6. Konzert des Gürzenichorchesters in der Kölner Philharmonie am 6. 2. 2018

  • Bericht zum 6. Sinfoniekonzert des Gürzenich-Orchesters 2017/2018 am 6. 2. 2018 in der Kölner Philharmonie
    Benjamin Grosvenor, Klavier
    Gürzenichorchester
    Francois-Xavier Roth

    Es war dies das zweite Konzert meines Roth-Dienstags-ABOs. Ein Konzert mit prächtigen Klangfarben und einem musikalischen Formenreichtum war es gestern Abend allemal..
    Der Form-Gedanke stand besonders im ersten Stück des Abends, dem "Livre pour cordes", 1968, (Buch für Streicher) des vor zwei Jahren gestorbenen französischen Komponisten und Dirigenten Pierre Boulez im Vordergrund, ein Stück, das wie ein Buch aufgebaut sein sollte, wozu er durch einen Gedichtzyklus von Stéphane Mallarmé animiert wurde, Mallarmé, den ich früher im Französisch-Unterricht mal kennengelernt hatte.
    In die musikalische Form musste ich mich erst mal einfinden, und das funktioniert nur, wenn man wie ich nicht so in der modernen Musik zu Hause ist, indem man sich darauf einlässt. Es ist dies keine Musik im traditionellen Sinne mit Hauptthemen, Seitenthemen, Exposition, Durchführung, Reprise und Coda und verschiedenen Satzformen wie dem Sonatensatz, einem Scherzo oder Rondo, sondern hier werden kleinste klangliche Formen aneinandergereiht, kontrastiert, in verschiedene Abschnitte geteilt, eine serielle Musik, in der Töne mit all ihren Eigenschaften wie Tonhöhe, Dauer, Dynamik, Rhythmus etc. nach neuen Regeln geordnet werden. Diese serielle Musik ist eine Weiterentwicklung der Zwölftonmusik von Arnold Schönberg. Auch Anton Webern zählt zu den Vorvätern dieser Musik.
    Das "Livre pour cordes" besteht aus zwei Abschnitten (oder Sätzen) unterschiedlicher Prägung. Während aus einer Ruhe heraus im ersten Abschnitt die verschiedenen Mitglieder der Streicherfamilie verschieden Tonformen in Rhythmus, Klangfarben und musikalischer Dichte gegenüberstellen, herrscht im zweiten Abschnitt Bewegung vor. Er ist also schneller, die einzelnen Formen erhalten mehr Eigendynamik und müssen von daher in ein Form zurückgezwungen werden, bevor sie "sich selbständig machen".
    Unter dem Aspekt, wie das ganze 11minütige Stück in eine erkennbare Form gebracht wurde, die man als Laie nur schwerbeschreiben kann, hat meiner Ansicht nach das Orchester durch die sachkundige Leitung des Gürzenichkapellmeisters Francois Xavier Roth seine Aufgabe bravourös gemeistert. Das Klangbild war jederzeit äußerst transparent.


    An dieser Stelle sei noch unbedingt bemerkt, dass der ganze Abend und das Programm zumindest unter einem besonderen Aspekt stand, und ich glaube, nicht zufällig , und das war der Buchstabe "B".
    Die drei Komponisten des Abends hießen Pierre Boulez, Ludwig van Beethoven und Bela Bartok, und das zweite Stück des Abends, insofern hatte der Abend doch etwas Traditionelles, nach einer Art Ouvertüre (s. o.), das Klavierkonzert Nr. 2 B-dur op. 19 von Beethoven, mit Benjamin Grosvenor

    am Steinway-Flügel an der zweiten Stelle und nach der Pause das Konzert für Orchester Sz 116 von Bela Bartok.
    Grosvenor hätte ich eigentlich schon im letzten Juni erleben sollen, war aber nach meiner Herzerkrankung noch in der Reha-Phase.
    Gestern Abend nun erfuhr ich, was ich da verpasst hatte. Den er entpuppte sich als hochveranlagter 25jähriger Jungspund, der allerdings, wenn er nicht gerade am Klavier saß, einen schüchternen und zurückhaltenden Eindruck machte. Wenn meine Gesundheit weiter mitmacht, werde ich ihn sicherlich noch öfter erleben. Er spielte das in der Entstehungszeit eigentliche erste Klavierkonzert Beethovens mit einem großartigen Anschlag und harmonierte hervorragend mit Orchester und Dirigent, und wenn mich mein Gedächtnis nicht im Stich gelassen hat, spielte er im Kopfsatz die Kadenz, die Beethoven 1809 (für Erzherzog Rudolph) hinzugefügt hat.
    Ich habe das Werk tatsächlich zum ersten Mal live im Konzertsaal erlebt. Mit großem Genuss habe ich wieder das beeindruckende Adagio gehört.


    Nach der Pause erklang dann Bela Bartoks "Konzert für Orchester Sz 116". Schon in der Vorsaison hatte ich in Köln Bartoks Violinkonzerte Nr. 1 und 2 gehört. Das gestrige Konzert indessen hat mir am besten gefallen. Ich kenne es noch zu wenig, als dass ich viel darüber schreiben könnte. aber in der Wiedergabe des beinahe 90köpfigen Gürzenich-Orchesters wurde es erwartungsgemäß zum absoluten Höhepunkt des Abends. Bartoks Konzert besticht durch eine große Formenvielfalt, reiche Klangfarben und einen rassigen ungarischen Rhythmus ist hochdynamisch und von großer musikalischer Tiefe. Wenn man dann bedenkt, in welcher schlechten gesundheitlichen Verfassung Bartok dieses grandiose Werk in seinen letzten Lebensjahren (Bartok lebte damals schon 3 Jahre im amerikanischen Exil)innerhalb von nur 6 Wochen komponierte, fühlt man sich unwillkürlich an Franz Schubert erinnert, der in einer ähnlich schlechten gesundheitlichen Verfassung auch kurz vor seinem Tod noch seine drei letzten drei Klaviersonaten in einer ähnlich kurzen Zeit komponierte.
    Das Gürzenichorchester spielte dieses großartige Werk auf einem adäquaten Niveau und wurde mit entsprechendem Beifall belohnt.
    Am Schluss kam aber doch noch etwas Wehmut auf, denn der langjährige Solobratschist, der Franke Bernhard Oll,

    der in dieser Funktion dem Gürzenichorchester seit nahezu 40 Jahren angehört, wurde in Köln verabschiedet. Es war dies sein letztes Konzert in Köln, er macht noch eine Spanientournee mit, dann geht er in den wohlverdienten Ruhestand.
    Das nächste Konzert in diesem Dienstagsabo am 17. April kann ich nicht wahrnehmen, weil ich dann in Urlaub bin. Ich bin aber gerne bereit, einem Tamino, der Interesse an dem Konzert hat, meine Karte zu überlassen (natürlich unentgeltlich). Kirill Gerstein spielt Schönbergs KK op. 42 und Busonis Romanza e Scherzoso für Klavier und Orchester, dazu gibt es Mendelssohns 1. Streichersinfonie und seine 4. Sinfonie a-dur op. 90 "Italienische".


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Bartoks Konzert besticht durch eine große Formenvielfalt, reiche Klangfarben und einen rassigen ungarischen Rhythmus ist hochdynamisch und von großer musikalischer Tiefe.

    Das ist ein wunderbares Konzert, lieber Willi! Herzlichen Dank wieder einmal für Deinen lebendigen Bericht! Wegen meiner Arbeitszeiten kann ich solche schönen Konzertreisen-Abenteuer leider nicht machen! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger