Die melodische Linie der zweiten Strophe ist mit der der ersten bis auf zwei minimale Abweichungen identisch. Sie finden sich bei den Worten „O, sei nicht bang“, wo die melodische Linie keinen zweifachen Sekundfall beschreibt, sondern nach dem ersten auf der tonalen Ebene verharrt, und bei den Worten „zu jenen Höh´n“ am Ende dieser Strophe. Diese Modifikation ist von größerem Gewicht. Die Fallbewegung, die am Ende der ersten Strophe (auf dem Wort „Gang“) erfolgt, wird nun zwei Mal deklamiert, nämlich auf „jenen“ und auf „Höh´n“, wodurch dieses Wort einen besonderen Akzent erhält, denn die melodische Linie setzt hier um eine Sekunde angehoben an.
Es ist wohl nicht sinnvoll auf alle Modifikationen des Orchestersatzes einzugehen. So halten sich zum Beispiel nun die Celli am Anfang mit den übrigen Streichern zusammen zurück und überlassen die Begleitung der melodischen Linie den Klarinetten mit ihren Sexten und den Solo-Fagotten. Die wichtigste Veränderung findet sich im Orchestersatz dort, wo auch die melodische Linie in der beschriebenen Weise angewandelt wurde. Nach dem melodischen Akzent auf dem Wort „Höh´n“ setzt die Solo-Violine, begleitet von den Flöten, den Oboen und den Klarinetten, diese doppelte Fallbewegung der melodischen Linie in hoher Lage fort und verleiht damit diesem lyrischen Schlussbild der Strophe eine klanglich visionäre Dimension.
Neben den bedeutsamen, weil die Expressivität in hohem Maße steigernden Veränderungen, die Mahler am Ende der dritten Strophe in der Melodik vorgenommen hat, finden sich davor nur zwei kleine, aber ebenfalls durchaus für die musikalische Aussage relevante: Bei den Worten „Nach Haus verlangen“ nämlich. Die Fallbewegung auf dem Wort „Haus“ mündet in eine Dehnung auf einem „Ges“, aus dem sich die melodische Linie mit einem Doppelschritt aus kleiner und großer Sekunde löst, um bei dem Wortteil „-langen“ in erneu gedehnter Weise auf der tonalen Ebene eines „B“ in mittlerer Lage zu verharren. Auf diese Weise reflektiert die Liedmusik die nun dem lyrischen Ich bewusst gewordene Tatsache, dass die Kinder nicht, wie in den beiden vorangehenden Strophen autosuggestiv angenommen, nach Hause zurückkehren werden. Die nun auftretenden Dehnungen in der melodischen Linie muten an wie ein langsames Zur-Besinnung-Kommen des lyrischen Ichs.
Was aber ereignet sich in der mit den Worten „Wir holen sie ein“ eingeleiteten und vergleichsweise stark modifizierten letzten Melodiezeile des Liedes? Ist sie, um die Frage auf den entscheidenden Punkt zu bringen, zu vernehmen und aufzufassen als Ausdruck der Verzückung, in die das lyrische Ich bei der Imagination der Vereinigung mit den Kindern auf „jenen Höh´n im Sonnenschein“, in der Sphäre der Transzendenz also, gerät? Oder drückt die Liedmusik hier vielmehr die Intensität des autosuggestiven Sich-Einredens der Möglichkeit einer solchen Wiederbegegnung und neuerlichen Vereinigung mit den verstorbenen Kindern aus? Darin also auf der Linie bleibend, die von Anfang eingeschlagen wurde?
Es ist hier sorgfältig auf die Musik zu hören, - nicht nur auf das, was die melodische Linie zu sagen hat, sondern auch auf das, was das Orchester begleitend und kommentierend dazu beiträgt. „Zart“ und wieder einmal „warm“ soll die melodische Linie hier vorgetragen werden. Bei den anfänglichen Worten „Wir holen sie ein“ beschreibt sie eine Bewegung, die fast identisch ist mit jener, die auf den parallelen Worten der ersten Strophe („Der Tag ist schön“) liegt, nur dass sie nun mit einem Terz-, statt einem Sekundsprung einsetzt und insofern vielleicht noch ein wenig energischer wirkt. Auch die bogenförmige, auf einem „Ges“ aufgipfelnde und dann in einer Terz und einer Sekunde wieder fallende melodische Bewegung auf den Worten „Auf jenen Höh´n“ stellt eine Wiederholung der entsprechenden Figuren in den vorangehenden Strophen dar, einschließlich der Harmonisierung.
Bei den Worten „im Sonnenschein“ setzt die melodische Linie zu einer durch keine Pause unterbrochenen wellenartig anmutenden Bewegung an, die vier Mal in hoher Lage aufgipfelt, wobei sich bei den Worten „Der Tag ist schön auf jenen Höh´n“ dadurch ein Steigerungseffekt einstellt, dass die Aufgipfelung jeweils um eine Sekunde angehoben wird, ein Crescendo in den Vortrag kommt und überdies die Fallbewegung in Sekunden auf dem Wort „jenen“ mit Portati versehen ist. Die ersten Violinen folgen den Aufstiegsbewegungen der melodischen Linie und steigen bei der letzten in extreme Höhenlagen empor. Die Harmonik moduliert zwischen Es-Dur und der Subdominante „As“, wobei „Es-Dur“ die Tonart ist, in der das Lied ausklingt. Das Nachspiel ist bemerkenswert kurz. Es besteht aus nur drei Takten, die von den Streichern, den Flöten, den Fagotten und der Harfe unter der Dominanz der Hörner bestritten werden und in ihrer klanglichen Substanz aus einer Weiterführung der Wellenbewegung der melodischen Linie bestehen.
Der klangliche Eindruck, den dieser Schluss des Liedes vermittelt, ist wohl der eines sich gleichsam verzückt seiner visionären Vorstellung einer Vereinigung mit den verstorbenen Kindern in der Sphäre des Transzendenz hingebenden lyrischen Ichs. Dafür spricht vor allem die permanente Steigerung der Emphase in der Liedmusik und die Tatsache, dass sie aus einer gleichförmigen, in der regelmäßigen Abfolge von Achteln ohne jegliche rhythmische Akzentuierung hervorgeht. Es ist der Gestus des Schwärmens, nicht der des Sich-etwas- Einredens, den man in dieser melodischen Linie vernimmt. Auch das Nachspiel ist wohl in diesem Sinne zu verstehen. Es verzichtet auf einen nachträglichen Kommentar und überlässt auf diese Weise den klanglichen Raum dem Fortschwingen der melodischen Linie in den transzendenten Sphären der „Höh´n“.