Orpheus
L’Orfeo. Favola in musica di Claudio Monteverdi (1607) in freier Neugestaltung von Carl Orff (1924/1939). Textfassung von Dorothee Günther
Uraufführung der endgültigen szenischen Fassung:
4. Oktober 1940 in Dresden
Dirigent: Karl Böhm - Inszenierung: Heinz Arnold - Bühnenbild: Emil Preetorius
Besetzung
Sprecher – Orpheus - Eurydike - Die Botin – Der Wächter der Toten
Hirten, Nymphen, Schatten – gemischter Chor und Tanzgruppe
Inhalt
Der Prolog des Sprechers führt ein in das Stück und nimmt gleichzeitig das drohende tragische Ende vorweg.
1. Akt: Orpheus und Eurydike besingen zusammen mit Hirten und Nymphen ihre Liebe in arkadischer Landschaft.
2. Akt: Orpheus durchstreift einen hellen, lichten Wald und hält einen Zwiegesang mit den Wäldern. Eine Botin tritt auf und verkündet Orpheus, dass der Tod ihm Eurydike entrissen und in die Unterwelt geführt habe. In seiner Verzweiflung entschließt sich Orpheus, Eurydike ins Reich der Toten zu folgen.
3. Akt: In der Unterwelt angekommen, trifft Orpheus auf den Wächter der Toten und stimmt seine herzergreifende Wehklage an, um Eurydike zurückzubekommen. Es gelingt ihm schlussendlich, den Wächter zu erweichen; dieser willigt ein, Eurydike wieder mit Orpheus ziehen zu lassen - allerdings unter der Bedingung, dass Orpheus sie nicht ansehen dürfe, bis beide das Schattenreich hinter sich gelassen haben. Orpheus, gefolgt von Eurydike, begibt sich wieder auf den Weg zurück ins „Lichtland“. An der Schwelle der Unterwelt bleibt Orpheus jedoch stehen und wendet zweifelnd den Blick zurück zu Eurydike. Alles vergebens. Eurydike muss auf ewig ins Reich der Schatten zurückkehren. Verzweifelt und allein bleibt Orpheus zurück...
Entstehungsgeschichte
Anfang der 1920er Jahre begann Orff, sich auf Anraten von Curt Sachs, Direktor des Münchner Musikinstrumentenmuseums, mit der Musik des 17. Jahrhunderts und insbesondere der Musik Monteverdis zu beschäftigen. Insgesamt dreimal beschäftigte ihn in den kommenden Jahren Monteverdis Favola in musica „L'Orfeo“ (1607). Orff: „Ich fand eine Musik, die mir so vertraut war, als hätte ich sie längst gekannt, als hätte ich sie nur wiedergefunden. Es war eine innere Übereinstimmung, die mich sehr bewegte und die Neues in mir aufbrechen ließ."
1. Fassung
Die Uraufführung des ersten "L'Orfeo" am 17. April 1924 im Nationaltheater Mannheim in der ursprünglichen Form und Besetzung und zum Teil mit originalen Instrumenten blieb ohne die erhoffte Wirkung. Das Publikum und zum Teil auch die Orchestermusiker waren von dieser Version
schlicht überfordert. Dem Publikum waren die Klänge zu fremd. Dem Orchester mangelte z.T. an der adäquaten Beherrschung der alten Instrumente und der entsprechenden Spielweise.
2. Fassung
Fünf Jahre später entsteht eine zweite Fassung, die am 13. Oktober 1929 in München gezeigt wurde. Orff hatte nun das gesamte Material für die
Spielpraxis eines modernen Orchesters eingerichtet. Diese Fassung war erfolgreicher und erfuhr in der Folge Aufführungen in Nürnberg, Würzburg, Berlin (unter Hermann Scherchen), Wien (unter Robert Heger) im Jahre 1931, in Stuttgart 1937 unter Hugo Distler oder in Basel (unter August Wenzinger) und Bielefeld (1938).
3. Fassung
Nach dieser zweiten Fassung von 1929 machte sich Orff an die dritte und letzte Version. Um die Aufführbarkeit des Orpheus zu verbessern, beschloss er, die Instrumentierung dem damaligen Klangempfinden anzupassen, das Werk frei zu adaptieren bei gleichzeitiger Straffung der Handlung und Reduzierung des handelnden Personals. Zusammen mit der Musikerin und Schriftstellerin Dorothee Günther schuf er eine neue Übersetzung und Neubearbeitung des Librettos. Aus den fünf Akten bei Monteverdi werden nun drei bei Orff. Die Rollen der allegorischen Personen (Pluto, Proserpina, La Musica, Speranza, Ninfa, Eco, Apollo ) entfallen komplett. Die Handlung wird nur noch von Orpheus, Eurydike, der Botin und dem Wächter der Toten sowie dem Chor getragen. Neu hinzugekommen ist stattdessen ein Erzähler, der mit einer der ältesten Versionen der Orpheus-Sage in das Werk einführt, die um 1000 in St. Gallen entstand und von Orff ins Hochdeutsche übertragen wurde.
