Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960, CD (DVD)-Rezensionen und Vergleiche (2017)

  • Ich muss ja auch im Hammerklaviersonaten-Thread weitermachen und habe jetzt mit Yes Nats Aufnahme von 1954 begonnen. Morgen bespreche ich noch das Adagio sostenuto und das Fugenfinale, und dann kommt als nächste Besprechung im Schubertthread die Aufnahme der Japanerin Nami Ejiri:

    vom Januar 2014 aus den Teldex-Studios in Berlin.

    Jetzt ist ja sowohl Gesangs- als auch Konzert-Pause, dann kann ich wieder mehr hören und schreiben.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    hast Du diese CD hier?



    Badura-Skoda spielt hier die Sonate gleich dreimal ein auf drei verschiedenen Instrumenten zum Vergleichen: einem Hammerflügel von Graf von 1826, einem Bösendorfer von 1923 und einem Steinway von 2004. Das finde ich hoch spannend - und werde mir die Aufnahme besorgen! :)


    Liebe Grüße

    Holger

  • Auch wenn ich nicht gefragt wurde: ich besitze diese CD. Und finde sie faszinierend. Die unterschiedlichen Speilzeiten beim ersten Satzt sind auf das Weglassen der Wiederholung bei der Aufnahme auf dem Bösendorfer Flügel aus 1923 zurückzuführen. Persönlich schätze ich den Klang der alten Flügen sehr, weshalb mich die neuerliche Begenung mit dem alten Graf-Flügel sehr freut. Zu Steinway bin ich noch nicht gekommen. Auf alle Fälle ein lohnende Anschaffung und eine wertvolle Ergänzung zu einer D.960-Sammlung.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Lieber Holger,


    selbstverständlich kenne ich die CD und auch diese Box:


    Ich kenne somit alle fünf Aufnahmen Badura-Skodas der B-dur-Sonate und habe sie in den Beiträgen Nr. 68, 78, 85, 87 und 88 in diesem Thread besprochen.

    Es gibt, zumindest in meiner Sammlung, nur drei Pianisten, die die B-dur-Sonate fünfmal aufgenommen haben, die beiden Freunde Paul Badura-Skoda und Alfred Brendel und Swjatoslaw Richter.

    Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es weltweit noch irgendeinen Pianisten gäbe, der die B-dur-Sonate ebenfalls fünfmal aufgenommen hätte. Das wüsste ich.

    Übrigens darf ich bei der Gelegenheit gleich mein Neuerwerbung vorstellen:

    51CoE66a4CL._AC_UY218_QL90_.jpg

    Der Salzburger Pianist Gilbert Schuchter hat sie wohl 1989 aufgenommen, und ich werde dieser Tage beginnen reinzuhören.

    Ich hatte Glück und konnte diese 12-CD-Box für 12,63 € erwerben. Darauf sind laut Booklet sämtliche (zumindest zweihändige) Klavierwerke Schuberts enthalten.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    Einmal editiert, zuletzt von William B.A. ()

  • Ich kenne somit alle fünf Aufnahmen Badura-Skodas der B-dur-Sonate und habe sie in den Beiträgen Nr. 68, 78, 85, 87 und 88 in diesem Thread besprochen.

    Lieber Willi,


    da habe ich gerade mal nachgeschaut. Das liest sich ja ungemein spannend, was Du schreibst! :) Ich freue mich schon aufs Nachhören!


    Liebe Grüße aus der Hitze-Sauna in Münster

    Holger

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  • Zitat von Dr. Holger Kaletha

    Liebe Grüße aus der Hitze-Sauna in Münster

    Holger

    39° im Schatten hatten wir aber in Coesfeld auch.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber William B.A.


    Was diesen Thread kennzeichnet, ist die auf Partiturkenntnisse beruhende sachliche Analyse der Interpretationen. der Pianisten.


    Es gelingt für den Hörer nachvollziehbar, die musikalischen und klavierspezifischen Unterschiede der Einspielungen zu verstehen. Was in die Bewertung einfliesst, mögen persönliche Kriterien sein. Sie werden aber stets in Bezug zueinander gesetzt und begründet.


    Das Hinter-den-Noten-Stehende, was Franz Schubert in seinen drei letzten Klaviersonaten, wozu D. 960 gehört, im kompositorischen Prozess eingeschrieben hat, ist letztlich in Worte nicht zu fassen. Es berührt unmittelbar.


    Dieses Geheimnis bildet jedoch die Motivation sich mit diesem Meisterwerk der B-Dur Sonate in dieser intensiven Weise auseinanderzusetzen.


    Dafür muss ich meinen grossen Respekt und Dank aussprechen.


    moderato

    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Den Namen Dr. Kaletha konnte ich nicht mehr in die Begrüssungsformel schreiben, weil nachträgliches Bearbeiten nicht mehr möglich ist. In meine Worte bist du ebenfalls eingeschlossen. Ich hole es mit diesem Beitrag nach.

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Den Namen Dr. Kaletha konnte ich nicht mehr in die Begrüssungsformel schreiben, weil nachträgliches Bearbeiten nicht mehr möglich ist. In meine Worte bist du ebenfalls eingeschlossen. Ich hole es mit diesem Beitrag nach.

    Vielen Dank, lieber Moderato! Dann überlege ich mir, meine parallele Kolumne zu starten! :)


    Schöne Grüße

    Holger

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  • "Die Entwicklung des ersten Schlusses (Takt 113 - 121 der Exposition des Kopfsatzes) ist ein beispielloser expressiver Verlauf, zerrissen von Pausen und Fermaten, zusteuernd auf eine aberwitzige Fortissimo-Katastrophe (wilde Dissonanzen, , dann der unendlich lange Moll-Triller im tiefsten Baß, als "ffz" zu nehmen... Zu denken gibt es, daß noch bis in die jüngste Zeit viele Schubert-Spieler diesen unaussprechlich ausdrucksvollen ersten Schluss samt der zwingend vorgeschriebenen Repetition der Exposition einfach ausließen und somit den gezacktesten Verlauf der Sonate unterschlugen, weil sie es eilig hatten!" (Joachim Kaiser)


    Ich möchte mich herzlich bedanken für diesen Thread! Ich kann es kaum glauben, aber ich habe dies Sonate bisher immer ohne Wiederholung der Exposition gehört (zumeist von Brendel) und mir war nie bewusst, dass dabei 9 Takte von Schubert unterschlagen wurden - und was für Takte!

    Ich hatte mir vor Jahren mal einige Seiten der ersten Fassung dieser Sonate kopiert und jetzt gerade auf das Ende der Expostion und dem ergreifenden Beginn der Durchführung mein Augenmerk gerichtet. Dabei fällt auf, dass der dramatische 9-taktige Schluß ursprünglich nur 5 Takte umfasste! Und auch der klagende cis-moll Beginn der Durchführung war zunächst anders in der linken Hand (Triolen nach dem Muster der Schlußgruppe):

    http://gerdprengel.de/Schubert_B-Sonate_12.jpg


    Hier auch noch der Anfang der Sonate in der ursprünglichen Skizze:

    http://gerdprengel.de/Schubert_B-Sonate_11.jpg


    Gerd

    "When I was deep in poverty, you taught me how to give" Bob Dylan

  • Ich möchte mich herzlich bedanken für diesen Thread! Ich kann es kaum glauben, aber ich habe dies Sonate bisher immer ohne Wiederholung der Exposition gehört (zumeist von Brendel) und mir war nie bewusst, dass dabei 9 Takte von Schubert unterschlagen wurden - und was für Takte!

    Lieber Gerd,


    finde ich auch! Der Satz soll ja nicht in Melodieseligkeit ersaufen und seine dramatischen Züge verlieren. Es gibt in Chopins Klaviersonate h-moll Nr. 3 eine ganz ähnliche knorrige Passage vor der Expositionswiederholung - auch die platzt ins Belcanto herein. Da fährt man auch erschreckt vom Stuhl auf! ^^

    Ich hatte mir vor Jahren mal einige Seiten der ersten Fassung dieser Sonate kopiert und jetzt gerade auf das Ende der Expostion und dem ergreifenden Beginn der Durchführung mein Augenmerk gerichtet. Dabei fällt auf, dass der dramatische 9-taktige Schluß ursprünglich nur 5 Takte umfasste! Und auch der klagende cis-moll Beginn der Durchführung war zunächst anders in der linken Hand (Triolen nach dem Muster der Schlußgruppe):

    Allein schon graphisch ist das unglaublich - er muss sehr schnell geschrieben haben, Musik so, wie man einen Brief schreibt. Die verschiedenen Fassungen sind natürlich interessant! Da müsste man sich in der Tat näher damit beschäftigen! :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Lieber Gerd, was die Wiederholung der Exposition im Kopfsatz der B-dur-Sonate betrifft, so ist die Sache doch deutlicher, als man annehmen könnte. Ich habe gerade diese GA der Sonaten in meine Datenbank eingetragen:

    und sie in einem guten Gesamtzustand mit einem älteren Cover zu einem gerade lächerlichen Preis von unter 16 € erstanden. die nächste neue GA ist für 43 € zu haben. Doch diese GA enthält Schubert gesamtes Klavierwerk für zwei Hände.

    Insgesamt, um auf meinen Eingangssatz zurückzukommen, habe ich nun 124 verschiedene Aufnahmen der B-dur-Sonate, und davon sind 37 ohne Wiederholung der Exposition im Kopfsatz und 87 mit Wiederholung derselben.

    Drei Pianisten haben die B-dur-Sonate fünfmal aufgenommen, die beiden Freunde Alfred Brendel und Paul Badura-Skoda und Swjatoslaw Richter. Einer hat sie fünfmal ohne Wiederholung aufgenommen, Brendel, und einer fünfmal mit Wiederholung, Richter, und Badura-Skoda hat sie viermal mit Wiederholung aufgenommen und einmal ohne, um, wie er sagte, seinen Zuhörern zu zeigen, wie die Sonate ohne die Wiederholung sich darstellte. Er war nämlich entschieden für die Wiederholung.

    Ich bin auch entschieden für die Wiederholung, und zwar aus einem ähnlichen Grund, wie mir Gerhard Oppitz einmal in einem längeren persönlichen Gesrpäch erläuterte, nämlich dass diese berühmten Takte 117a bis 125a ein derart dramatischer Höhepunkt seien und von Schubert sicherlich so gewollt, dass man sie nicht unter den Tisch fallen lassen sollte.

    Brendel war ja dezidiert anderer Meinung, und ich akzeptiere selbstverständlich seine Meinung. Ich habe in der gerade beendeten Saison die B-dur-Sonate dreimal live gehört, im September 2018 in Bonn von Sir Andras Schiff, im Juni dieses Jahres in Mülheim von Marc-André Hamelin und im Juli in Bochum von Igor Levit. Alle drei haben antürlich mit Wiederholung gespielt.

    Als Nächstes werde ich in diesem Thread die Aufnahme der Japanerin Nami Ejiri besprechen, ich bin aber im Moment noch im Hammerklavier-Sonaten-Thread (Beethoven) mit der Aufnahme von Yves Nat beschäftigt. Wegen der Hitzewelle habe ich eine Pause eingelegt.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960

    Nami Ejiri, Klavier

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    Instrument: Steinway

    AD: 10.-12. 1. 2014, Berlin

    Spielzeiten: 22:48 - 10:36 - 4:28 -7:49 --- 45:41 min.;


    Da ich Nami Ejiri hier auch zum ersten Male bespreche, möchte ich sie kurz vorstellen:


    Nami Ejiri wurde 1973 in der Präfektur Tokyo in Japan als Kind einer Pianistin geboren. Die umfangreiche klassische Plattensammlung ihres Großvaters und der Klavierunterricht bei Takahiro Sonoda, der als Pianist u.a. mit Herbert von Karajan und Sergiu Celibidache zusammengearbeitet hatte, weckten in ihr schon als Dreijährige die Liebe zur europäischen Musik.

    An der Toho Gakuen School of Music in Tokyo studierte sie Klavier bei Prof. Yoshimi Tamaki und durfte als beste Absolventin aller japanischen Hochschulen vor der Kaiserlichen Familie von Japan spielen.

    Reisen zu Konzerten und Wettbewerben führten Nami Ejiri regelmäßig nach Europa und seit 1998 lebt sie in Deutschland, dem Kulturraum, dessen Musik sie besonders liebt. Im gleichen Jahr nahm sie ihr Studium an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main bei Prof. Lev Natochenny auf und schloss dieses mit Auszeichnung ab.

    Seit 2006 hat die zweifache Mutter einen Lehrauftrag im Fach Klavier an der Musik Hochschule Frankfurt. Sie gibt Meisterkurse im In-und Ausland und ist darüber hinaus Jurymitglied bei verschiedenen Wettbewerben. Nami Ejiri ist Preisträgerin zahlreicher internationaler Klavierwettbewerbe. 2001gewann sie beim Wettbewerb Vianna da Motta, Portugal. Weitere Preise erhielt sie u.a. in Italien (Porrino, Pecar, Cantu, Casella), Österreich (Beethoven/Wien), Polen (Chopin/Warschau) und Japan (Tokyo International, Sonoda/Oita).

    Ihre Konzerte in der Alten Oper im Jahr 2009 und beim Kultursommer Nordhessen im Jahr 2012 wurden vom Hessischen Rundfunk (HR)übertragen.

    Weiteres kann man hier lesen: http://www.namiejiri.com/index.php/de/vita/vita-de


    Mami Ejiri wählt ein gemessenes Grundtempo, langsamer als die hier zum Vergleich herangezogenen Philippe Entremont und Marc André Hamelin. Außerdem spielt sie in einem veritablen Pianissimo und wählt auch die leichten dynamischen Bewegungen nicht so deutlich wie manche andere Pianistinnen oder Pianisten. Dennoch baut sie einen schönen Spannungsbogen auf, wie ich finde.

    Auch im dritten Thementeil der Verlängerung des Themas (Takt 20 bis 33) bleibt sie konstant bis zum Ende des Taktes 33 in dem tiefen Pianissimo, lässt dabei die langen Bögen wunderbarfließen und spielt dann in Takt 34/35 ein mitreißendes Crescendo, das sie gar nicht bis zum Fortissimo ausufern lassen muss, da sie ja aus dem tiefen Pianissimo kommt. Dieser Abschnitt gehört mit zum Exaktesten, was ich bisher an Interpretationen der B-dur-Sonate gehört habe, und er hat mich sehr stark berührt.

    Der vierte Teil des Themas mit dem Decrescendo und der anschließenden dynamischen Gegenbewegung schließt sich organisch an und endet in der Tat in einem Fortissimoakkord. Mit einem unglaublich ausdrucksvollen und dabei leisen Übergangstakt 48 in den Portatoachtel-Terzakkorden leitet sie ins fis-moll-Seitenthema über.

    Dieses introvertierte Klanggewebe, das sie nun aufbaut und in abermals gemessenem Tempo voranschreiten lässt, breitet sich, wie ich finde, ein faszinierender Klangzauber aus, der mich wieder an das alte Günter-Wand-Zitat denken lässt: "So- und nicht anders". Natürlich geht es auch anders, aber so ist es so schön!

    Und wie schön von selbst treten in der nun folgenden Achteltriolen-Sequenz (ab Takt 80 mit Auftakt) die moderaten dynamischen Bewegungen hervor, fließen den kurzen Achtelpausen mit ein (Takt 95 bis 97) und gleitet das Geschehen in die Schlussgruppe hinein.

    Im Gegensatz zu manch anderem nimmt sie jedoch hier die Achtel-Schlussakkorde in den Steigerungsfiguren in Takt 101, 103 und 105 ganz kurz, lässt sie nicht in die Pausen hinein schwingen, erzeugt so auch reizvolle temporale Kontraste.

    Und die Überleitung zu Wiederholung der Exposition, die sie selbstverständlich spielt, gehört mit zu den vehementesten die ich bisher gehört habe und hat nachvollziehbar seinen absoluten dynamischen Höhepunkt der ganzen Exposition eben in diesem ffz-Triller in Takt 124a.

    Ähnlich wie Valeriy Afanassjew führt auch sie die "komponierte Stille" der Pausenfermate in Takt 125 a

    sehr lang aus.

    Die Wiederholung der Exposition gerät m. E. ähnlich faszinierend wie die Exposition selber, sehr leise, aber absolut zielgerichtet mit einem faszinierenden Basstriller nahe dem ppp.

    Auch der dritte Teil mit der Variierung des Themas (Takt 20 bis 33) besticht ein weiteres Mal durch die genaue Ausführung des konstanten Pianissimo, in dem sie sich nicht durch die "innere Beschleunigung" zu einem verfrühten Crescendo hinreißen lässt. Und da reicht dann auch voll und ganz das Erreichen des Forte in Takt 35 auf der Vier, weil die Spannweite aus dem tiefen Pianissimo genauso groß ist, wie sie Schubert sich gedacht hat.

    Und auch die stärkeren dynamischen Bewegungen führt sie im vierten Thementeil, der Wiederholung des Themas mit überleitendem Decrescendo und anschließendem Crescendo genauso präzise aus wie zu Beginn.

    Dann führt sie wieder das latent melancholische fis-moll-Seitenthema ebenso berührend aus, wie sie es zuvor getan hat.

    Und durch das etwas langsamere Tempo kommt der klopfende tiefe Ton in jeder sich wiederholenden Sechzehntelfigur im Bass, wie ich finde, noch deutlicher und vor allem insistierender zur Geltung als bei "zu" schnellem Tempo, wo er als Teil einer großen virtuosen Bewegung kaum ins Gewicht fällt. Auch die letzte Sequenz des Seitenthemas, die Achteltriolen-Sequenz, ab Takt 80 mit Auftakt, erscheint mir in diesem von ihr vorgetragenen Tempo in Verbindung mit den sanften dynamischen Bewegungen mit der Anmut, die ihr innewohnt.

    Ein letztes Mal spielt sie die wunderbare Schlussgruppemit den gesteigerten dynamischen Kontrasten in der meist fließenden Bewegung. Auch sie begreift in der Wiederholung den ff-Takt 105 quasi als dynamische Spitze des Kopfsatzes.

    Was mir schon eher aufgefallen war, ist ihre sorgfältige Ausführung der Achtelpausen nach den Achtelnoten. Das kommt besonders deutlich im überleitenden Ritardando-Takt 117b, zur Durchführung hin, zum Tragen. Andere lassen die Achtel-Note auch ruhig mal über die Achtelpause hinweg schwingen.

    Sie gestaltet den ersten Teil der Durchführung im cis-Moll durchaus mit einer gewissen Schwere, was in ihrer gesamten Tempostruktur der melancholischen Stimmung durchaus angemessen ist, wie ich meine. Vor allem tritt dann die Aufhellung im zweiten, dem Achteltriolenteil, in einem stärkeren stimmungsmäßigen Kontrast hervor. Hier trägt sie auch den gestiegenen dynamischen Kontrasten Rechnung, vor allem in den nun ab Takt 135 folgenden Dynamikwechseln, Takt 137, in Takt 139 gedrängt usw., bis hin zu dem diesen Abschnitt beendenden Fortissimotakt 149, der dann in einem Abschwung mit den nun auftreten klopfenden Achteln trotz des Rückwechsels in B-dur auf den dynamischen Höhepunkt der Durchführung zuläuft. Diese klaren und insistierenden Achtel führt sie sehr prägnant aus. Die eigentliche Steigerung erlangt sie mit nur wenigen dynamischen Akzenten und spielt sie grandios in der steigenden dissonanten Wiederholung des Themas mit überleitendem Decrescendo und anschließendem Crescendo in der steigenden dissonanten Verdichtung aus.

    Auch in der anschließenden helleren Phrase mit den wechselnden Quint- und Sextakkorden behält sie diese etwas bedrückende Stimmung schön im Fokus, auch nach dem Oktavwechsel von Melodie und Begleitung, und lässt die bedrohlichen Basstriller ab Takt 186 fließend hinzutreten.

    Und erst nach dem dritten Anlauf kann sich das Thema, die Reprise schon im Blick in den nun langen Bögen im hohen Diskant und einer anschließenden wunderbaren Achtelabwärtsbewegung, durchsetzen, und die nun im Übergang im tiefen ppp befindlichen beiden Basstriller haben nun nichts Bedrohliches mehr an sich, auch und gerade nicht in der Interpretation Nami Ejiris.

    Wie aus einer höheren Sphäre lautlos herabgeschwebt, setzt nun die Reprise in Ejiris betörendem Spiel ein. Sie betont das überaus lyrische dieses wunderbaren Gesangs, dem jede Hast und Eile fremd ist.

    Wieder berührt mich ihr untrügliches Tempo- und Dynamikgefühl und lässt m. E. in der Gestaltung dieses dritten und vierten Thementeils keine Fragen offen, und der Hörer kann sich ganz an dem Ausdruck erfreuen.

    Auch das überaus lyrische Seitenthema, obzwar in fis-moll, lässt sie in dem gemessenen Tempo wieder auf das Ergreifendste singen. Wie wunderbar sind auch die Oktavierungen in den Oktavgängen des Diskant (ab Takt 289 mit Auftakt), dem sie wieder ab Takt 298 die sehr anrührende Achtel-Triolen-Sequenz folgen lässt, samt der Schlussgruppe, die sie wieder dynamisch sehr stark kontrastiert, und die wundersame Coda, mit der sie eine absolut meisterliche Leistung zum Abschluss bringt.


    Das Andante schließt sie in ebenfalls ruhigem schreitenden Tempo an, geringfügig schneller als Philipp Entremont und noch einmal gut 20 Sekunden langsamer als Marc André Hamelin. Auch hier ist wieder die präzise Gestaltung der Pausen, auch der Sechzehntelpausen in der tiefen Begleitfigur von Anfang an zu bewundern.

    Sehr schön ist ihre erste Steigerung (ab Takt 10 mit Auftakt), die noch Luft nach oben lässt, und sehr berührend die erste Durauflösung (Takt 14 bis 17). Dem schließt sie die zweite Steigerung an, kaum merklicher höherer Dynamik-Level und die anschließende wunderbare dynamische Gegenbewegung im zweifach ansetzenden Decrescendo (ab Takt 29 und ab Takt 34).

    Dafür umso deutlicher ihr weiterer Abstieg zum Piano Pianissimo in (Takt 37/38), hin zum Einsatz des wunderbaren choralartigen Seitensatzes bzw. Mittelteils.

    Dieser himmlische Hymnus ruft mir in ihrer Lesart sofort Schauer auf den Rücken, die gleiche Sorgfalt in Tempo- und Dynamikgestaltung wie in den entsprechenden Stellen in der Exposition des Hauptsatzes, die gleiche Ruhe und die gleiche exzellente Ausdrucksstärke.

    Da spürt man, wie sie nicht nur den Bogen weiter spannt vom melancholischen Hauptthema zum erfüllenden Seitenthema, sondern auch con Kopfsatz weiter über diesen quasi Mittelpunkt der ganzen Sonate.

    Auch die nächste Sequenz, Verlagerung des Themas um eine Oktave in den Diskant, atmet Ruhe, lotet gleichsam die musikalische Tiefe aus und verlängert den bei aller Ruhe unverändert vorhandenen Spannungsbogen, auch im Rücktausch der Oktaven ab Takt 59, der dann in den moderaten dynamischen Höhepunkt dieses Mittelteils führt, wo sie in der Tat auch in Takt 72 auf der Eins das Forte erreicht. Gleichzeitig bleibt der ruhige Schreitrhythmus im Bass erhalten, und in der letzten Sequenz fließt sie organisch in den neuerlichen Oktaventausch hinein, die nach kurzer moderater Steigerung in Takt 78 mit Auftakt ein betörendes Decrescendo zeitigt, das sie in den letzten beiden Takten auch in ein Diminuendo verwandelt.

    Als quasi Übergang setzt auch sie einen langen Generalpausen Takt wie Afanassjew.

    Dem schließt sie die Wiederholung des melancholischen Hauptthemas an, in dem die rhythmische Erweiterung der klopfenden Sechzehntel im Bass in ihrem moderaten Tempo auch zur Steigerung des unveränderbaren Voranschreitens der schicksalsträchtigen Musik wesentlich beiträgt. Hier intensiviert sie auch, wie viele andere Pianisten, die dynamische Steigerung (hier ab Takt 98).

    Sehr berührend gestaltet sie wieder die Durauflösung (Takt 103 bis 106). Auch die letzte Steigerung (ab Takt 114) spielt sie wieder deutlich, aber nicht noch dynamischer als vorher und schließt dann das Decrescendo zur Coda hin an.

    Und die Coda, die langsam in einem tiefen ppp ins Morendo versinkt, spielt sie atemberaubend.

    Ein überragend gespielter Satz!


    m Scherzo ist sie etwas langsamer als Entremont und deutlich langsamer als Hamelin. Dennoch kommt mir dieses Tempo durchaus passend vor, Rhythmus und dynamische Verläufe sind m. E. durchaus stimmig. Auch hier gefällt mir wieder ausnehmend, dass sie die dynamische Spannweite wiederum vom unteren Ende her denkt und diese "delicatezza" wirklich über das ganze Scherzo beibehält.

    Deutlich moderater im Tempo und mit geheimnisvoll synkopiertem Charakter der Sforzando-Piani spielt sie das Trio, wiederum ein großer Kontrast zum leichtfüßigen Scherzo.

    Natürlich schließt sie das Scherzo da capo ed infine la Coda an- Ein Genuss, dieses Scherzo zu hören!


    Im Finale ist sie etwas schneller als die zeitgleichen Hamelin und Entremont. Hier spielt sie den expositionsartigen ersten Themenauftritt dieses sowohl rondoähnlichen Satzes als auch strukturell eines Sonatensatzes in munterem Fluss, rhythmisch elegant und mit fließenden dynamischen Bewegungen, auch hier nicht überbordend.

    Im ersten Seitensatzauftritt (hier ab Takt 85) behält sie den hier mehr legato geprägten Fluss bei, dabei in vorzüglicher Manier die synkopierenden Achtel im Bass einzustreuen.

    Hier hält sie ähnlich wie Afanassjew die beiden Generalpausentakte 154/155 lange an.

    Den ersten durchführenden Abschnitt (hier ab Takt 156) spielt sie durchaus dynamisch hochstehend und erzeugt so einen veritablen dynamischen Kontrast zum lyrisch leisen Seitenthema, jedenfalls im ersten Abschnitt bis zum Decrescendo in Takt 184.

    Im zweiten, lyrischen Abschnitt mit den durchlaufenden Achteltriolen (ab Takt 185 bis Takt 223) spielt sie wieder im luftig-leichten Spiel wie zu Beginn.

    Dann im zweiten Themenauftritt mit vermeintlich reprisenhaften Beginn spielt sie dann wieder dynamisch hochstehender den hier durchführungshaftigen Abschnitt, und da langt sie durchaus zu.

    Auch die häufigen Dynamikwechsel ab Takt 268 mit Auftakt gelingen ihr vorzüglich, ebenso in den Sechzehntel-Tonleitern ab Takt 292 mit den kontrastierenden Oktavgängen im Bass, die sie mit einem berührenden Decrescendo abschließt, hin zum nächsten Themenauftritt (ab Takt 312) und dem Seitenthema (ab Takt 360). Auch hier "schließt sie wieder ab" mit zwei langen Generalpausentakten (hier Takt 428/29).

    Ein letztes Mal folgt der zweigeteilte Durchführungsabschnitt, zuerst dramatisch/non legato, dann (hier ab Takt 459) wieder lyrisch fließend, bevor ein letztes Mal das Thema, hier nur konzentriert auf den Beginn, mit dem wie eh und je ruhig ausschwingenden G-Akkord eingeleitet wird. Auch sie spielt diesen in den Wiederholungen (zuletzt Takt 505/503) zunehmend leiser.

    Dann schließt sie mit einer begeisternden Presto eine wirklich grandiose Interpretation ab.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Es kommen noch einige Entdeckungen, lieber Holger, jedoch mit Eduard Erdmann als Nächstem einer der Altvorderen.


    Dir auch eine gute Nacht


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Hallo Willi,


    Eine so ausführliche Besprechung einer einzigen Aufnahme zu machen - und allein schon zu schreiben - ist ja schon eine fast unmenschliche Arbeit! Und dazu noch die zahlreichen täglichen Erinnerungen an Verstorbene und Geburtstag-Glückwünsche an lebende Musiker!! Wann machst Du das bloß alles, lieber Willi?? Du besuchst ja auch noch Konzerte und hast Auftritte mit dem Chor! Dein Pensum und Dein Engagement für die Musik ist wirklich bewundernswert! Ich muß schon zusehen, daß ich Zeit finde - meist nachts, um Deine Berichte in Ruhe zu lesen, was jedes Mal wieder spannend ist. NAMI EJIRI kommt ja bei Deiner Besprechung noch besser weg als so mancher berühmte Name! So werde ich mich auch mit dieser Pianistin einmal genauer beschäftigen müssen. Ich hörte sie schon einmal kurz mit CHOPIN und SCHUBERT's Impromptu op. 90 Nr 3, und dabei fällt mir schon einmal ihr unglaublich gefühlvolles, introvertiertes Spiel auf. Eine tolle Persönlichkeit!


    Deinen Bericht werde ich etwas später genau studieren.


    Viele Grüße, und mein ganz großes Kompliment zu Deiner Leistung!

    wok


    PS Vielleicht kommst Du ja auch irgend wann auch einmal zu der Besprechung von FRIEDRICH WÜHRER's Einspielung! Aber der Buchstabe "W" kommt bekanntlich ganz am Schluß!

  • Ich hörte sie schon einmal kurz mit CHOPIN und SCHUBERT's Impromptu op. 90 Nr 3, und dabei fällt mir schon einmal ihr unglaublich gefühlvolles, introvertiertes Spiel auf.

    Ja. lieber Wok. Das ist mir beim Reinhören auch aufgefallen. Das geht in Richtung Ushidas empfindsamem Spiel - nur noch ein bisschen weiter. :)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Danke, liebe Willi, ich habe diese Aufnahme auch in allerbester Erinnerung und möchte sie jetzt gleich wiederhören! Viele Grüße, Christian

  • Nun zu einer ganz anderen Aufnahme, die 64 Jahre eher entstand:


    Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960

    Eduard Erdmann, Klavier

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    Instrument: Steinway

    AD. 18. 4. 1950

    Spieldauer: 12:11 (16:40) - 8:00 - 3:55 - 6:50 --- 30:56 (35:25) mit virtueller Wiederholung der Exposition


    Auch Eduard Erdmann ist in meinen Beethoventhreads nicht vertreten, daher möchte ich auch einen Teil seiner Biografie hier einstellen:


    Eduard Erdmann, * 17. 3. 1896 - 21. 6. 1958, war ein deutsch-baltischer Pianist und Komponist.

    Der Großneffe des Philosophen Johann Eduard Erdmann absolvierte in Riga eine Klavierausbildung bei Bror Möllersten und Jean du Chastain und musiktheoretischen Unterricht bei Harald Creutzburg. 1914 übersiedelte er nach Berlin, wo er bis 1918 Klavier bei Conrad Ansorge und Komposition bei Heinz Tiessen studierte.

    In den 1920er Jahren war Erdmann Jurymitglied bei den Donaueschinger Kammermusiktagen für zeitgenössische Tonkunst. 1926 war er der Solist des Eröffnungskonzerts der Bauhauskonzerte in Dessau. 1925 bis 1935 unterrichtete er Klavier an der Hochschule für Musik Köln. Nachdem er aus Protest gegen Repressalien der Nationalsozialisten gegen jüdische Kollegen von seinem Amt zurückgetreten war, wurde über seine Werke ein Aufführungsverbot verhängt. Danach trat Erdmann am 1. Mai 1937 in die NSDAP (Partei-Nummer 4.424.050) ein[1] und wirkte nur noch als Pianist. In der Endphase des Zweiten Weltkriegs wurde er im August 1944 in die von Adolf Hitler genehmigte Gottbegnadeten-Liste der wichtigsten Pianisten aufgenommen, was ihn vor einem Kriegseinsatz bewahrte.

    Weiteres kann man hier lesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Eduard_Erdmann


    Eduard Erdmann ist in seiner Tempowahl geradezu der Gegenentwurf zu der zuletzt gehörten Nami Ejiri oder auch dem Russen Valery Afanassjew, mit dem ich diesen Thread eröffnet habe. Mit 12:11 min. ist er mehrere Minuten schneller als die Japanerin, wobei man natürlich berücksichtigen muss, dass er die Exposition nicht wiederholt.

    Das klingt von Anfang an m. E. nicht "molto moderato", wenngleich es sich im 1. und 2. Thementeil (Takt 1 bis 8 und Takt 10 mit Auftakt bis 18) noch nicht so bemerkbar macht, da sein Ausdruck ansonsten exzellent ist.

    Aber im 3. Takt (Takt 20 mit Auftakt bis 33) wird es noch deutlicher, als die innere Beschleunigung durch die Steigerung der kurzen Notenwerte (ab Takt 29 nur noch Sechzehnteln in Diskant und Bass) greift und so allmählich doch ein etwas gehetzter Ausdruck aufkommt. Aber das muss er aufgrund des anfänglichen hohen Tempos so spielen, was allerdings auch den Eindruck einer puren Virtuosität hervorruft.

    Dynamisch tritt natürlich die große Steigerung ab Takt 34 grandios hervor.

    Wo es allerdings besonders sinnfällig wird, ist das fis-moll-Seitenthema, das bei fast alle an anderen Pianisten von seinem ruhigen Fluss lebt und daher seinen tiefen musikalischen Ausdruck bezieht.

    Da klingt Erdmanns Lesart doch arg verhetzt, wie ich finde, obwohl durch seine hochstehende Technik die ab Takt 59 bis 78 durchlaufenden Sechzehntelfiguren in der Begleitung trotz des hohen Tempos sehr differenziert zu vernehmen sind.

    Im letzten Abschnitt mit den wunderbaren Achteltriolen ist dieser Eindruck auch noch latent vorhanden, ab er nicht mehr so stark, und die rhythmische Darstellung der wechselseitig legato und staccato gespielten Triolen ist natürlich über jeden Zweifel erhaben, sehr gut auch seine Ausführung der Pausenverhalte ab Takt 94 bis 97.

    Nach 4:03 min. ist die Exposition vorüber, und der erste Takt, der mich restlos zufriedenstellt, ist der Ritardandotakt 117b zur Überleitung in die Durchführung.

    Im Vergleich zur Exposition kommt mir die Durchführung temporal viel richtiger vor, und auch die sich nach der melancholischen ersten Sequenz (Takt 118b mit Auftakt bis Takt130) anschließende Achteltriolensequenz (Takt 131 bis Takt 148) ist im Tempo m. E. richtiger).

    Und die 3. Sequenz, der eigentliche dramatische Höhepunkt, mit den zunehmend dissonanten Verdichtung der Achtel in Diskant ab Takt 160, ist exzellent musiziert, ebenso wie der nächste

    Abschnitt im Piano mit den wechselnden Achtel-Quint- und Sextakkorden im Bass und dann im Diskant (ab Takt 173), ab Takt 186 unterstützt durch die im Übrigen von Erdmann hervorragend ausgeführten Basstriller.

    Sehr schön führt er auch die sich nun zunehmend aufhellenden lyrischen Bögen, obwohl die bedrohlichen klopfenden Achtelakkorde dem immer noch gegenüberstehen. Bis hin zum abschließenden, zur Reprise überleitenden lang absteigenden Achtelbogen führt er das hervorragend aus.

    Die Reprise führt er ähnlich aus wie die Exposition, in den ersten beiden Thementeilen im Tempo noch tolerabel, dann aber im letzten Thementeil mit der inneren Beschleunigung auch zu viel äußere Beschleunigung. Da fällt dann das Crescendo im Überschwang (hier ab Takt 253) besonders deutlich aus. Die Tempoanmerkungen gelten natürlich leider auch wieder für das Seitenthema. wo ein ruhiges Atmen der Musik m. E. gar nicht zustande kommt. Was ich in der Besprechung der Expostion noch auszuführen vergaß, ist die Tatsache, dass er dann in Schlussgruppe das Tempo wieder deutlich zurücknimmt, was bei ihm besonders auffällt.

    Die kurze Coda kann dann zum Schluss wieder für sich einnehmen.

    Damit der geneigte Leser sich selbst einen Eindruck verschaffen kann, kann ich in diesem Falle ein YT-Video von diesem Satz einstellen:



    Im Andante ist Eduard Feuermann ebenfalls viel schneller unterwegs als Nami Ejiri, allerdings ist das hier nicht als zu schnell zu bezeichnen.

    Er spielt das Thema traurig, aber nicht schicksalsschwer, wie ich finde. Er spielt hier in den pp-Passagen introviertiert und gelangt in der ersten Durauflösung (Takt 14 bis 17) zu einem tiefen musikalischen Ausdruck und fährt n ach dieser Stelle, geht aber, ähnlich wie in der ersten Steigerung (ab Takt 9), so auch in der zweiten (ab Takt 27 mit Auftakt) weit in den Fortebereich und entwirft hier einen veritablen dynamischen Kontrast.

    Nach dem letzten Decrescendo in dieser Sequenz befindet er sich ein einem tiefen Piano-Pianissimo. Hier erreicht er wieder einen sehr berührenden Ausdruck.

    Im wunderbaren choralartigen Mittelteil bleibt er im ersten Thementeil sowohl dynamisch als auch temporal zurückhaltend. Doch auch in der Oktavierung (ab Takt 51) bleibt er dieser Linie treu.

    In der Rückkehr mit dem Thema in die tiefe Oktave bleibt er, auch im Crescendoteil (ab Takt 71) in diesem klugen Rahmen. So spielt er auch den letzten Abschnitt mit einem Diminuendo in Takt 88 und schließt dann einen, gemessen am Gesamttempo der Sonate, sehr langen Generalpausentakt 89 an.

    In der Rückkehr zum Originalthema spielt er zwar die dramatische Verdichtung mit den klopfenden Sechzehnteln im Bass sehr leise, aber dennoch gut vernehmbar, was eine faszinierende Wirkung ausübt, wie ich finde. Wiederum kontrastiert er dies durch eine abermals faszinierende Steigerung, gipfelnd in einem satten Forte. Un der stimmungsmäßige Kontrast in der zweiten Durauflösung (Takt 103 bis 106) folgt auf dem Fuße- grandios! Ebenso gerät die letzte Steigerung (ab Takt 115).

    Die wundersame Coda in einem hauchzarten Piani pianissimo ist dann m. E. von einem anderen Stern. Ebenso erscheint mir der ganze Satz im Vergleich zum doch eher fragwürdigen Kopfsatz!


    Im Scherzo wählt Eduard Feuermann ein eher normales Tempo, und hier sind dynamisch und rhythmisch keinerlei Einwände zu machen. Auch das rhythmisch etwas heikle Trio mit den synkopierenden Forzando-Piani spielt er ohne Fehl und Tadel, wobei er auch hier auf die dynamischen Unterschiede sorgsam achtet.

    Dann schließt er das Scherzo da capo an und schließt mit der dreitaktigen Kurzcoda.


    Im Finale haben wir wieder ein ähnliches Problem wie im Kopfsatz: auch hier überzeichnet er m. e. das Tempo mit lediglich 6:50 min.

    Dynamisch ist das wiederum, zumindest im Expositionsabschnitt, in Ordnung.

    Im ersten durchführungsartigen Abschnitt, lässt er dynamisch die Fetzen fliegen, und wie schon vorher das eine oder andere Mal, vernehme ich, vor allem in den dichten fünfstimmigen Akkorden, falsche Töne. Möglicherweise ist das dem Umstand geschuldet, dass der WDR diese Aufnahme "quasi live" im Antiquariat der Bücherstube am Dom aufzeichnete und Feuermann sich nicht scheute, mit höchstem Risiko zu spielen. Das ist ihm sehr hoch anzurechnen und schmälert die Qualität des Gebotenen keineswegs.

    Dynamisch führt er den Bogen o, Decrescendo in Takt 184 fein zurück ins Pianissimo, das den zweiten, lyrischen Abschnitt dieser Durchführungssequenz bildet. Diese Kette mit den kurzen Bögen gefällt mir im Finale bisher am besten. Der zweite Durchführungsabschnitt, wie ein Reprise beginnend, sich aber dann zum dramatischen Höhepunkt dieses sowohl rondoähnlichen wie sonatensatzähnlichen Finales entwickelnd, spielt er mit Verve voran, dabei auch die raschen Dynamikwechsel (Takt 268 mit Auftakt bis 281) sorgfältig beachtend. Auch die Sequenz mit den Sechzehntel-Tonleitern (ab Takt 292) gefällt mir gut einschließlich des Decrescendo hin zum wirklichen Reprisenabsatz (ab Takt 312) und Seitensatz (ab Takt 360).

    Den letzten durchführungsartigen Absatz (ab Takt 430) spielt er dann wieder mit höchstem Einsatz und setzt abermals einen sehr gelungenen lyrischen Kontrast ( Takt 459 bis 490) dagegen.

    Ein letztes Mal lässt er den G-Akkord des Themas erklingen, den er stets schnell abschwellen lässt.

    Mit einem rasanten Presto beendet er diesen Satz.

    In dieser Interpretation haben mir die Binnensätze wesentlich besser gefallen als die Ecksätze, wie ich hoffentlich hinlänglich ausgeführt habe.


    Liebe Grüße


    Willi:thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Lieber Willi,


    mir war gar nicht bewusst, dass er mit dem Philosophen verwandt ist. Hast Du mal was die Tempogestaltung des Kopfsatzes Erdmann mit Annie Fischer verglichen? Die ist auch flott unterwegs, fasst den Satu offenbar als Allegro molto moderato auf.


    Liebe Grüße

    Holger

  • Lieber Holger,


    Annie Fischer ist demnächst auch an der Reihe, nach Christoph Eschenbach, Vladimir Feltsmann und Sergio Fiorentino, wenn ich keinen vergessen habe. Aber ich habe mal nachgeschaut, Annie Fischer ist im Kopfsatz eine dreiviertel Minute langsamer als Eduard Feuermann. Worauf es mir ja auch besonders ankam, war nicht allein das höhere Tempo im Ganzen, sondern in dieser Aufnahme speziell das m. E. zu hohe Tempo mit Seitensatz. Da wirkte sich das noch viel stärker aus als im Ganzen. Und die meisten Pianisten spielten diesen Seitensatz nicht nur viel ruhiger als Feuermann, sondern auch ruhiger als das Hauptthema.

    Wie dem auch sei, wir werden sehen, was noch kommt. Und es kommt noch Einiges.


    Vorher bespreche ich allerdings noch im Hammerklaviersonatenthread einen Piasnisten, der die Sonate mit 34 Jahren aufgenommen hat. Wusstest du eigentlich, dass er die Sonate auch 2009 in Paris im Salle Pleyel gespielt hat und davon ein Tondokument bei Youtube existiert? Ich habe da schon reingehört, da geht er flotter zu Werke als seinerzeit bei der Aufnahme.


    Liebe Grüße


    Willi:)

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  • Ich habe gerade diese Trouvaille vom Marketplace erhalten (2,79 + Porto):

    MI0001073782.jpg?partner=allrovi.com

    und prompt den Kopfsatz nachgehört, zumal Foldes auch ziemlich flott unterwegs ist (18'18) für den Kopfsatz, aber das ist temporal viel ausgewogener als bei Erdmann, wie ich finde, und pianistisch werfen ja die Interpretationen Foldes' eh keine Fragen auf. Er wird dann in den Rezensionen nach Annie Fischer, Leon Fleisher und vor Claude Frank an die Reihe kommen. Zum Vergleich werde ich dann aber auch noch Eduard Erdmann heranziehen.


    Liebe Grüße


    Willi:)

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  • Du hast natürlich Recht, lieber Holger, wenn man auch sagen muss, dass im Moment viel "Feuer" auf der "Erde" ist, leider, ob in Sibirien, auf Gran Canaria oder in Brasilien.

    Ich werde mich nunmal Pollini widmen.


    Liebe Grüße


    Willi:)

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  • Lieber Holger,


    vielen Dank für den Hinweis auf deine neue Kolumne, in der ich auch mal öfters vorbeischauen werde. Heute möchte ich mich hier aus einem anderen Grunde melden.

    Ich hatte gerade gestern begonnen, die Aufnahme Christoph Eschenbachs aus dem Jahre 2012 zu besprechen, die in dieser Doppel-CD enthalten ist:

    als ich heute diese höchst interessante Box erhielt:

    Sie enthält folgende "Early Recordings":

    CD 1: Beethoven KK Nr. 3 (1971) mit der London Symphony unter Hans Werner Henze und KK Nr. 5 (1973) mit der Boston Symphony unter Seiji Ozawa;

    CD 2: Beethoven, Sonate Nr. 39 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate" (1970)

    CD 3: Chopin, Préludes op. 28 (1971), Schumann, Kinderszenen op. 15 (1966),

    CD 4: Schubert, Sonate Nr. 20 A-dur D.959 (1973)

    CD 5: Schubert, Sonate Nr. 21 B-dur D.960 (1974)

    CD 6: Henze, KK Nr. 2 (1970) mit der London Symphony unter Hans Werner Henze


    Ich werde also jetzt folgendes tun, da ich bisher nur die biografischen Teile der Besprechung der o. a. Aufnahme erledigt habe:

    ich stelle diese Besprechung erst zurück und ziehe die 1974er Aufnahme vor, weil es interessant ist, die Entwicklung in der Werkauffassung in einer Zeitspanne von 38 Jahren festzustellen, soweit mir dies möglich ist.

    Wenn ich die beiden Aufnanhmen besprochen und verglichen habe, werde ich die ebenfalls in dieser Box befindliche Aufnahme der Hammerklaviersonate besprechen. Ich werde also in den nächsten ein bis zwei Wochen mich nur mit Eschenbach beschäftigen, den ich live noch nie als Pianist erlebt habe, aber dafür etliche Male als Dirigent, den ich aber in beiden Tätigkeiten sehr schätze.. Ich will zusehen, dass ich die drei Besprechungen bis zu meiner Sachsen-Reise (Leipzig-Dresden-Leipzig) fertig habe.


    Liebe Grüße


    Willi:)

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    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Hallo Willi,


    Das ist aber eine sehr gute Nachricht! CHRISTOPH ESCHENBACH interessiert mich vor allem als Pianist, weil ich diesen bereits in jungen Jahren 1963 in Würzburg mit einem Recital zum ersten Mal hörte und kennenlernte und seitdem seine Karriere verfolge und natürlich sehr bedauere, daß er seit Jahren nur noch gelegentlich als Pianist auftritt. Ich schätze ihn ganz besonders als MOZART-Spieler und bin etwas erstaunt, daß dieser als solcher von Dir gar nicht erwähnt wird. Besonders seine Einspielung der MOZART-Sonaten KV 330 und 331, sowie der Rondos KV 485 und 511 ist für mich exemplarisch. Ich widmete ihm und seiner Pianistenkarriere ja sogar am 10.10.2016 einen Thread!


    Ich warte natürlich gespannt auf Deine Besprechung der angekündigten Werke.


    Viele Grüße

    wok.

  • Neu eröffnet meine Kolumne (mit einer Einleitung und Beiträgen zu Artur Schnabel und Wilhelm Kempff):


    Franz Schubert: Romantiker, klassischer Romantiker? Interpretationswege am Beispiel der Klaviersonate B-Dur D 960

    Wieso gibt es denn jetzt zu dieser Sonata zwei threads? Das finde ich nicht gut, könnte Ihr das nicht bitte zusammenlegen, bzw. warum stellst Du, lieber Holger, Deine Besprechungen denn nicht bereits in dem vorhandenen thread ein??? Das wäre für Mitleser und gelegentliche Mitschreiber viel einfacher.


    Viele Grüße

    Christian

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