt, scheint mit eine geradezu zwangsläufige Folge zu sein. Ich frage mich manchmal, ob der Aufwand, der um das Bühnenspiel betrieben wird und die Erwartungen, die daran geknüpft werden, vielleicht etwas mit einem doppelten Vertrauensverlust zu tun haben könnten? Einem Verlust an Vertrauen hinsichtlich der Fähigkeit der Komposition, Menschen "mitzunehmen" und hinsichtlich der Fähigkeit der Interpreten, dies umzusetzen? Dass also das Bühnenspiel mitunter als "Ersatzhandlung" fungiert und damit nicht unterstützend oder als Teil des Dreiecks begriffen, sondern bewusst dagegen gesetzt wird?
    Mit bestem Gruß
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Nicht nur die Darstellung einer Partie ist für mich wichtig, sondern auch die figürliche Glaubwürdigkeit der eingesetzten Sänger. So stört es mich durchaus, wenn Gilda in "Rigoletto" hochschwanger ist oder Senta im "Fliegenden Holländer", wie ich es Ende Dezember 15 in Bonn erlebt habe. Angesprochen wurde auch schon das Altersverhältnis zwischen begehrenswerter Frau, die trotz Maske bereits sehr reif ist und einem sehr jugendlichen Liebhaber. Auch stört mich abgesehen von der Darstellungskunst (die hervorragend sein kann) und vom Alter, wenn ein zierliches Tenörchen eine ausgesprochen massige Frau anhimmelt oder umgekehrt. Ich schwärme noch jetzt von Opernaufführungen, bei denen "alles" stimmte.

  • So stört es mich durchaus, wenn Gilda in "Rigoletto" hochschwanger ist oder Senta im "Fliegenden Holländer", wie ich es Ende Dezember 15 in Bonn erlebt habe.


    Schonmal darüber nachgedacht, dass auch schwangere Sängerinnen Geld verdienen müssen? - Oder handelte es sich um einen Einfall der Regie?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Ich brauche nicht darüber nachzudenken, dass auch schwangere Sängerinnen ihre Verpflichtungen erfüllen müssen um so ihr Geld zu verdienen. Abgesehen von diesem nachvollziehbaren ökonomischen Standpunkt stört es mich dennoch - und um die Frage ging es, welchen Einfluss die Darstellung und meiner Meinung nach auch die Sängerfigur auf eine Opernrezeption hat.

  • Nehmt ihr nach so langer Pause noch Beiträge an? Wenn ja, dann hätte ich das Bedürfnis, einige Ergänzungen aus meiner Sicht anzubringen.
    Zunächst bin ich beeindruckt von der Aussagekraft der Beitrage von La Gioconda, denen ich mich ohne Einschränkung anschließe.
    Meine lebenslange Beschäftigung mit der menschlichen Stimme, unterstützt durch das Anhören von J. Kestings Sängerporträts, habe ich die Grammatik des Belcanto beim Hören immer präsent. Dort ist oft die Rede von der "acting voice".
    Wer je Sänger wie Callas, Taddei, Vickers, Hotter, Welitsch, Schwarzkopf hat singen hören, weiß, dass sie keinen Ton gesungen haben, der nicht auf das vorzutragende Musikstück fokussiert war. Sie konnten nicht anders, weil sie Künstler waren. Sie haben die jeweilige Partie mit ihrer Stimme moduliert, zur tönenden Skulptur - und so immer zu neuem Leben erweckt. Wer ihnen "aufs Maul schaute", sah die darzustellende Figur vor sich, auch ohne Bühne.
    Dieses Modellieren des gesungenen Wortes als Baustein der Figur geht einem irgendwann beim Hören in Fleisch und Blut. Je älter ich wurde, desto leichter fiel es mir, Opern nur zu hören (und sie gleichzeitig visuell zu imaginieren). Das ist in Zeiten des Regietheaters nicht hoch genug zu veranschlagen.
    Aber bevor ich ins Einzelne gehe, wüsste ich gern erst mal, ob Beiträge in diese Richtung überhaupt erwünscht sind.
    Hoffentlich bis bald!
    Beste Grüße von Sixtus

  • Aber bevor ich ins Einzelne gehe, wüsste ich gern erst mal, ob Beiträge in diese Richtung überhaupt erwünscht sind.


    Lieber Sixtus,
    wenn ich mich als Maß aller Dinge nehme - und das tue ich aus gutem Grunde immer - muss ich Deine Frage verneinen.
    Mich hat noch niemand je um einen Beitrag gebeten.


    Ein Forum lebt nicht nur vom Beitrag allein, sondern von jedem Wort, das im stillen Kämmerlein aus dem Munde eines Tamino kommt.

  • Lieber Sixtus,


    dieses Thema ähnelt ein wenig dem Thema, das MJoho angeregt hat "Gibt es auch heute noch grosse Sängerdarsteller?"
    Du hast dort eine sehr richtige Frage gestellt:

    Zitat

    Geht's auch eine Nummer kleiner

    Ich stelle immer wieder fest, dass manche hier von den Darstellern eine vollkommene und zum Alter passende Figur erwarten, die aber auch eine vollendete Stimme haben muss und außerdem großartige schauspielerische Leistungen erbringen soll und genau den subjektiven Kriterien des Einzelnen (die ja gewaltige Unterschiede aufweisen, wie man es hier den Diskussionen über Sänger entnehmen kann) entsprechen soll. Ich war immer der Meinung und habe das auf deine Frage auch geantwortet, dass man das wohl nicht alles erwarten kann und daher immer Abstriche in Kauf genommen. Nur die wenigsten Sänger werden wohl alle diese Forderungen erfüllen können und ich denke, da müssen wir alle etwas bescheidener sein.
    Erst gestern habe ich mir noch einmal die Aufnahme des Don Pasquale mit Ferruccio Furlanetto (geb. 1949), den ich im oben genannten Thema erwähnt hatte, angesehen. Ich bin mir nicht sicher, ob er jetzt noch singt. Der hat mich schon in seinen Rollen als Mefisto, sowohl in Gounods Faust als auch in Boitos Mefistofele, und als Sparafucile in dem Rigoletto-Film mit Pavarotti sängerisch und schauspielerisch gepackt. Aber auch in der heiteren Rolle als Don Pasquale aus der Scala ist er für mich einzigartig und wie auf diese Rolle zugeschnitten.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Das Orakel hat gesprochen - wie immer: mehrdeutig. Also deute ich es zu meinen Gunsten.


    Ein professioneller Sänger, sofern er ein echter Künstler ist, singt keine Töne oder Phrasen, sondern Worte und Sätze mit Sinn. Um diesen Sinn zu transportieren, braucht er nicht nur Ausdruckskraft, sondern auch die dazugehörige Klangfarbe. Die kann sich, je nach Botschaft, aufhellen oder eintrüben. So erhält jeder Satz seine spezifische Farbskala, in die die Nuancen der einzelnen Worte eingebettet sind.


    Eine Stimme, die durch Training zu dieser Farbgebung in der Lage ist, kann einen Text in den komponierten Noten adäquat in Klang verwandeln: durch Dosierung des Atems, der Stütze, die Mischung von Brust- und Kopfresonanz usw. Die geistige Komponente (Sinn, Ausdruck, Spannung... ) kann sich, auf dieser stimmtechnischen Basis, entfalten.
    So kann der Liedersänger mithilfe dieser doppelten (technisch/geistigen) Voraussetzung aus dem komponierten Wort-Noten-Bild ein Lied formen - und der Opernsängerseine Partie in Klang und Ausdruck umsetzen.


    Das klingt vielleicht etwas mysteriös, bedeutet aber konkret: Die Technik des Singens ist nicht alles, aber ohne sie ist alles nichts. Und Sänger, die gesangstechnische Mängel haben, können sich nur mithilfe von unkünstlerischen (veristischen) Tricks über die Distanz retten (schwindeln). Der technisch sichere Sänger dagegen kann mit der (gut fokussierten) Stimme spielen und die gewünschten Ausdruckswerte herstellen.


    Dazu (ein andermal) etwas konkreter: Wie sich das im Einzelnen bei den Stimmlagen und bei den Partien niederschlägt.
    Für heute erst mal: Gute Nacht!
    Sixtus

  • Es tut mir leid, dass ich noch ein wenig weiter dozieren muss - auf die Gefahr hin, bei einigen offene Türen einzurennen - oder zu langweilen. Die Sache mit dem menschlichen Instrument Stimme ist eben doch ziemlich komplex.


    Die Klangfarben, die beim Singen produziert werden, sind ja durch die Stimmlage begrenzt. Die ist aber nicht nur durch ihre Lage (Tessitura) definiert, sondern ebenso durch ihre Grundfarbe (Timbre). Ein Bassist, der ein hohes C erreicht, ist deshalb noch kein Tenor. Die Stimme ist also auch durch ihr Bass-Timbre definiert. Und ein Tenor, der morgens unter der Dusche Sarastro singt, ist kein Bass. Nicht nur, weil die Stimme im Laufe des Tages "steigt", sondern wieder wegen seines Timbres.


    Innerhalb dieser Grenzen steht jedem Sänger eine persönliche Farbskala zu Gebote, die ihm die Grenzen seiner klanglichen Möglichkeiten (und damit der ihm zugänglichen Rollen) zuweist. Auf dieser (materialen) Basis kann er seine Rollen auch geistig aufbauen: Charaktere gestalten, Temperamente zuordnen, Komik oder Tragik erzeugen. Aber ohne diese beschriebene Basis des technisch erzeugten Stimmklangs hängt das Lied, die Arie usw. in der Luft. (Diese Zusammenhänge bestehen natürlich ebenso bei Sopran und Alt, müssen also nicht gesondert behandelt werden - Anmerkung für Emanzen beiderlei Geschlechts.)


    Besonders abhängig von dieser Grundfarbe sind die Stimmen, die weder mit extremer Höhe noch Tiefe aufwarten können: Bariton und Mezzosopran. Sie sind aufgrund ihrer Zwischenstellung besonders auf ein persönliches Timbre angewiesen, um als Stimmcharakter wahrgenommen zu werden. Ein flapsiger Vers bringt es auf den Punkt:
    Der Bariton hat den Charakt-er / besonders in der Stimme (sagt er!)


    Wer je einen Bariton wie Renato Bruson gehört hat (mit oder ohne Kostüm und Maske), weiß, was gemeint ist. Er konnte, allein mit seiner modulationsfähigen, dunkel schimmernden Stimme (obwohl sie weder besonders voluminös noch expansiv war), jede Nuance von Verdis Vätern und Königen in Klang umsetzen - und als Jago das Fürchten lehren. Das Spiel auf der Bühne, das er auch beherrschte, war nur noch der Punkt auf dem i.


    Uff! Ich hoffe, dass es nicht nötig sein wird, nochmal so weit auszuholen. Aber bei diesem Thema bin ich schon auf Abgründe an Unkenntnis gestoßen, und wenn man einander noch kaum kennt, ist es besser, am Anfang vorzubauen. Jetzt können wir aber zur Hauptsache kommen: zum Gespräch. Da gibt es noch genug zu klären. Dazu bin ich gern bereit.


    Beste Grüße von Sixtus

  • Wer je einen Bariton wie Renato Bruson gehört hat (mit oder ohne Kostüm und Maske), weiß, was gemeint ist.

    Hm, ich habe ich mit (1991 Macbeth) und ohne Kostüm und Maske (1995 Jago) erlebt und fand ihn eher farblos und blass. Beim Trinklied im 1. Akt "Otello" hatte er zudem einen veritablem "Schmiss", weil er sich mit der Reihenfolge der Strophen irrte. Vielleicht habe ich ihn einfach zu spät erlebt, aber schon in der Form von 1991 war das ncht sehr eindrücklich. Infodern kann ich diesen deinen Satz (und die nachfolgenden Erklärungen) so leider nicht nachvollziehen. Da schimmerte nämlich nicht mehr dunkel, das klang einfach "grau". Und von Spiel habe ich beim Macbeth auch wenig bemerkt.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Früher hätte ich das über meinem Lieblings Bariton Leo Nucci sagen können. Er verkörperte die Rollen die er gesungen hat mit Leib und Seele, und wenn er seine große Arie als Rigoletto im zweiten Akt gesungen hat, dann kam es einem so vor als ob man alleine im Zuschauerraum wäre, selbst in der MET. Nur heute klingt sein Bariton stumpf und farblos. Manche Sänger verpassen leider den richtigen Zeitpunkt um Aufzuhören. Eine meiner anderen Lieblingssängerin Dame Felicity Lott konnte mir ihrer Stimme und Darstellung zum Beispiel als Marschallin mich auch immer beeindrucken. Ich hab sie leider nur einmal live erlebt.

  • Es ist immer schwierig, wenn verschiedene Hörer einen Sänger beurteilen. Jeder hat ihn in einer anderen Aufführung erlebt. Und wenn in derselben, bleiben immer noch die Unterschiede des persönlichen Geschmacks. Man könnte aber sagen: Setz die Namen deiner Lieblingssänger ein und sag dann, ob du der These zustimmen kannst. Namen führen leicht zu Missverständnissen.


    Ich denke, ich habe deutlich gemacht, welche gesangstechnischen Voraussetzungen erforderlich sind, damit Sänger ihre Stimme so beherrschen, dass sie mit dieser Technik auch künstlerische Wirkungen erzielen, die über die technische Virtuosität hinausgehen. Das reicht für eine konzertante Aufführung aus. Bei der szenischen Aufführung reicht es nicht. Aber es ist die Basis, auf der Mimik, Gestik und Darstellung aufbauen können. Ohne diese Basis ist schon mancher eingebrochen.


    Es gibt da sicher noch vieles aus eigener Erfahrung zu ergänzen - und zu widersprechen -
    meint Sixtus

  • Nachdem die letzte Woche das grpße Schweigen bei diesem Thema ausgebrochen ist, weiß ich nicht, ob ich das verursacht habe durch meine längeren gesangstechnischen Auslassungen.


    Falls dem so ist, könnte es hilfreich sein, wenn ich (mal wieder!) einen provozierenden Anstoß gebe. Und zwar mit einem Sänger, der vor Jahren ziemlich hoch gehandelt wurde, vor allem in einem Fach, für das er jede mögliche Eignung mitbrachte - außer der wichtigsten: die geeignete Stimme.


    Es handelt sich um SIEGFRIED JERUSALEM. Diejenigen, die ihn nicht mehr auf der Bühne erlebt haben, können sich durch seine vielen Tondokumente ein Bild machen, wie die Stimme klang. Er war als Sänger ein "Seiteneinsteiger" (vom Orchestermusiker zum Tenor) und startete seine Gesangskarriere als Zigeunerbaron, nahm dann verschiedene deutsche Spielopern auf (u.a. Martha) und steuerte, durch den Erfolg angestachelt, direkt den Heldentenor an.


    Da er gut aussah, landete er schnell in Bayreuth. Lohengrin, Siegfried und Tristan wurden zu seinen Markenzeichen. Ich habe einige Aufführungen mit ihm erlebt und viele Bayreuth-Mitschnitte gehört und gesehen.
    Da ich jetzt leider unterbrechen muss, wäre Gelegenheit zum Recherchieren mit den Ohren. Bis später!


    Sixtus

  • Fortsetzung S.Jerusalem:
    Er sah nicht nur gut aus und hatte eine sportliche Figur, sondern brachte auch einige künstlerische Qualitäten mit: vor allem seine große Musikalität - und eine lange Orchestererfahrung. Aber schon beim Lohengrin, der deutschen Spinto-Partie schlechthin, waren neben einer schönen lyrischen Mittellage vor allem zitternde Höhen - und Beinahe-Schmisse zu hören.
    In einer konzertanten Aufführung in Stuttgart (ein Solti-Gastspiel) hatte er sein Wasserglas (vermutlich mit Medikamenten angereichert) immer neben sich stehen und machte regen Gebrauch davon. Im letzten Akt war zu befürchten, dass die Vorstellung abgebrochen werden muss, weil er die Gralserzählung nur mühsam überstand.


    Die Gründe für diese Verfassung (beinahe seine Normalverfassung), waren: Die Stimme hatte große lyrische Qualitäten, aber wenig Kraft. Auch gesangstechnisch fehlte ihm eine zuverlässige Stütze für die enormen Anforderungen der schweren Partien. Durch zu häufiges Singen des schweren Fachs ruinierte er sich zudem seine Höhe. Der Teil des Publikums, der nicht nur zum Jubeln gekommen war, sondern zum Hören, zitterte schließlich mit ihm um die Wette.
    Er hätte, wenn überhaupt, den Lohengrin nur selten singen dürfen, die schweren Helden nie. Stattdessen ging er in Bayreuth in die Vollen und sang u.a. Siegfried und schließlich Tristan, eine Partie, in der er sich zusammen mit der großartigen Waltraud Meier zum "Traumpaar von Bayreuth" hochjubeln ließ.
    Das Seltsame war bei dieser Karriere, dass es, im Verhältnis zu seinen offensichtlichen Schwächen, wenig Missfallenskundgebungen gab. Sein Charme, vielleicht auch seine Chuzpe, waren offenbar stärker.


    Es dürfte selten einen Fall gegeben haben, wo ein Sänger permanent so über seine Verhältnisse gesungen hat wie dieser ewige Naturbursche. Für die Ohren von Kennern bewies er über Jahre, dass man nicht ungestraft seine Grenzen überschreitet. Aber das Gros des Publikums (auch des Bayreuther!) hat es entweder geschluckt - oder gar nicht bemerkt.


    Eine Sängerlaufbahn, die eigentlich schon am Anfang zum Scheitern verurteilt war - und doch viele Jahre durchhielt. Aber nicht zur Nachahmung zu empfehlen -


    meint Sixtus

  • Nicht zur Nachahmung empfohlen - meint unser Freund Sixtus.


    Aber wie oft - auch in der jüngeren Vergangenheit - haben wir solche Fälle schon erlebt, wo wir festgestellt haben, er/sie hat zu oft / zu schwere Partien u.ä. gesungen und es bedauern, dass der/diejenige mit dem stimmlichen Material schon am Ende ist. Und doch haben wir zugehört und gejubelt, dass es wieder einmal ein toller Abend war. :no:


    Am Sonntag hatte ich ein gegenteiliges Erlebnis: In einem Kapellenkonzert hörte ich den über 70jährigen Ottoniel Gonzaga mit einer intakten, eindrucksvollen Stimme ohne Verschleißerscheinungen.


    Auch zum Vormerken: Anja-Nina Bahrmann, eine junge Sängerin, die die ersten Schritte zu einer erfolgreichen Karriere bereits hinter sich hat. Sie hat eine Violetta hingelegt, wie ich sie seit Gruberova nicht mehr gehört habe (mit hohem Schlusston). Für alle Münchner bitte vormerken: Sie ist von der Münchner Staatsoper engagiert worden, die "Fledermaus-Adele" zu Silvester unter Gergiew zu singen. Ein aufstrebender Stern!


    Herzliche Grüße -


    Erich

  • Lieber Erich,
    ich freue mich über deinen Beitrag, der mir signalisiert, dass ich mit meiner Beurteilung von Sängerkarrieren nicht allein bin.
    Wir wissen ja, dass es massenweise die von mir beschriebenen Karrieren gibt (die aber meistens nicht so glimpflich verlaufen), aber zum Glück auch die von dir erwähnten gegenteiligen Fälle.


    In den letzten Jahren sind besonders zwei prominente Beispiele zu erleben: der traurige Fall des Rolando Villazon, der hätte ein Domingo werden können und sich jetzt mit Fernseh-Tingeleien über Wasser hält, weil er seiner Stimme keine gesunde Entwicklung erlaubt hat - und andererseits Jonas Kaufmann, der sich Zeit lässt und die schweren Partien in aller Ruhe erarbeitet.


    Die letzte Radio-Übertragung aus der MET brachte einen Don Pasquale mit Maestri in der Titelpartie. Aber die Sensationen waren Ernesto und Norina: Der junge Javier Camarena brillierte mit perfekt fokussiertem schlankem Tenor und musste die Cabaletta wiederholen, und die Senkrechtstarterin Eleonora Buratto sang eine Cavatine ohne eine Spur von Soubrette, wie vor einigen Jahren die Netrebko. Diese beiden werden uns noch lange erfreuen! Wer so mit der Stimme spielen kann, braucht nicht mehr viel auf der Bühne zu zappeln, um die Zuschauer zu erobern...


    Herzliche Grüße von Sixtus

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose