Eine christliche Legende aus Ägypten - Thais

  • (Tamino-Opernführer)


    Ich mag diese Oper sehr gerne und habe die EMI-Einspielung mit Beverly Sills, Sherill Milnes und Nicolai Gedda unter Lorin Maazel (1976). Wie ihr wisst, bin ich allerdings ein Freund schöner, sparsam vibrierender Stimmen, und Sills neigt zu einem ziemlich exzessiven Vibrato bzw. Tremolo in den lauten, hohen Tönen, was meiner Vorstellung von schönem Gesang nicht unbedingt entspricht. Besonders arg ist es in der großen Arie der Thais im zweiten Akt "Dis-moi que je suis belle" (die sich allerdings auch sehr schwierig zu singen anhört). Allerdings hat die Sills viel Ausdruck und ihre Interpretation der Titelgestalt ist meiner bescheidenen Meinung nach hinreißend.


    Eine weitere Schwäche der Aufnahme ist das Dirigat, das mir nicht besonders liebevoll scheint, aber ich mag Maazel sowieso nicht wirklich. Milnes ist gut, Gedda im ersten Akt hervorragend, kann dieses Niveau im zweiten Akt dann leider nicht mehr ganz halten.



    Jetzt meine Frage: Kennt jemand die Aufnahme mit Renée Fleming und kann sie mir empfehlen oder nicht empfehlen? Ich habe mir den einminütigen Ausschnitt von "Dis-moi" bei Amazon angehört und bin nicht besonders begeistert. Fleming hat ein bisschen weniger Vibrato als Sills, dennoch genug, um es mir zu viel erscheinen zu lassen, kann aber im Ausdruck nicht mit Sills mithalten, im Gegensatz, singt ein bisschen affektiert und maniriert (zumindest klingt es über PC so).


    Ratlose Grüße vom Philhellenen,
    der sich Patricia Petibon in der Titelrolle gut vorstellen könnte

  • Für alle, die nicht ins Kino gehen können, um sich die Übertragung aus der MET am kommenden Samstag anzusehen: Es gibt auch eine Radio-Übertagung der Matinee!


    Samstag, 20.12.08 um 18:00 Uhr - WDR 3 (+ andere Sender der ARD)


    "Thais" von Jules Massenet
    Live aus der Metropolitan Oper New York


    Thaïs: Renée Fleming
    Nicias: Michael Schade
    Athanaël: Thomas Hampson
    Chor und Orchester der MET
    unter der Leitung von Jesús López-Cobos


    Zitat

    Große französische Opernromantik live aus der New Yorker MET. Erleben Sie Jules Massenets „Thais“ in Star-Besetzung: Renée Fleming gibt die verführerische Priesterin Thais, die in Saus und Braus lebt. Thomas Hampson als Mönch Athanel bekehrt die Schöne, erliegt gleichzeitig aber auch ihren Reizen. Die musikalische Leitung übernimmt der renommierte spanische Dirigent Jesús López-Cobos.


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Zitat

    Original von Philhellene
    Jetzt meine Frage: Kennt jemand die Aufnahme mit Renée Fleming und kann sie mir empfehlen oder nicht empfehlen? Ich habe mir den einminütigen Ausschnitt von "Dis-moi" bei Amazon angehört und bin nicht besonders begeistert. Fleming hat ein bisschen weniger Vibrato als Sills, dennoch genug, um es mir zu viel erscheinen zu lassen, kann aber im Ausdruck nicht mit Sills mithalten, im Gegensatz, singt ein bisschen affektiert und maniriert (zumindest klingt es über PC so).


    Ratlose Grüße vom Philhellenen,
    der sich Patricia Petibon in der Titelrolle gut vorstellen könnte


    Lieber Martin,


    ich habe die Aufnahme und mag sie sehr. Genau genommen: mochte sie sehr, als ich sie vor zwei. drei Jahren erwarb und gleich mehrfach hören musste, weil sie mir so gefiel. Allerdings gehörte Renée Fleming damals zu den von mir ganz besonders geschätzten Sängerinnen, denn da fing sie für meine Wahrnehmung erst an, sich bestimmte Manierismen zuzulegen. Außerdem hatte ich keinen Vergleich, sondern entdeckte die Oper mit ihr. Mindestens Yves Abels engagiertes Dirigat, aber auch Thomas Hampson nehmen für die Aufnahme ein. Ob der damalige Eindruck einer heutigen Überprüfung (die Hauptrollen sind ja in der Kinoübertragung dieselben) stand hielte, weiß ich nicht und wage ich auch nicht zu überprüfen.


    Die Aufnahme selbst werde ich mir aber gerne wieder einmal anhören. Nur sind vorher noch ein paar andere dran, deren Kommentierung ich hier versprochen habe, u.a. die TROJANER, die mich derzeit mehr reizen.


    :hello: Jacques Rideamus


    PS: Ja, Patricia Petibon wäre in der Rolle bestimmt vortrefflich. Mindestens in dem Pappano-WERTHER hat sie ja schon bewiesen, dass sie mit Massenets Tonprache gut zurecht kommt. Allerdings stellt die Partie der Sophie dort ganz andere Anforderungen.

  • Auf diesen Thread hatte ich schon vergessen... :faint: Ich wusste gar nicht mehr, dass ich den einmal gestartet habe!


    Nun, morgen habe ich ja Gelegenheit, Renée Fleming liveübertragen zu hören.
    @ Jacques: Danke auch für die Links. Ich hab allerdings noch nicht reingehört. =)


    Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    PS: Ja, Patricia Petibon wäre in der Rolle bestimmt vortrefflich. Mindestens in dem Pappano-WERTHER hat sie ja schon bewiesen, dass sie mit Massenets Tonprache gut zurecht kommt. Allerdings stellt die Partie der Sophie dort ganz andere Anforderungen.


    Das stimmt, da wäre die Einschätzung der Feenkönigin interessant, inwieweit die Thais eine dramatische oder Spinto-Rolle sei. Im ersten und dritten Akt würde ich sagen: nein, nur lyrischer Sopran mit Koloratur. Aber im zweiten Akt hören wir ja mehr ein Duell als ein Duett zwischen Thais und Athanael, und da wären einige dramatische Reserven möglicherweise durchaus notwendig. (Allerdings hat Patricia Petibon gerade wieder bei ihrem neuen Recital bewiesen, dass sie die eh hat, wenn sie's braucht.)


    Liebe Grüße,
    Martin

  • Ich werde das Ganze morgen abend sehen und dann bei Bedarf berichten!


    Patricia Petibon ist wahrscheinlich(noch) etwas zu leichtgewichtig für diese Rolle und das nicht nur stimmlich, scheint mir.


    Es sei denn , man legt das Ganze sehr unamerikanisch an , inszeniert im Sinne einer "unüppigen" Thaîs und dirigiert bzw besetzt schlank.


    Mir persönlich käme das genauso wie die Dessay-Manon im Gegensatz zur Netrebko-Manon(um bei Massenet zu bleiben) sehr entgegen, aber an der MET scheint derzeit noch ein anderer Geschmack vorzuherrschen.


    F.Q.

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  • Zitat

    Original von Philhellene
    Ich habe mir den einminütigen Ausschnitt von "Dis-moi" bei Amazon angehört und bin nicht besonders begeistert. Fleming hat ein bisschen weniger Vibrato als Sills, dennoch genug, um es mir zu viel erscheinen zu lassen, kann aber im Ausdruck nicht mit Sills mithalten, im Gegensatz, singt ein bisschen affektiert und maniriert (zumindest klingt es über PC so).


    Ich habe die gleichen Schwierigkeiten mit Renee Fleming, aber noch störender als ihr Vibrato empfinde ich ihre Unart, sämtliche Töne immer rauf und runter zu schleifen. Und das tonhafte Einatmen, welches wohl Emotionen vortäuschen soll. Schade, denn eigentlich hat sie eine sehr schöne, runde und goldene Stimme. (Ähnlich geht´s mir z.B. auch mit Te Kanawa.) Nachdem mir das andere Aufnahmen (u.a. Rusalka, Rosenkavalier) ziemlich vermiest hat, habe ich von dieser Thais-Einspielung die Finger gelassen. Die ganze Arie kannst Du aber hier anhören:
    http://de.youtube.com/watch?v=1D9f4UEl2Kk&feature=related

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Patricia Petibon ist stimmlich wahrscheinlich(noch) etwas zu leichtgewichtig für diese Rolle und das nicht nur stimmlich, scheint mir.


    :hahahaha:
    Man muss ja französische Opern nicht unbedingt amerikanisch anlegen... :D [SIZE=7](außer in Amerika)[/SIZE]


    Patricia Petibon sollte zwar vielleicht noch ein paar Jahre warten, aber so, wie sie sich derzeit entwickelt, halte ich die Thais dann für stimmlich durchaus möglich. Wie gesagt, meine Bedenken beziehen sich besonders auf den zweiten Akt, erstes Bild. Ihre Figur wird natürlich einer historisierenden Inszenierung im Weg stehen, da man sie unmöglich als original-wollüstige original-ägyptische Hetäre des 4. nachchristlichen Jahrhunderts verkaufen kann (zumindest sieht sie nicht so aus, wie man sich sowas heutzutage vorstellt), aber fürs Regietheater sollte es reichen. :D Es schadet ja der Durchdringung des Stoffes nicht prinzipiell, wenn moderne (wenngleich fragwürdige) Schönheitsideale angesprochen werden, statt antiken, die auf die Mehrheit der heutigen Zuschauer möglicherweise antiquiert wirken könnten.


    Liebe Grüße,
    Martin

  • Hi!


    Ich kenne die Aufnahme mit Thomas Hampson und Renée Fleming, allerdings bin ich vermutlich nicht kompetent genug, um eine detaillierte Kenneranalyse abzugeben. Das Dirigat finde ich gut (also dürfte es in jedem Fall akzeptabel sein). Persönlich finde ich Hampson in dieser Aufnahme sehr überzeugend, Fleming ist jedenfalls nicht schlecht, der Rest macht auch nichts falsch.


    Ich würde daher nicht davon abraten, sie kennen zu lernen, mir gefällt sie sehr gut, wobei ich anmerken muss, dass ich weder ein Fan von den Sängern/innen Sherill Milnes noch von Beverly Sills bin.


    Übrigens gibt es noch eine weitere Aufnahme von "Thais", leider nur ein Querschnitt, der in den 1960er-Jahren zusammen mit weiteren Querschnitten von französischen Opern aufgenommen wurde. (Ich weiß allerdings nicht, ob diese Aufnahme noch am Markt ist, 1998 war sie als CD zusammen mit 9 weiteren Opernquerschnitten erhältlich, Plattenfirma EMI).


    Dirigent ist Jean Laforge, Athanael und Thais sind Michel Dens und Jacqueline Brumaire, leider enthält der Querschnitt nur die Höhepunke. Insgesamt finde ich, dass es schade ist, dass es keine Gesamtaufnahme geworden ist.


    Herzliche Grüße
    Waltrada

    Il mare, il mare! Quale in rimirarlo
    Di glorie e di sublimi rapimenti
    Mi si affaccian ricordi! Il mare, il mare!
    Percè in suo grembo non trovai la tomba?

  • Eigentlich habe ich diesen alten Thread wegen der MET-Übertragung ausgegraben. Fleming/Hampson haben die Oper ja auch schon in Chicago vor ein paar Jahren gesungen, mit Andrew Davis als Dirigent - davon gibt es auch einen Mitschnitt!


    Insgesamt listet Ommer 19 Gesamtaufnahmen, selbst kenne ich davon auch nur wenige. Neben den beiden Sills-Aufnahmen (einmal der Mitschnitt aus der MET und zum anderen die entsprechende Platteneinspielung aus London) beeindruckte mich am meisten die RCA-Plattenaufnahme mit Anna Moffo. Gabriel Bacquier singt einen gepflegten Athanael, der junge Carreras als Nicias ist ordentlich und Dirigent Julius Rudel hat ein gutes Gespür für Massenets Musik. Die Moffo entspricht exakt dem Typ der altägyptischen Hetäre, die Martin so schön beschrieben hat!


    LG


    :hello: :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Zitat

    Original von Harald Kral
    Insgesamt listet Ommer 19 Gesamtaufnahmen, selbst kenne ich davon auch nur wenige. Neben den beiden Sills-Aufnahmen (einmal der Mitschnitt aus der MET und zum anderen die entsprechende Platteneinspielung aus London) beeindruckte mich am meisten die RCA-Plattenaufnahme mit Anna Moffo. Gabriel Bacquier singt einen gepflegten Athanael, der junge Carreras als Nicias ist ordentlich und Dirigent Julius Rudel hat ein gutes Gespür für Massenets Musik. Die Moffo entspricht exakt dem Typ der altägyptischen Hetäre, die Martin so schön beschrieben hat!


    Die Moffo-Aufnahme tät mich auch interessieren, aber die ist im Moment vergriffen. (Und wird angeblich nicht neu aufgelegt, um den Umsatz der Neuaufnahme nicht zu gefährden)


    In ein paar Ausschnitte der Fleming'schen Thais habe ich jetzt hineingehört, morgen werde ich ja die ganze Partie erleben können - die Stimme ist ja wunderschön, aber an die Expressivität und Emotionalität von Beverly Sills reicht Fleming in diesen Ausschnitten nicht ansatzweise heran. Die hohen Töne der Sills sind zwar absolut unästhetisch, und über das teilweise ziemlich extreme Vibrato bin ich auch schon hergezogen, aber dafür sind die Gefühle und ist die Charakterzeichnung echt, packend, mitreißend.
    Mir geht es allerdings mit vielen zeitgenössischen Sängerinnen so wie mit Fleming: schön ja, aber berührend nein. Es gibt allerdings viele, die die Töne noch wesentlich unbeteiligter herunternudeln als Fleming. Vielleicht braucht man bei ihr das Gesamterlebnis mit Optik.


    Liebe Grüße,
    Martin

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  • Lieber Jacques, dein Wunsch ist mir Befehl und ich schlage dir,lieber Martin vor, hier nun über das Inhaltliche weiterzudiskutieren.


    Das ist nämlich ein serh spannendes Thema, zumal ich diese Oper gerade erst entdecke udn Du bereits ein alter Hase darin bist!




    Hier mein brandheisser Bericht zu Massenets "Thais" heute aus der Met:


    Jesus Lopes-Cobos serh ordentlich und erfreulich kitschsossenarm, was besonders in der diesbezüglch hochverdächtigen "Meditation" für Solovioline und Orchester zum Ausdruck kam.


    Sängerisch überzeugende Leistungen, auch bei den Nebenrollen. Bei den Hauptrollen hat mir Michael Schade als Nicias am wenigsten gefallen, schlecht gesungen hat er aber auch nicht!


    Hampson hat die Partie stimmlich gottseidank bis zum Ende durchgehalten, m.E. ist sie zu dramatisch und nicht gerade dankbar für einen lyrischen Bariton. Die wenigen lyrisch gefärbten Duette waren daher auch seine besten Stellen.
    Er musste insgesamt sehr arg auf die Tube drücken, hat aber nicht enttäuscht, die Stimme ist robust. Allein, er war zu schön für den asketischen Mönch.....


    Renée Fleming in der Rolle ihres Lebens.
    Da stimmte erstmal einfach Alles.
    Genau die passende Tessitura, herrliche Piani in der Höhe bis zum Ende. Genügend Kraft auch in den dramatischen Partien- Hure und Heilige, Leidenschaft und Askese konnte sie gleichermassen glaubhaft singen.
    Äusserlich war sie eine reine Augenweide(jedenfalls für mich,denn mein Mann fand sie total puppenhaft, aber er mag einfach keine amerikanische Blondinen,) woran nciht zuletzt die unglaublichen Roben von Christian Lacroix beteiligt waren. Mon Dieu! Das macht jedem grossen Ausstattungskino alle Ehre- 5 verschiedene Pracht-Roben, eine kunstvoller als die Andere und Renée Fleming genau auf den Leib modelliert.
    Obschon sie im selben Alter sein dürfte, sah man hier anders als bei Karita Matttila(Salomé) oder Susan Graham(Marguerite) keinerlei "zu alt für die Rolle" im Gegenteil. Ich fand ihre Gesamt-Erscheinung als Thaïs absolut hinreissend. Nicht nur dem Kostümbildner sondern auch dem Friseur dieser kunstvollen Lockenpracht und der Maske meine höchstes Kompliment! Die verfilzten langen Dreadlocks von Hampson und die Kostüme der übrigen Kurtisanen waren auch Klasse!


    Flemings frz. Diktion war noch besser als die von Hampson und sie selbst sagte in der Pause, in der sie von Placido Domingo interviewt wurde, dass diese Rolle für sie geschrieben sein müsse. Wohl wahr!


    Grosser Schwachpunkt der ganzen Sache war die Inszenierung von John Cox. Mein Mann hat lakonisch gemeint: man glaubt diese Geschichte keine Sekunde lang.
    Genauso sehe ich das das leider auch.
    Reines Ausstattungs- und Dekorationsszenario, der Inhalt wurde damit jeder Bedeutung enthoben.
    Und was hätte man aus dieser Geschichte mit dem Regietheater oder wenigstens einer mehr als illustrierten Inszenierung rausholen können! Fundamentalismus, Askese, Selbstbetrug, Blindheit, verschiedene Liebesmodelle etc etc.
    Nichts von alledem- und sehr viel verschenkt!
    Dadurch rückte die Handlung total fern und konnte nicht packen und mitreissen.
    Allein der letzte Akt hat durch die Bühnenpräsenz von Fleming und Hampson dann doch Emotionen in mir geweckt, aber viel verhaltener als das unter anderen Umständen der Fall gewesen wäre. Immerhin habe ich diese Oper zum ersten Mal gesehen und gehört und war sehr offen und empfänglich!


    Musikalisch ist das m.E. nicht Massenets beste Oper (mir gefällt Manon deutlich besser!) aber es gibt einige sehr schöne Stellen und Ideen. Besonders gut hat mir ein Frauen-Terzett gefallen, das hier auch ganz vorzüglich, inclusive Bauchtanz von einer bildhübschen Tänzerin, dargeboten wurde. ausserdem das Duett in der Wüste, auch weil Hampson da endlich mal lyrisch singen durfte, und der ganze Schluss, in dem die Meditation wieder aufgenommen wird und Fleming die Heilige Hure mit engelhaft leichten Höhen sang.
    Insgesamt fiel mir die orientalistische Farbenpracht im Orchester auf aber auch der Mangel an "Zug- Nummern" wie etwa in der Manon.


    Wer mehr wissen möchte , bitte nachfragen.


    Bonne nuit
    F.Q.


    __________________
    Liebe macht glücklich. Stimmt. Aber ein riesengrosses Stück Schokolade würde mir heute auch reichen.
    Lucy

  • Auch ich bin erst aus dem Kino nach Hause gekommen, genauso brandheiß! Allerdings teile ich größtenteils nicht die Meinung der Feenkönigin (das ist sonst nicht so meine Art). Eigentlich stimmen wir nur hinsichtlich Dirigat und Inszenierung genau überein. Insgesamt hat mir die Aufführung gut gefallen, ich kritisiere im folgenden also auf hohem Niveau.


    Hampson hat meiner Meinung nach die Partie zu dramatisch genommen - sie ist nicht ganz so dramatisch! - und war im dritten Akt, wo er endlich lyrisch war, stimmlich von der vielen Brüllerei vorher nicht mehr ganz frisch, leider! Ein bisschen mehr Zurückhaltung hätte dem asketischen Mönch durchaus gestanden, oder vielleicht besser gesagt: Hampson hat nicht das optimale Organ für die Rolle, kann nicht autoritär, aber dennoch (weitgehend) unangestrengt singen. (Ähnliches auch beim Palémon: für den hätte man eines Sarastro-Basses bedurft!)


    Renée Fleming war eine sehr gute Thais. Diesbezüglich muss ich mein gestriges Posting teilweise revidieren, denn sie schafft es gut, die vielen Nuancen der Massenet'schen Musik gesanglich umzusetzen. Und sie braucht offensichtlich das Publikum, um zur vollen Hochform aufzulaufen. Dazu noch die sensationelle Optik und diese prachtvollen Gewänder (wobei das letzte, obwohl wunderwunderschön eigentlich overdressed war und überhaupt die Schlussszene eigentümlich inszeniert - Thais bei lebendigem Leibe aufgebahrt?!).
    Aber: Eigentlich ist mir ihre Stimme schon zu schwer für die Thais. Das hat man etwa bei dem musikalisch zauberhaften "Qui te fait si sévère" gemerkt, dem es in ihrer Interpretation entschieden an Koketterie und Raffinesse mangelte (es war eher eine plumpe Anmache). Ihre Tiefe ist satt und volltönend (was mir prinzipiell gefiele), aber in der Klangfarbe zu sehr von ihren höheren Registern verschieden. Das macht bei dramatischen Stellen gar nichts, trübt aber den Genuss in den lyrischen Passagen schon ein bisschen, weil die Phrasierung dadurch in Mitleidenschaft gezogen wird. Von einer Referenz-Thais ist sie leider auch weit entfernt (aber damit in guter Gesellschaft!), aber für eine ausgezeichnete Aufführung reicht es.
    (Was für ein Organ muss Sybil Sanderson, für die Massenet Thais und Esclarmonde [!] komponiert hat, gehabt haben, falls sie den lyrischen und den dramatischen Passagen gleichermaßen gerecht wurde! Zeitgenössische Kritiken äußern sich allerdings im Gegensatz zu Monsieur Massenet und einigen anderen Franzosen meistens eher distanziert über sie. verwirrt )


    Michael Schade als Nicias war darstellerisch und stimmlich absolut überzeugend (manchmal hätte auch er sich ein bisschen mehr zurücknehmen können). Seine Sklavinnen (@ FQ: die das Terzett sangen, das dir so gut gefallen hat und das ich dir übrigens vor längerer Zeit einmal zum Singen vorgeschlagen habe) haben mir auch ausgezeichnet gefallen.


    Die Inszenierung war zum Vergessen. Entweder sie war fad, oder sie war eigenartig (Finale des ersten und dritten Aktes). Außerdem konnte sich der Regisseur nicht entscheiden, in welcher Zeit er die Oper eigentlich spielen lassen wollte... Eigentlich hat er sich überhaupt nicht viel überlegt. Aber das Bühnenbild und besonders die Kostüme waren sehr nett anzusehen.


    Musikalisch gehört "Thais" m. E. zu Massenets besten Opern. Einen Mangel an potentiellen "Zug-Nummern" kann ich auch nicht konstatieren, nur sind halt nie welche daraus geworden. (Abgesehen von der Méditation, natürlich!) Aber Stücke wie "Qui te fait si sévère", das Duett in der Wüste und das erwähnte Sklavinnen-Terzett sind eigentlich ohrwurmhafter als alles, was die Manon so zu bieten hat. (Überhaupt kann ich die halbe Oper auswendig) Die große Arie der Thais "Dis-moi que je suis belle" ist wunderschön, aber muss sauschwer zu singen sein. Ich habe noch keine Sängerin gehört, die sie wirklich geknackt hätte.
    Ich hoffe, dass die Übertragung von der Met dieser zu Unrecht unbekannten Oper eine größere Fangemeinde gewonnen hat.


    Der Text, oder überhaupt die Handlung, ist ja auch sehr interessant: der Stoff stammt von Hrotsvit von Gandersheim, der ersten bekannten deutschen Dichterin (wenngleich sie lateinisch schrieb), die christliche Dramen schrieb, mit dem Ziel, die unzüchtigen antiken Komödien als Schullektüre zu ersetzen. Die unmittelbare Vorlage für Massenets Librettisten war dann Anatole Frances Satire, wobei Massenet die Geschichte eher im Sinne Hrotsvits ernst nimmt. Man sieht so schön die Diskrepanz im spirituellen Weg zweier Personen: während Thais sich zuerst ganz der Sünde hingegeben hat, gibt sie sich dann ganz Gott hin. Ihre Bekehrung, ihr Glaube ist ehrlich und tiefempfunden, und ihre Gefühle sind wahr. Anders Athanael: der glaubt nicht mit dem Herzen, sondern mit Geboten und Verboten, die er dann plötzlich über den Haufen werfen kann und als Lügen zur Seite wischen. Der ist immer nur an der Oberfläche, die ihm schon als Jugendlicher an Thais gefallen hat, geblieben.


    Glücklicherweise wurde die Méditation in der Originalversion mit Summchor gespielt und das nachträglich dazukomponierte Ballett, das die zweite Szene des zweiten Aktes um eine Viertelstunde künstlich verlängert, weggelassen.


    Liebe Grüße,
    Martin

  • Danke für die Verlagerung der Diskussion hierher.


    Ich bedauere jetzt natürlich sehr, dass ich die Oper nicht auch habe sehen können und "nur" in zwei Versionen mit Renée Fleming habe, die ja (nicht von ungefähr) letzthin diese Partie zu ihrer "ureigenen" gemacht hat. Neben der offiziellen cd unter dem hervorragenden Yves Abel ist das ein Mitschnitt einer konzertanten Wiener Aufführung unter Michel Plasson in folgender Besetzung:
    Renée Fleming (Thais)
    Thomas Hampson (Athanael)
    Eric Laporte (Nicias)
    Nicolas Cavallier (Palémon)
    Elisabeth Vidal (La Charmeuse)
    u. a.
    Wiener Singakademie; Radio-Symphonieorchester Wien


    Ich müsste beide mal wieder aufmerksam hören, tendiere aber auch ohne einen anderen Vergleich dazu, Fairy Recht zu geben, denn vokal lässt Renée Fleming für mich keine Wünsche offen (die beiden Aufnahmen entstanden ja schon vor zwei Jahren). Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass Anna Moffo das sehr gut machte (von ihrem Französisch mal abgesehen und wenn es früh genug war) und natürlich auch physisch alle erforderlichen Attribute der Partie mitbrachte. Bei Beverly Sills bin ich da viel skeptischer; allerdings war ich, bei aller gebührenden Hochachtung, auch nie ein Fan von ihr.


    Mit Philhellene teile ch die Meinung, dass THAIS eine besonders unterschätzte Oper Massenets ist. Ich würde sie direkt hinter der MANON und WERTHER einordnen, obwohl ich auch die CENDRILLON liebe und den CHERUBIN sehr mag.


    Es wäre schön, wenn hier eine breitere Diskussion über diese faszinierende Oper und damit auch eine Ehrenrettung in Gang käme, an der ich mich gerne beteilige, wenn ich wieder mehr davon gehört habe.


    :hello: Jacques Rideamus


    PS: wie ich gerade feststellte, gibt es auch einen Rundfunkmitschnitt (ausgestrahlt vom ORF) mit Eva Mei und Michele Pertusi, aber Massenet auf italienisch???? Immerhin gibt es die auch als DVD. Kennt die jemand?


  • Die Aufnahme mit Anna Moffo soll für sie zu spät gewesen sein.


    Herzliche Grüße
    Waltrada

    Il mare, il mare! Quale in rimirarlo
    Di glorie e di sublimi rapimenti
    Mi si affaccian ricordi! Il mare, il mare!
    Percè in suo grembo non trovai la tomba?

  • Zitat

    Original von Waltrada
    Die Aufnahme mit Anna Moffo soll für sie zu spät gewesen sein.


    Herzliche Grüße
    Waltrada


    Ich habe die Aufnahme im Netz gefunden und höre sie gerade. Leider muss ich Waltradas Information bestätigen. Die Aufnahme kam für Anna Moffo um Jahre zu spät. Wenn man die hört, wird man nicht mehr auf den Gedanken kommen, dass Renée Fleming ihre Töne verschleifen würde. Anna Moffo verwaltet da leider nur noch die allenfalls achtbaren Reste ihrer - was man gelegentlich durchaus noch hören kann - einst sehr schönen Stimme, muss sich immer wieder mit einem wabernden Vibrato behelfen und kann auch etliche von ihr ungewohnt scharfe Spitzentöne nicht vermeiden. Die tieferen Töne dieser extrem weit gespannten Partie kann sie ohnehin nur noch suggerieren. Dass ob dieser Anstrengung nur begrenzt Raum für eine überzeugende Stimmdarstellung bleibt, mit der sie die Schwächen kompensieren könnte, überrascht dann kaum noch.


    Das stimmliche Highlight der Aufnahme ist der junge José Carreras. Da sein Französisch aber ebenso mediterran unidiomatisch (und undeutlich) ist wie das der Moffo und seine Darstellung sehr pauschal, bleibt eigentlich nur Gabriel Bacquier als kompetenter Zeuge dafür, dass es sich hier um eine sehr französische Oper handelt, denn auch Julius Rudels Dirigat vermag mich weit weniger zu überzeugen als das von Yves Abel. Wäre mir die Aufnahme als erste begegnet, wäre ich wohl nur gelegentlich auf den Gedanken gekommen, dass es sich hier um ein höchst glutvolles Werk mit sehr vielen Schönheiten handelt, und nicht nur um eines mit diversen Längen und einzelnen sehr gelungenen Höhepunkten.


    Soviel als erster Eindruck vor dem vollständigen Durchhören. Nach dem ersten Akt bin ich aber nicht mehr sicher, ob ich das überhaupt noch will. Anna Moffo, die ich einst sehr gerne hörte, würde ich damit wohl kaum einen Gefallen tun.


    EDIT: ich habe es doch versucht. Im weiteren Verlauf wird Moffo besser (haben die wirklich chronologisch aufgenommen oder ich mich nur an diesen Standard der Stimme gewöhnt, so dass gelungene Teile herausragen?), aber berauschend ist das immer noch nicht, zumal ich mich immer mehr fragte, warum mir Rudels Dirigat so neutral vorkommt. An den Tempi allein kann es nicht liegen.


    Ich werde es jetzt gleich mal mit Plasson versuchen.


    :hello: Jacques Rideamus

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  • Martin hat mich gebeten, dieses Posting zur weiteren Diskussion auch hierher zu transferieren! Voilà!



    Lieber Martin, wir sind gar nciht weit voneinander weg, zumal wir usn in den ganz entscheideneden Punkten schon einig sind. Es gab gestern genug Leute, die die Inszenierung überhaupt nicht kritisiert haben und Alles toll fanden.......


    Was ich serh interessant finde, ist Deine Aufffassung von der Besetzung der Thaïs mit einer leichteren Stimme, bzw Deine Bemerkung, dass Hampson die Partie zu dramatisch genommen hat. Dass habe ich ja auch ho empfunden, nur dachte ich, da es mein allererster Eindruck war, diese Partie sei wirklich zu dramatisch für seine Stimme und er habe da seine Grenzen auf nciht eben vorteilhafte Weise(da die Schönheit seiner Stimme kaum zur Geltung kam) angekratzt.
    Wenn man das auch leichter nehmen KANN, umso trauriger, dass er es nciht getan hat!


    Allerdings frage ich mich, wie das stimmtechnisch funktionieren kann, dann muss das vorgedachte Gesamtkonzept der Aufführung einfach schon in Richtung Leichtigkeit und Lyrismus geändert werden.


    Was mir fast immer besser gefällt, Du rennst da also bei mir offene Türen ein.
    Ich mag nun mal kein Gebrülle auf der Bühne und will schöne Stimmen hören, die das Recht und die Möglichkeit haben, ihre Schönheit zu bewahren.
    Was Renée Fleming als fast überbesetzt angeht, muss ich dir aber widersprechen. Das fand ich in diesem Falle wirklich nicht.
    Ich fürchte, jede deutlich leichtere Stimme wäre mit dieser Partie einfach überfordert und würde im dritten Akt spätestens schon gar nciht mehr die notwendige Stamina mitbringen, um am Ende noch heilige Engelstöne produzieren zu können und nciht vollkommen ausgepowert bzw ein fil di voce im negativen Sinne zu sein.
    Das könnte man zwar evtl in die Inszenirung einbauen, immerhin stirbt sie ja am Schluss an asketischer Entkräftung, aber gesungen werden muss halt trotzdem.


    Was mir so imponierte, war die Fähigkeit der Fleming, sowohl die dramatischen Stellen auszufüllen, als auch die lyrische Anmut und sogar ein bisschen Ätherisches(bei den hohen bs an den Schlussstellen! ) zu bewahren. Das schaffen nicht Viele!


    Allerdings ist mir schon aufgefallen, dass der Schmelz der Stimme, den ich so bewunderte, nciht mehr da ist. Irgendetwas Magisches, das die besondere Schönheit ausmachte und die spezielle "Sahne" produzierte, war gestern nicht(mehr?) da.


    Alles weitere dann im anderen Thread


    F.Q., die sich serh freut, dass du auch da warst und mir als Kenner nun beim Einstieg in diese Oper helfen kannst.


    Das mit dem Trio war mir noch serh präsent und ich habe genau an dieser Stelle sehr an dich gedacht. Auf Deinen Geschmack ist eben Verlass!
    Nun muss ich nur noch die Noten finden eine Dritte im Bunde- dann gehts los!

  • Und um nciht alles durcheinander zu mischen noch ein Extra-Posting zu JRS Höreindrücken,:


    Die Thaïs von Eva Mei interessiert mich natürlich ganz entschieden! Nicht nur weil ich diese Stimme so liebe, sondern auch:


    Wenn das gut und angemessen ist, hat Martin nämlich Recht und man kann diese Partie mit einem lyrischen Koloratursopran besetzen.

    Allerdings würde mich eine italiensiche Fassung auch alles Andere als begeistern..... :no:



    Was die Musik insgesamt angeht: mir hat sie ja durchaus gefallen, aber ich finde Manon einfach besser , spritziger und hörerfreundlicher.


    Der Vergleich mit Werther fällt mir schon schwerer! Den ersten Akt fidne ich da nämlch sterbenslangweilig und würde die Thaïs nciht unbedingt dahinter placieren.


    Über den Inhalt der Thaïs würde ich serh gerne auch noch diskutieren. Die Krtik am Fundamentalismus , der Hand in Hand mit Selbstbetrug und Hypocrisie geht, ist in meinen augen hochmodern und so aktuell, dass es eine doppelte Schande ist, bei diesem Thema eine so jämmerlcihe Inszenierung anzubieten.


    F.Q.

  • Liebe Fairy Queen, lieber Jacques, liebe Mitdiskutantinnen und Mitdiskutanten!


    Auf Youtube gibt es das Finale der Thais mit Eva Mei und Michele Pertusi, das ist aber auf Französisch! Eva Mei ist eine wunderbar fragile, ätherische Sterbende, und hat hoffentlich diese Facetten der Thais vorher auch schon ausgelebt, getreu ihren Anfangsworten "C'est Thais, l'idole fragile".
    Bei Youtube gibt es auch noch andere Thais-Interpretinnen unterschiedlicher Qualität zu entdecken: so z. B. die Arie "Dis-moi que je suis belle" mit Virginia Zeani, auch lang nicht perfekt, aber was für eine prachtvolle, goldschimmernde Höhe! :jubel: Oder Leontyne Price, Montserrat Caballé... Was Ausdruck und Gestaltung betrifft, bin ich von Beverly Sills aber noch immer am meisten begeistert.


    Michele Pertusi legt den Athanael auch feiner an als Thomas Hampson. Natürlich muss Athanael an bestimmten Stellen ziemlich aufdrehen, aber andere kann man ganz zart und sensibel gestalten (im Libretto steht sogar bei einigen Ariosi "avec charme", bei anderen "calme"!), wie etwa gleich am Anfang "Hélas! Enfant encore" oder in der Bekehrungsszene die Stelle "Ah! qui m'inspirera des dicours embrasés", die "avec un enthousiasme croissant" mündet in "à la vie éternelle" und die Umkehr der Thais auslöst. Wenn man da nicht schön singt, fehlt eine wichtige Motivation für Thais, sich zu bekehren, die ich mangels anderer Worte einmal "die Schönheit der Gnade" nennen will. Wenn Renée Fleming und Thomas Hampson in den Interviews immer betonten, wie fundamentalistisch und "heavy" Athanael rüberkommen muss, haben sie ein ziemlich einseitiges Bild der Rolle. Ich sehe hier einen Mann, der sich in einen religiösen Fanatismus flieht, weil er eben diese begehrte Frau nicht bekommen kann. Sein Begehren nach ihrem Körper verwandelt sich in ein Begehren nach ihrem Geist. Aber wie seine Liebe ist auch Athanaels Glauben oberflächlich, und er kann alle Glaubenssätze plötzlich über Bord werfen, wenn er seine Lust erfüllt haben will. Er ist nicht nur der gestrenge Mönch, er ist auch ein leidenschaftlicher Liebhaber! Und diese Widersprüche im Charakter muss man differenziert darstellen: die Nostalgie bei der Erinnerung an die Kindheit und in der Arie auf Alexandria, aber auch die plötzlichen Wutausbrüche, wenn der Fundi wieder durchkommt (in der selben Arie: "pour ta richesse [...] science [...] beauté je te hais"), aber auch eine gewisse leidenschaftliche Entrücktheit wie am Ende der nämlichen Arie ("Venez, anges du ciel, souffles de Dieu") oder während der Bekehrungsszene, dann wieder bloße Autorität... viele Facetten, denen Hampson stimmlich meines Erachtens nicht voll gerecht wurde.
    Thomas Hampson ist jedenfalls nicht zu schön für Athanael. Der ist ja kein alter ausgemergelter Asket, sondern ein junger hochbegabter Heißläufer, der noch nicht allzu lange im Kloster ist und jedenfalls körperlich von den Entbehrungen der Wüste noch nicht versehrt ist. Oder ist, was die Sklavinnen da beim Ankleiden singen "Il est jeune, il est beau! Ses yeux sont pleins de feu!" bloße Koketterie? Ich glaube nicht, da sie es beiseite singen. Athanael ist nun einmal der "jugendliche Liebhaber" dieser Oper! Und rasend eifersüchtig auf seinen einstigen Freund und nun Rivalen Nicias! Denn die Eros-Statuette zerbricht er erst, als Thais ihm sagt, dass sie von Nicias stammt (laut Libretto; in der Met-Inszenierung zerbricht er sie nicht, sondern gibt sie Thais zurück mit dem Befehl zur Zerstörung).


    Ich bin auch nach wie vor der Meinung, bei der Thais handelt es sich prinzipiell um einen lyrischen Koloratursopran, oder vielleicht einen lyrischen Sopran mit Koloratur, allerdings mit zwei Besonderheiten: die Partie hat innerhalb des Koloratursopranumfangs eine relativ tiefe Tessitura, und ein paar Stellen - viele sind es aber nicht - im zweiten Akt (besonders "Ah! Pitié! Ne me fais pas de mal! ... Je n'ai pas plus choisi mon sort que ma nature"), die man doch als dramatisch bezeichnen muss.
    Diese Besonderheiten ergaben sich wohl aus den spezifischen Eigenschaften der Sängerin der Uraufführung, Sybil Sanderson. Wenn ich mir dann noch die wesentlich höheren Anforderungen der ebenfalls für sie komponierten Esclarmonde (c'-g''') ansehe, war Madame Sanderson offensichtlich eine dramyrische Wagnersoubrette mit Koloratur (in den meisten Kritiken außerhalb Frankreichs wurde ihre Stimme übrigens als (zu) klein, zart und "white" beschrieben).


    Liebe Grüße,
    Martin

  • Lieber Martin,


    vorab die Korrektur: Du hast natürlich Recht: das venezianische Video von THAIS wird in der Tat auf französisch gesungen - nicht sehr idiomatisch, aber natürlich ist das weitaus besser als meine Befürchtung angesichts der Besetzung und dem Aufführungsort.


    Ich habe jetzt auch mal die beiden Ausschnitte auf Youtube angesehen, die sich durchaus lohnen. Die DVD wanderte danach jedenfalls auf meine Wunschliste. Ob Eva Mei die Partie wirklich ausfüllt, lässt sich anhand des Finales nicht wirklich sagen, aber es klingt doch vielversprechender als die Kritiken auf Amazon vermuten lassen. Das ebenfalls auf YouTube zu hörende Finale mit Beverly Sills und Sherrill Milnes klingt auch durchaus vielversprechend, kommt für mich aber nicht an Fleming/Hampson heran. Deshalb bleibt Renée Fleming (vorerst) meine Favoritin, aber ich beuge mich gerne Deiner weitaus intimeren Kenntnis der Oper, bevor ich mich endgültig festlege (außer gegen Anna Moffo).


    Vielleicht haben wir aber auch unterschiedliche Prioritäten, denn gerade in dieser Partie (wie überhaupt bei Massenet) hilft mir die größte Darstellungskunst nicht weiter, wenn die Tonproduktion leidet, wie an exponierten Stellen bei Beverly Sills, die allerdings eine beeindruckende Tiefe hat. Da ich die Stimme Renée Flemings in dieser Rolle fast makellos finde, bin ich gespannt, wer sie für mich wie übertrifft. Ideal wäre natürlich eine Kombination von beidem, wie sie Nathalie Dessay in der MANON liefert. Also, hoffen wir auf Patricia Petibon - und bis die das wagt und jemand sie lässt, vielleicht auf Eva Mei. Bis dahin aber bin ich froh, dass ich die Partie durch Renée Fleming kennen gelernt habe. Prägung hat ja auch keinen geringen Einfluss.


    Jedenfalls gibt es eine Reihe von Gründen, diese Oper öfter mal zu hören.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Liebe Thaïsten, ich habe mir nun auch die Klangbeispiele auf youtube angehört und was das Finale angeht: doch man kann es besser bzw ebenso gut machen wie Hampson und Fleming!
    Milnes siingt eindeutig schöner als Hampson, der sich zu sehr ausgepowert hatte und Eva Mei ist zumindest im Finale stimmlich der Fleming keinesfalls unterlegen!


    Allerdings bleibt meine Skepsis im Hinblick auf die Gesamtrolle erstmal bestehen.
    Lieber Martin, ich verstehe immer noch nicht ganz , woran du es festmachst, dass die Thaïs eine Partie für lyrischen Koloratursopran sein soll.
    Die Noten die ich bisher gesehen habe und das, was ich am Samstag gehört habe, lässt für mich diesen Schluss nicht zu.
    Die Koloratur in dieser Oper ist die Charmeuse, so wie im Cendrillon die Fee.


    Kannst du Dir Natalie Dessay als Thaïs vorstellen? Ich ehrlich gesagt nciht- leider! Die Manon war stimmlich wirklich ihre Grenze udn ist m.E. deutlich lyrischer und koloratöser als die Thäis.


    Bei Particia Petibon sehe ich allerdings sehr optimistisch in die Zukunft udn ich hoffe, sie findet einen Regissuer und die passenden Partner , die ihre Talente da ins rechte Licht rücken.
    Wenn die Sills das konnte, kann sie das auch und ist ausserdem wesentlich attraktiver- jedenfalls für meinen Geschmack.



    Die Schlussszene mit Eva Mei hat mir aber noch einmal gezeigt, wie falsch und rein dekorativ dieses MET-Inszenierung am Samstag war!
    Renée Fleming, an übertriebener Askese in einem Nonnenkloster in der Wüste sterbend: in einem Pariser Designer-Kleid und langen wallenden Engelslocken- das ist der reine Hohn!
    Eva Mei dagegen hatte das geschorene Haar und weisse Kleid der Nonnen und ihre Stimme genügte vollkommen, sie zum Engel zu machen.


    Und wenn man sich noch einmal Natalie Dessays Manon in der Wüste, als abgerissener Sträfling mit geschorenen Haaren vor Augen fühlt, weiss man sofort, was eine Inszenierung ist und was dagegen amerikanische Bilder-Fabrik.



    Was den Inhalt angeht, denke ich gerade über den spirituellen Weg der beiden Protagonisten nach.
    Wir haben hier ja eine klare Kritik am religiösen Fundamentalismus, der mit Heuchelei und Selbstbetrug gleichgesetzt wird, vor uns.
    Was mir allerdings nciht so klar ist, ist der Weg der Thais.
    Sie hat pansiche Angst, ihre Schönheit zu verlieren und damit in Bedeutungslosigkeit in der Gesellschaft und in sinnlose Leere im Inneren herabzufallen.
    Sie suchtt einen Ausweg aus diesem Dilemma und ist mit einer neuen Liebesauffassung auch bereits auf einem konstruktiven Weg.(zweiter Akt: als sie von der RICHTIGEN" Anbetung des Eros spricht.)
    Allerdings wird dieses Erkenntis- Pflänzchen brutal von Athanael zertreten, der den Gedanken an umfassende Liebe, die Leib und Seele einschliesst offenbar in seinem blinden Fanatismus nciht ertragen kann und Thais in erbarmungslose Askese treibt, so sie ihr Seelenheil nciht gefährden wolle.


    Wird Thaïs nun wirklch aus Überzeugung zur Christin im Sinne des Athanael oder nur aus Angst?
    Im Kloster gerät sie ja offenbar in recht gute, sprich gütige Hände der Nonnen unter Führung der Hl Albine. Sollte dort dann die echte innere Wandlung möglich geworden sein?
    Oder war für Thais , die es gewohnt war, von Männern nicht geliebt sondern begehrt und gekauft zu werden, die Tatsache, dass Athanael ihren Reizen angeblich nciht erlegen ist, sondern nur selbstlos ihr Heil wollte, wirklich der ultimative Liebesbeweis, der sie von der Echtheit des christlichen Ideals überzeugte?



    Dass sie am Ende die Wahrheit nciht mehr bewusst erlebt hat, sondern bereits in Verklärung und Himmelshöhen schwebte, als Athanel ihr seinen Betrug gestand, kann man dann wohl nur als gnädiges Schicksal oder nortwendige Verdrängung werten. Mir fällt seltsamerweise hierzu gerade Ibsens "Lebenslüge" ein.
    Und eine deutliche Kritik an einem männlichen Prinzip steckt auch darinnen.
    Vieleeicht kommen wir zu alledem noch in Folge. Ich will jetzt noch schnell den Adventkalender lesen und höre hier auf
    Wie gesagt: was könnte eine vernünftige Inszenierung aus diesem Stoff herausholen!!!!



    F.Q.

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  • Ganz schnell noch ein Nachtrag: es gibt eine Aufnahme unter George Sebastien mit Geori Boué als Thaïs aus den 50iger Jahren. Das klingt serh verheisssungsvoll-kennt jemand die schon?
    Ich konte mir nicht verkneifen, die zu bestellen, zumal ich bis dato völlig ohne Einspielung bin und werde dann berichten.
    Geori Boué war eine von Reynaldo Hahns Lieblingsinterpretinnen und z.B. auch die Mireille in der von ihm dirigierten Version der Gounod Oper.


    F.Q.

  • Liebe Fairy Queen,


    Natalie Dessay kann in der Thais auch meiner Meinung nach nur die Charmeuse singen. Aber das heißt noch nicht, dass man gleich Renée Fleming auffahren muss... :D


    Du bist natürlich Expertin in stimmlichen Fragen, vor allem hier, da du selbst als leichter Sopran ja eine Betroffene bist und Erfahrung hast, was die Stimme noch schafft und was nicht mehr. Eine Erklärung, weswegen ich die Thais aber doch eher als leichteren Sopran ansehe (nicht als Soubrette oder reinen Koloratursopran!), ist nicht so einfach, weil ich keinen Beweis habe, nur Indizien, die dafür sprechen.
    Ich glaube, für die Thais braucht man idealerweise eine Sängerin, deren Stimme auch in schnellen Passagen leicht anspricht (sonst kann man das "Dis-moi" mit seinem rasanten Beginn und den vielen Sprüngen vergessen - siehe Montserrat Caballé), die eine sichere, mühelose und ätherische Höhe aufweist (besonders für die d'''s in der Schlussszene), die Verzierungen, besonders die vielen Triller, beherrscht; ferner eine Sängerin, deren Sahnelage nicht zu tief liegt, die möglichst "einregistrig" klingt und die auch stimmlich eine elegant-kokette Kurtisane und keine Straßendirne darstellt. Wenn eine hochdramatische Sopranistin über diese Möglichkeiten verfügt, soll sie die Thais singen, und de facto handelt es sich bei der Thais wohl ebenso wie bei der Manon um eine Rolle, die man auf viele verschiedene Arten besetzen kann. Am ehesten aber wird man diese Fähigkeiten wohl bei leichteren Sopranen finden, die sich aber natürlich schon ein bisschen entwickelt haben müssen, damit sie sich im zweiten Akt nicht die Stimme ruinieren.
    Unterstützt wird diese These auch durch die Sängerinnen, die sich der Rolle in der Vegangenheit angenommen haben: Geori Boué, Andrée Esposito (auch von ihr gibt es eine Aufnahme, die mir auf den nicht sehr aussagekräftigen jpc-Schnipseln recht gut gefällt), Beverly Sills sangen Violetta, Gilda, Lucia, Manon die ersteren beiden auch Lakmé und Juliette. Ich muss allerdings zugeben, dass Mary Garden, die berüchtigste Thais aller Zeiten, auch die Strauss'sche Salome sang.


    Die Thais hat aus meiner Sicht (die sich nur aufs Hören stützt, weil ich keine Noten habe) eine etwas eigenwillige Tessitura, die eigentlich fast ein "Loch" in der Mitte hat. Es ist auffällig, wie viele Stellen entweder ziemlich tief oder ziemlich hoch liegen. Renée Flemings Aussage im Pauseninterview, die Tessitura befinde sich schön in der Mittellage, ist m. E. sachlich falsch, genau die wird eigentlich nach Möglichkeit ausgespart (natürlich kann Massenet nicht ohne sie auskommen, aber tiefe und hohe Abschnitte überwiegen doch in der Partie). Ich weiß nicht, ob und was man daraus auf Sybil Sandersons Stimme und stimmlichen Defizite schließen kann, aber die große Arie "Dis-moi" ist symptomatisch für die ganze Partie: tief-hoch-tief-hoch-tief-hoch...


    Der Inhalt der Oper ist zweifellos sehr aktuell: wir haben Jugendwahn, Spaßgesellschaft, religiösen Fundamentalismus - es lohnt sich darüber nachzudenken und zu diskutieren! Umso schändlicher war die Inszenierung, die diese Aktualitätsbezüge nicht nur nicht verdeutlicht, sondern sogar nach Möglichkeit vertuscht und verunklart hat! Vielleicht, wenn ich Zeit habe, werde ich einige Szenen aus der Oper in den kommenden Tagen auf diese Aktualitätsbezüge hin untersuchen.


    Liebe Grüße,
    Martin

  • Lieber Martin, ich wäre nur allzu gerne konform mit dem, was du schreibst, aber ich habe gerade die Noten der Arie "Dis moi que je suis belle" vor mir liegen(mehr habe ich leider derzeit nicht zur Hand) und muss ganz klar sagen: das ist im Prinzip eine Tessitur und musikalsiche Sprache, bei der man mindestens an einen grossen lyrischen bzw Spinto-Sopran denken muss.


    Was diese Arie angeht, hat Renée Fleming druchaus das Richtige gesagt: heir spielt sich fast alles in der Mittellage ab (präzis: viel tiefe Mittellage, wenig znetrale Mittellage etwas hohe Mittellage und etlcihe grosse Intervall-Sprünge zu hohen Tönen, am Ende das d3 ist rein fakultativ, in den Noten steht ein b2.)
    Die Arie ganz allein für sich genommen, wäre für jemanden der die Partie ansonsten nicht kennt und nur die Noten sieht, sogar Indiz fürs dramatische Fach. Die grossen Intervallsprünge und die Betonung der tiefen Mittellage sprächen stark dafür.


    Nicht nur aus eigener Erfahrung: das ist für eine leichte Stimme nicht nur undankbar sodnern auch über längere Zeiträume zu anstrengend.
    Vielleciht kônnen wir uns angesichts unseres ja im Grunde sehr ähnlcihen Rollenverständnisses(siehe Strassendirne.... :D) auf einen mindestens ansatzweise dramatischen Koloratursopran oder einen grossen lyrischen Sopran mit Verschlankungs- und Koloraturfähigkeit einigen?


    Fleming war allerdings KEINE Strassendirne, dazu ist sie viel zu elegant und amerikanisch stylish , das Rassig-Sinnlich-Proletarische einer Carmen geht da vollkommen ab.


    Ich finde inzwischen, nachdem ich ihre Cd endlich ganz gehört habe, Patricia Petibon eine hervorragende Option in Richtung Natalie Dessay(für die das leider wiklich keine Partie ist).
    Dass Eva Mei die Partie geschafft hat, ist ja schlagender Beweis dafür, dass es gehen kann.
    Wenn ein moderner Regisseur eine Kurtisane von heute in Szene setzen will, dann wäre das ein serh vielversprechendes Potential- auch was ihre äussere Erscheinung angeht.
    Models und aufsteigende Kurtisanen von heute sind schlank und rank wie frz. first Ladies und die antike Kurvigkeit kann man mit entsprechendem Konzept durchaus durch Anderes ersetzen. :D


    F.Q.

  • Liebe Fairy Queen,


    einigen wir uns darauf, dass die Thais so leicht wie möglich und so schwer wie nötig besetzt werden sollte? Vielleicht ein Spinto-Koloratursopran? :D


    Renée Fleming war allerdings keine Straßendirne, dennoch war mir ihre Performance im ersten Akt zu direkt und zu wenig raffiniert. Und auch später könnte man über manche Dinge noch diskutieren...


    Es kommt natürlich auch immer darauf an, wie man die Oper insgesamt anlegt. Innerhalb eines gewissen Rahmens kann man ja lyrischer oder dramatischer agieren (siehe Hampson), und wenn Eva Mei oder Patricia Petibon die Thais singen, werden sie die Partie wohl eher möglichst lyrisch interpretieren (was der Partie m. E. nicht schadet und stellenweise wohl zugute kommt). Wenn die Kollegen und der Dirigent da mitziehen, dann funktioniert das!


    Über deine - ausführliche - Sicht auf die neue Petibon-CD warte ich mit Spannung am entsprechenden Ort.


    Liebe Grüße,
    Martin

  • Ich habe grade einen Blick in meine Notensammlung geworfen und dabei auch den KA der "Edition Originale" von Heugel entdeckt.


    Leider habe ich die Übertragung aus der Met nicht gesehen, ich hatte aber vor etwa 2 oder 3 Jahren das Vergnügen, Renee Fleming live anlässlich einer konzertanten Thais (die nach oder vor Paris wohl auch in Wien gegeben wurde) im Theatre du Chatelet zu erleben. Ein Blick in die Noten bestätigt den Eindruck Mme. Flemings, dass die Partie schon sehr zentral angelegt ist.


    Herzliche Grüsse aus Paris sendet Ines

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  • Zitat

    Original von Philhellene
    Liebe Fairy Queen,


    einigen wir uns darauf, dass die Thais so leicht wie möglich und so schwer wie nötig besetzt werden sollte?


    Ok, ich würde mal sagen Kleidergrösse 38/40 und etwa 60 kg! :D


    Patricia Petibon muss dann allerdings noch einige Petits fours futtern! Meine ausgiebigere Kritik im Petibon-Thread muss noch ein bisschen warten, da ich die CD mindestens noch zweimal gründlich hören will .
    Zum Inhalt der Oper Thaïs kommen wir hoffentloch auch noch ein bisschen .


    F.Q.

  • Nachdem ich mit dem WERTHER im Wesentlichen "durch" bin möchte ich diese Diskussion aufgreifen, damit in dem letzthin etwas flauen Operforum wieder mehr geschehen kann (obwohl Massenet dafür anscheinend nicht der geeignetste Hebel ist).


    Zitat

    Original von Philhellene
    Natalie Dessay kann in der Thais auch meiner Meinung nach nur die Charmeuse singen. Aber das heißt noch nicht, dass man gleich Renée Fleming auffahren muss... :D


    Doch, muss man, wie meine ersten Vergleiche - jedenfalls mir - zeigen. Thais ist ja keine Straßendirne, sondern eine Edelkurtisane, die merkt, dass sie ihre besten Jahre bald hinter sich haben dürfte (nicht unähnlich der Marschallin aus einer anderen "dekadenten" Oper). Noch aber ist sie auf dem Höhepunkt ihrer allgemeinen Faszination, die fast religiöse Anbetung genießt, und das muss man auch hören. Stimmliche Defizite in Volumen wie Tonhöhe, schön hörbare Anstrengungen, stören da weit mehr als bei einem Sklavenmädchen wie der Aida oder gar der Lady Macbeth. Wenn ich da meine gegenwärtigen Vergleiche heranziehe (bislang nur jeweils den ersten Akt), muss ich feststellen, dass die außer bei Renée Fleming bei allen Konkurrentinnen zu konstatieren sind. Eva Mei bekommt zwar den Schluss sehr schön hin, zeigt aber im ersten Akt deutliche Überforderungserscheinungen, die zwar nicht so deutlich sind wie gelegentlich bei Beverly Sills und erst viel zu oft Anna Moffo, für die die Aufnahme mindestens um Jahre zu spät kam.


    Vom visuellen Aspekt einmal abgesehen, hätte ich mir Montserrat Caballé zu ihren besten Zeiten als Salome sehr gut in dieser Rolle vorstellen können. Schöngesang ist zwar auch da nicht alles, aber ohne den geht es für mich in dieser Rolle schon gar nicht. Da käme selbst die Gesdtaltungskraft einer Callas nicht gegen an, weil das Berückende einfach ein zentrales Element der Rolle ist. Nur auf der Basis sollte - und muss man auch - noch gut spielen können. Da hat Renée Fleming sicher noch Defizite, aber wieviele ernst zu nehmende Alternativen gab und gibt es da eigentlich? Sicher nicht Frau Gheorghiu. Ich bin sehr gespannt zu hören, wie Geori Boué das gemeistert hat, die ja besobnders für ihre Thais berühmt war.


    Da ist der Athanael schon wesentlich einfacher, obwohl mich Sherrill Milnes da weit weniger begeistert als Martin. Das hat aber auch damit zu tun, dass er eine sehr einheitliche Sprachformung über alle seine Rollen hinweg hat, die zwar leicht erkennbar ist, mir aber auch ziemlich auf den Wecker geht. Michele Pertusi ist da für mich die Idealbesetzung - stimmlich wie darstellerisch - und vom Aussehen her sowieso, auch wenn man ihm den hageren Eremiten ebenso wenig abnehmen kann wie manchen stattlichen Kavalierbaritonen den Jochanaan. Überhaupt erscheinen mir Salome und Thais ebenso wie Jochanaan und Athanael enorm vergleichbar zu sein - auch von den stmmlichen Anforderungen. Aber dazu mehr, wenn wir vielleicht doch mal in die Details der Rollen einsteigen.


    Und die der Dirigate. Da hat für mich nämlich Yves Abel auch deutliche Vorteile gegenüber seinen Konkurrenten. Man höre sich mal den Schluss des Ersten Aktes an, wo Maazel und Rudel sich ganz dem operettenhaften Charakter der Komposition hingeben. Der ist zwar (besonders bei dem Ensemble des Assieds-toi près de nous) schon von Massenet mitverschuldet, aber nach Lehar GIUDITTA muss das Ganze dann doch nicht gleich klingen, nur weil die auch fast in der Wüste vergeht.


    Aber mehr auch darüber, wenn der Thread weiter geht und ich wirklich alle meine Aufnahmen durchgehört habe. Dies waren erst einmal nur vorläufige Eindrücke. Auf der Basis empfehle ich ganz klar diese cd



    Wenn es die Aufnahme mit Eva Mei sein soll, dann unbedingt wegen der optischen Komponente die DVD:



    Zitat


    Der Inhalt der Oper ist zweifellos sehr aktuell: wir haben Jugendwahn, Spaßgesellschaft, religiösen Fundamentalismus - es lohnt sich darüber nachzudenken und zu diskutieren! Umso schändlicher war die Inszenierung, die diese Aktualitätsbezüge nicht nur nicht verdeutlicht, sondern sogar nach Möglichkeit vertuscht und verunklart hat! Vielleicht, wenn ich Zeit habe, werde ich einige Szenen aus der Oper in den kommenden Tagen auf diese Aktualitätsbezüge hin untersuchen.


    Bitte tue das, lieber Martin. Ich habe die New Yorker Inszenierung zwar nicht gesehen, bin aber sicher, dass der kulinarische Aspekt, der für die Stimme der Thais wichtig ist, für die visuelle Darstellung dieses antiken Vorbild (ausgenommen das zweite Bild des ersten Aktes und den Anfang des zweiten) eher schädlich ist. Das hat übrigens die Inszenierung von Pier Luigi Pizzi, der das Ganze von einer sehr zentralen, pseudofrühchristlichen Symbolik aufrollt und dabei kräftige Portionen Nackheit nicht scheut, wo sie hingehört, sehr gut gemacht. Leider überlässt er wie fast alle Regie führenden, gelernten Bühnenbildnern die Sängern in ihrem Spiel sich selbst, was zu viel leerem Hin- und Herschreiten führt. Immerhin hat hier der Choreograph einiges entgegen zu setzen.


    Eine Anmerkung noch zum Fundamentalismus Athanaels, der mich mit seinen Konsequenzen dermaßen stört, dass ich die Oper keinesfalls so genießen kann wie andere Werke Massenets, ungeachtet zahlreicher musikalischer Schönheiten. Wer den nicht aus heutiger Sicht mitinszeniert, verfehlt m. E. das Stück total. Man muss ja nicht gleich einen Vorgänger Osama Bin Ladens aus ihm machen, aber nachvollziehbar hielte ich auch das. Weit mehr jedenfalls als die Selbstzerstörung der Thais.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Wir wollen ganz kurz beim Hintergrund der Oper verweilen: Die Geschichte der heiligen Thais von Alexandria (Gedenktag 8. Oktober) ist uns in mehreren Viten und Martyriologien überliefert. Ein Bischof namens Paphnutios, Serapion oder Bessarios bekehrte die reiche Kurtisane. Sie verbrannte all ihr Hab und Gut und ging ins Kloster, um sich in Hinkunft nur noch Gott hinzugeben. Sie ist (natürlich) Patronin der reuigen Dirnen.


    Die deutsche Dichterin und Nonne Hrotsvit von Gandersheim schrieb sechs terentische Dramen, um die unmoralischen Terenz-Komödien im Schulgebrauch zu ersetzen. Eines dieser Stücke ist unter den Namen "Paphnutius" oder "Thais" bekannt und schildert die erwähnte Bekehrungsgeschichte. Hrotsvit zeigt Thais als eine Art "Taufscheinchristin", die zwar an Gott glaubt, sich aber ihrer Sünden nicht bewusst ist oder sich selbst belügt. Erst durch die Begegnung mit Paphnutius erkennt sie das Unglück ihres bisherigen Lebenswandels und wendet sich in der Wüste ganz Gott zu.
    Eingewoben in das Stück finden sich philosophische Betrachtungen über die Einheit von Seele und Körper. Die Sünde der Thais ist es, dass ihre reine göttliche Seele nicht mit den Handlungen ihres Körpers im Einklang ist.


    Nach Hrotsvit hat Anatole France im 19. Jh. seine Satire "Thais" gearbeitet, in der er die Liebesgeschichte zwischen Paphnuce und Thais einfügt. Massenet und sein Librettist Gallet nehmen diesen Roman als Vorlage, verzichten aber fast völlig auf die satirischen Elemente, versuchen stattdessen, Mitgefühl für die Protagonisten zu erwecken.



    Ich möchte sodann mit den Charakteren der Oper fortfahren: Athanael ist selbst ein Bekehrter. In seiner Jugend (bei France im Alter von 15 Jahren) hat er selbst Thais aufsuchen wollen, doch als er schon vor ihrer Türe stand, scheiterte das Unterfangen an mangelndem Mut - und mangelndem Geld. Dann "spricht die Gnade zu seinem Herzen" und er wendet sich dem Christentum zu und tritt in die Gemeinschaft der Coenobiten ein (die ägyptischen Coenobiten waren die ersten Mönche im heutigen Sinne: zuvor gab es nur Einsiedler, die Coenobiten lebten gemeinsam, aßen gemeinsam, beteten gemeinsam in der Klostergemeinschaft). Doch eigentlich begehrt er Thais noch immer: und sein Entschluss, sie zu bekehren, resultiert effektiv aus dem Wunsch, dass sie wenigstens, wenn nicht er selbst, so doch kein anderer Mann verwende! Niedere Beweggründe! Und auch seine große Arie gegen Alexandria erklärt sich so: Er hasst die Schönheit, den Reichtum, das Wissen, das die Stadt verströmt, weil sie ihm selbst versagt sind.
    Wir sehen in der ganzen Oper seine Lust, Macht über Thais auszuüben. Er kommt nie zu seinem eigentlichen, sublimierten sexuellen Ziel: aber er "besiegt" Thais, er quält sie in der Wüste, er versucht sogar, sie am Sterbebett noch mit Glaubenszweifeln zu überschütten, damit sie ungetröstet und nicht in Gott stirbt. Es ist auch nicht ohne Grund eine Baritonrolle: Athanael ist nicht der positive Held dieser Oper.


    Nicias ist ebenso negativ gezeichnet: Wir hören aus dem Mund der Thais, und die muss es schließlich am besten wissen, dass er liebesunfähig ist und nur Befriedigung sucht. Er ist ein Jugendfreund von Athanael! Wir können uns diese Clique präpotenter Halbwüchsiger ungefähr vorstellen, nachdem uns zwei Mitglieder als erwachsene (aber nicht reife) Männer gezeigt werden... :rolleyes:


    Die Heldin der Oper ist zweifellos die Titelfigur: Thais, die unermesslich reiche Kurtisane. Bei Hrotsvit ist es die Habgier, die sie ins Geschäft drängt, und sie erreicht ihr Ziel. Bei Massenet ist das nicht ganz so klar; aber wir dürfen vielen Aussagen der Thais keinen Glauben schenken: sie ist nicht wollüstig oder gar nymphoman, wenn sie im ersten Akt so fixiert daherredet: das gehört zum Job. Wir sehen am Beginn des zweiten Akts wohl ihr wahres Selbst; und dann, wenn Athanael erscheint, fällt sie wieder in die dirnenhafte Sprache. Und wenn sie bekehrt ist, spricht sie von der Nichtigkeit der Vergnügungen... worauf wir das immer beziehen wollen. Habgier oder Wollust? Vielleicht auch Streben nach Unabhängigkeit? Aber ich glaube, es überwiegen doch Habgier, Eitelkeit und Putzsucht!
    Doch Thais ist sich klar, dass ihr Leben eigentlich leer ist: sie wird nicht geliebt, sie wird nur benutzt, und ihre gleißende Schönheit schwindet von Tag zu Tag, und damit ihre Lebensgrundlage. Ihre Midlife-Crisis-Arie "Dis-moi que je suis belle" zeigt die Ängste der Mittvierzigerin. (Zum Vergleich: Athanael ist wahrscheinlich noch keine Dreißig...) Thais ist unglücklich mit ihrem Leben (darum fürchtet sie auch den Tod). Sie hat niemanden, sie wird nie jemanden haben, der ihr Gutes will. Aber sie ist empfänglich für den Gott, den Athanael ihr brachial aufzwingt, und sie begreift diesen Gott viel tiefer und viel wahrer als ihr Bekehrer: wie modern ist die Theologie, die sie in der Arie "L'amour est une vertu rare" vertritt: "...Eros will uns zum Göttlichen hinreißen, uns über uns selbst hinausführen..." (Benedikt XVI., Deus caritas est, 5) Leider wird dieses schöne Bild von Athanael ziemlich brutal zerstört, und auch wenn Albine auf den ersten Blick sympathisch scheint, lässt sie zu, dass Thais ihren Körper mit Fasten und Schlafentzug komplett zerstört... (die reale heilige Thais kann das nicht so radikal vollzogen haben, denn die ist laut Viten erst nach über drei Jahren verstorben) Dennoch hat Thais in meinen Augen ihr persönliches Glück und Happy End gefunden: Sie stirbt ohne Angst und in der sicheren Gewissheit, des himmlischen Hochzeitsmahles teilhaftig zu sein.


    Zuletzt noch eine Anmerkung zu Renée Fleming: In der Live-Übertragung habe ich schon einiges gehört, was stimmlich und interpretatorisch nicht ideal war, aber man muss bedenken, dass sie zum Zeitpunkt der CD-Aufnahme über zehn Jahre jünger war und sowieso auf Aufnahmen besser klingt als live. Und dass man weniger gelungene Passagen im Studio noch einmal aufnehmen kann, bei einer Live-Übertragung eben nicht. Ich muss mir die CD beizeiten zulegen, ebenso auch die DVD mit Eva Mei.
    Aber ihr könnt ja schon einmal Bewertungen einstellen: TMOO - Thais


    Liebe Grüße,
    Martin

  • Lieber Martin,


    ganz herzlichen Dank für diese instruktiven Erläuterungen, die mir viel Neues brachten. Ich werde jetzt die Oper mit viel mehr Gewinn und Verständnis hören und sehen können.


    Leider haben sich in letzter Zeit immer wieder andere Aufgaben und Werke dazwischen gedrängt (heute wurde ich daran erinnert, dass meine Darstellung von Chabriers L'ÉTOILE schon seit einem Jahr auf Vervollständigung wartet, und LE ROI MALGRÉ LUI inzwichen auch schon geraume Zeit). Ich verspreche aber, dass die THAIS - Aufnahmen nicht mehr lange auf sich warten lassen dürften und ich dann natürlich auch mein detaillierteres Urteil in den TMOO-Thread einstellen werde.


    Vorweg aber kann ich Dir schon versichern, dass Deine beiden Vormerkungen Dich kaum enttäuschen dürften, wenn Du sie Dir besorgst.


    :hello: Jacques Rideamus

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