Belcanto kontra dramatischer Gesang?

  • Bei der Lektüre der letzten Beiträge fällt mir ein ganz neues, dazu passendes Thema ein:
    Dramma per musica oder Arienzirkus?


    In Stichworten meine Intention: Monteverdi fand keine Nachfolger - bis Gluck den barocken Arienzirkus beendete. Seine Erben und Vollender: Mozart, dann Verdii einerseits, Wagner andererseits. Deren Erben und Spätlinge: Puccini, Strauss und Janacek. Mit dem Ende der Tonalität (und damit der Melodie) endet die Oper im engeren Sinn.


    Dass heute wieder Barockopern in Mode sind, weiß ich natürlich auch. Aber sie waren ziemlich lange vergessen, und wie ich meine, mit guten Gründen. Heute sind sie Spielwiesen für Originalklang-Fetischisten und Regisseure. Es wäre schön, wenn die ihre Spiele darauf beschränken würden - und die Meisterwerke des Kernrepertoires ungeschoren ließen.


    Darüber zu diskutieren wäre ich bereit.
    Grüße von Sixtus

  • Dass heute wieder Barockopern in Mode sind, weiß ich natürlich auch. Aber sie waren ziemlich lange vergessen, und wie ich meine, mit guten Gründen. Heute sind sie Spielwiesen für Originalklang-Fetischisten und Regisseure.


    Dass viele Regisseure Barockopern auf ziemlich merkwürdige Weise präsentieren, ist fraglos richtig. Es ist natürlich auch schwierig, diese Opern adäquat auf die Bühne zu bringen, eben wegen dem, was du "Arienzirkus" nennst. Und was den "Formalismus" angeht, so handelt es sich nicht um ein Vorurteil, sondern um einen Gesangsstil, der bestimmte stimmtechnische Voraussetzungen verlangte, innerhalb deren ein Sänger die Gefühle transportieren musste, eben ohne Schreien, Schluchzen etc., was eben schwieriger ist als beispielsweise die ganze Bajazzoarie durchzuheulen. Gerade deshalb liebe ich seit einiger Zeit Barockopern - einerseits die Virtuosität, die Verzierungen in der Reprise und andererseits in den langsameren Arien die Frage, wie der Interpret den Gefühlsgehalt "rüberbringt". Deswegen liebe ich aber die späteren Opern nicht weniger - nur, wie ich weiter oben schon mal sagte: man mag nicht immer zum gefühlt tausendsten Mal die Traviata oder den "Don Giovanni" hören

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Lieber Sixtus,
    so langsam finde ich mich in diesem Thema überhaupt nicht mehr zurecht. Denn ich hatte ja vorher schon geschrieben, das die jetzigen Thema mit dem Ursprungsthema nichts mehr zu tun haben. Und ich hab ja auch geschrieben, das meine Frage mit den unterschiedlichen Gesangstechniken und Gesangststielen von den Sängern von heute und früher etwas für ein extra Thema wäre. Und einiges was dazu geschrieben worden ist hatte ich vorher schon geschrieben, z.B das es fast keine Ensembles mehr gibt und als Sänger der sich im Ensemble von mittleren Rollen über Mozart bis zum heutigen Wagner Sänger etwickelt hat, hatte ich als Beispiel den Tenor Corby Welch von der Rheinoper angeführt, dessen Weiterentwicklung ich über Jahre mitverfolgen konnte. An der Rheinoper konnte ich schon einige , immer sehr gut inszenierte Barockopern sehen wie Alcina oder Xerxes oder Gulio Cesare . Dort wurde nicht mit Originalmklang gearbeitet und welches Opernhaus hat heutzutage Countertenöre, da werden die Rollen wie in Händels Rinaldo von Mezzos besetzt.

  • so langsam finde ich mich in diesem Team überhaupt nicht mehr zurecht


    Kein Wunder, von einem Team kann hier auch keine Rede sein :hahahaha:


    Und der Thread wird dadurch immer unübersichtlicher, dass Sixtus darin immer wieder neue Themen beginnt, anstatt neue Threads dafür zu eröffnen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Und der Thread wird dadurch immer unübersichtlicher, dass Sixtus darin immer wieder neue Themen beginnt, anstatt neue Threads dafür zu eröffnen.

    Ja, das stimmt zwar, aber "Sixtus" ist noch ziemlich neu hier und fachlich nicht ganz unbeleckt, also hegt und pflegt ihn ein bissl und vergrault ihn nicht gleich wieder! ;)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Daß sollte ja auch keine Kritik sein, da meine Beiträge ja auch nicht immer fehlerfrei sind :) , sondern nur ein Denkanstoß sein die ganzen Unterthemen in externe Themen zu vertiefen. Ich fand zum Beispiel das Thema mit den Sängern ab 1960 sehr interessant, da ich zu meiner Schande gestehen muss , das ich keine der von Stimmenliebhaber aufgeführten Sänger gekannt habe.

  • da ich zu meiner Schande gestehen muss , das ich keine der von Stimmenliebhaber aufgeführten Sänger gekannt habe.

    In einigen Fällen, wie bei Sylvia Geszty und Spas Wenkoff, ist das aber in der Tat eine Schande! :D

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ja, das stimmt zwar, aber "Sixtus" ist noch ziemlich neu hier und fachlich nicht ganz unbeleckt, also hegt und pflegt ihn ein bissl und vergrault ihn nicht gleich wieder! ;)


    Wer austeilt, muss auch einstecken können. Wer meine geliebten Barock-Opern als Arienzirkus bezeichnet, dem würde ich am liebsten in den Allerwertesten treten :P
    Von der steilen These, Opern-Meisterwerke wie "Lulu" oder "Die Soldaten" seien keine Opern im engeren Sinne mehr, mal ganz zu schweigen.

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  • Wer meine geliebten Barock-Opern als Arienzirkus bezeichnet

    ...liegt - völlig wertfrei! - gar nicht so falsch! Der Arien-"Zirkus" und die Stimmakrobatik, welche die Kastraten, Primadonnen u.a. damit betreiben, war höchst virtuos und auch a bissl Selbstzweck, sonst hätte es nicht soviel Reformer bedurft. Es war ein bissl wie die üppigen Gelage der Borgia-Päpste, weshalb es dann einen Martin Luther geben musste!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Der Arien-"Zirkus" und die Stimmakrobatik, welche die Kastraten, Primadonnen u.a. damit betreiben, war höchst virtuos und auch a bissl Selbstzweck, sonst hätte es nicht soviel Reformer bedurft. Es war ein bissl wie die üppigen Gelage der Borgia-Päpste, weshalb es dann einen Martin Luther geben musste!


    Ja, ja, das waren üppige Feste. Es gibt genug Literatur darüber. Die Leute saßen nicht über fünf Stunden an ihren Stühlen gefesselt. Was wir heute unter Barockoper verstehen, ist das nicht nur ein dürrer Abklatsch? Was bin ich nicht stundenlang auf harten Bänken in gluteißen alten Theatern hin und her gerutscht und hätte ein Königreich für eine handfesten "Martha" gegeben. ;) Oder in Heckentheatern, wo erst die Mücken stechen und dann die Kälte herauf kriecht. Eine Arie und ein Rezitativ am anderen, keine Ensembles. In Italienisch - oder was dafür gehalten wird. Auf der Bühnen Figuren im kleinen Schwarzen und Straßenanzügen, die etwas von Zeus und einem Tyrannen von sich geben. Das kann es nicht sein - wenngleich es auch andere, opulente Produktionen gibt, die wirklich bestens gesungen werden. An das, was dieses Genre einst zum Ereignis für eine bestimmte gesellschaftliche Schicht machte, aber gewiss nicht herankommen. Ich gehe so weit, zu sagen, dass die Wiederentdeckung der barocken Oper in Teilen auch ein Irrtum ist bzw. auf einem Irrtum beruht. Das ist aber meine ganz persönliche Meinung, mit der ich niemanden zu nahe treten möchte, der diese Opern liebt.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Wie schon mal angedeutet, erstreckt sich die "Barockoper" über 150 Jahre bzw. reichen einige der entsprechenden Traditionen bis in den Rossini/Bellini/Donizetti-Belcanto hinein. Das kann man wohl kaum über einen Kamm scheren.


    Die Monteverdi-Oper Anfang des 17. Jhds. ist ziemlich genau das Gegenteil von "Arienzirkus" (weit weniger als Mozart, Rossini oder früher/mittlerer Verdi) und sicher eine der am stärksten textbezogenen Formen des Musiktheaters überhaupt.


    Die französische Barockoper (oder die Werke Purcells) ist ebenfalls weniger Arienzirkus als Mozart oder Donizetti.


    Die italienischen Opern des 18. Jhds., etwa Alessandro Scarlattis oder Händels sind gewiss in mancher Hinsicht Arienzirkus, aber das gibt es bei Mozart oder Rossini ebenfalls (Idomeneo, Clemenza di Tito, Tancredi gehören ja noch ganz klar in diese Tradition). Aber die besseren Stücke erschöpfen sich genauso wenig in dem Zirkus wie die entsprechenden des späten 18. oder frühen 19. Jhds. Ich halte es schon für mehr als eine bloße Mode, dass man das dramatische Potential dieser Stücke (oder jedenfalls der besten) wiederentdeckt hat und damit bei einem Teil des Publikums ankommt.


    Es ist dafür auch zweitrangig, dass das seinerzeitige Publikum vielleicht in erster Linie wegen der Diven, Kastraten und Bühneneffekte begeistert gewesen ist. Insgesamt dürfte das weitgehend adlige Publikum des 17. und 18. Jhds. musikalisch eher kompetenter gewesen sein als das der populären Opern des 19. (oder das heutige Publikum), da eigenes Musizieren/Singen selbstverständlich zur Ausbildung dieser Klassen gehörte, und man sollte m.E. sehr vorsichtig sein, die als größere Banausen als wir es sind, darzustellen.
    (Wenn man Berichte aus den Opernhäusern des 19. Jhds. liest, war es dort mit der Aufmerksamkeit des Publikums (bzw. welchen Aspekten diese galt) jedenfall keineswegs besser bestellt als 100 oder 150 Jahre früher.)


    (Schließlich finde ich es auch bemerkenswert, dass teilweise dieselben Forianer, die den "Kern" des Musiktheaters als "Sängerfest" sehen, nicht viel mit den Formen, bei denen das am deutlichsten herauskommt, nämlich italienische Hochbarockoper und Belcanto der 1820er-30er anfangen können...)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zunächst, lieber Sixtus, entschuldige ich mich für meine vielleicht allzu flapsige letzte Bemerkung von heute Nacht - ich wollte nicht handgreiflich werden, sondern lediglich zum Ausdruck bringen, dass ich Deine Kommentare zur Barockoper als provokant empfunden habe, ebenso wie der Ausdruck "Originalklang-Fetischisten" sicher nicht den Verdiensten der historisch informierten Aufführungspraxis gerecht wird.


    Zum Thema hat Johannes eigentlich schon alles gesagt. Die Barock-Oper ist ein weites Feld, zeitlich vom späten Monteverdi bis frühen Mozart reichend, mit einer französischen und einer italienischen Tradition und großen Unterschieden. Es ist richtig, dass diese Opern zu manchen Zeiten dazu dienten, die Virtuosität der Solisten, insbesondere der Kastraten, zu demonstrieren, denen die Arien auf den Leib geschrieben waren. Aber solche "Showpieces" hat es auch im 19. Jahrhundert gegeben. Und ich persönlich empfinde viele dieser Arien als wesentlich "echter" im Hinblick auf den musikalischen Ausdruck der Gefühle als manche Belcanto-Oper, wo alles schön klingt, auch wenn die Sänger gerade von Trauer, Verzweiflung, Zorn etc. singen.


    Ganz unter den Tisch fällt auch immer, dass die barocke Opera seria nicht nur aus Arien besteht, sondern auch aus Rezitativen, die für die dramatische Entwicklung eine Schlüsselfunktion haben. Ich genieße die Rezitative manchmal fast mehr als die Arien, eine entsprechende Gestaltung auf der Bühne vorausgesetzt.


    Und Countertenöre, lieber Rodolfo, sind doch das Salz in der Suppe der Barock-Oper, da wir über Kastraten nicht mehr verfügen.


    Aber das sind alles Themen, die hier eigentlich gar nicht hingehören.

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  • Als ich gestern Abend meinen Rundumschlag präsentiert hatte, war ich erst mal erleichtert, kam mir aber dann vor wie Tannhäuser, der nach seiem Ausruf "Zieht in den Berg der Venus ein!" in ein Dutzend Schwertspitzen blickt. Nach der Lektüre eurer ersten Reaktionen dachte ich jetzt: Ist das alles? Ich hatte mit dem Beginn meiner Post-Forum-Zeit gerechnet! Der Firnis der Zivilisation ist also gar nicht so dünn...


    Immerhin wollte mich Bertarido in den Arsch treten - das ist doch schon mal was für den Anfang. Als Hilfestellung dazu sage ich noch: Zimmermanns Soldaten lass ich mir nicht als Meisterwerk andrehen. (Ich kenne das Stück!) Puccini sagte schon zu weniger grotesken Konstrukten: "Musik ohne Heimat". Ohne Melodie keine Oper, so einfach ist das. Viele sind nur zu feige, das laut zu sagen. Bruno Walther zum gleichen Thema: "Der Intellekt singt nicht." Mehr muss man dazu nicht sagen.


    Das mit dem Arienzirkus ist doch offensichtlich: Die feudale Unterhaltungsindustrie (der heutigen postmodernen ähnlich) brauchte keine Dramen, sondern Shows. Man hielt sich Hofkomponisten, die ein höfisches Publikum, das während der Rezitative in den Logen plauderte, speiste und flirtete, zwischendurch mit zwei Dutzend Bravourarien bei Laune hielten. Oder mit viel Ballett, "zum Entzücken der älteren Kavaliere", wie es im Capriccio heißt. Das dürfte auch der Hauptgrund sein, warum man dergleichen wieder aus der Versenkung geholt hat.


    Danke, lieber Stimmenliebhaber, dass du mich noch ein wenig hätscheln willst. Aber das wird bei einem rüstigen Endsiebziger nicht viel helfen. Wir sollten etwas mehr Klarheit schaffen, z.B. darüber, dass in einer Diskussionsrunde ein Minimum an Konsens bei dem herrscht, worüber diskutiert werden kann oder muss - und wo Diskussion sinnlos ist. (Deshalb habe ich auch die Regietheater-Debatte nicht ausgehalten.) Das erreicht man am ehesten durch Aussortieren der Teilnehmer, deren Chemie zu der der übrigen nicht passt. Deshalb habe ich gestern einiges klargestellt.


    Ich bin ebenso bereit, meinen Hut zu nehmen, wie mit denen, die mir in den Grundzügen zustimmen, einen neuen Thread zu beginnen. Aber das Thema sollte nicht zu eng sein, sonst wird es zur Fessel.


    So oder so: Seid gegrüßt von Sixtus!

  • Ich bin Bertarido und Johannes sehr dankbar für ihre klare Parteinahme für die alte Oper, vor allem, da sie sich in der ganzen Operngeschichte auskennen (ein wenig ich auch, aber im 19. Jh. lange nicht so gut).
    Und den Ausdruck "Originalklang-Fetischisten" möchte ich mit dem Ausdruck "Stimmbandfetischisten" kontern (dabei meine ich nicht dich, lieber "Stimmenliebhaber", denn zwischen Liebhaber und Fetischisten gibt es ja doch gewisse Unterschiede).
    :thumbup:

    "He is the corpse at every funeral, the bride at every wedding, and the child at every christening!" (Tochter von Roosevelt über ihren Vater)

  • Lieber Sixtus,
    Das du dich zurückziehen sollst, davon hat hier nie jemand gesprochen. Meine einzige Anregung war, das man die ganzen Unterthemen in unterschiedlichen externen Themen vertiefen kann.

  • Die feudale Unterhaltungsindustrie (der heutigen postmodernen ähnlich) brauchte keine Dramen, sondern Shows. Man hielt sich Hofkomponisten, die ein höfisches Publikum, das während der Rezitative in den Logen plauderte, speiste und flirtete, zwischendurch mit zwei Dutzend Bravourarien bei Laune hielten. Oder mit viel Ballett, "zum Entzücken der älteren Kavaliere", wie es im Capriccio heißt. Das dürfte auch der Hauptgrund sein, warum man dergleichen wieder aus der Versenkung geholt hat.


    Die Beschreibung passt zu 100% auch auf die Grand opéra des 19. Jahrhunderts, nur dass der Hof inzwischen durch das Großbürgertum ersetzt worden war. Warum war dort ein Ballett obligatorisch? Damit die vermögenden Herren die von ihnen ausgehaltenen "Ballettratten" auf der Bühne bewundern und später hinter derselben treffen konnten. Und warum erst im zweiten Akt? Weil die Herren für gewöhnlich erst dann vom Diner kommend in der Oper erschienen. Wer dann wie Wagner das Ballett gleich am Anfang präsentierte, provozierte naturgemäß einen Skandal.


    Aber vielleicht siehst Du ja auch die Grand opéra nicht als "Oper im engeren Sinne" an?


    Zimmermanns "Soldaten" als groteske Konstruktion zu bezeichnen, offenbart nur Deinen begrenzten Horizont. Man darf ein solches Werk nicht mögen, suum cuique. Aber seinen überragenden künstlerischen Rang zu bestreiten ist ebenso abwegig wie es eine entsprechend Äußerung über eine Wagner-Oper Ende des 19. Jahrhunderts gewesen wäre.

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  • Das ist schon lustig, dass einer im selben Beitrag sich zuerst (überflüssigerweise!) bei mir entschuldigt, dann glaubt, mir (!) wortreich erklären zu müssen, warum der Tannhäuser in Paris durchgefallen ist - und mir schließlich einen begrenzten Horizont bescheinigt. Den haben wir alle. Aber die Begründung:


    Dass ich einem Stück des modernen "Musiktheaters" trotz seiner hochkomplexen Struktur (die mir nicht entgangen ist) - und trotz der amtlichen Zustimmung der Hofberichterstatter von der Presse - den Glorienschein eines Meisterwerks abspreche, ist mein gutes Recht und hängt nicht vom Radius meines Horizonts ab. Man führe solche Stücke ohne Abo auf (und ohne verschenkte Karten) und lasse das Publikum mit den Füßen entscheiden! Dann hört der Zirkus der Uraufführungen auf, die dem Publikum auf Kosten der Steuerzahler untergeschoben werden, damit der Kulturbetrieb weiterläuft. Dann sind die Donaueschinger unter sich und schmoren im eigenen Saft. Hat sich das noch nicht bis zu euch herumgesprochen?


    Das, aber nicht nur das, hat mich bewogen, zumindest keinen Thread mehr anzustoßen. Die Schreckschüsse aus dem Hinterhalt muss ich mir nicht mehr antun. Ich werde künftig, wenn es Alfred recht ist, bei Gelegenheit meinen Senf dazu geben, wenn ich es für nützlich und hilfreich halte. Aber an humorlosen Haarspaltereien, die sich Diskussion nennen, möchte ich nicht mehr so gern teilnehmen.
    Ich habe meine Haltung begründet und habe keine Veranlassung, sie nach den bisherigen Kommentaren zu ändern.
    Bis auf Weiteres: Tschüs!
    Sixtus

  • Das ist schon lustig, dass einer im selben Beitrag sich zuerst (überflüssigerweise!) bei mir entschuldigt, dann glaubt, mir (!) wortreich erklären zu müssen, warum der Tannhäuser in Paris durchgefallen ist


    War das Majestätsbeleidigung? Dann bitte ich Euer Gnaden um Pardon. Im übrigen habe ich Dir nicht den Misserfolg des Tannhäuser erklärt, sondern zu belegen versucht, dass die von Dir als Besonderheit der Barockoper aufgezeigten Merkmale keineswegs auf diese beschränkt sind.



    - und mir schließlich einen begrenzten Horizont bescheinigt. Den haben wir alle.


    Richtig, die Frage ist nur, wie wir damit umgehen. Neugierig und offen, bereit zur Infragestellung der eigenen (Vor-)Urteile, oder engstirnig und borniert.



    Als ich gestern Abend meinen Rundumschlag präsentiert hatte, war ich erst mal erleichtert, kam mir aber dann vor wie Tannhäuser, der nach seiem Ausruf "Zieht in den Berg der Venus ein!" in ein Dutzend Schwertspitzen blickt. Nach der Lektüre eurer ersten Reaktionen dachte ich jetzt: Ist das alles? Ich hatte mit dem Beginn meiner Post-Forum-Zeit gerechnet! Der Firnis der Zivilisation ist also gar nicht so dünn...


    Die Schreckschüsse aus dem Hinterhalt muss ich mir nicht mehr antun. Ich werde künftig, wenn es Alfred recht ist, bei Gelegenheit meinen Senf dazu geben, wenn ich es für nützlich und hilfreich halte. Aber an humorlosen Haarspaltereien, die sich Diskussion nennen, möchte ich nicht mehr so gern teilnehmen.


    Was denn nun? Erst war der Widerspruch zu lau, und nun gleich eingeschnappt? :evil:

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  • Erst einmal gibt es hier keine Schreckschüsse aus dem Hinterhalt, sondern dein Modertionsstiel, der mir immer sehr Oberlehrerhaft rüberkam, hat nicht grade zu einer angeregten geführt. Wie oft bin ich schon von Stimmenliebhaber verbessert worden, dann ziehe ich mich aber nicht schmollend wie eine Diva zurück, sondern bin offen für kritik oder Verbesserungen.

  • Zwar weiß ich immer noch nicht genau, worauf der Thread eigentlich hinaussoll (anscheinend um "fachgerechte Sängerbesetzung"), aber im Titel sind doch anscheinend in etwa folgende Gegensätze mitgedacht:


    Schönheit vs. Wahrhaftigkeit
    Sängervirtuosität vs. Ausdruck
    Konvention vs. Freiheit
    prima la musica vs. Dominanz von Text/Handlung


    Das ist etwas holzschnittartig, findet sich aber auch in vielen Kommentaren des Threads so ähnlich wieder. Natürlich gibt es keine Form des Musiktheaters die ganz auf der einen oder anderen Seite stünde. (Auch das freieste Musikdrama fügt sich der bizarren Konvention, dass gesungen statt gesprochen wird.)
    Vermutlich sind sich die meisten einig, dass die Oper des Hochbarock und des Belcanto bis ca. 1840 überall eher auf der linken Seite stehen (während Monteverdi und Mussorgsky, Janacek nahezu überall rechts einzuordnen sind).
    Das heißt aber nicht, dass die rechte Seite völlig zu kurz käme. Für die Musiker und Hörer der opera seria um 1730 wäre es seltsam gewesen, einen Gegensatz zwischen der Sängervirtuosität und dem Ausdruck des Affekts zu konstruieren: Die Virtuosität war nötig, um die (stilisierten) extremen Gemütslagen angemessen auszudrücken.

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  • Lieber Johannes Roehl,


    das ist der sachlichste und fundierteste Beitrag in diesem veunglückten Thread. Leider kommt er zu spät.
    Ich habe mehrere Anläufe genommen, um genau dieses Ziel anzupeilen. Aber die Gruppe war so heterogen, dass ich vollauf damit beschäftigt war, das Mäandern in Grenzen zu halten.

    Dies ist jetzt vielleicht eine letzte Gelegenheit, mein Themenziel im Ganzen zu erläutern:
    Ich wollte im Gespräch zeigen, dass in einer Oper der Belcanto selbst iin Wagners Musikdrama - und natürlich auch noch beim späten Verdi, ja sogar noch im Verismo und bei Strauss - immer vor Augen (und Ohren!) stehen muss. Fehlt er, dann bleibt vielleicht "zeitgenössisches Musiktheater" übrig, das mit Oper nicht mehr viel zu tun hat. (Deshalb habe ich auch von "Oper im engeren Sinn" gesprochen, die mit Kakophonie nicht kompatibel ist. Aber ist wohl anders eingeordnet worden.)


    Zu meiner Geringschätzung der barocken Opera seria: Weil sie fast nur aus Arien besteht, die an der Wäscheleine der Rezitative hängen, konnte diese Gattung kaum echte Dramen hervorbringen. Und ihre französische Rivalin, die Tragédie lyrique, verhinderte das Dramma per musica durch ihre ins Kraut schießenden obligaten Balletteinlagen. Erst Gluck hat dagegen opponiert, aber leider mit begrenztem Erfolg, sodass noch Mozart und sogar Rossini gezwungen waren, sich dieser erstarrten Form zu bedienen, die den Belcanto zum Selbstzweck erhoben hatte. Die Gattung lag künstlerisch schon im Koma, als der reife Mozart mit da Ponte den Weg des (heiter/ernsten) Dramas wies.


    Ich hoffe, ich habe dich nicht zu sehr gelangweilt.


    Beste Grüße von Sixtus

  • Aber dann hättest du beim Ursprungs Thema bleiben sollen und nicht immer wieder andere Themenschwerpunkte setzen müssen. Manchmal hatte ich das Gefühl das meine Beiträge von dir gar nicht gelesen werden, da ich zum Beispiel geschrieben habe, das Wagners fliegender Holländer durchaus was mit Belcanto zu tun hat zum Beispiel in den Duett mit Holländer und Daland oder Holländer und Senta. Das moderne Musik nichts mehr mit Belcanto oder Verismo zu tun hat ist doch logisch. Obwohl ich zeitgenössische Musik nicht sonderlich zugetan bin finde ich aber das die Soldaten ein Meisterwerk sind. Und im Belcanto werden die Rezitative genauso häufig wiederholt wie in der Barock Oper. Und was die französische Musik betrifft, da streicht man ja schon häufig die Balletteinlagen wie in Verdis sizilianischer Vesper oder Verdis Don Carlo, in der französischen Fassung, was ich immer sehr schade finde.

