Aktive Pianisten unserer Tage: Daniil Trifonov

  • https://de.wikipedia.org/wiki/Daniil_Olegowitsch_Trifonow




    Die erste Begegnung mit dem Pianisten Vladimir Ashkenazy in meiner Jugendzeit war eine Radiosendung, wo seine Aufnahme einer Auswahl aus den „transzendentalen“ Etüden von Franz Liszt wiedergegeben wurde. Dies hat mich damals wie man so schön sagt „vom Stuhl gehauen“ und ab diesem Zeitpunkt kaufte ich zuerst diese und dann eine Ashkenazy-Platte nach der anderen. Ashkenazy spielt nicht nur virtuos, er hat diesen frischen, unverbrauchten Gestus revolutionärer Aufbruchstimmung gepaart mit unfehlbarer Pianistik. Liszt von allem Pomp entschlackt und trotzdem mit romantischer „Größe“ und „transzendentaler“ Weite. Dazu kommt Ashkenazys unfehlbare Technik und große Spielkultur, die Fähigkeit, auf dem Klavier Geschichten erzählen zu können. In Bezug auf Trifonov gibt es nun Parallelen zu meinem Ashkenazy-Liszt-Erlebnis von damals, denn diese CD ist schließlich die erste, die ich von diesem jungen Pianisten überhaupt erworben habe. Erfüllt sie also die Erwartungen wie der Titel verspricht? Verschafft mir das ein „transzendentales“ Hörerlebnisses? Ich muss es ganz eindeutig sagen: Nein!


    Aber beginnen wir mit dem Positiven. Trifonov hat offenbar diese gewisse agogische Verkrampfung, die sich in seiner früheren u.a. bei Youtube zugänglichen Bild- und Tondokumenten zeigt, abgelegt. Er ist eindeutig reif geworden. Seine Haltung am Klavier ist sehr viel entspannter, sein Spiel deutlich natürlicher geworden. Und es ist nicht zu bestreiten, dass er sich mit diesem kolossalen Werk Liszts geistig auseinandergesetzt hat. So überzeugt „Chasse neige“, dass er bruchlos an „Harmonie du soir“ anschließt, als ein resignativer Rückblick. Trifonov versteht Lizts Etüdenwerk nämlich als eine reflektierte Lebensgeschichte des Reifens und Altwerdens. Es liegen ihm zweifellos die Etüden 8 und 10 ganz besonders, wo kompromisslos subjektive, leidenschaftliche Expressivität zum Ausdruck kommt. Das ist mitreißend „mit Feuer“ gespielt. Doch insgesamt fehlt diesem Zyklus die Geschlossenheit eines einheitlichen, „großen Wurfs“, der einen von Anfang bis Ende den Atem rauben könnte. Schon der Auftakt vermag mich als Hörer nicht vom Stuhl zu reißen. Da fehlt der zusammenhängende große Bogen und letztlich auch die „transzendentale“ Virtuosität des „Darüberstehens“, die manuelle Alles-über-Alles-Souveränität. Da wirkt doch so vieles einfach angestrengt bemüht, wo ein Ashkenazy, ein Cziffra, ein Berman oder Svjatoslav Richter mit göttlicher Mühelosigkeit pianistisch zu Werke gehen. Trifonov ist, was das rein Pianistische angeht, letztlich doch weder ein Pogorelich, noch ein Zimerman, noch ein Kissin. Und leider habe und behalte ich beim wunderbaren Klangstück „Paysage“ Vladimir Ashkenazy im Ohr. Besonders diese Etüde gelingt dem russischen Altmeister phänomenal mit überragendem Legato-Spiel, idiomatischer Treffsicherheit, was den romantischen „Ton“ angeht, nämlich Sinn für den choralhaften Ton romantischen „Glockengeläutes“ zu haben und den hymnischen großen Bogen im dynamischen Aufbau so zu zelebrieren, wie es sein soll. All das bringt Trifonov einfach nicht zustande. Was man statt dessen vernimmt sind sensualistische Klangsäuseleien mit zudem wenig organischen, störenden Tempowechseln und völlig altmodischem, überflüssigem „Geklapper“ – Melodiestimme und Bass werden zeitversetzt gespielt. Und Mazeppa? Das wirkt letztlich einfach undämonisch. Keine große Erschütterung, kein Entsetzen über eine Welt, die durch die entfesselten Gewalten aus den Fugen gerät, wie dies ein Lazar Berman vermitteln kann und vor allem: kein großer Atem eines die Welt ergreifenden Geistes. Statt dessen gibt es doch sehr aufgesetzt demonstrativ wirkende Rhetorik am Schluss mit zerdehnten Pausen. Die „Irrlichter“ sind ordentlich aber eben nicht aufregend präziös gespielt, wie es ein Ashkenazy einfach klaviertechnisch besser kann. Da ist nichts Romantisch-Gespenstisches zu vernehmen. „Vision“ – Liszts Eindrücke beim Anblick des Grabmals von Napoleon – gelingt Trifonov dagegen mit am besten, denn ein Stimmungsbild entwerfen kann er. Enttäuschend dagegen „Eroica“; da fehlt schlicht die Begeisterung und Ambivalenz, die romantisch große Geste, wo Erhabenheit und Größe sich auf der Grenze zum Größenwahn bewegt. Und „Ricordanza“, jenes Stück, welches Busoni an „vergilbte Liebesbriefe“ erinnerte, ist leider einfach schwach. Gerade dieses Stück ist vielleicht das „Gefährlichste“ des Zyklus, denn der Interpret kann hier allzu leicht in die „Kitschfalle“ tappen. Bei Cziffra wird es geradezu durchglüht von berstender Leidenschaft, so dass auch der letzte Kitschanflug im leidenschaftlichen Fegefeuer regelrecht verbrennt. Trifonov dagegen bietet dem Hörer betuhlich-biedermeierliche „Impressionismen“ an – zudem droht das Stück in seine Einzelteile zu zerfallen. „Harmonie du soir“ hat wiederum Vladimir Ashkenazy so überragend gespielt, dass man im Prinzip keine andere Aufnahme mehr zu hören braucht. Auch Trifonov nicht, der wiederum Lyrismus an Lyrismus reiht. Da fehlt ihm der „lange Atem“, der große dynamische Bogen, oder anders ausgedrückt: die Dramaturgie.


    Das Fazit: Trifonov ist sicher eine Persönlichkeit, der eine durchdachte, geistvolle Auseinandersetzung mit Liszts transzendentalem Etüdenwerk zu bieten hat auf pianistisch sehr hohem Niveau. Da sind andere Aufnahmen von jüngeren und älteren Pianistenkollegen auch mit gutem Namen eindeutig schwächer. Aber die große Offenbarung, gar eine „transzendentale“ Referenz, ist das wahrlich nicht!


    Schöne Grüße
    Holger


    APUT

  • Lieber Holger,


    die Transzendentalen Etüden gehören meines Erachtens nicht gerade zu Liszts stärksten Werken. Ich habe ein eher distanziertes Verhältnis zu ihnen. Es gibt von Trifoniv einen youtube-Mitschnitt, den ich sehr mitreißend fand, zum ersten Mal überhaupt bin ich da am Stück an mehr als drei Etüden drangeblieben. Aber Mitschnitte haben doch etwas Trügerisches, der visuelle Eindruck verstellt immer die Musik. Bisher konnte ich von der CD nur einige Stücke hören (mehr vermag ich auch gar nicht bei diesem Ungetüm). In einigen Punkten sehe ich es anders als Du. Zunächst bemängelst Du, dass der große Bogen fehle, als Vergleichsaufnahmen führst Du aber unter anderem Richter und Ashkenazy an, die beide freilich niemals alle 12 Stücke gespielt und somit auch niemals den großen Bogen herstellen konnten. Lazar Berman hat den Zyklus komplett aufgenommen, es ist ja eine berühmte Aufnahme. Allerdings finde ich sie einseitig laut und technich geradezu brutal, eben alles andere als tranzendental. Man hört bei Berman, wie schwer die Stücke sind, aber gerade das geht doch an ihnen vorbei. Trifonov hingegen spielt mit großer Geschmeidigkeit, immer elegant. Feux follets finde ich viel lebendiger und gewitzter als bei Ashkenazy, der für mich eher akademisch agiert (auch bei den anderen Stücken). Bei Trifonov funkeln die Irrlichter, bei Ashkenazy bleiben sie matt. Mazeppa hat Zug und es gibt viel zu entdecken - ich kann mit dieser tonal bis auf den Mittelteil langweiligen Etüde ansonsten nichts anfangen, Sie lebt nur von der Bewegung. Bei Trifonov habe ich sie mir zumindst gerne bis zu Ende angehört. Mit Richter sollte man Trivonov nicht vergleichen, das ist ein ganz anderes Klavierspiel, Trifonov geht den Schattierungen nach und ist ein Sensualist. Was für mich kein Schimpfwort ist. Bei "Harmonies Du soir" ist mein Favorit Richter, der Mittelteil ist hier erschütternd, es ist wohl auch das beste Stück. Erwähnen möchte ich noch die Aufnahme von Jorge Bolet - für mich die geschmackvollste und beste Etüden-Gesamteinspielung, eben weil Bolet niemals die Technik ausstellt (wie Berman). Und an Bolets Chasse neige, das sich erst nach und nach zum Sturm entlädt, kommt auch Trifonov nicht heran. Trotzdem, für mich ist Trifonovs Aufnahme eine Bereicherung, eben weil die Musik im Vordergrund steht! Aber ich würde mir doch wünschen, dass er nicht nur dieses Virtuosenrepertoire aufnimmt.


    Viele Grüße,
    Christian

  • Daniil Trifonov tritt in meinem Klavierabo am 4. Februar 2017 auf, sechs Tage vor Maurizio Pollini. Den letzten Konzerttermin mit ihm in Köln konnte ich leider wegen anderweitiger Verpflichtungen nicht wahrnehmen. Leider komme ich im Moment nicht auf die Homepage der Kölner Philhamronie, sonst könnte ich euch das genaue Programm mitteilen, aber er spielt auf jeden Falle Schumann, Schostakowitsch und Strawinsky.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • die Transzendentalen Etüden gehören meines Erachtens nicht gerade zu Liszts stärksten Werken. Ich habe ein eher distanziertes Verhältnis zu ihnen.

    Das sehe ich ganz anders, lieber Christian. Liszt hat die Gattung Klavieretüde zum poetischen Klavierstück erhoben. Das ist musikgeschichtlich hoch bedeutsam. Sicher sind diese Etüden nicht so homogen und konstruktiv wie die von Chopin, die sich an Bach WTK orientieren. Das sind bei Liszt mehr ausladende Einzelstücke und einige haben den Charakter von symphonischen Dichtungen wie "Mazeppa". Da ist natürlich viel 19. Jhd. drin mit der ganzen Theatralik (die Nähe zu Wagners Opern ist unverkennbar in manchen Passagen). Diese 19. Jhd.-Idiomatik und Problematik ist oft spürbar. "Ricordanza" - da denkt man zuerst: Mein Gott! Es ist aber aufregend, was Liszt da aus einer romantischen Schmachtfetzen-Melodie macht, die dann hochmodern bei Debussy landet! Er war eben ein großer Visionär als Komponist! In den Etüden wird dem Klavier bei Liszt eine ganz neue, "symphonische" Dimension erschlossen, und das ist singulär. Auch bei Chopin gibt es das nicht.



    Zunächst bemängelst Du, dass der große Bogen fehle, als Vergleichsaufnahmen führst Du aber unter anderem Richter und Ashkenazy an, die beide freilich niemals alle 12 Stücke gespielt und somit auch niemals den großen Bogen herstellen konnten.

    Ich meinte auch eher den großen Bogen im Einzelstück.



    Allerdings finde ich sie einseitig laut und technich geradezu brutal, eben alles andere als tranzendental. Man hört bei Berman, wie schwer die Stücke sind, aber gerade das geht doch an ihnen vorbei.

    Das halte ich aber für eine Fehleinschätzung. :) Es gibt 2 Melodya-Aufnahmen (aus Anfang der 50iger und Anfang der 60iger) die kranken leider, leider einfach an einer grausamen Aufnahmetechnik, die gläsern hart ist, so dass der Flügel unnachgiebig wie Beton klingt. Dafür kann Berman aber nichts. Zum Glück es gibt einen Konzertmitschnitt aus Mailand aus den 70igern, der ist noch einmal deutlich facettenreicher und ausgefeilter. Wirklich grandios!




    Trifonov hingegen spielt mit großer Geschmeidigkeit, immer elegant. Feux follets finde ich viel lebendiger und gewitzter als bei Ashkenazy, der für mich eher akademisch agiert (auch bei den anderen Stücken). Bei Trifonov funkeln die Irrlichter, bei Ashkenazy bleiben sie matt.

    Die Dämonie bei Ashkenazy liegt in der unglaublichen technischem Perfektion, die wirklich zum Paganini-Erlebnis wird. Es gibt nur eine Aufnahme für mich, die das übertrumpft, dass ist das unfaßbare Sofia-Konzert von Svjatoslav Richter. Das hat auch Richter selbst in keinem anderen Dokument jemals mehr erreicht.




    Erwähnen möchte ich noch die Aufnahme von Jorge Bolet - für mich die geschmackvollste und beste Etüden-Gesamteinspielung, eben weil Bolet niemals die Technik ausstellt (wie Berman).

    Ja, dann muß man auch Arrau erwähnen, für den dasselbe gilt. Das sind dann Aufnahmen, die weniger durch eine transzendentale Technik "begeistern" wollen wie Cziffra, Ashkenazy, Berman und Richter, sondern die Liszt-Etüden klassisch-romantisch nehmen als seriös-gediegene Musikstücke. Die Qualitäten dieses Ansatzes sind natürlich unbestreitbar. :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Lieber Holger,


    ich finde, dass Berman live in Milano nicht weniger 'brutal' spielt als in der Studioaufnahmen. Er bringt in der MAZEPPA den Flügel regelrecht zum Bersten und spielt auch hier die aufsteigene linke Hand sehr laut und kraftvoll. Dabei ist das doch nur die Begleitfigur, die nach vorne treibt. Bolet ist hier viel geschmackvoller (und langsamer, aber hier stört es mich nicht), und weil er so wunderbar die Meldodie ausspielt und die linke Hand zurücknimmt, wirkt bei ihm auch der Tonsatz nicht so überfrachtet wie bei Berman. Wenn ich mich schon auf diese Etüden mal einlasse, gefällt mir so eine elgante Herangehensweise jedenfalls besser. Trifonov spielt schneller als Bolet und auch bei ihm donnert die linke Hand nicht, sie hat aber genügend Kraft. Bei Berman ist alles gleich laut. Ich schätze Berman sehr, aber bei diesen Werken scheint er unbedingt demonstrieren zu müssen, wie gewaltig er spielen kann. Das ist gewiss dämonisch, aber er transzendiert damit die Etüde eben nicht auf eine andere Ebene. Ich mag jetzt gar nicht behaupten, dass Trifonov hier eine neue Refernz vorgelegt hat, dafür kenne ich mich mit desen Werken nicht gut genug aus. Aber ich finde es ist eine in ihren Schattierungen interessante Aufnahme.


    Viele Grüße,
    Christian

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  • Bolet ist hier viel geschmackvoller (und langsamer, aber hier stört es mich nicht), und weil er so wunderbar die Meldodie ausspielt und die linke Hand zurücknimmt, wirkt bei ihm auch der Tonsatz nicht so überfrachtet wie bei Berman. Wenn ich mich schon auf diese Etüden mal einlasse, gefällt mir so eine elgante Herangehensweise jedenfalls besser.


    Aber doch nicht ausgerechnet bei Mazeppa, lieber Christian! Da wird einer in die Steppe gejagt und zu Tode gehetzt. So was Brutales und Garstiges soll man in einer "eleganten Herangehensweise" zum Ausdruck bringen? :D Und von wegen Tonsatz überfrachtet: Das Stück gibt es auch in einer Orchesterversion! Das ist eine Symphonie (symphonische Dichtung) auf dem Klavier, da ist der Klaviersatz nun mal symphonisch "überfrachtet"! :D Ich habe natürlich die Noten und werde also demnächst Berman und Bolet mit Notentext hören und sage dann, wer was notentexttreuer macht! :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Lieber Holger,


    wie gesagt, ich mag das Stück nicht besonders und finde es tonal bis auf dem Mittelteil eintönig. Das Grundthema wird nur leicht variiert - das war's im Grunde. Zu ertragen ist das für mich nur, wenn man ihm wenigstens eine gewisse Eleganz abgewinnt. Man sollte seinen eher banalen Charakter nicht auch noch durch einen oberflächig brachialen Vortrag unterstreichen. Berman gefällt mir besser, wenn er Schubert spielt!


    Viele Grüße,
    Christian

  • Lieber Holger,


    wie gesagt, ich mag das Stück nicht besonders und finde es tonal bis auf dem Mittelteil eintönig. Das Grundthema wird nur leicht variiert - das war's im Grunde. Zu ertragen ist das für mich nur, wenn man ihm wenigstens eine gewisse Eleganz abgewinnt. Man sollte seinen eher banalen Charakter nicht auch noch durch einen oberflächig brachialen Vortrag unterstreichen. Berman gefällt mir besser, wenn er Schubert spielt!

    Lieber Christian,


    das ist eine Frage der Ästhetik. Mit dieser Herangehensweise wirst Du Wagners Vorspiel zur "Walküre" auch eintönig finden. (Was sich über die Anlage wirklich nicht richtig anhört, denn diese Musik ist vom Theatromanen Wagner eindeutig für die Bühne geschaffen und keine "absolute Musik".) Auch da gibt es diesen "Naturalismus", den Eindruck einer Bewegung hervorzurufen. Im 18. Jhd. hat man gesagt, Musik kann entweder "malend" sein oder "das Herz rühren". Bei Beethoven steht so mal in der Partitur: "Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei". Mazeppa ist eindeutig tonmalerisch - Du suchst da aber die Rührung des Herzens, wofür (Rousseau!) die Melodie traditionell zuständig ist, magst deshalb den Mittelteil von Mazeppa und findest das Andere unmelodisch eintönig! :D :D :D


    Schöne Grüße
    Holger

  • Daniil Trifonov tritt in meinem Klavierabo am 4. Februar 2017 auf, sechs Tage vor Maurizio Pollini. Den letzten Konzerttermin mit ihm in Köln konnte ich leider wegen anderweitiger Verpflichtungen nicht wahrnehmen. Er spielt auf jeden Falle Schumann, Schostakowitsch und Strawinsky.


    Lieber Willi, das ist sicher sein Tourneeprogramm, mit dem ich ihn im Oktober im Kleinen Saal der Berliner Philharmonie erlebt habe. Schumann Kinderszenen, Toccata op. 7, Kreisleriana - Pause - Schostakowitsch Präludium und Fuge Nr. 7, 2, 5 und 24, danach Strawinsky Drei Sätze aus Petruschka: Danse russe, Chez Petrouchka und La Semaine grasse. Ich mag Trifonov, er ist der junge Wilde auf dem Pianistenmarkt. Mit Orchester saß ich ihm im April direkt gegenüber beim monumentalen 3. Rachmaninov-Konzert, das war eine Offenbarung und Trifonov danach schweißgebadet. Der Klavierabend war interessant, auch weil nicht alles überragend war. Ich möchte hier nicht in Einzelheiten gehen, um dich nicht mental zu beeinflussen. Der Berliner "Tagesspiegel" schrieb eine Rezension unter der Überschrift "Rausch und Absturz". Das ist etwas reißerisch formuliert, soll heißen, dass sich Trifonov mitunter so verausgabt, dass er danach Mühe hat, in die Spur zu finden. Mir hat Trifonov gefallen, äußerlich ist er mal ganz introvertiert mit Katzenbuckel, später springt er auf und donnert im Stehn die Akkorde. Im Publikum war natürlich die ganze Fangemeinde versammelt, die ihn mit Bravos (oder russisch: Bravas) überschüttete. Ich habe mich dabei nicht ausgeschlossen. Genau weiß ich es nicht mehr, aber mindestens drei Zugaben gab es. Nach der letzten Klappe zu und Schluss. Übrigens tritt er jetzt mit Bart auf, das macht ihn ungemein männlich!
    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Vielen Dank den Diskutanden hier für die interessanten Beiträge. Ich kenne diese Liszt'schen Etüden noch nicht sehr gut, lasse mich aber gerade anregen, mich näher mit Ihnen zu beschäftigen. Was mir ohne große Investitionen möglich ist, da ich die Aufnahmen von Jorge Bolet und Lazar Berman im Plattenregal stehen habe. Dazu auf CD die Aufnahmen mit Alice Sara Ott, die ja bei ihrem Erscheinen vor einigen Jahren so hoch gelobt wurden. Wie vergleichen sich denn die mit denen von Trifonov? Holger schrieb in einem thread "- auch das ist technisch souverän, aber ansonsten ziemlich "grün".

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  • Lieber Holger,


    ja, es ist eine Frage der Ästhetik, aber nicht nur die meiner eigenen Vorlieben. Sondern auch die der Werke selber. Und die Mazeppa ist ein vor allem reißerisches, eigentlich aber banales Stück, das vor allem auf den Effekt hin komponiert wurde. Musikalisch passiert wenig bis nichts. LA MER von Debussy ist ja auch ein 'malendes' Werk, aber dank seiner faszinierenden Modulationen vermag es bei einem (erfahrenen) Zuhörer etwas in Bewegung setzen. Ich stelle jetzt einfach mal die völlig unabgesicherte These in den Raum, dass es einer gewissen musikalischen Komplexität bedarf (bspw. in Form von reibungsvollen, spannenden Modulationen), damit der Zuhörer emotional angesprochen wird. Liszt konnte das ja durchaus, nicht nur in den wunderbaren Années. Aber hier finde ich ihn doch erschreckend platt. Und da ist mir eben ein Ästhet wie bspw. Bolet lieber (obwohl er eigentlich viel zu langsam spielt!), schafft er es doch, selbst diesem beschränkten Material noch etwas abzugewinnen.


    Viele Grüße,
    Christian

  • Lieber Holger,


    ja, es ist eine Frage der Ästhetik, aber nicht nur die meiner eigenen Vorlieben. Sondern auch die der Werke selber. Und die Mazeppa ist ein vor allem reißerisches, eigentlich aber banales Stück, das vor allem auf den Effekt hin komponiert wurde. Musikalisch passiert wenig bis nichts. LA MER von Debussy ist ja auch ein 'malendes' Werk, aber dank seiner faszinierenden Modulationen vermag es bei einem (erfahrenen) Zuhörer etwas in Bewegung setzen. Ich stelle jetzt einfach mal die völlig unabgesicherte These in den Raum, dass es einer gewissen musikalischen Komplexität bedarf (bspw. in Form von reibungsvollen, spannenden Modulationen), damit der Zuhörer emotional angesprochen wird. Liszt konnte das ja durchaus, nicht nur in den wunderbaren Années. Aber hier finde ich ihn doch erschreckend platt. Und da ist mir eben ein Ästhet wie bspw. Bolet lieber (obwohl er eigentlich viel zu langsam spielt!), schafft er es doch, selbst diesem beschränkten Material noch etwas abzugewinnen.


    Ja, lieber Christian, die Wirkungsrhetorik. Nietzsche schrieb zu Wagner: "Er will nichts als Wirkung!" Diese Unbedarftheit, auf Wirkung zu setzen, ist uns heute eher suspekt, das stimmt. Richter mochte auch "Mazeppa" deswegen gar nicht und hat das Stück nicht gespielt. Aber ähnlich wie bei Wagner ist es eben doch so, dass wenn man so ein Stück nur auf sich wirken läßt, dann wirkt es eben grandios. Das Tolle bei Liszt finde ich letztlich, dass er ins "Extrem" geht, an die Grenze des Aussagbaren. Dann wird die Erschütterung zu einem Sturz ins Chaos. Deswegen finde ich "Mazeppa" dann doch mehr als nur Wirkungsrhetorik, sondern die Überschreitung der Grenze vom Ästhetischen zum Unästhetischen, was dann wieder sehr modern ist. Eben alles sehr zwiespältig, diese 19. Jhd.-Ästhetik, ein schmaler Grat... :)


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Lieber Christian,


    ich höre gerade die Bolet-CBS-Aufnahme. Wirklich sehr hörenswert! Später mehr.


    Nur noch einmal den Notentext bei Mazeppa, da wo Dir Berman nicht gefällt, steht als Spielanweisung:


    sempre fortissimo e con strepito (ital. "strepitoso" heißt "geräuschvoll lärmend")


    Dazu steht noch auf jedem Baßakkord ein Keilakzent.


    Und genau so Fortissimo und "lärmend" wie Liszt es haben will spielt es Berman. Und weil er das eben so dynamisch spielen kann, wirkt da der doch etwas schwerfällige Bolet für meinen Geschmack bombastischer. Ansonsten ist auch das natürlich toll gespielt. :D


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Christian,


    die Bolet-CBS-Aufnahme ist schon sehr gut! (Aufnahmetechnisch auch ein bisschen hell und eher hart, das ist wohl für die Tontechnik eine Herausforderung.) Besonders aufregend fand ich Nr. 8 - da gibt es Dinge zu hören, die man so noch nie gehört hat. "Chasse neige" ist tatsächlich besonders gelungen. Da werde ich mir die Mühe machen, alle drei Bolet-Aufnahmen zu vergleichen. Das gehört dann aber in einen anderen Thread. Ich weiß gar nicht, ob es einen speziellen Thread über die Liszt-Etüden gibt! :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

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  • Wen's interessdiert:


    hier ist das genaue Programm Daniil Trifonovs am 4. Februar in Köln:


    Robert Schumann
    Kinderscenen op. 15 (1837/38)
    Leichte Stücke für das Pianoforte


    Robert Schumann
    Toccata C-Dur op. 7 (1829–33)
    für Klavier


    Robert Schumann
    Kreisleriana op. 16 (1838)
    Acht Fantasien für Klavier


    Pause


    Dmitrij Schostakowitsch
    Nr. 4 e-Moll
    aus: 24 Präludien und Fugen op. 87 (1950/51)


    Dmitrij Schostakowitsch
    Nr. 7 A-Dur
    aus: 24 Präludien und Fugen op. 87 (1950/51)


    Dmitrij Schostakowitsch
    Nr. 2 a-Moll
    aus: 24 Präludien und Fugen op. 87 (1950/51)


    Dmitrij Schostakowitsch
    Nr. 5 D-Dur
    aus: 24 Präludien und Fugen op. 87 (1950/51)


    Dmitrij Schostakowitsch
    Nr. 24 d-Moll
    aus: 24 Präludien und Fugen op. 87 (1950/51)


    Igor Strawinsky
    Trois Mouvements de Pétrouchka (1921)
    für Klavier


    Pause gegen 21:00 | Ende gegen 22:10


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Heute habe ich die zweite CD mit den Konzert- und Paganini-Etüden gehört. Lisztsches Belcanto, da fehlt für mich der wirklich raumgreifende "Gesang" bei Trifonov, der lange Atem und die große Linie, statt klein klein zu phrasieren, was Arrau und Bolet so überragend können. Und bei den Paganini-Etüden vermisse ich die Präzision. Da ist mir Vieles zu weich gezeichnet. Also: Gut gespielt, ja, alles überragend, nein. Aufnahmetechnik: Hervorragend!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich finde Trifonov einen der interessantesten aktuellen Pianisten. Ich habe inzwischen einige seiner Einspielungen in anderen Threads verlinkt, hier nochmal seine Interpretation, die mich am stärksten fasziniert hat.


    Insbesondere die Fuge hat es mir angetan, nein, nicht wegen der Grimassen, sondern, weil Trifonov einen perfekten Flow spielt, jede Phrasierung, jeder Anschlag ist so, wie es sein sollte.



  • Wunderbar diese Musik, die du hier für uns ausgesucht hast, lieber m-mueller (ich hab noch gar nichts von Trifonow auf CD !) :sleeping: danach

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  • Vielen Dank, lieber Damiro. Dann darf ich vielleicht Deine Aufmerksamkeit noch auf dieses Stück lenken, das mir auch außerordentlich gut gelungen scheint. Aus BWV 1006:



  • Ich muss gestehen, dass ich bei diesem Pianisten ein wenig hin und hergerissen bin. Ich habe kürzlich die Aufnahme des 2.KK von Chopin unter Pletnev gehört (auf arte Concert), das fand ich mitunter doch etwas (zu) eigensinnig. Keine Frage, pianistisch ist alles einwandfrei, aber es klingt mitunter „gewollt anders“, mir fehlt hier Vertrauen in die Musik (ganz anders klingt hier etwa Blechacz, dessen Ansatz liegt mir einfach mehr). Zum Liszt von Trifonov kann ich leider wenig sagen, weil ich bisher einen Bogen um ihn gemacht habe. Vielleicht zu Unrecht und es lässt sich ja beheben ...


    Und ot und ohne hier alte Diskussionen allzu sehr strapazieren zu wollen: die Études d‘exéxecution transcendante von Liszt sind m. E. ebenso Ausdruck seines Willens, die Grenzen des Klaviers auszuloten wie es beispielsweise auch die Transkriptionen sind.


    beste Grüße

    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Lieber JLang,


    ich hatte vor einigen Monaten einen Hör/Interpretationsvergleich der Etudes d’execution transcendantes von Liszt vorgenommen: Trifonov, Arrau, Perl, Katz und Berman. Die Mischung aus Poesie, Klangempfinden und Virtuosität kommt bei Trifonov IMO am beeindruckendsten heraus. Und dabei sind die anderen absolut top !


    LG Siamak

  • O.K. jetzt ist die Gelegenheit da, mir den Trifonow mal herzunehmen und ihn ein bisschen kennenzulernen. Und die Et.dET hatte ich 2018 mit Boris Giltburg live in Ludwigsburg wieder mal gehört, habe sie mit Berman in einer Kassette, aber noch nicht gehört.


    Ich habe bisher von Bach nur wenig Klaviermusik, sowohl wenig gespielt (2- und 3- st. Invent,), als auch wenig gehört (WTK, Goldberg-V), zuletzt aber mal was gekauft (GBV nun in drei Versionen: Wandowska, Weissenberg, Lifschitz).

  • Ich muss sagen, dass ich mich mit diesem Pianisten etwas schwer tue. Die transzendentalen Etuden habe ich mir vor einigen Jahren mal gekauft und bin über die bewundernswerte beachtliche Fingerfertigkeit nicht hinausgekommen. Ähnlich schwer tue ich mit Silver Age, seinem aktuellen Album. Technisch unzweifelbar sehr gut gespielt, aber irgendwie funkt es nicht.


    Der oben von m-mueller eingestellte Film über die Einspielung der Rachmaninoff Transkription der Bachschen Violinpartita bestätigt in meinen Augen meine Verwirrung. Ich verstehe eigentlich nicht, was mir das Spiel sagen soll. Einfach dagegen erschließt sich mir die Interpretation des Komponisten selbst :)



    Hier sind für mich die Strukturen klar hörbar.

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  • Lieber Axel,


    mich zum Beispiel spricht sein neues Album ‚Silver Age‘ absolut an, auch emotional. Ich finde seine Sonorität und sein ‚Singen‘ phänomenal.

    LG Siamak

  • mich zum Beispiel spricht sein neues Album ‚Silver Age‘ absolut an, auch emotional. Ich finde seine Sonorität und sein ‚Singen‘ phänomenal.

    Lieber Siamak,


    Ich vermute, Du meinst mit seinem "Singen" den Klavierton :). Klanglich ist die Scheibe unzweifelhaft überragend. Du könntest aber mal das Prokofieff Klavierkonzert mit der Einspielung vom Michel Béroff vergleichen. Das würde mich interessieren. Diese Aufnahme ist natürlich schon etwas betagt, kann also klanglich nicht an das aktuelle Album heran, aber was die Inspiration angeht, finde ich Béroff tatsächlich verständlicher.



    Beste Grüße,

    Axel

  • Zitat

    AcomA02: ich hatte vor einigen Monaten einen Hör/Interpretationsvergleich der Etudes d’execution transcendantes von Liszt vorgenommen: Trifonov, Arrau, Perl, Katz und Berman. Die Mischung aus Poesie, Klangempfinden und Virtuosität kommt bei Trifonov IMO am beeindruckendsten heraus. Und dabei sind die anderen absolut top !

    Vielen Dank für den Hinweis darauf, ich kann die Höreindrücke auch nachvollziehen, werde sicher Trivonof auch eine Chance geben, bin aber „hörgeschädigt“ durch die Decca Einspielung von Bolet, der mir neben Berman, Brendel und Cziffra einer meiner liebsten Liszt-Pianisten (geblieben) ist. Das Problem, das ich dann habe ist, dass mein Hören so durch diese Einspielungen geprägt ist, dass für mich andere Aufnahmen zunächst „nicht richtig“ klingen, obwohl das natürlich gar nicht so gesagt werden kann.
    beste Grüße

    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Trifonov Hat die vier Klavierkonzerte von Rachmaninov zwischen 2017 und 2018 mit dem Philadelphia Orchestra unter Yannick Nezet-Seguin für Deutsche Grammophon aufgenommen, welche auf zwei Einzel-CDs veröffentlicht wurden
    Anlässlich des 150. Geburtstags von Rachmaninov wurden die beiden Einzel-CDs in eine Box gepackt, eine Dritte hinzugefügt welche die Rhapsodie über ein Thema von Paganini op. 43 enthält und als Bonus die Vocalise op 34 (Langversion) in einer Transkription von Trifonov.

    Zudem liegt eine Pure Audio Blu Ray bei, wo die 4 Sinfonien und ein paar Zugaben enthalten sind (nicht aber die Rhapsodie)


    Der derzeitige Preis liegt bei 29.99 Euro....


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • "Diese 3-CD-Box bietet nicht nur Trifonovs Arrangement der weltbekannten »Vocalise« erstmalig auf CD"


    Trifonovs Vocalise wurde bereits auf dieser CD veröffentlicht:



    Oder handelt es sich um eine andere Fassung der Vocalise?


    Viele Grüße

    Christian


    NACHTRAG:


    Es gibt tatsächlich zwei Versionen der Vocalise von Trifonov - eine kürzere, die sich auf der CD oben befindet (ca. 3 Min), und eine längere (ca. 5 Min.)!


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