Belcanto kontra dramatischer Gesang?


  • Ich für mein Teil habe von "Monteverdi" 3x "Orfeo" (in zwei verschiedenen Inszenierungen), 1x "Ulisse" und 2x "Poppea" (in zwei verschiedenen Inszenierungen) gesehen und Monteverdi gefällt mir sehr gut, gerade weil es noch kein typischer Barock ist, die Stücke sind Dramma per musica.


    Von Cavalli habe ich 2x "La Callisto" (in zwei verschiedenen Inszenierungen) und 1 "La Didone" gesehen und finde Cavalli deutlich schwächer als Monteverdi.


    In einen Monteverdi würde ich mal wieder reingehen, auch wenn wann das für die nächsten Jahre nicht oben auf meiner Agenda steht (es gibt ja noch so vieles andere - und immer und immer wieder sehe ich mir dann doch eher die Sachen zwischen Mozart und R. Strauss an), aber Cavalli muss in diesem Leben wirklich nicht nochmal sein...


    Du kennst ja da noch viel. Aber auch hier muss ich sagen: ohne eine sehr gute CD, die man oft hören muss, erwirbt man keine Kenntnis einer Oper; das gilt für alle Opern. Und da muss ich sagen, für Janacek habe ich Jahrzehnte gebraucht, Monteverdi und Cavalli gingen ganz schnell.
    Der Unterschied von Monteverdi zu Cavalli ist dieser: Monteverdi war einer der Pioniere der Oper überhaupt. Seine drei erhaltenen Opern sind alle das, was man als dramma per musica bezeichnen kann. Die Oper war auch nicht sein alleiniges Feld. Cavalli war ein Opernkomponist, der sehr erfolgreich war und das 17. Jahrhundert dominiert hat. Dass er so anders wirkt und schreibt, hat mit dieser Konzentration zu tun. Dass er gegenüber Monteverdi weniger gewichtig wirkt, ist am Anfang einsehbar, löst sich aber bald auf, denn er schreibt leicht (aber nicht seicht) und hat andere Stoffe. Ich glaube, wenn man Monteverdi mit Verdi vergleichen kann ("Verdi war ein begeisterter Wanderer in den Dolomiten, sodass man ihn bald nur Monteverdi nannte"), ist Cavalli der Puccini dieser Epoche.

    " ... wie weit soll unsere Trauer gehen? Wie weit darf sie es ohne uns zu entwurzeln...(Doe tote Stadt, Schluss)

  • Aber auch hier muss ich sagen: ohne eine sehr gute CD, die man oft hören muss, erwirbt man keine Kenntnis einer Oper; das gilt für alle Opern.

    Nach der Logik gab es vor Erfindung der CD (oder auch LP) gar keine Opernkenner! :D


    Und da muss ich sagen, für Janacek habe ich Jahrzehnte gebraucht, Monteverdi und Cavalli gingen ganz schnell.

    Bei mir ist es tendenziell eher umgekehrt begegnet, Janacek ist mir von Anfang an in den Opernhäusern begegnet, Monteverdi nicht, Cavali schon eher, aber nicht besonders eindrücklich. Unter Cavalli nahm die Oper den Weg, der dann in den Arien-Zirkus der Kastraten führte, also weg von dem, was Monteverdi, Peri und anderen ursprünglich vorgeschwebt hatte.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Natürlich gab es früher jede Menge Opernkenner, aber das galt für eine begrenzte Zahl der Opern. Außerdem gab es überall feste Ensembles, die diese Opern ständig wiederholten. Ich habe alte Programme aus Düsseldorf (1970er,1980er) ausgekramt, die hatten 50 Opern im Repertoire und spielten 33x in der Woche( ich lass den Fehler mal stehen. Gemeint ist natürlich Monat). Wenn ich heute ein Programm aus Gelsenkirchen bekomme, dann gibt es eine einzige Oper, die maximal 3x im Monat gespielt wird; der Rest sind Musicals oder Kindervorstellungen. Und an den meisten Tagen wird gar nicht gespielt.
    Gegenfrage: nenne mir doch die Opern, die du sofort beim ersten Hören verstanden hast oder mitsingen konntest. Deine Aussage über Cavalli kommentiere ich mal mit einem Spruch von René Jacobs, der ja eine der Cavalli-Autoritäten ist (neben mir :D ): er hielt Cavalli für den letzten großen Komponisten, der noch durchkomponierte, bevor der Arienzirkus los ging. Also, Cavalli, kann man für den Arienzirkus nicht verantwortlich machen, eher schon Händel, obwohl das für Julius Caesar in diesem Sinne auch nicht gilt.

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  • Sorry, aber könnte man diese Diskussion über Komponisten wie Monteverdi, Cavalli, bzw. Oper des 17. und 18. Jahrunderts nicht in einen eigenen Thread verlegen, in den ich dann (grosses Ehrenwort!) keinen Blick werfen werde! :untertauch:
    Dieser Thread sollte (siehe Titel) sollte doch um etwas gehen, das auch mich interessieren würde.....

  • Nö, "belcanto contra dramatischer Gesang" bzw. ob das überhaupt ein unvereinbarer Gegensatz sei, betrifft eben auch die Oper des 17. u. 18. Jhds.
    Wenn ein vehementer Wagnerianer hier Mozart, Rossini und Verdi als "Arienzirkus" abkanzeln würde, weil außer Wagnerschen Musikdrama nix zählt, müsste er ebenfalls mit Einspruch rechnen.
    Ich sehe es aber ebenfalls so, dass es wenig bringt, einzelne persönliche Favoriten zu nennen oder zu verteidigen (aber es gibt halt Kandidaten, die das nicht lassen können); da jedoch zwischendurch z.B. der Anteil osteuropäischer Sänger im Opernbetrieb der seinerzeitigen DDR angesprochen wurde, ist das kaum die schlimmste Threadentgleisung.


    Ich starte oder erwecke daher nachher noch einen Thread zur Apologie der Barockoper (um den belcanto des frühen 19. Jhds. müssen sich andere kümmern).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Gegenfrage: nenne mir doch die Opern, die du sofort beim ersten Hören verstanden hast oder mitsingen konntest.

    Nahezu alle Opern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts (ab den großen Mozart-Sachen Mitte der 1780er Jahre) haben mich zumindest sofort angesprochen!


    Bei "La Callisto" war es bei mir so: Ich erlebte eine Produktion der Kammeroper Berlin im Hebbel-Theater und war sehr angetan. Ein Jahr später erlebte ich eine Jacobs-Wernecke-Produktion in der Staatsoper Berlin und habe mich totgelangweilt.


    da jedoch zwischendurch z.B. der Anteil osteuropäischer Sänger im Opernbetrieb der seinerzeitigen DDR angesprochen wurde, ist das kaum die schlimmste Threadentgleisung.

    Als "Entgleisung" sehe ich jetzt mal diesen deinen Beitrag, denn ich habe ausdrücklich auf einen Punkt reagiert, der vom Thread-Gründer kam.
    Dass manch anderer hier versucht, in jede Diskussion irgenwie seine drei Lieblingskomponisten reinzubekommen, finde ich da schon störender, als etwas zu bedienen, um das ausdrücklich gebeten worden war! X(

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Sorry, aber ein Thread-Starter hat keineswegs automatisch größere Rechte, was Entgleisungen betrifft. Es wurde ja überhaupt nicht moderierend eingegriffen; insofern war das weder ein Vorwurf an Dich noch an Sixtus.
    Nur war das eben eine der besonders bizarren Richtungen, in die der Thread mäandert war. Da solche Exkurse nicht moderiert wurden, ist es schlicht abwegig, wie in #154 einzufordern, Oper des 17./18. Jhds. auszuklammern; bei der ist nämlich keineswegs klar, ob sie irrelevant für diesen Thread ist. Und es ist auch völlig wurscht, ob Euch diese Stücke interessieren oder nicht. Da von Monteverdi bis Gluck und Mozart immer wieder theoretische und praktische Streitigkeiten a la "prima la musica - poi le parole" aufgekommen sind, wäre diese Epoche im Gegenteil sogar besonders fruchtbar für ein Aufspüren der im Threadtitel angedeuteten Gegensätze.

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  • Mir scheint es trotzdem, dass der "barocke Ziergesang (Kesting)" nur als Vorstufe zu Belcanto oder gar dramatischem Gesang betrachtet werden sollte und nicht vermehrt im Zentrum diskutieert werden solllte.

  • Da solche Exkurse nicht moderiert wurden, ist es schlicht abwegig, wie in #154 einzufordern, Oper des 17./18. Jhds. auszuklammern;

    Nun hat "Sixtus" hier aber in der Tat auf Nachfrage on "Dr. Pingel" erklärt, dass es hier in dieser seiner Rubrik darum genau nicht gehen solle. Dann hat sich Dr. Pingel auch wortreich verabschiedet, dabei blieb es aber dann nicht. Beitrag 154 war also nur eine Reaktion auf etwas, was bereits viel früher stattgefunden hatte, schon auf den ersten beiden Seiten dieser Rubrik.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich möchte einmal etwas gehässig einen neuen Gedanken vorbringen.
    1. Was ist der Sinn von Sängeropern-CDs (Recitals,früher war das das Wunschkonzert)?
    Mit Opern kann es nichts zu tun haben, denn jede Arie hat in der Oper eine bestimmte Funktion in der Dramaturgie, sei sie noch so berühmt. Ich als Junge habe von hier aus den Weg zur ganzen Oper gefunden. Aber diese Kindereien habe ich als Erwachsener abgelegt. Also, Sänger-Recitals sind Bastarde. Der Sinn einer Oper ist nicht das Wunschkonzert.
    2. Warum sind sie dennoch so beliebt? Nun, sie zeigen den Sänger in seiner Virtuosität und seinem Belcanto, aber nach meiner Erfahrung hat die Virtuosität Vorrang. Mit Dramatik kann das ja eh nichts zu tun haben. Man könnte es auch Stimmprotzerei nennen. Kulinarisch ausgedrückt heißt das: eine Schachtel Pralinen. Mir wird von einer Schachtel Pralinen schlecht.
    3. Jetzt kommt die Gehässigkeit. An welchem Material wird diese Stimmprotzerei ausgelebt? Haben diese Sänger Monteverdi, Cavalli, Händel, Keiser, Hasse, Gluck, Hindemith oder Janacek im Programm? Aber nicht doch. Überwiegend sind es die Komponisten, die hier verhandelt werden.
    4. Hier wird behauptet, dass der barocke Ziergesang nur die Vorstufe zu Belcanto sei. Ich kann nicht glauben, dass das von Kesting ist, denn das zeugt von einer derartig spezifischen Ignoranz, wie ich sie Kesting nicht zutraue.
    5. Noch eine Sottise von Karl Kraus hinterher: "Puccini, das war doch der, der den Lehar vorgeäfft hat!"

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  • Haben diese Sänger Monteverdi, Cavalli, Händel, Keiser, Hasse, Gluck, Hindemith oder Janacek im Programm? Aber nicht doch. Überwiegend sind es die Komponisten, die hier verhandelt werden.


    So sehr ich Dir sonst zustimme: Magdalena Kožená hat gerade eine CD mit Monteverdi-Arien veröffentlich, davor war es Vivaldi. Cecilia Bartoli und Simone Kermes sind andere Beispiele für virtuose Arien-CDs aus dem Barock. Ich finde das übrigens gut, denn auch wenn einzelne Arien nicht die ganze Oper ersetzen, können sie doch zu diesen hinführen. Mir haben CDs der beiden Letztgenannten die neapolitanische Barock-Oper (Hasse, Porpora, Vinci, Pergolesi) nahegebracht. Inzwischen höre ich allerdings nicht mehr die Arien-CDs, sondern die ganzen Opern.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.


  • So sehr ich Dir sonst zustimme: Magdalena Kožená hat gerade eine CD mit Monteverdi-Arien veröffentlich, davor war es Vivaldi. Cecilia Bartoli und Simone Kermes sind andere Beispiele für virtuose Arien-CDs aus dem Barock. Ich finde das übrigens gut, denn auch wenn einzelne Arien nicht die ganze Oper ersetzen, können sie doch zu diesen hinführen. Mir haben CDs der beiden Letztgenannten die neapolitanische Barock-Oper (Hasse, Porpora, Vinci, Pergolesi) nahegebracht. Inzwischen höre ich allerdings nicht mehr die Arien-CDs, sondern die ganzen Opern.


    Danke für diese Information. Ich freue mich total darüber. Cecilia Bartoli, die für mich nicht immer überzeugend ist, hat aber in der Wiederentdeckung von Salieri und besonders Agostino Steffani Großes geleistet, auch sängerisch. Und wenn du schreibst, dass Arien-CDs dazu führen, dass man dann Lust auf ganze Opern hast, dann fühle ich mich doch sehr bestätigt, denn das ist eine Funktion von Sänger-Recitals, die absolut legitim ist: den Hörern die ganze Oper schmackhaft zu machen. Und dass das alles von dir kommt, lieber Bertarido, wundert mich nicht, denn du bist einer der Taminos, die am unbefangensten und offen sich jeder Musik nähern.

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  • Frau Kermes möchte ich nicht unbedingt in einer Verdi oder Mozart Oper sehen, aber in einer Barockopern live auf der Bühne kan ich mir sie ganz gut vorstellen. Was mich etwas an ihr stört ist das sie aus jedem Konzertabend immer eine Simone Kermes Show machen muss. Frau Kozena hat das Glück das sie mit Herrn Rattle verheiratet ist, ich kann mich so gar nicht für die begeistern. Die einzige die wirklich erfolgreich ist su Frau Bartoli. Sie kann einfach beides Belcanto und Barockopern singen.
    Was die Barockoper angeht, mag ich vor allem Händel und Monteverdi, deren Opern ich an der Rheinoper auch schon gesehen habe.

  • Auf der Internetseite von Mariinsky Tv live Webcast kann man eine konzertante Aufführung von Donizettis Regimentstochter bestaunen . Die jungen Solisten kommen alle von der Sänger Akademie ich glaube das ist wie hier in Deutschland die Musikhochschulen. Alle beherrschen perfektes Französisch und vor allem sie agieren auch auf der Bühne und man merkt das sie mit ihren Rollen auch verinnerlicht haben , ganz besonders bei den Sängern von Marie und Tonio . Da braucht man sich um den Sängernachwuchs keine Sorgen zu machen. Viele sind ja hier im Forum gegen konzertante Aufführungen, aber das schöne dabei ist, man kann den Sängern ins Gesicht schauen. So sieht man zum Beispiel wie der Sänger des Tonio der alle 12 hohen C`s in seiner Arie problemlos meisterte, vor dem Arienfinale ganz tief Luft geholt hat und dann im Stiel eine Juan Diego Florez die Arie beendet hat. Auch die sehr sympathische Sängerin der Marie hatte die hohen Töne locker drauf und konnte auch wunderbar die leisen Töne singen. Auch hervorheben muss man den jungen Bariton der den Belcore gesungen hat, aus dem kann mal ein richtig guter Verdi Bariton werden. Wer nicht nur in Erinnerungen schwelgen möchte der sollte sich diese Aufführung unbedingt ansehen. Ich weiß aber nicht weil lange sie noch verfügbar ist.