Luigi DALLAPICCOLA
IL PRIGIONIERO
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Prolog und ein Akt in vier Szenen
Libretto von Luigi Dallapiccola nach "La torture par l'espérance" von Graf Villiers de L'isle-Adam und "La légende d'Ulenspiegel et de Lamme Goedzak" von Charles de Coster
Uraufführungen am 01. Dezember 1949 (konzertant) und am 20. Mai 1950 in Florenz (szenisch)
Die Handlung spielt in Saragossa
Zeit: Zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts
Originalsprache: Italienisch
Spieldauer: ca. 45 Min.
Die Personen
Die Mutter (Sopran)
Der Gefangene (Bariton)
Der Kerkermeister (Tenor)
Zwei Priester (Tenor, Bariton)
Der Großinquisitor (Tenor)
Prolog
Vor einem schwarzen Vorhang wartet die Mutter des Gefangenen darauf, Ihren Sohn zu sehen. Sie ahnt, daß es wohl die letzte Begegnung sein wird. Sie berichtet von einem wiederkehrenden Alptraum, einer grauenvollen Vision, die sie jede Nacht peinigt: Wie durch sich langsam auflösenden Nebel eröffnet sich ihr der Blick auf ein tiefes, dunkles Loch, das sich nahezu endlos ausdehnt. In der Ferne sieht sie eine schemenhafte, gespenstische Gestalt, die sich ihr langsam nähert, und der sie sich nicht entziehen kann. Sie erkennt in dieser Gestalt König Philip, der seinen rechten Arm hebt und erklärt, Gott sei der König des Himmels, auf Erden aber herrsche er, Philip. Der Kopf des Königs verwandelt sich in einen Totenschädel, der sie anblickt und sie erwacht voller Furcht.
Die Mutter verschwindet in der Dunkelheit.
Einziger AUFZUG 1. Szene Eine furchtbare Zelle im Kerker der Inquisition
In seiner Zelle berichtet der Gefangene der verzweifelten Mutter von seinen Qualen durch Einsamkeit und Folter. Er fürchtet den Schlaf ebenso wie das Erwachen. Eines Tages aber habe das einzige lebende Wesen, das zu ihm kommen darf, der Kerkermeister, sein Schweigen gebrochen und ihn freundlich "Bruder" genannt. Nach all den furchtbaren körperlichen und seelischen Foltern habe ihm dieses freundliche Wort menschlicher Zuwendung Lebensmut und Hoffnung zurückgegeben, und er habe zum Gebet zurückgefunden. Das Gespräch endet, als der Kerkermeister sich nähert.
Einziger AUFZUG 2. Szene In der Zelle im Kerker
Der Gefangene ist sich bewußt, wieder allein zu sein. In der offenen Tür erscheint der Kerkermeister und spricht den Gefangenen an: "Bruder".
Im folgenden Gespräch schildert der Kerkermeister die Aufstände gegen Spanien in Flandern und die militärischen Erfolge der Rebellen.
Mit eindringlichen Worten ermuntert er den Gefangenen, nicht in der Hoffnung nachzulassen, da nun eine konkrete Aussicht für ihn bestehe, freizukommen.
Als der Kerkermeister gegangen ist, bemerkt der Gefangene, der freudig erregt über die Mitteilungen des Kerkermeisters auf seine Befreiung hofft, daß die Zellentür nicht völlig verschlossen ist.
Einziger AUFZUG: 3. Szene Im Kerker
Der Gefangene hat die Zelle verlassen. Das Gewölbe, in dem er sich befindet, ähnelt dem Loch in der Vision der Mutter. Er geht in die Richtung, in der er den Ausgang vermutet. Plötzlich erscheinen zwei in einen theologischen Disput vertiefte Priester. Der Gefangene duckt sich in eine Ecke und zu seinem Erstaunen sieht ihn der Priester; der in seine Richtung schaut, nicht, während er dem anderen Priester, der meint, ein Atmen wahrgenommen zu haben, erklärt, alle Gefangenen lägen in Erwartung ihrer Hinrichtung schlafend in ihren Zellen. Während die Priester weitergehen, erreicht der Gefangene den Ausgang.
Einziger AUFZUG: 4. Szene In einem Garten
Der Gefangene hat den Kerker verlassen und findet sich in einem Garten wieder. Er genießt die frische Luft unter dem Sternenhimmel und wähnt sich auf dem sicheren Weg in die Freiheit. In seiner Begeisterung nähert er sich mit einer Geste der Umarmung einer Zeder. Aus dem Schatten der Zeder umschließen ihn in Erwiderung seiner Geste zwei Arme, die, wie der Gefangene erkennt, dem Großinquisitor gehören, der ihn mit gleicher Stimme wie der Kerkermeister anspricht: "Bruder".
Völlig vernichtet erkennt der Gefangene, während im Hintergrund bereits der Scheiterhaufen aufflackert, daß die Hoffnung die letzte und schlimmste aller Torturen war. Widerstandslos, läßt er sich vom Großinquisitor zum Scheiterhaufen führen, den er nun als seinen einzigen Weg zur Freiheit erahnt.
[code=c]2005 Misha für Tamino Klassikforum Wien