Gegenüber den früheren Versionen strich Orff bei der Orchestrierung Cembalo, Orgel und Gamben und fügte stattdessen zwei Bassetthörner, zwei Harfen und drei doppelchörige Lauten hinzu. Streicher und Bläser begleiten die Rezitative. Durch die geschickte Kombination der modernen
Instrumente erreicht Orff ungewöhnliche, neue, zuweilen orgelartige Klänge.
Das gesamte Werk wirkt nun dramatischer, expressiver und kondensiert die Orpheus-Sage auf knapp eine Stunde. Orffs Fassung von 1940 ist deshalb mehr ein eigenständiges Werk und nicht nur eine Bearbeitung des Monteverdischen Originals. Die Uraufführung des neuen, dritten „Orpheus“ fand 1940 in Dresden an der Sächsischen Staatsoper unter der Leitung von Karl Böhm statt.
Weitere Aufführungen fanden noch während des Krieges statt, so z.B. 1940 in Essen, 1942 in Hamburg (unter H. Schmidt-Isserstedt) und Hannover oder 1943 in Görlitz, Mainz und Frankfurt/Main. Auch nach dem Kriege gab es vereinzelte Aufführungen, unter anderen in Göttingen (1946), Nürnberg (1953), Mannheim (1956), Salzburg (1963), Kiel (1971), Darmstadt (1995) oder Gelsenkirchen (2015).
Wohl bedingt durch Orffs Wohnsitz in München, etablierte sich hier eine gewisse, kontinuierlichere Aufführungstradition: 1954 unter E. Jochum, 1980 unter F. Leitner, 1986 unter R. Mader , 1996 unter R. Abbado, 1999 unter R. Frühbeck de Burgos, 2010 im nahegelegenen Kloster Andechs unter Ulf Schirmer, sowie 2015 unter P. Dijkstra.
Aufnahmen
Dies ist die Aufnahme, mit der ich das Werk kennen und lieben gelernt habe. Sie ist meine persönliche Referenz. Aufgenommen unter den strengen Augen (und Ohren) Orffs im Jahre 1972 und von ihm autorisiert, entfaltet sie für mich ein schon fast soghafte Wirkung. Orff selbst spricht sehr eindrücklich die Einführung. Aus dem hochkarätigen Sängerquartett (H. Prey, L. Popp, R. Wagemann, K. Ridderbusch) ragen meiner Meinung nach besonders H. Prey und K. Ridderbusch heraus. Prey, im Vollbesitz seiner stimmlichen Mittel, gestaltet die Titelrolle mit der notwendigen Ergriffenheit, findet die richtige Balance zwischen leidenschaftlichem Aufbegehren und tiefer Verzweiflung. Die langen, melismatischen Phrasen von Orpheus' Klage bereiten ihm keinerlei Schwierigkeiten. Den Wächter der Toten gestaltet mit machtvoller, schwarzer Grabesstimme Karl Ridderbusch.
Schirmers Aufnahme entstand 2010 parallel zu Aufführungen im Kloster Andechs und setzt durchgehend auf junge Sänger. Das Münchner Rundfunkorchester klingt makellos, gespielt wird - für mein Empfinden und im Vergleich zu Eichhorn - manchmal vielleicht etwas zu schnell. Michaela Selinger singt wortdeutlicher als Lucia Popp in der Eichhornaufnahme und dürfte damit Orffs Intentionen nach maximaler Verständlichkeit näher kommen.Technisch souverän meistert auch Kay Stiefermann seinen Orpheus – allein seine Stimme ist mir vom Timbre her zu hell und überträgt damit für mich die Verzweiflung nicht in der gleichen Intensität wie Prey. Mit großer, volltönender Stimme Janina Baechle als Botin. Das Volltönende, Überlebensgroße fehlt noch in der beeindruckenden Stimme von Tareq Nazmi, aber das dürfte nur ein Frage der Zeit sein. Insgesamt auch dies eine sehr lohnenswerte, moderne Aufnahme.