Rauschhafte Interpretationen bachscher Klavierstücke

  • Das ist aber nicht das, was ich meinte. Ich bin mir sicher, dass an diesen Abenden damals in Bonn einige nicht an Bach interessiert waren (Gespräche mit einigen dort) und beim Blick ins Publikum während der Vorführung (kann ich mir nicht verkneifen) konnte man häufig klares Desinteresse erkennen. Längere Pausen mit nettem Gebäck und kürzeres Programm wären einigen klar entgegengekommen.

    Ich verstehe, was Du meinst und kann es auch bestätigen. In meinen Kölner Jahren kam S. Richter in die Philharmonie und gab einen Abend mit den Englischen Suiten von Bach. Die Philharmonie war trotz des spröden Programms ausverkauft, und das galt eben weniger dem Programm als Richter, dessen Gesundheitszustand angeschlagen war und der sich im Rheinland einer Herz-Op zu unterziehen hatte. Ich meine mich auch zu erinnern, dass Richter das Programm am Abend spontan geändert hatte. Wenig später gastierte Gerhard Oppitz in Köln, damals noch jung im Geschäft. Der hatte gerade seine GA der Klavierwerke von Brahms am Start und spielte die, auf fünf Abende verteilt. Ich hatte Karten für alle fünf Abende, so was lässt man sich nicht entgehen, die Phil indes war im besten Falle zur Hälfte gefüllt. Mit dem Starbonus, den er heute hat, wäre das gewiss anders.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • A propos Virtuosentum:

    Wilhelm Busch hat 1865 eine Bilderkurzgeschichte veröffentlicht


    https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Virtuos


    Man kommt aus dem Schmunzeln kaum mehr raus. Könnte er damit möglicherweise Franz Liszt gemeint haben, der ja bekanntlich das Affentheater bei seinen Auftritten genauso virtuos beherrschte wie die Klaviertechnik.

    Fallen da jemand zufälligerweise heutige "Virtuosen" ein? :D

  • Diese Bildergeschichte ist köstlich und man erkennt am Zuhörer das, was sich die Musikindustrie wünscht. Das ist Sinnnenrausch pur ..... Hier ist aber Pollini sowohl als Pianist wie auch als Mensch sicher der falsche Ansprechpartner.


    Allerdings gibt es in meinen Augen auch heute noch (ich werde jetzt hier keine Namen nennen) Pianisten, die gerne ihrem Spiel durch schauspielernde Attitude mehr "Tiefsinn" verleihen wollen.


    BTW Da soll noch einmal einer was gegen Comics sagen ...

  • Mit dem Starbonus, den er heute hat, wäre das gewiss anders.

    Das war es , was ich sagen wollte. Es gibt diesen Starbonus, der eben nichts mit der künstlerischen Qualität zu tun hat. Und der ist das, was die Musikindustrie interessiert ....

  • Diese Bildergeschichte ist köstlich und man erkennt am Zuhörer das, was sich die Musikindustrie wünscht. Das ist Sinnnenrausch pur ..... Hier ist aber Pollini sowohl als Pianist wie auch als Mensch sicher der falsche Ansprechpartner.


    Allerdings gibt es in meinen Augen auch heute noch (ich werde jetzt hier keine Namen nennen) Pianisten, die gerne ihrem Spiel durch schauspielernde Attitude mehr "Tiefsinn" verleihen wollen.


    BTW Da soll noch einmal einer was gegen Comics sagen ...

    Apropos, wenn man das "Virtuosentum" mit Humor sehen, einen Rausch braucht und aus Bach auch mal Mozart machen kann .... :) Man kann bemerken, dass Yuja Wang hier glücklich lächelt und keineswegs versucht, einen nicht vorhandenen Tiefsinn zu simulieren ....


  • Na, da gefällt mir diese Adaption aber um Längen besser... :);)

    Zum Nutzen und Gebrauch der Lehrbegierigen Musicalischen Jugend, als auch derer in diesem studio schon habil seyenden besonderem Zeitvertreib auffgesetzet und verfertiget (Johann Sebastian Bachs Eigentitel auf dem Titelblatt des Autographs des Wohltemperierten Claviers, Teil I, 1722)

  • Verlassen wir also das Virtuosentum und kommen zum rauschenden Bach zurück ... Jacques Loussier verjazzte schon in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts Werke von Bach. darunter auch die berühmte d-Moll Toccata und Fuge BWV 565, die wir hier mit dem Loussier Trio live auf einem nicht näher datierten Konzert erleben können. Ich finde, durchaus rauschhaft .... Was der alte Bach davon halten würde ...... Wer weiß das schon?



  • Bei der Toccata ist auch unverzazzt Dampf im KesselJedenfalls dann,wenn Albert Schweitzer an der Orgel sitzt.



    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Aber gerne einen Ausflug zum Jazz. Und John Lewis,Mitbegründer des Modern Jazz Quartett. Seine Verehrun g Johann Sebastian Bachs klingt immer wieder auf den Quartett-Platten durch. Minimum drei Solo-Projekte sind mir bekannt, vor allem diese Platte



    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • darunter auch die berühmte d-Moll Toccata und Fuge BWV 565, die wir hier mit dem Loussier Trio live auf einem nicht näher datierten Konzert erleben können. Ich finde, durchaus rauschhaft .... Was der alte Bach davon halten würde ...... Wer weiß das schon?

    Ein sehr rauschhaftes Stück.

    Was der alte Bach davon halten würde? Schwierige Frage. Möglicherweise wird er sich an den Kopf fassen und denken: "das habe ich komponiert?"

    Die Quellenlage von BWV 565 ist äusserst dürftig. Es gibt weder ein Bach´sches Originalmanuskript, noch eines von seinen Söhnen/Schülern. Das einzige Manuskript aus dem 18. Jhdt. stammt von einem Organisten Ringk (1717 - 1772, Organist in Berlin) der mit Sicherheit kein Bachschüler war. Alle weiteren Abschriften stammen aus dem 19. Jhdt und sind wahrscheinlich Kopien der Ringk-Handschrift.

    Ringk war Schüler von Johann Peter Kellner, der auch kein Bachschüler war, aber seine Musik sehr hoch schätzte. Er hat mehrere Abschriften von Bachwerken getätigt, aber auch selber viel komponiert (als Organist in Gräfenroda).

    Es stellt sich nunmehr die Frage: Bach oder Kellner? Stilistisch könnten auch Zweifel an Bachs Autorschaft hochkommen, hingegen würde das Werk gut stilistisch zu Kellner passen.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Die Quellenlage von BWV 565 ist äusserst dürftig. Es gibt weder ein Bach´sches Originalmanuskript, noch eines von seinen Söhnen/Schülern. Das einzige Manuskript aus dem 18. Jhdt. stammt von einem Organisten Ringk (1717 - 1772, Organist in Berlin) der mit Sicherheit kein Bachschüler war. Alle weiteren Abschriften stammen aus dem 19. Jhdt und sind wahrscheinlich Kopien der Ringk-Handschrift.

    Das ist interessant, dass hier in Wirklichkeit so viel Unklarheit herrscht. Ich kenne das nur als klares Stück von Bach ... Hat man denn keine Idee, wie Ringk auf diese Zuordnung zu Bach kommt. Hätte er Vorteile davon gehabt, das Stück Bach und nicht Kellner zuzuschreiben?

  • Das ist interessant, dass hier in Wirklichkeit so viel Unklarheit herrscht. Ich kenne das nur als klares Stück von Bach ... Hat man denn keine Idee, wie Ringk auf diese Zuordnung zu Bach kommt. Hätte er Vorteile davon gehabt, das Stück Bach und nicht Kellner zuzuschreiben?

    Die Handschrift Ringks befindet sich in einem Konvolut "Mus.ms.Bach P 595" der Stabi Berlin. Woher dieser Konvolut stammt ist unbekannt, er wurde 1859 von der Stabi erworben. Darin befinden sich mehrere Bachwerke von unterschiedlichen Schreibern (Anonym, Agricola, Ringk). Man weiß aber nicht, ob dieser Konvolut ursprünglich so war, oder erst später zusammengestellt wurde. Auch die Wasserzeichen der Blätter sind unterschiedlich. In diesem Konvolut befinden sich auch Orgelwerke Ringks. Auch die jeweilige Titulatur der Werke wirft Zweifel auf.

    Nein, Ringk hätte keinerlei Vorteile einer Bachzuschreibung gehabt.

    Also: vielleicht von Bach, Kellner, bedingt durch eine Kopiernachlässigkeit.

  • Als kleine Ergänzung zu Scarlatti K141 noch eine Liveeinspielung und die CD Einspielung von Justin Taylor auf einem historischen Cembalo



  • Auch wenn ich noch kein Beispiel bringen kann, die CD gibt es noch nicht im Handel .... Anders als in die etwas hakelnde Webseite unseres Sponsors, scheint doch in den Katalog ein wenig Liebe einzufließen ....:). Dort fand ich passend zum Thread:


    Stilwettbewerb der Tasten - Beat Bach. Ein angedachter Wettstreit der Claviervirtuosen Johann Sebastian Bach und Louis Marchand, der wohl dann doch nicht stattgefunden hat. Von der Scheibe ist selbstverständlich Berauschendes zu erwarten. Der Cemablist Alexander von Heißen liefert eine Transkription für Cembalo der berühmten d-Moll Chaconne BWV 1004. Wenn die CD denn da ist, kann man die natürlich mal mit Busonis Transkription vergleichen :)



  • auch nicht Bach - wir sollten vielleicht den Titel ändern - aber ziemlich rauschartig:


    Händel, Suite in e-moll, HWV 429: I. Fuge - Dina Ugorskaja



    Ich habe eine Aufnahme mit Keith Jarrett, die hat noch deutlich mehr Flow, gibt es leider nicht bei youtube

  • Ein Amateur-Pianist namens Adamek_82 und der erste Satz aus der Englische Suite Nr. 2, BWV 807



    sehr schnell, aber nicht zu schnell, die Anschläge lassen sich gut differenzieren, für einen Amateur erstaunlicherweise kein Klangbrei - also rauschhaft.


    Man vergleiche Ivo Pogorelich (Beitrag 18), der das Ganze dann doch noch um einiges runder spielt.

  • In Beitrag 37 wurde das Argerich-Video gelöscht - Hier also erneut.



    Zusammen mit der Pogorelich-Interpretation halte ich das für die Referenz.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Der jazzt nicht schlecht, aber so manches Polyphone geht verloren. Auch die Einspielung von Argerich überzeugt mich hier nicht wirklich ... Jaja so verschieden kann der Geschmack sein. Meine Referenzen wären


    1. )


    Glenn Gould


  • und 2. eine "junge" englische Dame, Angela Hewitt.


    Leider kann ich nur auf die CD verweisen



    Zum Trost zeige ich eine etwas ältere Aufnahme der sechsten Suite, die noch bei DGG erschienen ist. Sie spielt Gavotte 1 + 2



    zugegeben, kein Rum-Rausch, mehr Pinot Grigio ..... 🍷

  • zugegeben, kein Rum-Rausch, mehr Pinot Grigio ..... 🍷

    ...aber der Flügel klingt - jedenfalls für mich- um Welten besser aufgenommen als jene Aufnahmen, in die Gould leider aufnahmetechnisch hineinredete.

    Die Mikrofone stehen hier in einem angemessenen Abstand, ebenso wurde ein angenehmer Raumklang eingefangen. Das Verhältnis von Direktschall und Raumklang passt.


    Bei Hewitt kann der Flügel zudem das sein, was er ist: ein Instrument, welches am Ende doch klanglich zur Romantik neigt.

    Gould (auch Gulda) wollten den direkten analytischen Klang, den ich eigentlich furchbar finde.

    Kein Mensch hält seine Ohren direkt in einen Flügel hinein und noch weniger Menschen kriechen in eine Orgel, um einen möglichst polyphon-analytischen Klang mit den letzten Feinheiten der Artikulation zu hören.

    Nein, beide Instrumente brauchen auch den Raum (gerade die Orgel) um ihre Wirkung entfalten zu können.


    Bei aller Noblesse von Angela Hewitts Spiel finde ich , dass es bei mir musikalisch einen größeren Rauscheffekt - oder sagen wir besser "Genuss" auslöst, als die knochentrockenen Töne Goulds, eben deshalb, und weil es rein akustisch einfach besser klingt.

    Nebenbei gesagt soll eine Gavotte einen noblen Affekt haben, mit deutlich markierten ta ta taah-Auftakten. Bei einer Gigue wäre es anders, da soll man dann rauschen ^^


    Aber Gould ist ja Gould, und seine zweite Einspielung der Gouldbergvaritionen ist meiner Meinung nach immer noch unerreicht, wenn auch Vikingur Olafsson dichter herankommt als all die anderen.


    Es ist schön auf die Gavottes mit Angela Hewitt hingewiesen zu werden . Ich glaube sogar, dass ich die CD habe...

    Höre es mir noch einmal an.


    LG :hello:

    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)


  • Klanglich hervorragend, die Tontechniker der DG verstehen normalerweise ihr Handwerk, zudem ganz nett gespielt, ein angenehm laues Lüftchen, aber nirgendwo auch nur annähernd ein Rausch.

  • so verschieden ist hier der Geschmack nicht, Gould ist immer ein heißer Kandidat für einen Spitzenplatz, wenn er ihn auch ab und zu an andere abtreten muß

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose