Beethoven, Klaviersonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate", CD (DVD)-Renzensionen und Vergleiche (2017)

  • Diese Veröffentlichungen von Hänssler sind schon verlockend, lieber Willi! Ich studiere Deine wieder mal so liebevoll gemachte Rezension später, lieber Willi! :hello:


    Liebe Grüße

    Holger

  • Danke, lieber Holger, im übrigen habe ich noch drei Tipps aus der kommenden Saison für dich, zwei in Dortmund, und einen in Düsseldorf:


    am 7. Februar 2020 dirigiert Thomas Hengelbrock mit seinem Balthasar Neumann-Ensemble die berühmte Beethoven-Akademie vom 22. Dezember 1808 mit dem originalen Programm nach, und zwar auf der Basis der neuesten Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung:

    - Beethoven, Sinfonie Nr. 6 F-dur op. 68 "Pastorale"

    - "Ah, Perfido", Szene und Arie op. 65

    - Glora und Sanctus aus der Messe C-dur op. 86

    - Klavierkonzert Nr. 4 G-dur op. 58

    - Sinfonie Nr. 5 c-moll op. 67

    - Choralfantasie op. 80;

    Solisten: Katharina Karneus, Mezzosopran, Kristian Bezuidenhout, Klavier; (Dauaer. rund vier Stunden)


    am 28. Februar 2020 dirigiert Adam Fischer in Düsseldorf Haydns Sinfonie Nr. 49 und Mahlers Sinfonie Nr. 6, natürlich spielen die Düsseldorfer Sinfoniker;


    Falls du dich auch für Beethovens Streichquartette interessierst, gibt es noch ein Mammutevent am 20. 6. 2020:


    Das Belcea Quartett und das Quatuor Ebene führen in zwei Konzerten um 15: 00 Uhr und 20:00 Uhr insgesmat acht Streichquartette auf. Die nächssten acht folgen dann in der Saison 2010/21, ich nehme an, noch im Jahr 2020, weil das ja das Beethvoen-Jahr ist. Das ist eine Angelegenheit von nationaler Größe und Bedeutung:

    15:00 Uhr: Q Nr. 1 op. 18 Nr. 1, Q Nr. 9 op. 59 Nr. 3, Q Nr. 2 op. 18 Nr. 2, Q Nr. 11 op. 95 "Quartetto serioso", Q Nr. 12 op. 127

    20:00 Uhr: Q Nr. 4 op. 18 Nr. 4, Q Nr. 10 op. 74 und Q Nr. 13 op. 130 mit Großer Fuge op. 133


    Liebe Grüße


    Willi:):thumbup::thumbup:


    P.S. ich habe übrigens schon einmal alle Beethoven Streichquartette innerhalb einer Spielzeit live erlebt, und zwar vor vielen Jahren mit dem Juillard-Strinag-Quartet in der Tonhalle Düsseldorf.

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    herzlichen Dank für die Tips! Gestern bekam ich eine erschreckende Nachricht - das Klavierfestival Rhein-Ruhr verschickt regelmäßig Informationen zu den aktuellen Konzerten. Da war zu lesen, dass Alice Sara Ott ihr Programm ändert, weil sie sich im Moment physisch nicht gewachsen fühlt, Gaspard de la nuit zu spielen, da sie bei ihr multiple Sklerose diagnostiziert haben:


    https://www.br.de/nachrichten/…a-ott-ich-habe-ms,RIAe6i4


    Zu Barenboim später!


    Liebe Grüße

    Holger

  • Das ist ja schrecklich. Alice Sara Ott tut mir sehr leid. MS ist ja, im Gegensatz zu Morbus Parkinson, an dem meine Frau (seit fast 30 Jahren) erkrankt ist, (noch) sterblich, und befällt, wie auch hier, hauptsächllich Personen im jungen Erwachsenenalter. Vor allem sehr heimtückisch ist die "maligne" Form der Multiplen Sklerose, die sogenannte "Marburg-Variante" ,benant nach Otto Marburg, einem österreichischen Neurologen, der 1905 die erstmalige Beschreibung dieser Erkrankung vornahm.

    Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Multiple_Sklerose

    Sie führt häufig genauso schnell und genauso grausam zum Tode wie ALS oder die die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit.

    Wollen wir hoffen, dass Alice Sara Ott nicht an dieser malignen Form erkrankt ist.

    Ich wünsche ihr, dass sie mit Hilfe der Medizin und einer geeigneten Therapie noch lange ein menschenwürdiges Leben führen kann.


    Liebe Grüße


    Willi:)


    P.A. Ich habe gestern Abend schon mit meinem nächsten Beitrag im Schubert-Sonaten-Thread begonnen und hoffe, dass ich heute noch damit fertig werde.

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Das ist ja schrecklich. Alice Sara Ott tut mir sehr leid. MS ist ja, im Gegensatz zu Morbus Parkinson, an dem meine Frau (seit fast 30 Jahren) erkrankt ist, (noch) sterblich, und befällt, wie auch hier, hauptsächllich Personen im jungen Erwachsenenalter. Vor allem sehr heimtückisch ist die "maligne" Form der Multiplen Sklerose, die sogenannte "Marburg-Variante" ,benant nach Otto Marburg, einem österreichischen Neurologen, der 1905 die erstmalige Beschreibung dieser Erkrankung vornahm.

    Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Multiple_Sklerose

    Sie führt häufig genauso schnell und genauso grausam zum Tode wie ALS oder die die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit.

    Wollen wir hoffen, dass Alice Sara Ott nicht an dieser malignen Form erkrankt ist.

    Ich wünsche ihr, dass sie mit Hilfe der Medizin und einer geeigneten Therapie noch lange ein menschenwürdiges Leben führen kann.

    Lieber Willi,


    das ist sehr traurig mit Deiner Frau! Meine Mutter verstarb an ALS - solche Erkrankungen sind fürchterlich, das weiß ich nur zu gut. Ich kenne auch Jemanden aus meiner Umgebung, der MS hat aber Dank der Medizin heute ganz gut lebt. Die Krankheit kommt in Schüben aber das läßt sich mit einer Spezialbehandlung dann doch kontrollieren. Ich hoffe sehr, dass Alice Sara Ott so eine schwächere Variante hat. Sie scheint sehr viel Lebenswillen und ein sonniges Gemüt zu haben. Ihre letzte CD u.a. mit Gaspard de la nuit, einem "meiner" absoluten Lieblingsstücke, ist derzeit im Angebot - die werde ich mir wohl holen.

    P.A. Ich habe gestern Abend schon mit meinem nächsten Beitrag im Schubert-Sonaten-Thread begonnen und hoffe, dass ich heute noch damit fertig werde.

    Meine Artikel sind schon fertig auf der Platte - der Eröffnungsartikel und einige mehr. Da ich den Liszt vorgeschaltet habe, habe ich sie noch nicht eingestellt. Da aber die letzte CD-Lieferung wohl noch 10 Tage auf sich warten lassen wird, werde ich zwischenzeitlich wohl den Schubert endlich einstellen.


    Morgen früh beschäftige ich mich erst einmal mit Deinem letzten Beitrag über Barenboim - bis eben habe ich noch zwei Liszt-Beiträge geschrieben.


    Liebe Grüße

    Holger

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  • Ich habe mich heute Nachmittag, statt meinen Schubert-Text fertigzustellen, einige Stunden mit einem anderem Schubert beschäftigt, der G-dur-Messe D.167, die wir in meinem zweiten Chor nunmehr einstudieren. Ein wunderbares Stück Musik, das ich in verschiedenen Aufnahmen auf Youtube angehört und gesehen habe und ein Arbeitsblatt angefertigt habe, mit dessen Hilfe sich die Chormitglieder, die das nicht jeden Tag machen, im Internet zurechtfinden können und durch entsprechende Schritte, z. B. Hören der Messe mit gleichzeitig durchlaufenden Noten außerhalb der Chorproben zusätzlich das zuvor Geübte festigen können. In solchen Videos werden auch die überleitenden Orchester- bzw. Orgelstimmen eingespielt, die dem Sänger helfen können, den eigenen pünktlichen Einsatz z. B. in einem Fugato zu festigen, und auch der 18jährige Schubert hatte bei der Komposition dieser Messe (1815) diese Dinge durchaus schon "auf der Pfanne".

    Zusätzlich wollte ich nach der Chorprobe noch 11 CD's mit der Aufnahme dieser Messe bei Amazon bestellen. Es gab noch 20, aber man wollte mir nur 3 verkaufen. Ein Anruf konnte keine Klärung bringen, weil eine Arbeitskraft, die nach Migrationshintergrund klang, nicht verstand, was ich wollte. Das muss ich morgen weiter klären.
    Dann geht es mit der B-dur-Sonate weiter.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • In solchen Videos werden auch die überleitenden Orchester- bzw. Orgelstimmen eingespielt, die dem Sänger helfen können, den eigenen pünktlichen Einsatz z. B. in einem Fugato zu festigen, und auch der 18jährige Schubert hatte bei der Komposition dieser Messe (1815) diese Dinge durchaus schon "auf der Pfanne".

    Zusätzlich wollte ich nach der Chorprobe noch 11 CD's mit der Aufnahme dieser Messe bei Amazon bestellen. Es gab noch 20, aber man wollte mir nur 3 verkaufen. Ein Anruf konnte keine Klärung bringen, weil eine Arbeitskraft, die nach Migrationshintergrund klang, nicht verstand, was ich wollte. Das muss ich morgen weiter klären.
    Dann geht es mit der B-dur-Sonate weiter.

    Lieber Willi,


    wenn Ihr dann das Konzert habt, sagst Du mir Bescheid! :) Du willst die CDs sicher für den Chor bestellen. Meine Vermutung: Bei Amazon werden sie diese Regel haben, weil sie nicht wollen, dass andere professionelle Anbieter bei ihnen große Stückzahlen einkaufen und die CDs dann weiter verkaufen. Da müsstest Du vielleicht im Namen des Chors bestellen. Diese Call-Center sind so ziemlich der mieseste Job, den es gibt. Den macht keiner freiwillig, wenn er es nicht unbedingt nötig hat. Deswegen finden sich da dann auch alleinerziehende Mütter oder Migranten. Die Arbeitsbedingungen bei Amazon sind bekannter Weise nicht die besten.


    Ich fand Deine Idee ja sehr gut, einen extra Interpretations-Thread aufzumachen. Dann kann man zweigleisig fahren und die Idee der chronologischen Besprechung wird nicht destruiert. Ich kann das sowieso mangels Zeit nur in Ausnahmefällen so machen. Ich würde vorschlagen, wir machen dann Verlinkungen. Die Sonate ist ja allgemein bekannt und sehr beliebt, so dass wir auch hoffen können, dass die Diskussionsbeteiligung auf diese Weise etwas reger wird. :)


    Liebe Grüße

    Holger

  • Ichglaube nicht, das vorher schon ein Siebzehnjähriger die Hammerklaviersonate someisterhaft gespielt hat, und ich glaube auch nicht, dass es nach ihm einemSiebzehnjährigen gelingt. Es ist ja nicht nur Technik, es ist auch Ausdrucksvermögen,verbunden mit der nötigen Ruhe und Abgeklärtheit, um ein so gewaltiges undkompliziertes musikalisches Gebäude wie dieses so perfekt wie möglichaufzubauen und so viel wie möglich von seinem inneren Kern freizulegen und sichund dem Hörer hörbar zu machen, und ich finde, dass ist ihm hier großartiggelungen.

    Lieber Willi,


    da hast Du mir "Appetit" gemacht, die CD demnächst auch zu bestellen. Mich würde ja interessieren, welche Vorbilder der ganz junge Barenboim hatte. Bekannt ist seine Bewunderung für Furtwängler. Das würde z.B. das eher breite Tempo im langsamen Satz erklären. An Gulda hat er sich offensichtlich nicht orientiert, obwohl der damals in Argentinien gastierte und u.a. die junge Martha Argerich mit dem 4. Klavierkonzert beeindruckte. :D Ich habe ja noch so viele ungehörte Aufnahmen - auch Gieseking und den frühen Kempff, da müsste auch die Hammerklaviersonate dabei sein. Schnabel dürfte Barenboim vielleicht gekannt haben. :)


    Liebe Grüße

    Holger

  • Ich glaube, Barenboim war damals gar nicht mehr in Argentinien, wie ein Ausschnitt aus seiner offiziellen Biografie darlegt. Und aus diesem Ausschnitt geht auch hervor, in welchem Zeitraum er die Hammerklaviersonate zum ersten Mal öffentlich gespielt hat:

    Zitat von aus Barenboims Biografie

    Seine Liebe zur Musik verstärkte sich, als er mit sieben Jahren sein erstes öffentliches Recital gab, und erhielt neue Impulse, als die Familie auf dem Weg zu einem neuen Leben in Israel 1952 nach Europa kam. In Salzburg begann er bei Igor Markevitch ein Dirigentenstudium, und er begegnete auch Wilhelm Furtwängler, der erklärte, der Elfjährige sei “ein Phänomen”. Er erhielt dann ein Stipendium, um 1955–56 Harmonielehre und Kontrapunkt bei Nadia Boulanger in Paris zu studieren. Ein sensationelles Recital-Debüt in der Wigmore Hall in London, unter anderem mit Beethovens “Hammerklaviersonate”, sowie Konzert-Debüts in Paris (1955) und mit den New Yorker Philharmonikern und Leopold Stokowski in New York (1957) bestätigten den Rang des Teenagers als musikalisches Ausnahmetalent.

    https://www.klassikakzente.de/daniel-barenboim/biografie

    Da er ja 1955 und 1956 in Frankreich war, könnte es doch sein, dass er die Aufnahme von Yves Nat gehört hat, die dieser 1954 im Saslle Adjar in Paris einspielte. Die Satzzeiten entsprechen sich sehr stark bis auf die im Adagio, wo Nat über eine Minute schneller ist.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Da er ja 1955 und 1956 in Frankreich war, könnte es doch sein, dass er die Aufnahme von Yves Nat gehört hat, die dieser 1954 im Saslle Adjar in Paris einspielte. Die Satzzeiten entsprechen sich sehr stark bis auf die im Adagio, wo Nat über eine Minute schneller ist.

    Das könnte natürlich gut sein, lieber Willi! Gibt es eigentlich eine Autobiographie von ihm? :hello:


    Liebe Grüße

    Holger

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  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"

    Yves Nat, Klavier

    AD: X/1954

    Spielzeiten: 10:27 - 2:38 - 16:15 -11:27 --- 40:47 min.;


    Heute wende ich mich Yves Nat zu, der diese Sonate im Oktober 1954, also vor knapp 65 Jahren in der Salle Adjar in Paris aufnahm.

    Im Kopfsatz ist er etwas langsamer als der hier zum Vergleich herangezogene Gerhard Oppitz, aber etwas schneller als der ebenfalls hier anstehende Louis Lortie. Sein Spiel ist von Anfang an rhythmisch präzise und dynamisch von dem in der Partitur vorgeschriebenen Kontrast. Allerdings hätte ich mir das erste Ritardando in Takt 8, nur kurz, aber m. e. die erste Schlüsselstelle, etwas ausführlicher gewünscht.. Die lange Steigerung dagegen von Takt 11 bis zum Forte in Takt 16 ist grandios. Auch das Hauptthema II (Takt 17 bis 34, gefällt mir ausnehmend, diesmal auch mit einem, wie ich finde durchaus vernehmbaren Ritardando (Takt 33 mit Auftakt bis 34).

    Auch das anschließende Hauptthema III und die kurze Überleitung zum Seitenthema in der benachbarten Tonart G-dur gefällt mir ausnehmend.

    Auch das Seitenthema selbst führt er sehr schön aus mit silbrigen Oktavierungen im Diskant. Auch der mehrfache temporale Wechsel von poco ritardando und a tempo in der 2. Phase des Seitenthemas ist hier ob seiner sorgfältigen Ausführung zu loben, die Höhenwechsel zwischen Oktavierung und normaler Positionierung sehr schön fließen. Das Ganze lässt er am Ende der 3. Phase des Seitensatzes in einer wiederum kraftvollen Steigerung zum Fortissimo, im Übergang zur Schlussgruppe (ab Takt 100) auslaufen.

    Die Schlussgruppe beginnt er mit einem überragenden Cantabile dolce ed espressivo - welch ein tief empfundener Kontrast zum vorherigen hochdynamischen und vorwärts drängenden musikalischen Geschehen. Auch der sich anschließende Mittelabschnitt der Schlussgruppeüber dem langen Triller ist sehr beeindruckend samt dem 2. Gedanken der Schlussgruppe wieder im rhythmisch äußerst präzise gespielten hochdynamischen Ende der Exposition, der er selbstverständlich die Wiederholung der nämlichen folgen lässt.

    In der Wiederholung der Exposition meine ich eine stärkere Beachtung des ersten Ritardando (s.o.) festzustellen. Der zweite Hauptthementeil ist so zutreffend musiziert wie zu Beginn, ebenso Hauptthema III, Überleitung und Seitensatz, in der 1. Phase mit seinen betörenden Bögen im hohen Diskant, in der 2. Phase mit den mehrfachen Tempowechseln und in der 3. Phase mit den langen Bögen in den wechselnden Oktaven mit diversen Oktavierungen- alles wie aus einem Guss. Auch die kontrastreiche Schlussgruppe zieht ein zweites Mal in all ihrer Pracht an uns vorüber. und leitet dann in die Durchführung über. Hier führt er die aus dem Pianissimo kommende Einleitung über die Steigerung und die Sforzandi (Takt 124 bis 13 mit zwei fp-fanfarenrufe in den Durchführungskern mit seinem Fugato über.

    Die vier Themeneinsätze des ersten Fugatoteils (Takt 138 bis 176) spielt er in trockenem Nonlegato, sehr prägnant mit großer T5ransparenz und ruhiger Vorwärtsbewegung.

    Dem lässt er ebenso zielstrebig den zweiten Teil mit dem viermaligen Auftakt des Fugatothemas folgen, zuerst in der Dominante von c-moll (Takt 177), dann in c-moll (Takt 181), dann der Dominante von Es-dur (Takt 185) und schließlich in Es-dur (Takt 189), wie das bei Beethoven immer so ist, mathematisch äußerst exakt.

    Dabei ist dieser Abschnitt in seinen musikalischen Figuren äußerst abwechslungsreich, sowohl im Rhythmus als auch in der Dynamik, bei unverändert gleichem 4/4-Takt, und auch Nat gestaltet die abschließende, in den wirklich ruhigen "Stillstand" am Ende dieses Durchführungskerns sehr eindrucksvoll und spielt am Ende ein wirklich ein betörendes "poco ritardando", hinein in das kantable Espressivo (ab Takt 201). Nat stellt in dieser Sequenz nochmals unter Beweis, dass das lyrische, ausdrucksvolle Legatospiel zu seinen großen Stärken gehört, ebenso wie die im letzten Durchführungsteil anliegenden rhythmischen und dynamischen Kontraste, abschließend hin zur Reprise mit den vier überleitenden Glissandotakten 223 mit Auftakt bis 226.

    In der Reprise, die, wie schon öfter, bei Beethoven nicht eins zu eins mit der Exposition deckungsgleich ist, sondern durchaus das eingefahrene Gleis durch thematische Hinzufügungen und rhythmisch dynamische unruhige Bewegungen hier und da verlässt, trägt Nat dem in seinem Vortrag Rechnung, schon in der anfänglichen Modulation (ab Takt 234 mit Auftakt), vor allem auch im zweiten Thementeil mit der eruptiven Oktavierungsakkorden (Takt 251, 253 und 255), wieder am Ende dieses Thementeils erst mit einer grandiosen Steigerung und dann mit einem faszinierenden Ritardando auslaufend und über die Rückleitung in den abermals faszinierenden Seitensatz hinein gleitend.

    Auch hier fasziniert wieder sein Rhythmusgefühl in den Wechselnd von Legato und Nonlegato, auch im dritten Abschnitt des Seitensatzes, den er nach einer beeindruckenden dynamischen Steigerung (ab Takt 319) in die Schlussgruppe führt, die, auch verkürzt, ihrerseits unvermittelt in die unglaubliche 55-Taktige Coda übergeht.

    Eine grandiose Interpretation des Kopfsatzes!


    Im Scherzo ist Yves Nat etwas langsamer als Louis Lortie und, vor allem als Gerhard Oppitz. Bei den dynamischen Betonungen im <Mittelteil (ab Takt 15 mit Auftakt) könnte er m. E. die Betonung, die hier auf dem Anfangston der Phrase liegt, etwas deutlicher ausführen.

    In der Wiederholung (ab Takt 24 mit Auftakt) ist nichts zu beanstanden.

    Auch der erste Teil des Trios mit den Achteltriolen ist sehr aufmerksam musiziert, hier ist vor allem auch der dynamische Fluss hervorzuheben, der ihm hier sehr gut gelungen ist.

    Das Presto hingegen hätte ich mir auch etwas flotter vorgestellt. Es ist ja immerhin ein Presto. Der Prestissimotakt 112 steht dagegen wieder auf der Habenseite, ebenso wie das Scherzo II mit den gut vernehmbaren zusätzlichen Achteln im Alt des Diskant sowie im abschließenden poco ritardando - presto.


    Das Adagio spielt Nat gut eine Minute schneller als Lortie und über fünfeinhalb Minuten schneller als Gerhard Oppitz. Dennoch hat man nicht den Eindruck von Hast und Eile, vor allem, wenn man bedenkt, dass ein Fridrich Gulda 13 Jahre später den satz noch einmal fast drei Minuten schneller spielt als Nat.

    Auch dynamisch gewichtet er das Adagio völlig anders als das Scherzo, in dem er doch sehr diesseitig spielte, an der dynamischen Obergrenze. Dies ist viel intimer, vor allem die erste Durauflösung (Takt 14 bis 17) spielt er sehr introvertiert und nahezu im Pianissimo. Auch den zweiten Bogen mit der Oktavierung ( Takt 22 bis 249 spielt er wesentlich zurückhaltender als etliche seiner Kollegen. Die dynamischen Bögen machen hier wie dort nur eine sanfte Wellenbewegung, sozusagen ein sanftes Aufleuchten. Auch die kennzeichnenden Quart-Intervalle im Diskant am Ende des Espressivo grüßen eher unauffällig herüber.

    Das erste Crescendo in der "con grand'espressione-Sequenz, hier ab Takt 31, gestaltet er dann schon deutlicher, wirklich mit gewollt starkem Ausdruck. Stark auch die nächste Sequenz mit der inneren Beschleunigung mit den Sechzehnteltriolen, davor und danach Zweiunddreißigstel, alles ab Takt 33 hin zur überirdischen Überleitung, ab Takt 36, und die Überleitung selbst spielt er wirklich atemberaubend.

    Und das himmlische Seitenthema, diesen jenseitigen Choral mit seinen wunderbaren Oktavierungen spielt er auf dem gleichen Topniveau, auch die dramatische Steigerung am Schluss ab Takt 55, mit dem dritten wundervollen Bogen in Takt 58 und dem herrlichen Diminuendo in den Zweiunddreißigsteln in Takt 59 und 60.

    Auch die folgende Überleitung mit den neuerlichen Signalintervallen, hier Sext-Terz in Takt 63/64 und 65/66, hin zur Durchführung, spiel er bruchlos weiter.

    Dem schließt er die Durchführung mit ihren wechselnden Oktavgängen und Sechzehntel-Tonleitern und führt auch die lange Steigerung ab Takt 76 mit ihren dynamischen Ausschlägen sehr expressiv weiter bis in das abschließende Smorzando in Takt 86 hinein, hin zur Reprise.

    Diese einzigartige Reprise mit ihren langen Zweiunddreißigstelbögen im Diskant und den begleitenden Achtel- und Sechzehntelakkorden im Bass führt er sehr präzise aus und verdeutlicht so dem Hörer die manchmal nur geringen Änderungen in Tonhöhe und Intervallwechseln und -größen im Diskant im Verein mit den sehr gut nach zu verfolgenden Begleitakkorden im Bass.

    Auch am Ende dieser Sequenz mit den Oktavierungen in Takt 102 und 103 büßt sein Vortrag nichts von seiner Klarheit ein, sondern geht nahtlos in das erste große sechstaktige Ritardando (ab Takt 107 bis 112) über, das die nächste Durauflösung (ab Takt 108 bis 111) in sich birgt.

    Und auch hier hebt er die Signalakkorde organisch hervor, hier wieder in die "a tempo"-Sequenz übergehend, und hier kann der aufmerksam Zuhörer schon in den großen Intervallunterschieden im Bass das herannahen der überirdischen Überleitung zum Seitenthema erahnen, obwohl diese diesmal eine geänderte Form hat.

    Und dies Sequenz, (ab Takt 1189 spielt er mit höchstem Ausdruck und großem dynamischen Bogen, dabei jede dynamische Bewegung ausdrückend und erneut nach großem Crescendobogen in der Gegenbewegung in das himmlische Seitenthema hineingleitend.

    Dieses führt er nun nach dem letzten hohen Bogen (Takt 43) und dem dynamischen Abschwung direkt in die unglaubliche, einem Brennglas ähnliche coda hinein, in der noch einmal die Essenz des ganzen Satzes sichtbar und vor allen Dingen hörbar wird, angekündigt ein weiteres Mal durch unsere Signal-Intervalle Sext + Terz (hier Takt 150/151 im Diskant).

    Die Quintessenz dieser Brennglasverkürzung ist zweifelsohne der schon beschleunigte Einsatz des Seitensatzes, der sich jedoch in Sekundenschnelle tumultös auflöst, bevor ein letztes Mal das Thema ertönt, zunächst wieder in dem langen Ritardando, dann, nach einem letzten leuchtenden hohen Bogen (Takt 176) allmählich wegdämmernd in einem grandiosen Morendo.

    Yves Nat spiel allerdings in diesem schon ab Takt 178 vorgezeichneten Diminuendo zwei nicht verzeichnete Crescendi, die mir nicht so recht einleuchten. Schade!


    Das Largo spielt er schon in der ersten Sechzehntelfigur im Diskant von Takt 1 deutlich schneller als die Sechzehntel zu Beginn von Takt 1.

    Die Sechzehntel-Sequenz in Takt 2 macht aus der Sicht natürlich Sinn, weil dieser Takt mit "Un poco piu vivace" überschrieben ist.

    Das Allegro in Takt 3 bis 8 spielt er dagegen völlig entspannt, wie ich finde, im völlig richtigen Tempo. Das habe ich auch schon viel schneller gehört.

    Auch das Tenuto in Takt 9 gefällt mir ausnehmend in temporaler wie dynamischer Hinsicht.

    Im "a tempo"-Takt 10 spielt er dann wirklich, was drüber steht: a tempo, und das geht dann auch tatsächlich bis zum Prestissimo.

    Den I. Teil der Fuga, die Exposition in B-dur, Takt 16 bis 84, spielt er dann ebenfalls in entspanntem tempo, aber gleichzeitig spannend und kristallklar, die häufig wechselnde Melodierichtungen, Rhythmen und dynamischen Bewegungen kristallklar und sehr gut zu verfolgen. Das ist, wenigstens bis hierhin, eine sehr hörerfreundlichen Interpretation der Fuga.

    im II. Teil, der Themenvergrößerung in es-moll, Takt 85 bis 152, in den Schwierigkeiten, vor allem rhythmischer Art für Spieler wie Höre stark ansteigend, bleibt er seiner Linie treu und spielt diesen Teil wie es gehört, auch mit großer Vehemenz und daher dynamisch sehr kontrastreich, und er bewältigt, wie ich finde, die rhythmischen Schwierigkeit, vor allem in der Trillersequenz (ab Takt 111 mit Auftakt bis Takt 129) mit Bravour. Auch die sich durchlaufend ähnelnden und wiederholenden Figuren spielt er auch so deutlich, dass sie den Hörer wie ein "akustisches" Licht durch das Dickicht der Partitur führen.

    Auch den III. Teil der Fuga, den Rücklauf des Themas in h-moll Takt 153 bis 207, spielt er deutlich, wobei hier dem Hörer der Anfang wieder leichter gemacht wird dur das Cantabile des Themas (von Takt 54 bis 179). Ab Takt 180 verlaufen die Sechzehntelfiguren teilweise in beiden Oktaven parallel, teilweise gegenläufig und teilweise in den Oktaven wechselnd.

    Der IV. Teil, die Umkehrung des Themas in G-dur, Takt 208 bis 249, stellt nun nicht nur in der Reihenfolge den Mittelpunkt der Fuga dar, sondern auch in der Schwierigkeit, für Pianist wie Hörer.

    Doch Yves Nat spielt auch diesen Teil klar und pianistisch auf hohem Niveau, und die Struktur tritt jederzeit gut hervor.

    Dann folgt der V. Teil der Fuga, die Durchführung des 2. Themas in D-dur, Takt 250 bis 278, der kürzeste und in seiner musikalischen Struktur so völlig verschieden von den anderen Teilen: zwar auch eine Fugenform, aber von bachischem Ebenmaß, voll innerer und äußerer Ruhe und einer still leuchtenden Schönheit, in einem gleichmäßigen Dreivierteltakt.

    Nat spiel auch dieses Kleinod "comme il faut".

    Und mit dem ersten Triller in Takt 279 beginnt zugleich der längste Teil der Fuga, der VI. in B-dur, in sich dreigeteilt, Takt 279 bis 366 insgesamt, zuerst die gleichzeitige Durchführung des 1. und 2. Themas, Takt 279 bis 293, dann die zweifache Verarbeitung des 1. Themas, Takt 294 bis 348, und schließlich die Schlussankündigung der Durchführung, Takt 349 bis 366, alle drei Unterabschnitte in B-dur.

    Dem folgt nur noch die Krönung des Ganzen, die unglaubliche Schlusscoda, Takt 367 bis 400. Yves Nat meistert auch diese Schlusshürde. Das gelingt nicht vielen Pianisten. Nat ist bis jetzt der 51. in derzeit 69, nach Anzahl der Aufnahmen. Nach Anzahl der Pianisten sind es weniger, da ich z. B. nach bisheriger vorsichtiger Zählung von Backhaus 2, Badura-Skoda, Barenboim, Buchbinder, Gulda, Richter und Sokolov je 3 und von Brendel 4 Aufnahmen schon besprochen habe oder noch besprechen werde.


    Diese Aufnahme von Nat darf nach allen Abwägungen durchaus zur erweiterten Spitze gezählt werden.


    Liebe Grüße


    Willi:thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    hoch interessant! Und diese Nat-Box ist wirklich sehr attraktiv zu dem Preis. Darin ist auch noch Schumann und Schubert eine Aufnahme von Liszts Ungarischer Rhapsodie Nr. 2 - klar, dass ich die haben muss! :hello:


    Liebe Grüße

    Holger

  • Lieber Willi,


    vor deiner Herkules-Arbeit für dieses Forum ziehe ich den Hut! Vielen Dank für die Zeit und das Herzblut, das du hier investierst. Es sind Threads wie dieser hier, die mich vor Jahren zum Mitlesen verführt und seither bei der Stange gehalten haben.


    Eine Frage: Kennst du die Aufnahmen von Stewart Goodyear? Der kanadische Pianist und Komponist ist ein von den Beethoven-Sonaten "Besessener" (nur mein Eindruck und keineswegs negativ gemeint). Er führt sie oft auf, am 7. September z.B. in Cincinnati wieder einmal an einem einzigen Tag!


    Seine Mission: Er ist überzeugt, dass Beethovens Metronom-Angaben stimmen. Entsprechend spielt er und kommt in der CD-Version auf Spielzeiten von 9:17 - 2:42 - 14:56 - 10:35 --- 37:30 min.


    Falls du Lust und Zeit hast, da mal reinzuhören, würde mich deine Meinung sehr interessieren!


    LG Barere

  • Lieber Barere,


    mir war der Name Stewart Goodyear schon mal untergekommen, aber ich wusste nicht mehr, woher. Ich habe gerade wieder nachgeschaut und mal in die Hammerklavier-Sonate reingehört. Ich habe erst hinterher gelesen, was du über sein Verhältnis zu Beethovens Metronomangaben gesagt hast. Das hört man in der Hammerklaviersonate im Kopfsatz sofort. Er liegt da temporal ungefähr auf einer Linie mit Friedrich Gulda. Die Aufnahmen haben einen exzellenten Klang, und man hört auch, dass er sein Handwerk versteht. Das ist alles sehr transparent und entfaltet ein ungeheures Brio. Ich habe die Gesamtaufnahme:

    mal auf eine Einkaufsliste gesetzt. Ich werde sie im September anschaffen, dann kommt auch die Gesamtaufnahme von Igor Levit.

    Vielleicht bespreche ich die Hammerklaviersonate von Goodyear auch schon vorher, denn die Box mit den späten Sonaten kann man bei Amazon Music streamen. Aber jetzt ist erst wieder die B-dur-Sonate von Schubert an der Reihe.

    Auf alle Fälle war das ein guter Tipp von dir.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    Einmal editiert, zuletzt von William B.A. ()

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  • Lieber Willi,


    herzlichen Dank, das ging blitzschnell! Aber es ist ja nicht das erste Mal, dass bei mir der Verdacht aufkommt, dein Tag hätte mehr als 24 Stunden... Ich freue mich auf deine gelegentliche Besprechung.


    Die Beschäftigung mit Goodyear hat mich in meiner Ansicht, heute werde vieles zu langsam gespielt, bestätigt. Auch ist mir wieder einmal bewusst geworden, welche Schroffheiten in einigen dieser Sonaten stecken. Goodyear mag zum Teil übertreiben, aber man spürt auf jeden Fall immer, dass er mit Leidenschaft dabei ist und etwas zu sagen hat. Spieltechnisch ist er ohnehin spitze.


    Besonders positiv erinnere ich mich übrigens an die Mondscheinsonate mit einem zügigen, sehr schlichten Adagio sostenuto. Goodyear hat die Fähigkeit, hier nicht "zu viel zu machen".


    LG Barere

  • Ich werde heute nichtmehr dazu kommen, lieber Barere, aber ich bin generell der Meinung, dass einige Pianisten den 3. Satz, das gigantische Adagio sostenuto zu schnell spielen, z. B. spielt Friedrich Gulda das Adagio 1967 in der Stereo-Gesamtaufnahme in 13:42 min, nur 103 Sekunden länger als den Schlusssatz, während er in seinen Aufnahmen von 1951 und 1970 (Beethovenfest) jeweils gut 2 Minuten langsamer ist, also in einem Bereich, den ich nicht mehr ohne Weiteres als zu schnell bezeichnen würde. Stewart Goodyear liegt nun genau zwischen Guldas schnellstem und seinem langsamsten Adagio. Ich muss also hören, wie mir das gefällt.

    Ich möchte noch ein interessantes Rechenexempel anschließen, in dem ich alle Metronomzahlen auf 1/8 umgerchnet habe und füge die entsprechenden Taktzahlen hinzu, im Kopfsatz in Klammer die Zahl mit Wiederholung der Exposition:

    1. Satz, Allegro:.................1/8 = 552 /405 (530) Takte;

    2. Satz, Assai vivace:......... 1/8 = 320 /175 Takte;

    3. Satz, Adagio, sostenuto: 1/8 = 92 /187 Takte;

    4. Satz, Largo:.................. 1/8 = 38 /10 Takte;

    4. Satz, Allegro risoluto:.... 1/8 = 288 /390 Takte;

    Es ist nur ein Zahlenspiel, aber wie ich finde, ein recht interessantes, vor allem, wenn man die Metronomziffer ins Verhältnis zur Anzahl der Takte setzt.


    So ist zwar das Adagio absolut gesehen nicht der langsamste Satz, das ist das Largo, es ist fast zweieinhalb mal so langsam wie das Adagio, aber das Adagio ist 19 mal länger als das Largo.

    Am schnellsten ist unter diesem Aspekt zweifellos das Scherzo. Da ist die virtuelle Metronomziffer, auf 1/8 bezogen, fast doppelt so hoch wie die Taktzahl, und wenn man genau reinschaut, hat es ja auch einen erheblichen Presto-Anteil, sogar ein grandioses Prestissimo.

    Am zweitschnellsten ist der Kopfsatz, und das bekommen ja auch einige Pianisten hin. Erst am drittschnellsten ist das Finale, und das ist auch gut so, sonst könnte es ja keiner spielen.

    Wie gesagt, das sind nur theoretische Überlegungen, aber die treiben mich schon lange um. Das liegt vielleicht auch daran, dass Beethovens Werke, vor allem die Sonaten, eine faszinierende innere mathematische Struktur haben, die man zum Beispiel bei Schubert gerade nicht findet.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    vielen Dank, das sind tatsächlich interessante Überlegungen. Du bringst mich glatt dazu, wieder einmal mein Metronom hervorzukramen!

    dass Beethovens Werke, vor allem die Sonaten, eine faszinierende innere mathematische Struktur haben, die man zum Beispiel bei Schubert gerade nicht findet.

    Ob mit oder ohne, bei jeder guten Interpretation einer Beethoven- oder Schubertsonate höre ich wieder etwas Neues. Das macht es ja so spannend, verschiedene Interpretationen zu vergleichen. Mit der Zeit wird einem dann klar, dass und warum es die einzig wahre Interpretation - zum Glück! - nicht gibt. Und genau das dokumentierst du ja in deinen Rezensions-Threads auf eindrückliche Weise.


    LG Barere

  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"

    Alfredo Perl, Klavier

    AD: 9. Mai 1996

    Spielzeiten: 10:32 - 2:24 - 19:40 - 11:29 --- 45:05 min.;


    Alfredo Perl ist im Kopfsatze etwas langsamer als Murray Perahia und Gerhard Oppitz. Sein Ton ist kraftvoll und klar. Souverän macht er sich den gewaltigen Klaviersatz zu eigen und spürt aufmerksam den dynamischen Bewegungen von Hauptthema I und II nach und lässt die jeweiligen Themenenden präzise in den jeweiligen Ritardandi auslaufen (Takt 8 und 32 bis 34).

    Souverän beginnt er auch das Hauptthema III (ab Takt 35) mit er Überleitung zum Seitensatz.

    Den Seitensatz in seiner 1. Phase (ab Takt 47 mit Auftakt) spielt er mit spannend-entspannter Vorwärtsbewegung, in den Oktavierungen mit kristallin-glitzerndem Klang, der zudem wie immer wunderbar transparent ist. Den auf- und abwärts führenden dynamischen Bewegungen (im Piano-Bereich) spürt er ebenso verlässlich , und führt in der 2. Phase (ab Takt 64 mit Auftakt) die fließenden Tempowechsel aufmerksam aus und schließt die dritte Phase (ab Takt 75 bis 97) mit den langen Bögen, erst im Diskant, dann im Bass und den eingeschobenen kürzeren Oktavierungen souverän an, bevor er mit den aufwärtsstrebenden Achtelfiguren ab Takt 96 zur Schlussgruppe überleitet.

    Diese auch höchst originelle Schlussgruppe mit dem einleitenden Cantabile dolce ed espressivo (ab Takt 100) und dem anschließenden Trillercrescendo (ab Takt 106), beides im 1. Gedanken un d dann dem dynamisch höchst kontrastreichen 2. Gedanken (ab Takt 112) schließt er die Exposition fulminant ab und wiederholt sie natürlich, zur Wiederholung mit den beiden sfp-Fanfaren in Takt 122 und 123 überleitend- grandios!

    Auch in der Wiederholung fällt sogleich auf, wie schon zuvor, dass er auch die Ritardandi in Takt 8 und 32 bis 34 wunderbar ausführt. Ebenso sind die langen Crescendi ab Takt 11 und 24 sowie die Dynamikwechsel im Hauptthema II zu loben.

    Auch die Überleitung und der Seitensatz in allen drei Phasen (Takt 39 bis 96) sind wiederum superb ausgeführt. Wiederum fließt auch die unglaubliche Schlussgruppe vom berührende Cantabile (ab Takt 100) bis zum höchst vehementen Crescendo-Fortissimo nochmals an uns vorüber nunmehr in die ebenfalls dynamisch äußerst kontrastreiche Einleitung der Durchführung hinein.

    Auch diese spielt er so, dass erst gar keine Fragen aufkommen. Alles ist so stimmig und mitreißend.

    Mit wiederum zwei Forte-Fanfaren geht Perl nun zum Kern der Durchführung über.

    Hier trägt er in gestandenem Tempo und äußerst transparent den ersten Teil des Fugatos vor mit seinen vier Einsätzen in Takt 138 mit Auftakt, Takt 147 mit Auftakt, Takt 156 mit Auftakt und Takt 165 mit Auftakt vor, dem er ebenso präzise den zweiten Abschnitt des Fugatos mit dem viermaligen Auftakt des Fugatothemas folgen lässt, in Takt 177 in der Dominaten von c-moll, in Takt 181 in c-moll, in Takt 185 in der Es-dur-Dominaten und in Takt 189 in Es-dur.

    Wunderbar lässt er diesen 4., den Es-dur-Auftakt, nach einem mitreißenden Crescendo in einem berührenden Stillstand im Poco ritardando auslaufen und schließt dann das Cantabile espressivo an.

    Dieses fließende Expressivo zieht er auch in den letzten Durchführungsteil hinein (Takt 214 ff), der mit den wundersamen Glissandotakten 221 mit Auftakt bis 226 unmittelbar in die Reprise hineinführt.

    Und in der Modulation zu Beginn der Reprise (ab Takt 233) führt er sofort auch wieder die Tempowechsel, hier Takt 234/235 und das anschließende cantabile e ligato vorbildlich aus. Dann spielt er im Hauptthema II (ab Takt 248 die Dynamikwechsel, hier verstärkt durch die oktavierten Akkorde Takt 251 auf der Eins, Takt 253 auf der Eins und Takt 255 auf der Eins, atemberaubend und lässt sie am Ende über das musikalisch dichte, zuweilen siebenstimmige Crescendo ((ab Takt 256) über die in beiden Oktaven absteigenden Sforzando-Oktav-Ketten , hin zur Rückleitung, in einem wunderbaren Ritardando auslaufen. Hier lässt er die abschließenden Themenakkorde (Takt 267 bis 268 auf der Eins) in einer besonders langen Pausenfermate (Takt 267 auf der Zwei) ausschwingen- großartig!

    Hier schließt er dann nach dem wiederum begeisternden Rückleitungs-Crescendo (Takt 272 bis 276) den cantablen Seitensatz in den langen dynamischen Bewegungen mit den geringeren Amplituden (hier ohne Oktavierungen) vorbildlich fließen und schließt nach dem "poco ritardando a tempo" ab Takt 301 den zweiten Abschnitt an, und lässt hier die gestiegene dynamische Ausdehnung, verbunden mit den organisch einfließenden neuerlichen Oktavierungen in ein mitreißendes Crescendo münden (hier ab Takt 319), dem er die unglaubliche Schlussgruppe mit dem anfänglichen Cantabile dolce ed espressivo und dem dann anschließenden Trillerteil folgen lässt.

    Dann schließt er diesen grandiosen Kopfsatz mit dieser gigantischen Coda ab, in der er keinen Moment den Spannungsbogen und das damit verknüpfte extrem hohe Niveau dieser Interpretation

    fallen lässt.

    Ein referenzwürdiger Kopfsatz!


    Im Scherzo ist er temporal mit Oppitz und Perahia auf gleicher Höhe, und auch rhythmisch und dynamisch sind hier keine Abstriche zu machen.


    Im Adagio sostenuto ist er doch deutlich schneller als Gerhard Oppitz, aber ebenso deutlich langsamer als Murray Perahia. Mir dennoch knapp 20 Minuten gehört er zu den langsameren Interpreten des Adagios, oder sollte man sagen, zu denjenigen, die eine genauere Beachtung des richtigen Tempos anstreben?

    Jedenfalls sind hier ebenso, wie in den voraufgegangenen beiden Sätzen, diesbezüglich keine Fragen.

    Und von Anfang an baut er einen unglaublichen Spannungsbogen auf. Und im Ausdruck ist diese Interpretation im Thema von einer stillen Trauer durchzogen, wie ich finde, die auch ihren Ausdruck findet im einem veritablen Pianissimo, das gleichsam sehr klar und transparent erscheint.

    Und der erste lyrische Durbogen (Takt 14 mit Auftakt bis Takt 17) klingt in der zurückgenommenen Dynamik sehr anrührend.

    Im zweiten Bogen (Takt 22(23, mit der Oktavierung)  erhöht er die Lautstärke nur unmerklich, behält

    den Spannungsbogen und das langsame tastende Vorwärtsschreiten unverändert bei.

    Faszinierend auch seine Lesart des "con grand' espressione"- Crescendo-Abschnitts (ab Takt 28), der dann in die überirdische Überleitung zum himmlischen zweiten Thema übergeht - grandios!

    Auch das Seitenthema, dieser himmlische Choral, wirkt in der introvertierten Pianissimo-Lesart Perls, wie ich finde, sehr anrührend und läuft in einem beeindruckenden crescendo (ab Takt 60 auf der Zwei), aus und geht dann in den Durchführungsabschnitt (ab Takt 69) über, wovon auch hier wieder die schon oft erwähnten "Erkennungsintervalle" Sext und Terz (hier in Takt 63 und 64 auf der Eins sowie 65 und 66 auf der eins) künden.

    Die kurze Durchführung beginnt er in der gleichen abgeklärten Stimmung, wie dieser geheimnisvolle Auslauf des Seitenthemas gestalte war, auch wenn hier gelegentlich dynamische Erhebungen Auftauchen (Takt 78ff), die dann spätestens ab Takt 82 wieder zurückweichen und zur Reprise hin in dem berührenden Diminuendo smorzando auslaufen.

    Die unvergleichliche Reprise mit ihren aneinander rankenden Zweiunddreißigstel-Figuren in fortlaufenden sanft dynamischen Bewegungen, von durchlaufenden Achtelakkorden im Bass kontrastiert, (Takt 87 bis 103), spielt Perl in einer berückend introvertierten Tongebung, dabei aber jederzeit transparent das dichte melodische Geflecht ausleuchtend, das erst in Takt 104 b is 110 in dem ersten riesigen Ritardando fast zum Erliegen kommt (Takt 112).

    Wie wunderbar bringt er auch hier den nunmehr sanft verdunkelt leuchtenden Durbogen (ab Takt 111) zum Erklingen.

    Beeindruckend gestaltet er auch den nachfolgenden "a tempo"-Abschnitt (ab Takt 113), der in etwas veränderter Form im "molto espressivo in die überirdische Überleitung zum himmlischen Seitenthema übergeht (im crescendo poco a poco ab Takt 122). Diesen letzten lyrischen Abschnitt spielt er mit einem tief zum Kern der Musik herabsteigenden Ausdruck- grandios!

    Dann der neuerliche Beginn des Seitensatzes: das ist so ergreifend, dass ich innehalten muss. Er spielt diesen Sequenz, wie ich finde, so intensiv in ihrer sanft leuchtenden Schönheit, wie nur wenige andere. Selbst die Erkennungs-Intervalle, hier Takt 148 und 149 auf der Eins sowie 150 und 151 auf der Eins sind unter seinen Händen lauterer Gesang.

    Auch der erste Teil der Coda, in dem, fast wie durch ein Brennglas, der Seitensatz nochmal auftaucht und hier in einem starken Crescendo zerfällt, klingt bei Alfredo Perl nicht gar so tumultös. Mit einem letzten Themenauftritt, noch einmal zur Ruhe gemahnt in dem wundersamen Ritardando bringt Alfredo Perl diesen unglaublichen Satz, nochmal zum friedlichen Ausklang von dem sanften Durbogen beleuchtet und anschließend in einem ebenfalls ausgedehnten Diminuendo zu einem morendoartigen Ende.

    Welch eine meisterliche Ausdeutung!


    Beil Alfredo Perl darf auch das Largo noch wirklich ein Largo sein. Hier merkt man sofort, mit wie großem Verantwortungsgefühl er die Tempoangaben Beethovens ausmisst, innerhalb deren sich die Musik nur natürlich entfalten kann, oder auch nicht, wenn man sie denn zugunsten virtuoser Überlegungen geringschätzt.

    Das merkt man auch, als er das Un poco piu vivace spielt. Es passt so wunderbar in die übrigen temporalen Bausteine.

    Erst im Allegro wird es dann schnell. Da ist es auch gestattet. Aber nach wie vor herrscht strukturell Klarheit,

    Ebenso deutlich fährt er beim Tenuto (Takt 9 und10) zurück und schließt dann absolut passend das a tempo, accelerando, dann das Prestissimo an. Nicht immer hört man das Largo so zutreffend in seinen zahlreichen Tempoabstufungen gespielt wie hier von Alfredo Perl.

    Und dann entfaltet er das Allegro risoluto mit seinem 1. Teil der Fuga, die Exposition B-dur, Takt 16 bis 84, mit wunderbarer struktureller Klarheit vor dem Ohr des faszinierten Hörers, der hier mühelos dem zwar raschen, aber transparenten spiel folgen kann

    Sein Spiel hat auch, zumindest in diesem I. Teil, nicht die bizarren Ecken und Kanten, die ich manchmal höre. Er lässt es mehr fließen. Sein Spiel ist selbst hier noch ein wenig introvertiert, aber meisterlich in der Ausführung.

    Der II. Teil, die Vergrößerung des Themas in es-moll, Takt 85 bis 152, der umfangreichste der einzelnen Fugateile. Und hier erfährt man auch den großen rhythmischen Unterschied zwischen Teil eins und zwei besser, eben weil er in Teil noch den Fluss stärker betont hat.

    Auch die Triller-Sequenz in ihren verschiedenen Ebenen und die auf- und abstrebenden Sechzehntelfiguren (hier ab Takt 131 mit den gleichsam wiederkehrenden formalen Ähnlichkeiten ziehen klar und deutlich am Ohr des Hörers vorbei.

    Im III. Teil, dem Rücklauf des Themas in h-moll, Takt 153 bis 207, kehrt in der ersten Hälfte im Cantabile im Diskant etwas Ruhe ein, während in den langen Begleitbögen geradezu lyrischen Girlanden das Ohr umschmeicheln.

    Im nächsten Abschnitt lässt Alfredo Perl dann die sich zwar ähnelnden, jedoch rhythmisch und dynamisch stärkeren Figuren deutlich hervortreten, was die Vielseitigkeit auch dieses Fugateils unterstreicht.

    Dann im IV. Teil, der Umkehrung des Themas in G-dur, Takt 208 bis 249, wo die Oktaven noch stärker ausgelotet werden, lässt Perl auch das gestiegene Bizarre des Rhythmus deutlich hervortreten, Hier ist der Fluss endgültig dahin zugunsten eines fast dämonischen Rhythmus in den unglaublichen Trillersprüngen, wo Beethoven denn auch einen ganzen Pausentakt (249) angesetzt hat, um herunter zu kommen.

    Größer könnte denn auch der emotionale, rhythmische und dynamische Kontrast kaum sein als in diesem V. Fugenteil, der Durchführung des zweiten Themas in D-dur, Takt 250 bis 278, nach der Zählung der Einzelteile die Mitte bildend, formal sozusagen die Spitze eines pyramidenförmigen Satzaufbaus diese umfangreichen Gesamtsatzes.

    Welch eine elysische Ruhe entfaltet denn auch Alfredo Perl in diesem kurzen Gebilde im Bachischen Stil- die Atempause vor dem großen Schlussgebilde.

    Zuerst folgt der dreigeteilte VI. Fugenteil, zuerst das 1. und 2. Thema gleichzeitig in (Takt 279 bis 293, dann das 1. Thema zweifach, Takt 294 bis 348 und drittens die Schlussankündigung der Durchführung , Takt 349 bis 364, alles in B-dur.

    Gekrönt wird das Ganze dann von einer unglaublichen Coda, Takt 367 bis 400.

    Alfredo Perl spielt auch diesen Schlussanstieg in vollendeter Meisterschaft. Es war dies eine Interpretation ohne die geringsten Schwierigkeiten, wie ich finde, mit durchgehend tiefem Vordringen zum musikalischen Kern, mit einer durchgehenden musikalischen Geschlossenheit.

    Deshalb möchte ich diese Aufnahme unbedingt den Referenzen zuordnen.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Alfredo Perl spielt auch diesen Schlussanstieg in vollendeter Meisterschaft. Es war dies eine Interpretation ohne die geringsten Schwierigkeiten, wie ich finde, mit durchgehend tiefem Vordringen zum musikalischen Kern, mit einer durchgehenden musikalischen Geschlossenheit.

    Deshalb möchte ich diese Aufnahme unbedingt den Referenzen zuordnen.

    Lieber Willi,


    gerne habe ich Deinen wie immer liebevoll ausführlichen und leidenschaftlich engagierten Beitrag gelesen. Die Hammerklaviersonate ist erhebend aber leider auch ein monumentaler "Brocken" - das erschwert den Interpretationsvergleich. ^^ Perl habe ich ja - da werde ich ganz bestimmt "nachhören". Damit bin ich erheblich im Verzug. Die ungehörten CDs stapeln sich inzwischen, dass es fast beängstigend ist. =O Noch nicht mal habe ich die Konzertaufnahme von Gilels gehört, die ich vor ca. einem halben Jahr kaufte. Erst einmal werde ich wohl meine Beiträge zu Schuberts B-Dur-Sonate endlich einstellen - der Startartikel wartet schon seit April auf der Platte. Ich komme verflixt im Moment einfach kaum zum Musikhören.


    Liebe Grüße

    Holger

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  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"

    Dina Ugorskaja, Klavier

    AD: 2012

    Hier ist auch ein entsprechenden YT-Video:

    Spielzeiten: 12:03 - 2:31- 18:12 - 12:58 --- 45:44 min.;


    Ich möchte nun, nach der B-dur-Sonate Schuberts, angesichts des Todes von Dina Ugorskaja vor wenigen Monaten, nun auch ihre Lesart dieser großen Beethoven-Sonate besprechen. Dina Ugorskaja hat diese Aufnahme, die 2012 entstanden ist, ihrer Mutter Maja Elik gewidmet, einer Musikwissenschaftlerin, die am 30. 3. 2012 in Detmold starb, wo wohl ihre Eltern damals lebten und wo nicht nur ihr Vater Anatol Ugorski, sondern auch sie bis 2007 an der dortigen Musikakademie gelehrt hatte.


    Im Kopfsatz ist Dina Ugorskaja im Vergleich zu den vorher besprochenen Alfredo Perl und Igor Levit erheblich langsamer. Sie spielt das Thema in den Eröffnungstakten 1 - 4 kraftvoll, aber (noch) nicht überbordend. Im zweiten Teil (ab Takt 5 mit Auftakt) geht sie dementsprechend tief ins Piano zurück und lässt die Leatobögen in einem berührenden Ritardando auslaufen. Im danach folgenden a tempo-Teil, Takt 9 mit Auftakt spielt sie ein wunderbares Crescendo in den langen Bögen bis zum Ende des 1. Hauptthementeils (Takt 16), wobei sie aber mühelos das verzeichnete Forte erreicht und nahtlos und kraftvoll in das Hauptthema II (ab Takt 17) übergeht. Hier spielt sie präzise die vielen Dynamikwechsel (Takt 17 bis Takt 24 auf der Eins) und schließt ab Takt 24 auf der Drei ein schwung- und kraftvolles Crescendo an, das (ab Takt 31) in einem seh schönen Diminuendo-ritardando ausläuft. Daran schließt sie unmittelbar auch das Hauptthema III an, wieder mit den beiden signifikanten Doppelakkord-Folgen, die wir schon aus den Takten 1 bis 4 kennen.

    Auch die nun folgende Überleitung zur 1. Phase des Seitensatzes, im Piano beginnend, dann in einem moderaten Crescendo spielt sie großartig und schließt dann eine wunderbare 1. Phase des Seitensatzes an mit den kristallinen Oktavierungen und den moderaten dynamischen Bewegung.

    Auch die 2. Phase (ab Takt 64 mit Auftakt) mit den Tempowechseln ist absolut "comme il faut".

    Auch die 3. Phase des Seitensatzes (ab Takt 75) , die wieder mehr fließt wie die erste, spielt sie wunderbar mit den einfließenden Oktavierungen und in kraftvollen, bis zum ff reichen Akkorden auslaufend und über steigende Achtel-Tonleitern in beiden Oktaven zur Schlussgruppe überleitend. Den 1. Gedanken , über das wunderbare Cantabile dolce ed espressivo zum Trillercrescendo und zum hochdynamischen 2. Gedanken, der komplett oktaviert ist, spielt sie mitreißend und erreicht das Ende der Exposition nach 2:50 (zum Vergleich: in der Partitur stehen handvermerkt Gould mit 3:15 und Lisitsa mit 2:25. Dina Ugorskaja, die selbstverständlich die Exposition wiederholt wie die meisten Pianisten, ist da in einer Art klassischer Mitte.

    Auch in der Wiederholung zeichnet sie sorgfältig die dynamischen Verläufe nach und ebenso die temporalen Verzögerung und a tempo-Stellen. sowie die rhythmischen Verläufe und Wechsel.

    Auch die Überleitung zwischen Hauptthema und Seitensatz macht wiederum deutlich, dass ihr Dynamikspielraum sehr weit unten beginnt. Auch der Seitensatz entfaltet sich wiederum sehr berührend leise singend. Auch in der 2. Phase des Seitensatzes legt sie wieder großen Wert auf die Tempowechsel, die sie wieder ansatzlos ineinander übergehen lässt. Wunderbar auch wieder die 3. Phase mit den zunächst ausladenden Bögen und anschließenden Fortissimoakkorden und vielen Sforzandi (Takt 91 bis 96.

    Auch der kantablen Schlussgruppe lässt sie wieder die notwendige Zeit zur Entfaltung sowohl des Gesanges als auch der dynamischen Steigerung vom Piano über das Trillercrescendo bis hin zur Fortissimoattacke am Ende der Exposition. Die Einleitung der Durchführung spielt sie wunderbar pianissimo, entfaltet pünktlich das Crescendo in Takt 128 hin zum Kern der Durchführung, mit den beiden Glockenakkorden (Takt 134 mit Auftakt und Takt 136 mit Auftakt) beginnend.

    Das Fugato entwickelt sie bedachtsam und äußerst transparent, sodass die Struktur klar zu Tage tritt.

    Auch den zweiten Teil mit dem viermaligen Auftakt des Fugatothemas, zuerst der Dominanten con c-moll, dann in c-moll, drittens der Es-dur-Dominanten und am Schluss in Es-dur baut sie klug und übersichtlich auf. Gut nachzuvollziehen ist auch hier die dynamische Linie, und ganz herausragend ist ihr Übergang am Ende der hochdynamischen Es-dur-Sequenz in das Diminuendo und den anrührenden "Stillstand", mit dem das Fugato abschließt.

    Das anschließende Cantabile/espressivo im Piano spielt sie atemberaubend, desgleichen die engen Dynamikwechsel im letzten Durchführungsteil, wobei sie hier den Rhythmus stärker schärft als schon gehört und den dynamischen Kontrast nicht zu groß nimmt.

    Zu Beginn der Reprise spielt sie in der Modulation das Ritardando noch langsamer als zu Beginn der Exposition, sieht auch hier eine Entwicklung zum Satzende hin.

    Auch der zweite Teil des Themas ist wieder atemberaubend (Takt 248 bis zum abschließenden Ritardando Takt 266). Auch die Rückleitung und der nachfolgende Seitensatz bis hin zur Überleitung mit der faszinierenden Schlussgruppe mit ihren beiden dynamisch und temporal kontrastierenden Gedanken lassen keine Fragen zurück. Es ist alles so, wie ich mir das vorstelle und wie es in den Noten steht.

    Letztlich schließt sie mit einer unglaublichen Interpretation der wundersamen Coda ab- grandios!!


    Im Scherzo ist sie nur marginal langsamer als Igor Levit und Alfredo Perl. Hier hört man, wie souverän sie das Scherzo mit den Rhythmusverschiebungen gestaltet und wie klar sie die Struktur hervortreten lässt.

    Auch das Trio mit den durchlaufenden Achteltriolen spielt sie äußerst transparent. Dabei lässt sie auch die dynamischen Verläufen in dem von ihr gewählten moderaten Rahmen wieder klar hervortreten.

    Das Presto spielt sie sehr prägnant, auch mit dem nötigen Tempo und schließt mit einem schwungvollen Prestissimotakt ab.

    Im Scherzo II (ab Takt 122) ist deutlich die zusätzliche Achtel in der Altlage zu vernehmen. Generell ist festzustellen, wie sorgfältig und partiturgerecht sie mit kleinen und kleinsten Änderungen der heiklen Dynamik in diesem Satz umgeht, ganz im Gegensatz zu mehreren anderen Interpretation, in denen das nicht der Fall war un d wie ich das in den entsprechenden Rezensionen auch ausgedrückt habe.

    Dieser kleine aber feine Satz bestätigt das hohe Niveau des Kopfsatzes.


    Im Adagio sostenuto ist sie etwas langsamer als Igor Levit und deutlich schneller als Alfredo Perl. Sie entfaltet eine traurigen Ausdruck, ganz aus dem Pianissimo kommend und die dynamischen Bewegungen maßvoll ausführend.

    Ganz wunderbar berührt ihre erste Durauflösung (Takt 14 bis 16), desgleich der zweite Bogen (Takt 22/23). Und in Takt 26 im Espressivo begegnen uns wieder die beiden Signalquarten, die öfter an entsprechenden Schnittstellen wie hier vor dem "con grand' espressione" auftauchen. Diese Kennzeichen finden wir immer wieder in den Beethoven-Sonaten. Diese höchst expressive Sequenz führt uns ja bekanntlich zur erst überirdische Überleitung in diesem Satz, hin zum himmlischen Seitensatz, jenem Choral, dessen Güte und Faszination man nur sehr selten in der gesamten Klassik antrifft, sonst höchstens noch bei Schubert.

    Sie spielt das ganz herausragend, auch das Seitenthema im ersten Teil. Wie verschiedene andere Pianistinnen und Pianisten auch fasst sie die dynamische Spannweite nicht zu weit. Die verschiedenen Crescendi und Decrescendi spielen sich ein einem Abstand von pp bis max. mp ab.

    (Ich musste die Arbeit an dieser Sonate zuletzt aus verschiedenen Gründen für acht Tage unterbrechen und bin nun wieder eingestiegen).

    Jetzt, nach dieser Pause hat die Überleitung (Takt 36 mit Auftakt bis 43) vielleicht einen noch tieferen Eindruck in ihrer Expressivität hinterlassen wie schon zuvor.

    Auch im Seitenthema gehen mir die klaren sonoren Töne in der Melodie im Bass mir regelrecht unter die Haut, auch im zweimaligen Wechsel des Themas in die hohe Oktave, vorgetragen in dynamisch maßvollen wenngleich spannungsgeladenen Bewegungen.

    Die "una corda"-Stelle (Takt 61 mit Auftakt, mit den schon bekannten Signalakkorden, hier in Takt 63/64 als Sext-Terz-Kombination, ebenso in der Themenoktavierung Takt 64 bis 66, das ist abermals eine herausragenden Ausführung dieser Schlüsselstelle hin zur Durchführung.

    In der Durchführung selbst bleibt sie zunächst bei dem moderaten Spielraum und trägt den ersten Teil in den "una corda" Oktaven in intimer Tongebung vor. Auch die Sechzehntel-Tonleitern in Takt 72 gestaltet sie dynamisch weiterhin in einem moderaten Crescendo. Erst im folgenden Crescendo geht sie dann auch bis zum vorgeschriebenen Forte (Takt 78ff.)bis das Ganze allmählich dynamisch abflaut und in einem berührenden Diminuendo-Smorzando in Takt 85/86 fast zum Stillstand kommt, bevor dann in Takt 87 eine Reprise einsetzt im "Pianissimo espressivo" mit taktweise wechselnden Dynamikangaben- fast 20 Takte mit ausschließlich Zweiunddreißigstelfiguren, in denen sich in langen Legatobögen Oktavwechsel und Nonenwechsel aneinanderreihen, ein Konstrukt, das es wohl auch nur bei Beethoven gibt.

    Diese Sequenz gestalte sie sehr lebendig, sodass die pulsierenden dynamischen Bewegungen nicht nur hörbar, sondern auch vor dem geistigen Auge sichtbar werden. Dabei behält sie natürlich das Tempo konstant bei. Nur so kann m. E. der Zauber dieser überragenden Sequenz sich entfalten, die dann abgelöst wird durch eine ähnlich seltene, ebenfalls mirakulöse Sequenz abgewechselt wird, in der über sechs lange Takte Beethoven ein Ritardando aus überwiegend Achteln und Sechzehnteln komponiert hat, das dazu noch diminuiert wird, ausgehend vom Piano- atemberaubend, und in der wieder wie schon zu Beginn des Satzes (Takt 14 - 17) die hohe Durauflösung auftaucht (hier Takt 108 bis 111).

    Daran schließt sich eine ebenfalls schon bekannte Sequenz an, die wir schon als "con grand' espressione" ab Takt 28 kennen und in der wieder diese großen Intervallsprünge im Bass auftauchen, in der die jeweils höchsten Töne der Oktavwechsel ein Duodezim (12 Töne) auseinanderliegen. Nur war der tiefe Mittelton in diesen Figuren eine einzelne Sechzehntel, während hier noch eine Sechzehntel ein Oktav tiefer darunter liegt, also hier Intervallunterschiede von 1 Duodezim + 1 Oktave zu spielen sind, also 20 Töne. Da muss man schon ganz schön weit greifen.

    Und in diesem beinahe zirkusreifen Konstrukt verbirgt sich die formal etwas abgeänderte (auch bei Beethoven nichts Neues) überirdische Überleitung zum himmlischen Seitenthema, die Dina Ugorskaja erneut atemberaubend ausdrucksstark spielt und nach einem erneut mitreißenden Crescendo wieder dieses unglaubliche Seitenthema anstimmt, das erneut eine innere Beschleunigung erfährt durch den Wechsel im Bass im fünften Thementakt (hier Takt 134, vorher Takt 49).

    Auch in der Wiederholung gestaltet Dina Ugorskaja diese Sequenz mit großer musikalischer Tiefe. Von hier aus geht es nach der dynamischen Gegenbewegung hin zur zweiten großen Coda (nach jener im Kopfsatz), in der Beethoven diesmal mit anderen musikalischen Feinheiten punktet, dies jedoch zuvor mit den schon bekannten Signal-Intervallen ankündigt, hier Takt 148/149 und 150/151.

    In der Coda taucht dann ganz unvermittelt, diesmal ohne lange Überleitung, das himmlische Seitenthema ein drittes Mal auf, währt aber nur kurz und wird in einem wild-tumultösen Crescendo, von Dina Ugorskaja kongenial gespielt, praktisch zerstört, wobei im letzten Takt (165) im Bass Zweiunddreißigstel-Sextolen ihren schauerlichen Takt dazu schlagen.

    Subito piano neigt sich dieser grandiose Satz dann dem Ende zu, zunächst ein weiteres Mal in das rätselhafte sechstaktige Ritardando versinkend, an dessen Anfang aber noch einmal die Durauflösung wie eine kleine Sonne aufgeht- wunderbar gespielt!

    Nach einem letzten ganz mäßigen Crescendo spielt Dina Ugorskaja dann ein vollkommen erschütterndes Morendo, bei dem mir die Tränen in die Augen treten.

    Welch eine überragende Interpretation dieses unvergleichlichen Satzes, dem wahren Höhepunkt dieser monumentalen Sonate!!


    Im Largo schlägt Dina Ugorskaja von Anfang an ein entspanntes, und wie ich finde, richtiges moderates Tempo an, spielt diesen kurzen Satz auch im "Un poco piu vivace" moderat weiter. Erst im Allegro Takt 3) legt sie deutlich zu, um es im Tempo I (Takt 8 ) genauso deutlich wieder zurückzunehmen. Hier finden dankenswerterweise keine virtuosen Spielchen statt.

    Im "tenuto" Takt 9behält sie dieses moderate Tempo bei, das sie erst im "a tempo" Takt 10 aus einem langsamen zum Prestissimo in einer wirklich großen Spannweite steigert- toll!

    Im Allegro risoluto (ab Takt 11) spielt sie den I. Teil, die Exposition in B-dur, Takt 16 - 84, ebenfalls in der gleichen entspannten, aber voll konzentrierten Grundhaltung im klaren Tongebung, im Piano beginnend, Melodie und hurtige Sechzehntelbegleitung schön in Einklang bringend und gut nach zu verfolgend. Hier macht auch sie wie viele andere von Anfang an deutlich, dass wie hier in einem Satz sind, der so anders klingt und rhythmisiert ist, als stammte er aus einer anderen Dimension.

    Nach einem Diminuendo, das das Mitlesen wesentlich erleichtert, trägt sie nun den II. Teil, die Vergrößerung des Themas in es-moll vor, Takt 85 - 152, den längsten Einzelteil dieses gewaltigen Satzes vor, in dem das rhythmische Gefüge mit den langen Sforzandokette (Takt 102 bis 114, dem Trillermittelteil und dem dritten Teil mit teils parallel, teils gegeneinander verlaufenden Sechzehntelfiguren mit zahlreichen Tonleitern auf engstem Raum vor, die aber trotz des scheinbaren Wirrwarrs eine deutliche, wenn auch rasch wechselnde, aber immer wieder erkennbare Struktur aufweisen.

    Der III. Teil, der Rücklauf des Themas in h-moll. Takt 152 bis 207, der im ersten Abschnitt wieder deutlich ruhigere Züge im Cantabile im Diskant trägt, Im zweiten Abschnitt tauchen dann wieder in beiden Oktaven die Sechzehntelfiguren auf, diesmal häufiger parallel Strukturen aufweisen und daher gut zu unterscheiden sind , und ich nehme mal an, auch gut zu spielen sind.

    Der IV. Teil, die Umkehrung des Themas in G-dur, Rhythmisch zunächst etwas regelmäßiger, mit langen auf-und abstrebenden Sechzehntelfiguren und dynamisch besonders im zweiten Teil zunehmend, endet in den berühmten Trillersprüngen und zwei heftigen Fortissimo-Akkorden.

    Der V. Teil, die Durchführung des 2. Themas in D-dur, Takt 250 bis 279, offenbart auf den zweiten Blick die pyramidenförmige Struktur dieses ganzen Satzes, der, wenn man den VI Teil genauer betrachtet und seine in Wahrheit Dreiteiligkeit nimmt und den VII. Teil die Coda, hinzunimmt, als V. Teil wenn auch der Kürzeste, in Wirklichkeit die Spitze von insgesamt 9 Satzteilen darstellt, was sich auch in einer Art Übereinstimmung von Gehalt und Gestalt äußert.

    Wenn man nämlich die Pyramidenform als Berg ansieht, dann hat man im V. Teil den Gipfel erreicht, auf dem man sich erst einmal ausruht, bevor man den Abstieg wagt. Im Gehalt dieses kurzen, nur 29 Takte langen Teils äußerst sich das dergestalt, dass er im "sempre dolce cantabile" den absoluten Ruhepunkt in diesem gewaltigen Satz darstellt, bevor es in den vier folgenden Teilen in einem Rutsch ins Ziel geht, das am Ausgangspunkt liegt: Es beginnt mit fünf Fortissimoakkorden, und es endet mit fünf Fortissimo-Akkorden.

    Doch zunächst sind wir beim V. Teil, in dem das 2. Thema durchgeführt wird, und zwar in einer Art Bachischem Stil. Dina Ugorskaja spielt das sehr anrührend, lässt die Musik atmen, ja durchatmen, bevor der Sturm unvermittelt wieder losbricht:

    Im VI. Teil, zunächst das 1. und 2. Thema gleichzeitig in B-dur vortragend, Takt 279 bis 293, dann das 1. Thema zweifach ausführend, ebenfalls in B-dur Takt 294 bis 348 und schließlich drittens die Schlussankündigung der Durchführung, dito in B-dur, Takt 349 bis 366, geht es dann wieder zügig voran, wobei uns die melodischen Bausteine natürlich schon bekannt vorkommen. Begann es jedoch noch im 1. Unterabschnitt ruhig, geht es im zweiten jedoch dynamisch richtig zur Sache, wobei Dina Ugorskaja auch forsch zugreift.

    Schließlich bringt die abermalig außergewöhnliche Coda, der offiziell VII. Teil, Takt 367- 400, mit gewaltigen Steigerungen, langen Trillern und abermals vertracktem Rhythmus, alles zu einem würdigen großartigen Ende.

    Dina Ugorskaja hat diesen unglaublichen Gipfel nicht mit horchvirtuosem Rush, sondern mit Ruhe und Überlegung grandios erklommen.


    Eine grandiose Leistung!


    Liebe Grüße


    Willi:thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Heute Nacht habe ich mir Ugorskajas Pyramiden-Erklimmung mit Blick auf deinen sehr gut mitzuvollziehenden Text angehört, lieber Willi. Das war in beiderlei Hinsicht natürlich eine Bereicherung.

    Ich höre es auch so, dass die Interpretin einen "maßvollen" Zugang wählt, der auf sehr hörenswerte Weise Plastizität und Klarheit mit sublimer Emotionalität verbindet.

  • [Ich höre die Datei, denke mit und schreibe mit, verzichte aufs Lesen der Noten, schaue gelegentlich auf Willis Vorlage. Willi hat die Noten mitgelesen; das genügt mir nun wirklich. (Oder sagen wir so: Eine Wiederholung solcher Rezeption ohne "Mitschrift der Gedanken" zugunsten des Mitlesens ist ja nun nicht verboten. Auf einen weiteren Bericht werde ich dann verzichten ... :untertauch: )]


    Bemerkenswert frei atmet der erste Satz, gerade weil es Dina Ugorskaja bei aller Transparenz und Präzision nie um eine sportliche Bewältigung voller Kraftentfaltung geht. Dadurch erzielt der Satz genau jenes Maß an Mühelosigkeit, das genug Raum lässt für ein tieferes Geheimnis, ohne es je zu überdecken. In der Durchführung überrascht mich gelegentliches Innehalten wie auch Akzentuieren, das mir eigentlich bei keiner anderen Einspielung, die ich kenne, so aufgefallen ist. Auf diese Weise entstehen verblüffende Binnenstrukturen. Ich bin davon sehr angetan - dass man hie und da kritisch relativieren könnte, sei dahingestellt. Willi dürfte aber Recht haben: Vermutlich steht nichts davon explizit nicht in den Noten, auch wenn ich nicht mitgelesen habe! [Ein wunderschönes stilistisches Konstrukt ist mir da gelungen.]


    Der Eindruck eines gewissen agogischen Raffinements voller Geschmackssicherheit setzt sich im zweiten Satz fort. So entsteht Binnenspannung, so wird jede Hektik vermieden - Dämonie findet sich in anderen Deutungen in stärkerem Maße. [Ist es ein femininer Verzicht auf Unruhe, Titanenhaftigkeit, Drängen ... ?]


    Ja, und beim dritten Satz spürt man sofort jene noble Traurigkeit, die sich dann einstellt, wenn das gewählte jeweilige Zeitmaß gewünschte Schattierungen erlaubt, ohne dass die große Linie umkippt in Fragmente. Eine bekanntermaßen gnadenlose geistige Herausforderung für wirklich jede Pianistin, jeden Pianisten ist dieser dritte Satz. Es ist leise Trauer per se, die uns hier anspricht, nicht der Nachvollzug eines Trauerprozesses [... und doch, werte Mitstreiter, muss ich jetzt die Stirn runzeln: Kann ein solcher Satz, der sich ähnlich in vielen Fachrezensionen finden könnte - hab ja auch Erfahrung mit Zeitungsbesprechungen -, jeglicher Gegenkritik standhalten, zeigt er nicht doch die Verliebtheit in die selbst produzierte Phrase? Ach, ich weiß es nicht ...] [Könnte es sein, dass Frauen ehrlicher trauern als Männer?]


    Bis jetzt wage ich dieser Deutung der Russin vor allem zu unterstellen, dass sie wesensmäßig stimmig ist - in allen Nuancen dieses Adjektivs, stimmig und schlüssig in einem ganzheitlichen Sinne. Dem Adjektiv "maßvoll" des Genossen Leiermann habe ich da nichts entgegenzusetzen. ;) [Ist es eine feminine Gelassenheit? Die Bereitschaft, aufs Ganze zu sehen und doch all die vielen Einzelmomente liebevoll zu umfassen?]


    Und das Finale? Ja, es klingt ausgeprägter "bachisch" als in manch anderer Deutung, es ist ein bachisches Drängen oder ein bachisches Verweilen, jeweils dort, wo der Text es nahelegt. Bach ist stets hörbar nicht nur in, sondern ebenso jenseits der Noten das Vorbild. Vor allem entgeht Ugorskaja der Gefahr, Mühe hören zu lassen, oder Virtuosität in einem romantischen Sinne, oder Kampf oder Dualismus. So ergibt sich Geschlossenheit eines Gegenmodells auch in dem Sinn, dass man sich streiten kann, ob Mühe und Virtuosität und Kampf und Dualismus nun wirklch eine Gefahr darstellen, der man entgehen müsste ... 8o [Könnte es sein, dass Frauen nicht so gerne streiten? Dieses Forum stellt nahezu keine Beweise bereit ... :untertauch:]


    Dank an Willi für die Vorlage, eigenes Gschwätz zu verbrechen mal wieder eine [für mich, nicht "hier" natürlich!!] einigermaßen abgerundete Halblaien-Besprechung eines musikalischen Gipfelwerkes allererster Relevanz schreiben zu dürfen, die vielleicht auch eine Handvoll Leute liest.


    Was in eckigen Klammern steht, steht in eckigen Klammern. (Pilatus von Germanien) :|


    Schönen Gruß,


    Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • I... die vielleicht auch eine Handvoll Leute liest.

    Zu dieser "Handvoll" gehöre ich, dabei nicht nur von den beeindruckenden Besprechungen Willis und Wolfgangs profitierend, sondern auch in die Noten blickend, die ich zur Verfügung habe, seitdem ich, als Gesamtaufnahme durch Gulda erschien, mich monatelang, und das in Begleitung durch die Ausführungen von Joachim Kaiser in seinem einschlägigen Buch aus dem Jahr 1975, wie ein Besessener durch alle Beethoven-Klaviersonaten hindurch arbeitete.

  • Zitat

    [...] wie ein Besessener [...]

    Schon vorher kannte ich das - und seit dem Austritt aus dem Beruf kenne ich es immer mehr. Nun, es gibt Schlimmeres. Konzertbesprechungen schreibe ich seit über zwanzig Jahren für unser Lokalblatt, fünf, zehn, höchstens vielleicht fünfzehn Male im Jahr. Zur Zeit natürlich nicht. Das hat mir immer Freude bereitet.


    Danke Dir, Helmut, für das Lob! Viel habe ich ja nun wirklich noch nicht hier geschrieben, aber die Laune dafür kommt jetzt ... :)


    Das Taschengeld, das ich von der Zeitung bekommen habe und das Du für Deine Arbeit hier nicht bekommst, hat auch immer für die Kantine in der Schlossgaststätte hinterher gereicht, oder beinahe gereicht ... ;)

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

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  • Lieber Leiermann, lieber Wolfgang und lieber Helmut,


    herzlichen Dank für eure Beiträge. Vor allem dir, lieber Wolfgang, Dank für deine ganz eigene Rezension, verbunden mit den originellen Fragen in den eckigen Klammern, verknüpft mit der Person der Pianistin.

    An eine Feststellung mag ich anknüpfen, nämlich den "freien Atem" im ersten Satz (und dem letzten?) und den bewussten Verzicht auf Virtuosität. Ich mag nicht so weit gehen zu glauben, dass das in ihrer Person als Frau begründet sein mag. Mir liegt die Vermutung nahe, dass es in ihrer Herkunft liegt, wenn ich da an ihre beiden großen männlichen Landsleute Emil Gilels und Grigory Sokolov denke und mal ihre Satzzeiten vor allem des 1. und des 4 . Satzes gegenüberstelle, sieht man, dass sie alle drei in Ecksätzen maßvoll unterwegs sind, was sich letzten Endes in einem ungeheuer tiefen Ausdruck niederschlägt:

    Dina Ugorskaja: .. 12:12 -- 2:37 -- 18:17 -- 13:04

    Emil Gilels: ....... . 12:24 -- 2:53 -- 19:51 -- 13:38

    Grigory Sokolov: . 13:44 -- 3:30 -- 21:28 -- 14:02


    Aber auch im zentralen Adagio sostenuto sind sie temporal maßvoll unterwegs. Aber das ist insgesamt nur so meine Überlegung.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"

    Maurizio Pollini, Klavier

    AD: 1977

    Spielzeiten: 10:40 - 2:40 - 17:11 - 12: 15 --- 42:56 min.


    Maurizio Pollini ist in dieser Aufnahme im Alter von 35 Jahren in ähnlichem Tempo unterwegs wie der genau 11 Jahre ältere Alfred Brendel, als dieser 1962 die Hammerklaviersonate zum ersten Mal aufnahm, damals bei der VOX. Brendel war damals 31 Jahre alt. Zusammen mit Arturo Benedetti Michelangeli bildeten sie später ein berühmtes Solistentrio, denn alle drei waren am gleichen Tag geboren. Dabei war allerdings Michelangeli 11 Jahre älter als Brendel, und Brendel ist wiederum 11 Jahre älter als Pollini.

    Leider hat jedoch ABM die Hammerklaviersonate nicht aufgenommen.

    Zum Vergleich führe ich hier einmal die Spielzeiten der hier in Rede stehenden beiden Aufnahmen an;

    Brendel 1962: 11:04 - 2:32 - 16:47 - 12:31 --- 42:54 min.;

    Pollini... 1977: 10:40 - 2:40 - 17:11 - 12:15 --- 42:56 min,;


    Brendel war interessanterweise in den beiden Ecksätzen geringfügig langsamer als Pollini und in den beiden Binnensätzen dagegen etwas schneller als Pollini.


    Im Hauptthema I (Takt 1 bis 16)spielt Pollini kraftvoll, aber nicht so, dass man als Zuhörer besorgt zur Saaldecke blicken müsste. Die dynamischen Bewegungen spielt er sehr genau, und sein erstes Ritardando in Takt 8 ist grandios. Auch im Hauptthema II spielt er einfach fabelhaft, auf höchstem technischen Niveau und auch im zweiten wesentlich längeren Ritardando im Verein mit einem Diminuendo beispielhaft. Da musste man bisher bei manch anderen Pianisten annehmen, dass sie beim Lesen der Noten zunehmend sehschwächer wurden.

    Auch das Hauptthema III mit der anschließenden Überleitung spielt er gleich stark mit einem schönen Crescendo-Diminuendo in der Überleitung.

    Die 1. Phase des lyrischen Seitensatzes ist reiner, in den Oktavierungen sphärischer Gesang.

    In der 2. Phase (ab Takt 63) arbeitet er vorbildlich die fließenden Tempowechsel heraus.

    Die 3. Phase schließlich (ab Takt 75) ist ein Schulbeispiel für intensives Spiel bei beherrschter Dynamik, das die Struktur dieses überaus lyrischen Abschnitts auf zauberhafte Weise hervortreten lässt, in den Achteln ab Takt 96 zur Schlussgruppe überleitend, in Takt 99 so zusagend als Bindeglied im Bass eine Achteltriole einschiebend, dem im Diskant eine Viertel gegenüber steht.

    Fließend stimmt Pollini in die kantable Schlussgruppe ein, wahrlich "dolce ed espressivo", fließend wiederum in Takt 106 in das Trillercrescendo, bevor er im 2. Gedanken der Schlussgruppe die dynamisch kontrastreichen Oktavakkorde im Diskant, kontrastiert von den Oktavwechseln im Bass, mit höchster Souveränität ganz natürlich fließen lässt. Im Tempo ist Maurizio Pollini in der Exposition mit 2:32 min. geringfügig langsamer als Valentina Lisitsa (2:25), aber deutlich schneller als Glenn Gould (3:15), was bei Letzterem aber wohl pure Absicht war, wie auch aus einem Zitat unseres Taminofreundes Sagitt hervorging, die dieser im Jahre 2007 in einer Kurzbesprechung bei Amazon tätigte, wie ich im Juli 2017 in meiner Rezension der Gould-Aufnahme schon zitiert hatte: ""Gould und Beethoven, das war immer ein Spannungsverhältnis. Teilweise wirklich sehr spannend, auch wenn Gould bei Beethoven deutlichst seine Marotten hatte, meistens zu schnell, teilweise extrem langsam. Die Hammerklaviersonate gehört eher in die zweite Kategorie".

    Wie dem auch sei, natürlich wiederholt Pollini die Exposition.

    Die Einleitung zur Durchführung gestaltet er mit zwei kraftvollen Aufwärts-Oktavgängen im Diskant und Bass, um dann aus dem Pianissimo heraus zum Kern der Durchführung über ein kurzes Crescendo (Takt 128/129) vorzudringen.

    Zwei vorbildlich gespielte Glockenschläge (ff-fp) in Takt 134 mit Auftakt und Takt 136 mit Auftakt leiten das prachtvolle Fugato ein (ab Takt 138).

    Dank Pollinis undgeheuer präzisen und dynamisch wunderbar abgestuften Spiels kann auch der Laie diese vier Fugato-Einsätze (Takt 138, 147, 157 und 167, jeweils mit Achtel-Auftakt) in der Partitur mitlesen wie in einem offenen Buch).

    Das Gleiche gilt für den zweiten Teil , in dem der Auftakt des Fugatothemas viermal gespielt wird, zuerst in der Dominanten c-moll (ab Takt 177), dann in c-moll (ab Takt 181), dann in der Dominanten Es-dur (ab Takt 185) und schließlich in Es-dur (ab Takt 189), wieder jeweils mit Achtel-Auftakt.

    Diese zweite Hälfte des Fugatos, die ebenfalls, wie die Hauptthementeile in der Exposition, hochdynamisch verlaufen, enden gleichfalls in einer dynamisch wie temporal sich abschwächenden Bewegung, hier "Stillstand" genannt, die Pollini abermals grandios gestaltet.

    Daran schließt er lückenlos das Cantabile-Espressivo an, die er im letzten Durchführungsteil (ab Takt 214 (Doppelstrich) mit neuerlichen dynamischen Kontrasten und in den Takten 223 bis 226 mit Glissando-Figuren crescendierend hin zur Reprise führt.

    Die Reprise spielt er auf dem gleichen hohen technischen Niveau und mit dem gleichen lyrischen Ausdruck in den Cantabile-Abschnitten wie zuvor in der Exposition. Auch das lange Crescendo mit den implizierten Pianotakten (ab Takt 241) und den kurzen Oktavierungen (Takt 251, 253, und 255, jeweils auf der Eins), spielt er wiederum atemberaubend und lässt es wiederum in einem grandiosen Ritardando-diminuendo auslaufen.

    Abermals lässt er nach der Rückleitung (Takt 269 bis 278) einen wunderbar ausgeformten Seitensatz mit den verschiedenen Phasen, aneinandergeknüpft durch die verschiedenen Temporückungen, und nach der verbindenden Achteltonleiter(hier ab Takt 328 bis 331 mit der schlussendlichen Achteltriole die neuerliche Schlussgruppe mit der hochdynamischen Trillersequenz folgen, an die sich dann ab Takt 350 die unglaubliche 55taktige Coda anschließt, die man selten in dieser technischen Vollendung hört, in diesem spannenden wie berührenden Ausdruck, in den dynamischen wie rhythmischen Höchstschwierigkeiten, die ganz natürlich fließen und, wie ich finde, dem Komponistenwillen und dem Kern der musikalischen Aussage so nahe kommen, wie man es selten vorfindet.


    Das Scherzo spielt er etwas deutlicher langsamer als Valentina Lisitsa, die den Satz schon auf außerordentlichem Niveau spielte.

    Hier meine ich die musikalische Struktur noch ein wenig deutlicher zu hören, im zaubrischen Trio die Achteltriolen noch deutlicher perlen zu hören als bei Lisitsa, und das Presto ist einfach atemberaubend. Auch die zusätzliche Achtel im Alt hat ihren unverrückbaren Platz.

    Auch der letzte Abschnitt mit dem neuerlichen Presto- es ist alles noch eine Spur deutlicher- grandios!


    Im Adagio sostenuto höre ich in dem klaren Piano sofort eine Bestimmtheit, die mir sagen will: so muss es sein, das fühle ich- und das fühle ich auch als Hörer, gleichzeitig eine tiefe Melancholie, fast Trauer- und wiederum, in der ersten Duraufhellung (Takt 14 bis 16), eine trostreiche Wendung, die er in Takt 17 in all seiner Bestimmtheit gleich wieder nimmt, bevor

    in Takt 22 bis 24, in der zweiten Duraufhellung, wieder die Hoffnung, der Trost durchscheint, aber wiederum nur kurz.

    Auch die anschließende "con grand' espressione"-Sequenz, ab Takt 27, in der sich das musikalische Geschehen bis zur Sechsstimmigkeit verdichtet, spielt Pollini unglaublich spannungsreich und mit einem kaum noch zu steigernden Ausdruck, wie ich finde. Das gilt vor allem für die überirdische Überleitung zum himmlischen choralartigen Mitteilteil, der in einer treppenförmigen Melodielinie ansteigt, fasst mich in Pollinis Lesart wieder sehr stark an, wie auch schon bei einigen anderen Pianisten. Es scheint, als wolle jeder wahrhaftige Beethovenpianist gerade diese Stelle mit besonderer Sorgfalt und mit intensivstem Ausdruck spielen, eben weil er dies so fühlt.

    Das Choralthema selbst spielt er so kristallin klar, so ruhig, in der Oktavierung nach oben im Diskant so anrührend, in den Sechzehnteltriolen im Bass (ab Takt 49), der sog. "inneren Beschleunigung" den alten Puls so unerschütterlich durchscheinend, dass mich ein innerlicher Schauer und ein Gefühl des Glücks übermannt, diese singuläre Aufnahme zu hören, gleichzeitig aber auch eine tiefe Traurigkeit, dass ich diese Sonate, live vom Meister gespielt, wohl nicht mehr hören werde.

    Auch das lange Crescendo (ab Takt 52) spielt er mit einer noblen Zurückhaltung, die den verklärenden Charakter dieses Chorals in keiner Phase in Frage stellt.

    Auch den Übergang (ab Takt 57 mit dem beseligenden hohen Bogen in Takt 58/59) spielt er weiter vorbildlich in dieser intimen Tongebung, dabei die temporalen und dynamischen Kontraste, hin zur Durchführung, fließen lassend.

    In Takt 63 und 64 auf der Eins grüßen wieder die signalartigen beiden Intervalle (Sext und Terz) wie schon zuvor und auch danach.

    Dieser ruhige Atem der Musik ändert sich bei Pollini auch in dieser Durchführung nicht, obwohl Sechzehntel-Tonleitern in beiden Oktaven und verschiedene Oktavierungen (Takt 76/77) sowie dynamische Bewegungen bis zum Forte das Geschehen anheizen), und er lässt es partiturgerecht in einer dynamischen Abwärtsbewegung auslaufen und zur Reprise hin in einem berückenden Diminuendo-Smorzando fast zum Stillstand kommen.

    Dann diese unglaubliche Reprise mit den kühnen Zweiunddreißigstel-Bögen im Diskant und den kontrastierenden gebundenen Achtelfiguren im Bass- über sie ist hier schon so viel gesagt worden, und sie lassen mich doch immer wieder auf' s Neue erstaunen. Auch Pollini spielt das unglaublich ausdrucksstark und anrührend, auch hier den hohen überirdisch aufleuchtenden Bogen, den wir schon aus der Exposition kennen, nahtlos einfließen lassend und dann am Ende dieser Sequenz in das gewaltige "diminuendo poco a poco" - Ritardando (Takt 104 - 112), in dem er den Bogen noch einmal (Takt 108/109), obzwar tiefer, dennoch zum Leuten bringt- und zum Abschluss dieses Abschnitts wieder die Signal-Intervalle, die neuerlich den "con grand' espressione -Abschnitt einleiten (ab Takt 113), den Pollini, wie zuvor auch schon viele Andere seiner Kolleginnen und Kollegen unmerklich in die überirdische Überleitung einmünden lässt, der hier gleichwohl in einem etwas veränderten Gewand auftaucht und in gemessenem Schritt und gehörigen dynamischen Kontrasten zum himmlischen Seitenthema (ab Takt 129) führt.

    Pollini spielt dies mit genau so großer musikalischer Tiefe in den Kern der Musik vordringend wie zuvor und lässt dann in Überleitung zur Coda (Takt 147 und 148 auf der Eins wieder die gleichwohl pp erklingenden Signal-Intervalle ertönen.

    Dann die rätselhafte Coda, in der Beethoven es fertig bringt, das würdevoll jenseitige Choralthema in einer wilden diesseitigen dynamischen und temporalen Steigerung zerbröseln zu lassen und Pollini das meisterhaft umsetzt, dann unvermittelt im letzten Ritardando angekommen, das nach einem letzten gemäßigten Crescendo in einem unglaublichen, morendo-ähnlichen Diminuendo mit einem gebrochenen ppp-Akkord endet- kaum einer hat diesen Schluss vollendeter gespielt als Pollini- ein ganz überragendes Adagio!


    Das Largo geht Pollini an "comme il faut", oder, wie Mozart zu sagen pflegte: "Wie es gehört", ganz langsam also . Die Viertelnote in Takt 1 zu Beginn des 2. Systems wäre nach der anfänglichen Metronom-Zahl also = 19 zu setzen.

    Auch das "un poco piu vivace" atmet die gleiche Ruhe, nur unmerklich schneller. Im Allegro jedoch versieht auch er den Fortgang mit einer merklichen Beschleunigung, im Tempo I konsequent noch einmal zurückgehend.

    Aus dem ruckelnden "a Tempo" nach den drei Trillern in Takt 10 mit den Zweiunddreißigstel-Pausen entwickelt er ein wunderbares Accelerando und dann Prestissimo mit den zur Fuga überleitenden drei pp-Trillern mit Crescendo auf dem dritten. Dann stimmt er den

    I. Teil der Fuga, die Exposition in B-dur, Takt 16 bis 84 an, den er mit der ihm in der ganzen Sonate eigenen Ruhe und fantastischen klanglichen Transparenz entwickelt, obwohl das Tempo mit 1/4 = 144 fast 8x so schnell ist wie im Largo mit 1/16 = 76.

    Maurizio Pollini gehört zu den Pianisten, dessen Darstellung dieser hammerharten Fuga man als Laie am besten lesen und deswegen zumindest ansatzweise verstehen kann. Nach wie vor ist natürlich das gesamte musikalische "Gebäude" dieser Fuga ein Buch mit sieben Siegeln, vergleichbar mit dem Gebäude einer mit heutigen grafischen Mitteln darstellbaren riesigen Kathedrale. Diese Fuga ist eine riesige musikalische Kathedrale.

    Nach dieser einleitenden Exposition, die in Pollinis Spiel in ihrem Fortgang mit den treibenden Sechzehntelketten, kontrastiert von ähnlich wiederkehrenden Figuren in Sechzehnteln, Achteln und am Übergang auch in Halben und Vierteln, sehr gut nachverfolgbar sind, folgt in der Fuga der II. Teil, die Vergrößerung des Themas in es-moll, Takt 85 bis 152, der nach Taktzahlen längste Teil mit sich verdichtender musikalischer Struktur in Form von ansteigender Dynamik, durch schier endlose Sforzandoketten sich steigernder Rhythmik und zunehmenden Trillern weiter gesteigerte Anforderungen an den Pianisten und an der Hörer.

    Neben all diesen Faktoren ist Beethoven mit diesem Satz und in Verbindung damit mit dieser ganzen Sonate seiner Zeit weit voraus. Pollini bewältigt diese gewaltige es-moll-Themenvergrößerung mit Bravur und hörerfreundlich.

    Auch der III. Teil, der Rücklauf des Themas in h-Moll, Takt 153 bis 207, mit dem kantablen Beginn und in der Begleitung den durch Achtelpausen rhythmisch prägnanten Sechzehntelfiguren bleibt Pollini bei dieser sozusagen klassisch klaren Darstellung der musikalischen Struktur und der multiplen Verarbeitung des Themas ab Takt 180 mit Auftakt, geprägt von teils parallel laufenden, teils gegeneinander laufenden Sechzehntelketten, die zur pyramidalen Mitte der siebenteiligen Fuga führen, dem

    IV. Teil, der Umkehrung des Themas in G-dur, Takt 208 bis 249, der im Aufbau und im rhythmischen Gefüge noch einmal eine Steigerung darstellt, vor allem in den letzten sechs Takten 243 bis 248. Takt 249 ist ein Pausentakt.

    Diesen durch Kurztriller und abermals rhythmisch geprägte Sechzehntelfiguren gekennzeichneten Teil serviert Pollini abermals auf dem Silbertablett und serviert diese sechs Takte wilder Trillersprünge in Vollendung

    Nach dem Pausentakt folgt der kürzeste, der V. Teil, die Durchführung des 2. Themas in D-dur, Takt 250 bis 278, im "sempre dolce cantabile", im bachischen Stil. Pollini spielt ihn in seiner Einfachheit ganz unaufgeregt und zeigt dadurch eindringlich, wie der Melodiker Beethoven so eine einfache barocke Melodie zu einem bezaubernden Gesang formt. Dem lässt er

    den VI. Teil folgen, dem dreigeteilten durchgeführten Thema, zuerst in Takt 279 bis 293, das 1. und 2. Thema gleichzeitig, dann in Takt 294 bis 348 das 1. Thema zweifach und als Drittes die Schlussankündigung der der Durchführung, Takt 349 bis 366, alles in B-dur.

    Auch hier tritt die Struktur wieder mit aller Klarheit hervor, dank Pollinis überragenden Spiels . Schön wird klar, wie die Themen umeinander spielen, wie sie die Oktaven wechseln, wie dann das 1. Thema zweifach auftritt, wie schließlich die Schlussankündigung der Durchführung erfolgt und die hier bereits verstärkt wieder auftretenden Trillerketten schon den Weg weisen zu einer der aufregendsten Codas der Musikgeschichte, nämlich der der Fuga im Finale der Hammerklaviersonate.

    Maurizio Pollini entblättert hier ein letztes Mal die komplizierte Struktur dieser Sonate in den brennglasartigen 34 Codatakten, in denen es vom Trillerwust über die gesamte Dynamikskala und die Tempospannweite alles gibt, was Rang und Namen hat und hier standesgemäß in einem Fortissimo furioso endet.


    Meine neue Referenz!


    Liebe Grüße


    Willi:thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    Einmal editiert, zuletzt von William B.A. ()

  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"

    Maurizio Pollini, Klavier

    Das nenne ich mal eine Besprechung. 8-) :hail: Ich bin zur Hälfte durch, werde aber alles nochmal mit der Pollini Interpretation zusammen hören. Hoffentlich wird das jetzt nicht der Maßstab für alle anderen Rezensionen. Da würde ich mich nicht mehr trauen, noch etwas über irgendeine Sonate in irgendeinem Thread zu schreiben. :untertauch:


    Vielen Dank auf jeden Fall.

  • Lieber astewes,


    schönen Dank für deinen Beitrag und gleichzeitig keine Angst vor meinen Beiträgen. Das hat sich im Laufe der Jahre bei mir so entwickelt, dass ich so viel schreiben muss, gerade bei der Hammerklavier-Sonate. Ich bin kein Musiker, mal abgesehen von meinem beinahe lebenslangen Chorgesang. Aber gerade der hat mir geholfen, mich mehr und mehr auch in Beethovens Partituren hinein zu versenken. Meine ersten Beiträge hier in den Sonatenthreads waren auch wesentlich kürzer.

    Von daher kann jeder, der hier liest, auch schreiben, was er über die entsprechenden Aufnahmen denkt bzw. was er heraushört. Hilfreich ist es natürlich, wenn man eine Partitur zur Verfügung hat.

    Ich habe die Urtextaufgabe von Istvan Mariassy und Tamas Zaszkaliczky zur Verfügung, die momentan auch hier zu haben ist:

    https://www.zvab.com/buch-such…beethoven/autor/mariassy/


    Heute beschäftige ich mich allerdings mit der anderen großen B-dur-Sonate, der von Schubert.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"

    Martin Rasch, Klavier

    AD: Februar 2016, München

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    Spielzeiten: 11:51 - 2:40 - 18:50 - 13:10 --- 46:31 min:


    Ich werde ab sofort auch in den Beethoven-Sonatenthreads Pianisten vorstellen, die hier bisher nicht in Erscheinung getreten sind:


    Martin Rasch studierte an der Münchner Hochschule für Musik und Theater bei Rainer Fuchs, Hugo Steurer und Gerhard Oppitz. Wichtige Anregungen erhielt er außerdem von Alfred Brendel.

    1991 wurde Martin Rasch der Kulturförderpreis der Stadt Straubing verliehen, 1996 gewann er den 6. Internationalen Klavierwettbewerb A.M.A. Calabria mit einem erstmals vergebenen ersten Preis. 2002 wurde er mit dem E.ON-Kulturförderpreis Ostbayern ausgezeichnet. 2004 ehrte ihn der Freistaat Bayern mit dem Bayerischen Kunstförderpreis.

    Martin Rasch stellt sich immer wieder besonderen künstlerischen Herausforderungen: So erregte er in München 1997 Aufsehen, als er an einem Abend alle 24 Etüden von Frédéric Chopin spielte. Besondere Beachtung fand auch seine Interpretation der drei letzten großen Sonaten von Franz Schubert.

    Im Rahmen der Jahrtausendfeierlichkeiten spielte er zusammen mit den Münchner Symphonikern an drei Abenden die fünf Klavierkonzerte von Ludwig van Beethoven. Seit diesem Zyklus verbindet ihn mit diesem Orchester eine regelmäßige Zusammenarbeit u. a. mit Klavierkonzerten von Johannes Brahms und Sergei Rachmaninow. Einen weiteren Höhepunkt stellte 2002 die Aufführung von Chopins zweitem Klavierkonzert in einem Open-Air-Konzert im Brunnenhof der Münchner Residenz dar. Im Dezember 2005 spielte er im ausverkauften Münchner Herkulessaal das zweite Klavierkonzert von Johannes Brahms.

    Die Werke Ludwig van Beethovens nehmen in seinem breit gefächerten Repertoire eine herausragende Stellung ein. Wiederholt präsentierte er die komplette Serie der 32 Klaviersonaten, zuletzt in einem gefeierten Beethoven-Zyklus im Großen Konzertsaal der Hochschule für Musik und Theater München. Der Rektor der Hochschule, Siegfried Mauser, hielt Einführungsvorträge zu den Konzerten. 2004/05 folgten sehr erfolgreiche Aufführungen der wichtigsten Variationswerke Beethovens, darunter die Eroica-Variationen und die Diabelli-Variationen.

    Weiteres kann man hier lesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Rasch

    Dies ist nach meiner Übersicht meine 800. Beethoven-Sonaten-Rezension.


    Martin Rasch spielt das Allegro etwa 1 1/2 Minuten langsamer als Gerhard Oppitz und gut eine Minute langsamer als Maurizio Pollini, aber da ist er noch nicht der Langsamste im Feld. Sokolov z. B. war bei seinen beiden Live-Konzerten in Wien und Berlin im Juni bzw. August 2013 noch einmal ca. zwei Minuten langsamer. Das ist alles immer noch Allegro, und die in der Partitur stehenden Metronomzahlen, die nur bei der Hammerklaviersonate als Einziger stehen, sind ja höchst umstritten.

    Jedenfalls spielt Martin Rasch, was Dynamik und Rhythmik betrifft, sehr aufmerksam der Partitur entsprechend, und die Ritardandi (Takt 8 und Takt 32-34) sind wunderbar.

    Auch die zweite Themenwiederholung, (Takt 35 bis 38), die sich ja nur auf as wuchtige Eingangsmotiv erstreckt, und die Überleitung zum Seitenthema sind temporal und dynamisch einwandfrei.

    Das wunderbare lyrische Seitenthema in der 1. Phase (Takt 47 bis 63) empfinde ich als sehr ausdrucksvoll gespielt, technisch ohnehin, und wiederum setzt er die Tempowechsel in der 2. Phase wirklich, wie sie gehören. Auch die 3. Phase /ab Takt 75) mit Wiederholung (81 - 89) spielt er sehr sanglich, einschließlich der Überleitung mit den Themenfanfaren und den Achteltonleitern über beide Oktaven und zusätzlich oktaviert (Takt 96 bis 99), hin zur Schlussgruppe.

    Das Cantabile, dolce ed espressivo klingt in diesem gemäßigten Tempo doch tiefgründiger als wenn man darüber hinweg fliegt. Korstick mag da eine Ausnahme sein. Rasch wiederholt natürlich die Exposition.

    In der Wiederholung nimmt er sich zum Schluss auch noch die Zeit, ein der Einleitung der Durchführung (Takt 119b bis 133) die Fortissimo-Fermaten lang durch schwingen zu lassen und ihnen so mehr Gewicht zu verleihen. Das anschließende Pianissimo (ab Takt 124 b) mit dem Crescendo (ab Takt 126), hin zum Kern der Durchführung, spielt er auch sehr sorgfältig, einschließlich der beiden Fanfarenstöße (Takt 134 mit Auftakt und Takt 136 mit Auftakt).

    Die ersten vier Fugatoeinsätze spielt er, wie es gehört, von Mal zu Mal "piu crescendo" und sehr transparent. Dabei steigert er wohldosiert, erst im letzten Einsatz das Forte erreichend und im ersten Einsatz des zweiten Fugatoteils, dem Themenauftakt in der Dominanten von c-moll (Takt 177), dann dem nächsten in c-moll (Takt 181), dem dritten in der Dominaten von Es-dur (Takt 185) und schließlich im 4. in Es-dur (Takt 189), jeweils erst das Fortissimo erreichend. An den Taktzahlen kann man schon erkennen, wie das riesige Gefüge der Hammerklavier-Sonate, wie übrigens auch der Bau aller anderen Klaviersonaten Beethovens, mathematisch exakt durchgetaktet ist, ganz im Gegensatz etwa zu Franz Schubert. Ich sprach schon verschiedentlich darüber. Der letzte Themenauftakt ist zwar länger als die drei voraufgegangenen, aber genau um vier weitere Takte , bevor wir in Takt 197 beim sogenannten Stillstand angelangt sind, in dem Martin Rasch durch sein temporal nach wie vor exaktes Spiel die Musik hier bis zum stillstehen bringt, bevor wir beim wunderbaren Cantabile espressivo angelangt sind (zwischen den Doppelstrichen), das Rasch in aller Ruhe entfaltet und die Durchführung dann im letzten Teil aus dem Piano mit einer schönen Steigerung abschließt, die auch er in den letzten vier Takten(223 bis 226) glissandoartig spielt!

    Auch in der Reprise spielt er in der Modulation das Ritardando (Takt 239 wieder sehr aufmerksam, , ebenso wie das Cantabile Takt (239) und das anschließende Crescendo, den zweiten Hauptthementeil und das abschließende Ritardando, das in die Rückleitung und den dreiteiligen Seitensatz führt wie zuvor, zuerst lyrisch-sanglich, dann im Ausdruck gleichbleibend aber mit Tempowechseln, schließlich in einer langen Steigerung in die Schlussgruppe hinein, ebenfalls wieder dreiteilig, wo aber der dritte Teil dann unmittelbar in die unglaubliche 55 Takte lange rhythmisch und dynamisch höchstschwierige Coda hineinführt, mit einem fast 30 Takte langen Schlussabschnitt von pausenlosen Dynamikwechseln zwischen ppp bis zum ff, teilweise von Takt zu Takt aber auch teilweise innerhalb eines Taktes. Martin Rasch verzichtet auch hier auf eine Hatz und konzentriert sich auf die rhythmisch und dynamisch exakte Abfolge der Satzanweisungen, was ihm, wie ich finde, sehr gut gelingt.


    Im Scherzo ist er nur geringfügig langsamer als Pollini, aber natürlich deutlich langsamer als Oppitz und Korstick , aber ebenso deutlich schneller als Sokolov. Das Scherzo samt Mitteilteil und Wiederholung spielt er aber sehr schwungvoll und dynamisch in den unterschiedlichen Akzentuierungen (siehe Einführungstext).

    Das Trio spielt er naturgemäß sehr deutlich mit transparenten Achteltriolen und einem temporal durchaus kontrastierenden schnellen Presto.

    In der Wiederholung von Tempo I spielt er die zusätzliche Achtel im Alt (ab Takt 122) sehr deutlich und schließt in einem temporalen Kontrast an das Ritardando in Takt 164 bis 267 ein schnelles crescendierendes Presto und ein wieder kontrastierendes Tempo I im p/pp an.


    Das Adagio sostenuto spielt er langsamer als Pollini, aber deutlich schneller als Oppitz und Sokolov, aber vor allen Dingen allzu deutlich (knapp 10 Minuten) schneller als Korstick.

    Durch seine gleichfalls sehr niedrige Grundlautstärke spielt er fast den ganzen gewaltigen Satz (187 Takte, hier fast 19 Minuten und Korstick fast 29 Minuten) fast immer auf pp-Niveau. So ist die erste Durauflösung nach 1:16 min. (Takt 14 bis 17) im pp/ppp dahin gehaucht, trotzdem oder gerade deswegen sehr ausdrucksvoll, weil die Töne immer noch klar zu vernehmen sind und die dynamischen Bewegungen z. B. in der zweiten Durauflösung (Takt 22/23) klar auszumachen sind.

    Auch in der "con grand'espressione-Sequenz, ab Takt 27, als Beethoven ab Takt 31 Sechzehntel-Triolen einsetzt, sogar einmal eine Zweiunddreißigstel-Triole, (Takt 35,) wirken diese Figuren auch wie eine innere Beschleunigung auf einem Crescendo-bogen. Diesen Kunstgriff findet man bei Beethoven immer wieder, nicht nur in dieser Sonate. Und so gleitet das Geschehen in die terrassenförmig gesteigerte überirdische Überleitung zum zentralen Choralthema, ein Thema von einer derartigen Sogwirkung, die ich bisher nur in einer anderen B-dur-Sonate wiedergefunden habe bei Schubert Opus Ultimum, D.960, über das ich zur Zeit auch schreibe.

    Rasch entwickelt das hier auch wunderbar aus der steigernden Überleitung heraus. Das Seitenthema selbst ist abermals wie vom anderen Stern. Es scheint mir in der Tat so, als wenn wir schon in die andere Dimension blicken können. Wie trostreich ist das doch in diesen Zeiten und nicht nur in diesen. Hier ist vor dem ersten Forte ((Takt 78) am Ende von Takt 55 die einzige Stelle, wo der wirklich aufmerksame Pianist an die obere Grenze des Piano/Mezzopiano heranrückt. Diese quasi-Überleitung zur Durchführung spielt Rasch auch wirklich stark.

    In der Durchführung werden die Themen in veränderter Form wieder aufgegriffen und verschiedentlich crescendiert bei gleichzeitiger innerer Beschleunigung (Sechzehntel-Aufwärtsfiguren (Takt 72, 76ff.) entsteht hier ein dynamischer Höhepunkt, der wellenförmig wieder abebbt und wieder zunimmt. Rasch spielt das hier wiederum sehr aufmerksam, auch die zur Reprise überleitenden Diminuendo-Smorzando-Takte 85-86 , bevor wir eine Reprise hören, wie ich keine zweite kenne: 18 riesige Takte mit bis zu 24 einzelnen Zweiunddreißigstelnoten im Diskant, mit unzähligen Oktavwechseln, mit ebenfalls unzähligen Dynamikwechseln, mit unterschiedlichst geformten, teilweise vierstimmigen Achtelakkorden in der Bassbegleitung, mit zusätzlichen Oktavierungen im Diskant und riesigen Intervallen- Rasch bringt hier durch das moderate Tempo und das geradlinige Spiel noch eine zusätzliche Eindringlichkeit des Ausdrucks zuwege, wie ich finde.

    Auch das umfangreiche Ritardando spielt er sehr umsichtig, wobei er ja gleichzeitig auch diminuiert, was ebenfalls klar zu vernehmen ist.

    Auch der anschließende "a tempo"-Abschnitt, der voll des expressiven Ausdrucks ist, mit großen Begleitintervallen , und der zusätzlich die überirdische Überleitung zum Seitenthema enthält und zwar in leicht veränderter Form, das man aber noch gut erkennen kann, spielt er wieder hinreißend, ebenso wie das himmlische Seitenthema selbst, das hier dann ja ähnlich in die rätselhaft Coda übergeht wie vorher in die Durchführung. Die Codas hat hier wiederum eine originelle Gestalt, denn sie resümiert den ganzen Satz: sie beginnt mit dem Thema, oktaviert es kurz nach unten, wiederholt dann kurz das Choralthema, zerbröselt es dann in einer furiosen Steigerung, leitet dann mit dem neuerlichen Thema das lange Ritardando ein mit dem duraufgelösten hohen Bogen, diesmal aber tiefer, und nach dem letzten "a tempo"-Einwurf und Crescendobogen endet dieser singuläre Atz mit dem einzig möglichen Schluss einem Diminuendo-Ritardando-Morendo- grandios und grandios gespielt!


    Das Finale spielt er langsamer als seine hier genannten Kollegen mit Ausnahme von Sokolov, der spielt es noch etwas langsamer.

    Schon das Largo klingt wunderbar entspannt und das "un poco piu vivace" auch noch, obwohl spürbar schneller. Das Allegro (Takt 3), bei dem keine Metronomzahl steht, nimmt er dann doch sehr rasch. Beim Tenuto geht er natürlich wieder zurück und beim a tempo-accelerando ist die Steigerung wieder ordentlich.

    Das Allegro risoluto sollte laut Metronomzahl ungefähr 8x so schnell sein wie das Largo, aber ich halte das für illusorisch.

    So beginnt er die Fuga, den I. Teil, die Exposition B-dur, Takt 16 bis 84, auch sehr überschaubar, klar und verständlich. Dynamisch und rhythmisch ist das bis hierhin schlüssig.

    Den II. Teil, die Vergrößerung des Themas in es-moll, Takt 85 - 152, spielt er dann rhythmisch prägnant, den gestiegenen Anforderungen entsprechend. Allerdings hätte ich mir die länger Sforzando-Sequenz ab Takt 102 bis Takt 114 etwas markanter gespielt gewünscht.

    Den III. Teil, den Rücklauf des Themas in h-moll , Takt 153 bis 207, spielt er weiterhin sehr aufmerksam und dynamisch kontrastreich, die kantablen und rhythmischen treibenden Abschnitte schön unterscheidend.

    Den IV. Teil, die Umkehrung des Themas in G-dur, Takt 208 bis249, spielt er bis dahin für meine -Begriffe am überzeugendsten. Hier klingt mir die doch ruppige, rhythmisch sehr heikle Abfolge doch souverän, namentlich in der abschließenden Sequenz mit den unglaublichen Trillersprüngen.

    Dann spielt er den V. Teil, die Durchführung des 2. Themas in D-dur, Takt 250 bis 278. Hier überzeugt er durch natürlichen Ausdruck, große Ruhe, Einfachheit und ein großartiges Ritardando.

    Es schließt sich an der VI. Teil, aus drei Unterabschnitten bestehend, zuerst das 1. und 2. gleichzeitig, Takt 279 bis 293, dann das 1. Thema zweifach, Takt 294 bis 348, und dann die Schlussankündigung der Durchführung in B-dur, Takt 349 bis 366.

    Diesen gewaltigen Abschnittspielt er sehr übersichtlich , rhythmisch und dynamisch gut nachverfolgbar und der Partitur entsprechend.

    Dem schließt er überzeugend die unglaubliche Coda, Takt 367 bis 400, an.

    Eine, bis auf geringe Fragen in der Fuga, überzeugende Einspielung!


    Liebe Grüße


    Willi:thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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