Ultimative Notizen aus dem Opernmuseum

  • Zur Frage der konzertanten Opernaufführung kann ich nur sagen, dass eine solche für mich keine Alternative zur szenischen Aufführung darstellt. Eine Oper ist grundsätzlich szenisch gedacht, wozu insbesondere auch all ihre Unlogik und das Absurde dieser Kunstform an sich gehört. Eben nur auf der Opernbühne ist es möglich, dass der soeben erstochene weitersingt, dass die Ehefrauen ihre verkleideten Männer nicht erkennen, dass Siegfried den Drachen erschlägt. All dies hat nichts mit der Realität zu tun, weshalb es auch mindestens widersprüchlich erscheint, hierfür eine realistische Darstellung bzw. Inszenierung einzufordern. Vielmehr muss sich eine gute Inszenierung mit all diesen Fragen nach der Realität, dem Wahrscheinlichen und der Darstellung des Unwahrscheinlichen sehr genau auseinandersetzen; eine konzertante Aufführung kann solches offensichtlich in keinster Weise leisten und trägt somit auch kaum zu einer "Klärung" der Inszenierungsproblematik bei.


    Nichtsdestotrotz haben konzertante Aufführungen speziell unter künstlerischen Gesichtspunkten durchaus ihre Berichtigung: Z.B. können für die oft wenigen Aufführungen Sänger engagiert werden, die für eine Serie im Opernhaus nicht zu bezahlen wären. Auch ist es so möglich, selten gespielte oder nur sehr aufwändig darzustellende Werke dem Publikum anzubieten.

  • Ohne auf sie Sticheleien - meine Person betreffend - einzugehen, wende ich mich dem Thema "konzertante" Aufführung und auch "Werktreue" zu.


    Zitat

    Deswegen findet sich auch in der Kritik dieser Praxis, die im 19. Jhd auftaucht, auch nirgendwo die Forderung einer "werktreuen" Aufführung. Die "Werktreue" ist ein Anspruch des 20. und nicht des 19. Jhd., also ein Modernismus.


    Diese Forderung nach "Werktreue" war im 19 Jahrhundert deshalb nicht existent, weil sich damals NIEMAND auch nur annähernd vorstellen konnte, daß jemand es wagen könnte ein Werk jeneseits der gegebenen Einschränkungen (kleine Bühne, Unfähigkeit der Sänger gewisse Arien ädiquat zu singen) abzuändern oder umzudeuten, Was mit verunstalten gleichzusetzen ist. Hätte das damals jemand getan, wäre er im günstigsten Fall aus seiner Position entfernt worden, im ungünstigsten wäre er auf der Psychatrie gelandet.
    So war also die Forderung nach (annähernder) Werktreue erst im 20. Jahrhundert aufgetaucht, weil sie erst von da an nowendig wurde.
    ..........................................
    Natürlich ist eine Oper für eine Szenische Aufführung gedacht - allerdings für eine, die sich am Libretto orientiert....


    Ich kann sehr gut mit "konzertanten" Aufführungen leben - daheim bei meiner Stereoanlage - von einer CD.
    ZUsätzlich bin ich nicht vom derzeitigen Künstlerangebot abhängig, sondern kann "die Bestem der Besten" hören.
    Somit stehen mit seit Einführung der Stereophonie (ca 1955) ungefähr 60 Jahre Schallplattengeschichte zur Verfügung, oder seit Einführung der "elektrischen Aufnahme" (ca 1925) ungefähr 90.


    Für eine "konzertante" Live -Aufführung würde ich niemals Geld ausgeben. Stimmen lassen sich recht gut auf Konserve festhalten, oft klingen sie sogar besser als live......


    mfg aus Wien
    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Diese Forderung nach "Werktreue" war im 19 Jahrhundert deshalb nicht existent, weil sich damals NIEMAND auch nur annähernd vorstellen konnte, daß jemand es wagen könnte ein Werk jeneseits der gegebenen Einschränkungen (kleine Bühne, Unfähigkeit der Sänger gewisse Arien ädiquat zu singen) abzuändern oder umzudeuten, Was mit verunstalten gleichzusetzen ist. Hätte das damals jemand getan, wäre er im günstigsten Fall aus seiner Position entfernt worden, im ungünstigsten wäre er auf der Psychatrie gelandet.


    Du weißt aber schon, wie im 19. Jahrhundert "Cosi fan tutte" gespielt wurde? Und dass Wagner nicht nur eine eigene Fassung von "Iphigenie in Aulis" erstellt, sondern - wie viele andere Kapellmeister auch - Einlagearien für fremde Opern, etwa zu "Norma", schrieb? Und wenn einer Sängerin eine Arie nicht lag, wurde einfach eine andere gesungen - im günstigsten Falle vom gleichen Kompponisten, aber keinesfalls zwingend...


    Sorry, aber das, was du geschrieben hast, ist leider wieder völlig realitätsfern, nämlich fern von den Realitäten der Aufführungspraxis des 19. Jahrhunderts. Das ist jetzt auch keine "Stichelei, deine Person betreffend", sondern schlicht und ergreifend eine sachliche Klarstellung, die ich auch bei jedem anderen vorgenommen hätte (sofern ich seine Beiträge lese und nicht ignoriere).
    Die Willkür war im 19. Jahrhundert weit größer als im 20. Jahrhundert, weil man sich gegenüber den Autoren noch viel weniger verpflichtet fühlte - es gab auch nicht annhähernd ein Urheberrecht und damit einen Schutz der Autorenrechte wie heute, das begann erst langsam im letzten Drittel des 19. Jahhunderts.


    Mozart hat auch, als er eine neue Sinfonie brauchte, eine alte von Michael Haydn genommen und mit einer neuen Adagio-Einleitung versehen...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Aber ich stimme Alfred prinzipiell zu: Ein Opernhaus, Rodolfo, ist ein LEBENDIGES MUSEUM, d.h. die Partitur wird ausgestellt, aber nicht wie ein Bild, sondern in der Aufführung temporär zum Leben erweckt, und zwar nach Maßgabe der Vorgaben der Autoren. Dabei gibt es Spielräume, doch die müssen dort enden, wo das Stück nicht wiederzuerkennen ist. Wäre das nicht ein gemeinsamer Nenner?


    Zumindest ich komme nicht auf diesen Nenner: Im Gegenteil sehe ich hier gleich mehrere Widersprüche angefangen bei der Feststellung, ein Opernhaus sei ein "LEBENDIGES MUSEUM". Tatsächlich würde ich dies sogar als eine contradictio in adiecto bezeichnen, besteht der Sinn und Zweck eines Museums doch klassischerweise gerade darin, dass Nichtmehr-Lebendige zu bewahren und auszustellen. Natürlich kann man in diesem Sinne eine Partitur ausstellen, jedoch - und hier liegt ein weiterer Widerspruch vor, vielleicht auch ein Mißverständnis oder "einfach" eine gedankliche Unschärfe - ist klar zwischen der Partitur oder dem Libretto und der Aufführung eines Werkes (nicht ausstellbar, weil nicht statisch) zu trennen (eine Einsicht übrigens, die mir in ihrer weitreichenden Konsequenz erst durch Holgers Einlassungen zu diesem Thema klar geworden ist). Wenn ich also eine Opernaufführung dem musealen zuordne, gebe ich damit genau das auf, was ich an einer Opernaufführung so sehr schätze: den Moment des unwiederholbaren Augenblicks.

  • Ich kann es mir einfach nicht verkneifen:




    Wie soll beides wohl zusammen gehen? Das möchte ich gern

    Auch ich kann es mir in dem Fall nicht verkneifen, werter Dieter Stocker: In keinem Deiner Beiträge hast du bisher belegt, dass Du irgendwelche Opern kennen würdest ( übrigens hast Du Dich in den letzten Monaten mit dem " Fliegenden Holländer", den Du bis anhin aus Arbeitsüberlastung nicht kanntest, auseinandergesetzt?), sondern nur Deinen Mentor "Holger" zitiert.
    Ob letzterer die Diskussion mit seinen theoretischen Ausführungen zur Rezeptionsgeschichte und zur Aesthetik weitergebracht hat, wird wohl definitiv Ansichtssache bleiben :hello:


  • Zumindest ich komme nicht auf diesen Nenner: Im Gegenteil sehe ich hier gleich mehrere Widersprüche angefangen bei der Feststellung, ein Opernhaus sei ein "LEBENDIGES MUSEUM". Tatsächlich würde ich dies sogar als ein Oxymoron bezeichnen, besteht der Sinn und Zweck eines Museums doch klassischerweise gerade darin, dass Nichtmehr-Lebendige zu bewahren und auszustellen. Natürlich kann man in diesem Sinne eine Partitur ausstellen, jedoch - und hier liegt ein weiterer Widerspruch vor, vielleicht auch ein Mißverständnis oder "einfach" eine gedankliche Unschärfe - ist klar zwischen der Partitur oder dem Libretto und der Aufführung eines Werkes (nicht ausstellbar, weil nicht statisch) zu trennen (eine Einsicht übrigens, die mir in ihrer weitreichenden Konsequenz erst durch Holgers Einlassungen zu diesem Thema klar geworden ist). Wenn ich also eine Opernaufführung dem musealen zuordne, gebe ich damit genau das auf, was ich an einer Opernaufführung so sehr schätze: den Moment des unwiederholbaren Augenblicks.

    Ich sehe bei dir aber auch Widerspüche: Warum ist "Museum" bei dir so negativ besetzt, dass es etwa nur das "Nichtmehr-Lebendige" ausstellen könne? Ist ein Gemälde oder eine Skulptur keine lebendige Kunst? Auch sie beginnt zu "leben", sobald der Betrachter das Bild oder die Skulptur betrachtet und damit quasi "aufführt". Genau dazu sind Museen da! Und auch diese Augenblicke, die man in Museen beim Betrachten der Kunstwerke aus Malerei und Bildhauerei verbringt, sind "Momente des unwiederholbaren Augenblicks". Natürlich kann man den Museumsbesuch wiederholen wie man auch einen Opernbesuch wiederholen kann, aber die Aufführung wird in beiden Fällen eine andere sein, nicht identisch mit der ersten.


    Warum Museum immer so negativ besetzt ist und als Totschlagargument gegen "werktreue" Aufführungen dient, werde ich wohl nie verstehen. Tatsächlich sind die Museen wie die Opernhäuser dazu da, Werke der Vergangenheit im öffentlichen Bewusstsein und damit "lebendig" zu halten. Und diesen Kulturauftrag, diese Berührung mit der eigenen Kultur und Geschichte, kann man gar nicht hoch genug rühmen!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • In keinem Deiner Beiträge hast du bisher belegt, dass Du irgendwelche Opern kennen würdest

    Am 11.12.2015 habe ich eine Diskussion über »Oper und Regietheater« eröffnet und da auch berichtet, dass ich den Parsifal schon mehrmals gesehen habe. Die erste Antwort damals kam übrigens von Dir, und Du hast angefangen mit: »Dein Beitrag ist das Vernünftigste, was ich seit Tagen hier lesen konnte.« Ach ja, ein paar wenige andere Opern (Gluck) habe ich auch schon im Opernhaus gesehen.


    ( übrigens hast Du Dich in den letzten Monaten mit dem " Fliegenden Holländer", den Du bis anhin aus Arbeitsüberlastung nicht kanntest, auseinandergesetzt?)

    Den Holländer nicht kennen: Ja, ich habe ihn wohl einmal gehört, aber, von Einzelszenen abgesehen, noch nicht gesehen. Von Arbeitsüberlastung hatte ich, glaube ich, aber nie geschrieben, nur von zu wenig Zeit. Ich hoffe, dass sich das mit der Pensionierung in ein paar Wochen ändern wird.

  • Ist ein Gemälde oder eine Skulptur keine lebendige Kunst? Auch sie beginnt zu "leben", sobald der Betrachter das Bild oder die Skulptur betrachtet und damit quasi "aufführt".

    »So gerne ich Michael Recht geben würde« (Achtung, das bisher sollte selbstironisch sein!), aber genau das habe ich mir auch gedacht.

  • Warum ist "Museum" bei dir so negativ besetzt, dass es etwa nur das "Nichtmehr-Lebendige" ausstellen könne? Ist ein Gemälde oder eine Skulptur keine lebendige Kunst? Auch sie beginnt zu "leben", sobald der Betrachter das Bild oder die Skulptur betrachtet und damit quasi "aufführt".


    Ich habe sogar eine sehr hohe Meinung von Museen und gehe gerne und oft dorthin (vorzugsweise mit meinen Kindern); egal, ob Kunst, Völkerkunde etc. Trotzdem sehe ich zwischen den dort ausgestellten Objekten und einer Opernaufführung bzgl. ihrer jeweiligen "Lebendigkeit" einen klaren Unterschied: Die Objekte in einem Museum sind per se tote Objekte. Es mag sein, dass ich sie in meinem Geist zum Leben erwecken kann, jedoch bedarf es dazu notwendig meines Geistes - ein Vorgang, der mir, was literarische Kunst angeht, sogar konstitutiv zu sein scheint. Eine Opernaufführung hingegen ist per definitionem etwas lebendiges einfach dadurch, dass es zur Aufführung lebendiger Personen (Sänger, Orchester) bedarf. Der Vergleich zwischen einem Opernhaus und einem Museum bzw. zwischen einer Opernaufführung und einem statischen Kunswerk (Gemälde, Skulptur etc.) erscheint mit ein wenig, wie der sprichwörtliche Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen.

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  • wie der sprichwörtliche Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen.

    Auch die Bemühung dieses Vergleiches verstehe ich immer nicht. Natürlich kann man Äpfel mit Birnen vergleichen. Beides ist Obst und schmeckt, dem einen eher das, dem anderen eher das. Beides gehört unverzichtbar zu unserer "Obstkultur", ist süß und darf auch süß sein (der Apfel ist vielleicht nicht ganz so süß wie die Birne).


    Und ganz ähnlich ist es bei einem Vergleich zwischen Opernhäusenr und Museen auch. Beide haben trotz aller Unterschiede viel gemein - und es ist keinesfalls sinvoll, ihren Besuch "saurer" zu machen als nötig. :yes:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Auch die Bemühung dieses Vergleiches verstehe ich immer nicht. Natürlich kann man Äpfel mit Birnen vergleichen. Beides ist Obst und schmeckt, dem einen eher das, dem anderen eher das. Beides gehört unverzichtbar zu unserer "Obstkultur", ist süß und darf auch süß sein (der Apfel ist vielleicht nicht ganz so süß wie die Birne).


    Und ganz ähnlich ist es bei einem Vergleich zwischen Opernhäusenr und Museen auch. Beide haben trotz aller Unterschiede viel gemein - und es ist keinesfalls sinvoll, ihren Besuch "saurer" zu machen als nötig. :yes:


    Jetzt nivellierst Du :hello:


  • Jetzt nivellierst Du :hello:


    Nein, nein, im Gegenteil, ich habe nur darauf hingewiesen, dass der Vergleich zwischen Opernhaus und Museum gar nicht so absurd ist, wie häufig gerne getan wird, weil es bei aller Unterschiedlichkeit ebendoch auch Gemeinsamkeiten gibt.


    Und noch etwas: Für mich ist ein gutes Gemälde kein "totes Objekt"!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Selbstverständlich haben Museen und Opernhäuser (oder Sprechtheater) Gemeinsamkeiten, aber eben auch wichtige Unterschiede, die zu ignorieren die Diskussion nicht weiterführt. Museen stellen in der Regel fertige Kunstwerke oder andere Exponate aus, zum Beispiel Gemälde oder Skulpturen. Ihre Aufgabe ist es, diese Kunstwerke zu sammeln, zu erhalten, der Öffentlichket zugänglich zu machen und die Kunstwerke im Rahmen von Ausstellungen in Kontexte zu stellen, die neue Einsichten und Bezüge ermöglichen (dazu kommt natürlich die gesamte Bildungsarbeit). Opern und Theaterstücke sind ebenfalls Kunstwerke, aber ganz offensichtlich von anderer Art. Sie werden nicht ausgestellt (falls man nicht nur die Partitur betrachten möchte), sondern sie müssen aufgeführt werden. Genau um diese Aufführung dreht sich die Diskussion, und da hilft der Vergleich mit dem Museum eben überhaupt nicht. Aufführungen sind komplexe, in bestimmten Traditionen stehende und sich historisch verändernde Praktiken mit einer theoretischen Fundierung, die bis Aristoteles zurückreicht. Die Meinung, eine Aufführung hätte nichts weiter zu tun als Anweisungen des Komponisten umzusetzen, ist grob vereinfachend und weder historisch richtig noch theoretisch begründbar, wie hier von kundiger Seite schon mehrfach nachgewiesen wurde.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Die Meinung, eine Aufführung hätte nichts weiter zu tun als Anweisungen des Komponisten umzusetzen

    Nur ist die Gegenmeinung, eine Aufführung hätte die Anweisungen des Komponisten bzw. der Autoren NICHT umzusetzen, mindestens ebenso anfechbar.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"


  • Ich habe sogar eine sehr hohe Meinung von Museen und gehe gerne und oft dorthin (vorzugsweise mit meinen Kindern); egal, ob Kunst, Völkerkunde etc. Trotzdem sehe ich zwischen den dort ausgestellten Objekten und einer Opernaufführung bzgl. ihrer jeweiligen "Lebendigkeit" einen klaren Unterschied: Die Objekte in einem Museum sind per se tote Objekte. Es mag sein, dass ich sie in meinem Geist zum Leben erwecken kann, jedoch bedarf es dazu notwendig meines Geistes - ein Vorgang, der mir, was literarische Kunst angeht, sogar konstitutiv zu sein scheint. Eine Opernaufführung hingegen ist per definitionem etwas lebendiges einfach dadurch, dass es zur Aufführung lebendiger Personen (Sänger, Orchester) bedarf. Der Vergleich zwischen einem Opernhaus und einem Museum bzw. zwischen einer Opernaufführung und einem statischen Kunswerk (Gemälde, Skulptur etc.) erscheint mit ein wenig, wie der sprichwörtliche Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen.

    Selbstverständlich haben Museen und Opernhäuser (oder Sprechtheater) Gemeinsamkeiten, aber eben auch wichtige Unterschiede, die zu ignorieren die Diskussion nicht weiterführt. Museen stellen in der Regel fertige Kunstwerke oder andere Exponate aus, zum Beispiel Gemälde oder Skulpturen. Ihre Aufgabe ist es, diese Kunstwerke zu sammeln, zu erhalten, der Öffentlichket zugänglich zu machen und die Kunstwerke im Rahmen von Ausstellungen in Kontexte zu stellen, die neue Einsichten und Bezüge ermöglichen (dazu kommt natürlich die gesamte Bildungsarbeit). Opern und Theaterstücke sind ebenfalls Kunstwerke, aber ganz offensichtlich von anderer Art. Sie werden nicht ausgestellt (falls man nicht nur die Partitur betrachten möchte), sondern sie müssen aufgeführt werden. Genau um diese Aufführung dreht sich die Diskussion, und da hilft der Vergleich mit dem Museum eben überhaupt nicht. Aufführungen sind komplexe, in bestimmten Traditionen stehende und sich historisch verändernde Praktiken mit einer theoretischen Fundierung, die bis Aristoteles zurückreicht. Die Meinung, eine Aufführung hätte nichts weiter zu tun als Anweisungen des Komponisten umzusetzen, ist grob vereinfachend und weder historisch richtig noch theoretisch begründbar, wie hier von kundiger Seite schon mehrfach nachgewiesen wurde.

    Lieber Michael, lieber Bertarido,


    da gebe ich Euch beiden völlig Recht! Natürlich ist auch eine Ausstellung eine "Inszenierung". Es ist etwas anderes, ob ich nur Turner-Bilder zeige oder diese im Kontext von Rembrandt und Monet sehen lasse. Dann kann der Betrachter ganz andere Bezüge herstellen. Eine Bibliothek ist in gewissem Sinne mit einem Museum vergleichbar - den Roman kann ich selber lesen. Bei Beethoven reicht es dagegen nicht, die Noten zu kaufen. Da endet die Analogie mit dem Museum. Wer deshalb von einer Aufführung verlangt, sie solle "museal" sein, der verneint sie damit als sinnschöpferischen Akt, als eigenständige künstlerische Leistung.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Wer deshalb von einer Aufführung verlangt, sie solle "museal" sein, der verneint sie damit als sinnschöpferischen Akt, als eigenständige künstlerische Leistung.


    Lieber Holger, genau das ist ja der Punkt, an dem sich die Geister scheiden. Wir erkennen eine Aufführung als eigenständige künstlerische Leistung an, während die Andersdenkenden genau dies vehement bestreiten und Dramaturgen und Regisseure lediglich als "Handwerker" betrachten, die Vorgaben von Komponisten und Librettisten umzusetzen haben. Zwischen diesem musealen Verständnis von Oper und dem unseren wird sich niemals Einigkeit herstellen lassen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Zwischen diesem musealen Verständnis von Oper und dem unseren wird sich niemals Einigkeit herstellen lassen.


    Und die Wahrheit liegt so oft in der Mitte, wenn nämlich eine Opernaufführung beides leistet: Lebendigkeit und zugleich Veranschaulichung eines Werkes aus "längst vergangnen Zeiten".


    Aber solange die Extremisten auf beiden Seiten immer nur wieder ihre Extrempositionen "austauschen", sind solche Diskussionen in der Tat sinnlos.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • "Mit Worten lässt sich trefflich streiten..." - sogar mit Worthülsen!
    Im Gegensatz zu einigen von euch habe ich die Nacht zum Schlafen benützt, war aber jetzt neugierig, was mein letzter Beitrag angerichtet hat. Und was sehe ich? Endlosen grotesken Streit um des Kaisers Bart, an dem ich mich nicht weiter beteiligen möchte. Nur nochmal zur Klarstellung:


    Ich hatte deutlich unterschieden zwischen einem Museum und einem "lebendigen Museum" und den Unterschied deutlich erklärt: Musik und Theater als "unfertige" Künste bedürfen, bevor sie präsentiert ("ausgestellt") werden, immer wieder der "Fertigstellung" durch (lebendige!) interpretierende Künstler. Die aber dürfen sich, meine ich, nicht als schöpferische Künstler aufspielen. Kein Sänger, Musiker oder Schauspieler (und auch kein Dirigent oder Regisseur!) wird dadurch zum bloßen Handwerker degradiert. Eingefordert wird nur, dass er seine Kunst in den DIENST DES WERKES stellt - und nicht in den seines Markwertes.


    Zur konzertanten Auführung: Selbstverständlich ist das eine Notlösung. Die erhält aber umso mehr Berechtigung, je seltener ein Werk aufgeführt wird (meist aus wirtschaftlichen Gründen) - oder je seltener es Gelegenheit gibt, ein Werk in einer adäquaten Form zu erleben. Da aber der Kern einer Oper die Partitur ist, liefert die konzertante Aufführung dem Publikum das WESENTLICHE des Werkes. Ich erinnere an das Unternehmen von Marek Janowski, den ganzen gängigen Wagner in mustergültigen Konzerten zu präsentieren. (Er wird seine Gründe gehabt haben!)


    Ich verabschiede mich hiermit von dem unfruchtbaren Gezänk (das ich auch noch selber initiiert habe!) und ermuntere diejenigen von euch, die meiner Haltung grundsätzlich zustimmen (Spielraum für Streit gibt es immer noch genug!), mit dem anderen von mir vorgeschlagenen Thema "BELCANTO KONTRA DRAMATISCHER GESANG?" eine neue Diskussion zu starten.


    Also dann ADDIO / ARRIVIDERCI !


    Sixtus

  • Ich erinnere an das Unternehmen von Marek Janowski, den ganzen gängigen Wagner in mustergültigen Konzerten zu präsentieren. (Er wird seine Gründe gehabt haben!)

    Ja, die hatte Herr Janowski, der mehr als zwei Jahrzehnte lang das Dirigat von Bühnenaufführung weitgehend gemieden hat, weil er mit dem Regietheater (oder "Regisseurstheater") nichts zu tun haben wollte und es ablehnte. Und derselbe Marek Janowski übernimmt nun in Bayreuth den Castorf-"Ring"...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • "BELCANTO KONTRA DRAMATISCHER GESANG?" eine neue Diskussion zu starten.


    Lieber Sixtus,


    dann sei bitte so nett und formuliere den ersten Beitrag zu diesem Thema. Du hast den Ball ins Feld gelegt, dann mache auch den Anstoß. Danke.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Nur wenn es dort auch zu Streitigkeiten kommt und Sixtus sich dann wieder mal beleidigt zurückzieht, weil ihm die Antworten nicht passen, dann finde ich das nicht mehr lustig. Das ganze Verhalten erinnert mich irgendwie an Classicophil der das auch sehr gut konnte und von dem man jetzt gar nichts mehr liest.

  • Nur wenn es dort auch zu Streitigkeiten kommt und Sixtus sich dann wieder mal beleidigt zurückzieht, weil ihm die Antworten nicht passen, dann finde ich das nicht mehr lustig. Das ganze Verhalten erinnert mich irgendwie an Classicophil der das auch sehr gut konnte und von dem man jetzt gar nichts mehr liest.


    Ein ähnlicher Einwurf lag mir auch schon in der Feder. Ich finde dieses Verhalten mindestens befremdlich.

  • Lieber Sixtus,


    auch ich finde es schade, dass du vor solchen Dingen kapitulierst. Was habe ich schon alles hier lesen müssen, aber an kapitulieren habe ich bisher nie gedacht


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Lieber Stimmenliebhaber,
    Bayreuth hat den Vorteil das Herr Janowski sich den Ring beim dirigieren nicht anschauen muss:) .

    ?(


    Dass der Dirigent im Festspielhaus nicht zur Bühne schaut, wäre mir neu...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Gehard,
    ich habe keineswegs kapituliert. Aber wenn ein Gewinde ausgeleiert ist, ist es sinnvoll, die ganze Schraube zu erneuern.


    Mein neues Thema steht übrigens bereit. Falls keiner reagiert, werde ich vielleicht selber noch einen Anstoß geben.


    Es grüßt ein nicht beleidigter, aber genervter


    Sixtus

  • Liebe Diskutanten,
    auch auf die Gefahr hin, mich hier gleich unbeliebt zu machen, wäre es vielleicht doch angeraten, einen Blick in die Antike (Zeit des Hellenismus) zu wagen, wenn man Oper und Museum vergleicht. μουσεῖον ist der Musentempel, das Heiligtum der Musen, also der Schutzgottheiten der Künste und Wissenschaften. In dieser Definition ist also Oper auf jeden Fall auch Museum. Unsere Institution Museum ging aus den Wunderkammern der Renaissance und des Barock hervor und sie hat einen deutlichen Unterschied zur Oper: im Museum werden Gegenstände ausgestellt, die in der Regel nicht für diesen Ort gefertigt wurden: sie werden in einem neuen Kontext inszeniert. In Archäologischen Museen werden Objekte aus Ausgrabungen aus ihrem antiken Kontext und dem Fundkontext herausgenommen und in den neuen Kontext überführt. Eine Oper ist aber auf den Kontext eines Opernhauses hin angefertigt: sie ist auf den Ort, in dem sie stattfindet hin konzipiert. Das scheint mir doch ein großer Unterschied zu sein. Insofern kann man über die Bezeichnung "Lebendiges Museum" (kann es so etwas geben?) zwar streiten, aber es ist schon deutlich geworden, was gemeint ist.


    Was mir nicht ganz klar geworden ist, ist, wo die Grenze zwischen dem "schöpferischen Künstler" und dem "interpretierenden Künstler" zu ziehen ist. Dies scheint mir auch der Kern des hier ausgetragenen Streits zu sein, der den Beteiligten nicht einmal mehr Freude zu machen scheint (warum wird es dann fortgesetzt?). Dabei ist das doch ein Punkt, um den man sehr produktiv streiten kann. Das geht nur in einer Kombination aus konkreter Beobachtung und theoretischer Reflexion, ihn die keine historische Tiefe erreicht werden kann. Diese ist aber unbedingt notwendig: einfach die Aufführungspraxis des 20. Jhs. als absolut zu setzen und sie nicht als Teil eines historischen Prozesse zu verstehen halte ich persönlich für verfehlt (man kann gern anderer Meinung sein, aber ich möchte dann gern die Argumente dafür hören).


    Bertarido hat dies in seinem statement

    Zitat

    Wir erkennen eine Aufführung als eigenständige künstlerische Leistung an, während die Andersdenkenden genau dies vehement bestreiten und Dramaturgen und Regisseure lediglich als "Handwerker" betrachten, die Vorgaben von Komponisten und Librettisten umzusetzen haben. Zwischen diesem musealen Verständnis von Oper und dem unseren wird sich niemals Einigkeit herstellen lassen.


    ganz gut zusammengefasst. Dennoch: ein Opernverständnis kann m. E. gar nicht museal sein und auch das der Anhänger historischer Inszenierungen ist nicht zwingend museal. Denn auch deren Inszenierung findet im hier und jetzt statt durch einen performativen Akt. Wenn ich den "rückwärtsgewandt" = historisch gestalte, hat dies ebenso eine Aussage wie eine "Zerschlagung des Alten, um etwas Neues zu schaffen" (das ist mir im Übrigen viel zu eindimensional). Ein schöpferisch eigenständiger Regisseur handelt nicht zwingend nach der letzten Maxime, er kann seine Eigenständigkeit auch in einem historischen Ansatz unter Beweis stellen. Natürlich muss er das nicht tun und kann das Augenmerk auf überzeitliche Inhalte legen. Will er beispielsweise zum Scheitern verurteilte Liebe deutlich machen, muss es dafür vielleicht sogar andere Ausdrucksformen als historische finden, weil unser gesellschaftlicher Kontext heute ein anderer ist. Und eine Opernaufführung bewusst aus diesem Hier und Jetzt herauszunehmen das wäre nun wirklich ein Bärendienst.
    Mit bestem Gruß
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Dennoch: ein Opernverständnis kann m. E. gar nicht museal sein und auch das der Anhänger historischer Inszenierungen ist nicht zwingend museal. Denn auch deren Inszenierung findet im hier und jetzt statt durch einen performativen Akt. Wenn ich den "rückwärtsgewandt" = historisch gestalte, hat dies ebenso eine Aussage wie eine "Zerschlagung des Alten, um etwas Neues zu schaffen" (das ist mir im Übrigen viel zu eindimensional). Ein schöpferisch eigenständiger Regisseur handelt nicht zwingend nach der letzten Maxime, er kann seine Eigenständigkeit auch in einem historischen Ansatz unter Beweis stellen. Natürlich muss er das nicht tun und kann das Augenmerk auf überzeitliche Inhalte legen. Will er beispielsweise zum Scheitern verurteilte Liebe deutlich machen, muss es dafür vielleicht sogar andere Ausdrucksformen als historische finden, weil unser gesellschaftlicher Kontext heute ein anderer ist. Und eine Opernaufführung bewusst aus diesem Hier und Jetzt herauszunehmen das wäre nun wirklich ein Bärendienst.


    Wunderbar ausgeführt! :thumbup:

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

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