  • Und ich habe versucht, am Beispiel von Monteverdi und Cavalli zu zeigen, dass diese Werke dramatischer Belcanto sind; man vergleiche nur die vielen "Lamenti" (siehe meinen solipsistischen thread darüber). Sie sind durchkomponiert, sie sind virtuos, genauso wie der klassische Belcanto (man höre nur mal die Cavalli- und Monteverdi-Sänger) und sie enthalten keinen Arienzirkus, sondern es entrollt sich ein hinreißendes Drama (Orfeo,Calisto, Didone,Poppea). Das heißt, dass alle Ingredienzien einer guten Oper schon weit vor dem Belcanto und dem Barock entwickelt worden sind. Es ist euer gutes Recht, dass ihr euch damit nicht befassen wollt, vielleicht, weil ihr diese Sachen nicht kennt. Aber mein Einwand war eben: Bei einem solchen grundlegenden Thema man sollte schon die ganze Operngeschichte im Blick haben. Und ich glaube auch, dass ich das immer höflich formuliert habe.

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  • Es ist euer gutes Recht, dass ihr euch damit nicht befassen wollt, vielleicht, weil ihr diese Sachen nicht kennt.


    Ich für mein Teil habe von "Monteverdi" 3x "Orfeo" (in zwei verschiedenen Inszenierungen), 1x "Ulisse" und 2x "Poppea" (in zwei verschiedenen Inszenierungen) gesehen und Monteverdi gefällt mir sehr gut, gerade weil es noch kein typischer Barock ist, die Stücke sind Dramma per musica.


    Von Cavalli habe ich 2x "La Callisto" (in zwei verschiedenen Inszenierungen) und 1 "La Didone" gesehen und finde Cavalli deutlich schwächer als Monteverdi.


    In einen Monteverdi würde ich mal wieder reingehen, auch wenn wann das für die nächsten Jahre nicht oben auf meiner Agenda steht (es gibt ja noch so vieles andere - und immer und immer wieder sehe ich mir dann doch eher die Sachen zwischen Mozart und R. Strauss an), aber Cavalli muss in diesem Leben wirklich nicht nochmal sein...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • In einen Monteverdi würde ich mal wieder reingehen, auch wenn wann das für die nächsten Jahre nicht oben auf meiner Agenda steht (es gibt ja noch so vieles andere - und immer und immer wieder sehe ich mir dann doch eher die Sachen zwischen Mozart und R. Strauss an), aber Cavalli muss in diesem Leben wirklich nicht nochmal sein...


    Das ist nun Dein persönlicher Geschmack, den Dir auch niemand streitig machen will. Ich habe auch meine Vorlieben und Abneigungen. Zum Beispiel kann ich mit der von vielen hier so geliebten deutschen Spieloper wenig bis nichts anfangen, und die französische Opéra comique interessiert mich auch nur sehr begrenzt. Ich würde aber trotzdem nicht behaupten, dass diese Traditionen irrelevant oder künstlerisch minderwertig sind.


    Die These, dass sich in der spätbarocken Opera seria kein Drama entfalten kann, weil es "nur" Arien und Rezitative gibt, halte ich für falsch. Dazu muss man sich aber erst einmal darüber unterhalten was ein Drama ist. Vielleicht mache ich in der Barock-Oper-Sektion dazu ein Thema auf (falls es nicht schon eines gibt, ich habe noch nicht gesucht).


    Übrigens: Nach den mir gerade zugänglichen Musik-Lexika ist der Begriff Dramma per musica gerade als Bezeichnung der italienischen Opera seria des 17. und 18. Jahrhunderts eingeführt worden. Also gerade für die Opern, die nach der von Sixtus vertretenen These kein dramatisches Potential haben.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Und ich bin bei dir schon sehr zurückhalten und reagiere gar nicht mehr auf jeden Schreibfehler. Das muss ich jetzt aber doch mal festhalten:

    8-)


    "zurückhaltend", meint submissest dr. pingel.

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