Konzert des London Symphony Orchestra in der Kölner Philharmonie am 23. 5. 2018

  • Bericht zum Konzert der London Symphony am 23. 5. 2018 in der Kölner Philharmonie:
    Jan Lisiecki, Klavier
    Michael Tilson Thomas, Dirigent,


    Programm:


    Hector Berlioz, Le Carneval romain, ouverture caractéristique op. 9 (1843-44) (ca. 9 Minuten)
    Ludwig van Beethoven, Klavierkonzert Nr. 3 c-moll op. 37 (ca. 37 Minuten)
    Jean Sibelius, Sinfonie Nr. 6 d-moll op. 104 (ca. 27 Minuten)
    Jean Sibelius, Sinfonie Nr. 7 C-dur op. 105 (ca. 22 Minuten)


    Nun war es also die London Symphony, ein Mitglied aus der Champions League der großen Orchester, deren ich in dieser Saison ja schon einige erleben durfte, wie zuletzt das Orchestre de Paris und die Münchner Philharmoniker.
    Im ersten Programmpunkt, der Ouvertüre "Römischer Karneval" von Hector Berlioz, die dieser mit Themen aus seiner Oper "Benvenuto Cellini" aufbaute, war sofort das ganze Orchester mit über 90 Musikern aufgeboten. Sofort fiel mir schon in den ersten Takten die unglaubliche Homogenität der 60 Streicher (16-14-12-10-8) auf, und mit Einsetzen des Englischhorns, das von der vorzüglichen Christine Pendrill:

    gespielt wurde, dachte ich sofort wieder an die "idee fixe" aus der "Symphonie fantastique".
    Interessant ist in dieser Ouvertüre des Wechselspiel von tiefen und hohen Instrumenten, das in der Oper das Duett der Liebenden symbolisieren sollte und dass die verschiedenen Instrumentengruppen in der gestrigen Aufführung fabelhaft zu Wege brachten.
    Von den Blechbläsern fielen mir noch die beiden Hornistinnen
    Angela Barnes:
    und
    Estefania Beceiro Vazquez

    besonders auf.
    Im großen Orchester mit der amerikanischen Aufstellung (wobei die Hörner links statt rechts positioniert waren), traten gerade in diesem Stück die Bratschen deutlich hervor, die an entsprechender Stelle die Melodie trugen, später mit den vorzüglichen Fagotti und Celli.
    Alles wurde souverän gestaltet von Michael Tilson Thomas:

    der mir doch beim Gehen ziemliche Schmerzen zu haben schien, sich aber beim Dirigieren davon nichts anmerken ließ.


    Beim zweiten Stück des Abends, dem c-moll -Klavierkonzert von Beethoven, das ich von allen seinen Konzerten bisher am häufigsten live im Konzert erlebt habe, speckte das Orchester naturgemäß ab, nur noch vier statt acht Kontrabässen, auch weitere Streicher und Blechbläser verließen die Bühne. Und mit Jan Lisiecki :

    betrat ein Pianist die Bühne, den ich nun schon zum dritten Male live erlebte, nach einem mehrere Jahre zurückliegenden Mozartkonzert, das ich zusammen mit meiner Tochter ebenfalls in Köln besuchte und einem noch etwas weiter zurückliegende Soloabend beim Klavierfestival Ruhr. Dabei ist Lisiecki erst 23 Jahre alt, aber mit seinem Alter schon von ungewöhnlich großer künstlerischer Ernsthaftigkeit. Davon sollte Lang Lang sich mal eine Scheibe abschneiden.
    Lisiecki, der anscheinend keine pianistischen Grenzen kennt, seine Virtuosität offenbar aber nie als Selbstzweck ansieht, harmonierte wunderbar mit der London Symphony und ihrem Dirigenten, brillierte nicht nur in den virtuosen Sequenzen des Stückes, sondern zeigte auch in den lyrischen Passagen, wie in dem wunderbaren Seitenthema, wes Geistes Kind er ist. Das war reiner, erfüllender Gesang, den er im Wechsel mit dem Orchester anstimmte.
    Ein Höhepunkt an Virtuosität, aber auch an kluger Gestaltungsfähigkeit, war die drei Minuten lange Kadenz, die Beethoven ja auch komponiert hatte, um seine damals überragenden Fähigkeiten als Klaviervirtuose dem Wiener Publikum zu zeigen. Und auch Lisiecki ließ die Arpeggien nur so fließen, flocht das Seitenthema wieder auf berührende Weise ein, wechselte wieder zu heftigen Moll-Staccato-Rhythmen, stieg in ätherische Höhen, dass es eine Freude war, und stieg am Schluss in der Coda dann, animiert auch von der Pauke wieder in den unerbittlichen Marschrhythmus des Beginns ein und steigerte sich dann zu dem furiosen sinistren Schlussanstieg.


    Ein für mich mindestens ebenso großes -Faszinosum sind Beethovens langsame Sätze, die hier in der numerischen Reihenfolge der fünf Konzerte die Satzbezeichnungen Largo-Adagio-Largo-Andante con moto-Adagio un poco mosso tragen. Dass ausgerechnet das 4. KK den schnellsten langsamen Satz beinhaltet, überrascht niemanden.
    Hier im dramatischsten aller Beethoven-Konzerte ist es also auch ein Largo, und zwar ein ganz außergewöhnliches. Markus Imbsweiler nennt es in seinem Programmtext eine "Insel der Ruhe", und die ist es fürwahr, bei den sie umgebenden hochdramatischen Ecksätzen.
    Und die war es auch gestern Abend in der Kölner Philharmonie, als der äußerst inspirierte Jan Lisiecki in einer eineinhalb Minuten langen Soloeinleitung ein imposantes Gebäude von äußerer und innerer Ruhe und Versenkung aufbaute, in das dann organisch und mit der gleichen Ruhe und Abgeklärtheit die Streicher, die Flöte und das Fagott einstimmten. Das ist schon ganz hohe Kunst, die ein Komponist auf der Höhe des "Sturm und Drang" schafft und die dann Solist und Orchester adäquat wiedergeben. Aber man darf ja auch nicht vergessen, wie gerne Beethoven in der Natur war und dort die Ruhe genoss und trotz seiner Taubheit das mit seinem geistigen Ohr hörte, was er dort empfand, wo er eben diese komponistischen Einfälle hatte, die er dann zu Hause niederschrieb. Und je einfacher solche Melodik ist, desto wirkungsvoller ist sie, aber desto schwieriger ist sie auch so vollendet wiederzugeben, wie wir sie gestern Abend hörten.


    Aber diese "Inseln der Ruhe" sind ja in der Regel von Wasser umgeben, das oft genug schwer in Wallung gerät, wie hier im Finale in die Wallung des c-moll, das nach der solistischen Einleitung verstärkt vom Orchester wiederholt wird und die musikalischen Themen in rhythmisch scharfer Form wiedergibt. Aber jedes so dramatische, dunkle musikalische Geschehen hat ja auch wieder ein Gegengewicht, hier in Form eines wiederum berührenden, gar behänden Seitenthemas, wiederum in der Largo-Tonart E-dur, in das der Solist selig einstimmt und dem sich bald das Orchester anschließt und man so ein Weilchen miteinander kommuniziert.
    Doch in diesem Schlussrondo ist eines so gewiss wie bei jedem Rondo und wie das Amen in der Kirche: es kommt wieder und meistens gleich mehrmals, wenn auch, jeweils in leicht abgewandelter Form. Auch die aus diesen Abwandlungen immerfort neu entstehenden virtuosen musikalischen Formen beherrschte Jan Lisiecki souverän . Doch ebenso wie das Thema wiederkommt, gibt es auch immer wieder mal ein Seitenthema, wie etwa in der Mitte des Satzes, das vom Soloklarinettisten Andrew Marriner:

    angestimmt wurde und dem sich hier der Solist anschloss und dann zunächst mit dem Klarinettisten ein Duett spielte, das dann durch das Fagott, Daniel Jamison:

    Zu einem Trio erweitert wurde, und immer im Wechsel oder zusammen mit dem Orchester, während dann oftmals wie hier, auf dem Höhepunkt des Satzes, wie hier, das Mollthema durchgeführt wird hier als Fugato. Hier zeigt wiederum das Orchester, das es auch in dieser Besetzung (sicherlich über 60 Musiker) von kammermusikalischer Durchhörbarkeit war und den Staffelstab dann an den Solisten zurückgab, bevor im nächsten Rondoabschnitt das Orchester wieder das hochdramatische Thema vortrug, und nach einer erneuten sehr kurzen Kadenz gestalteten Pianist und Orchester zusammen die die dann nach Dur zurückgekehrte rauschende Coda.
    Für mich war sicherlich dieses Konzert der Höhepunkt des Abends, was auch das Publikum mit stehenden Ovationen .
    Jan Lisiecki bedankte sich dann auch mit einer veritablen Zugabe, der Elegie op. 3 Nr.1 von Sergei Rachmaninoff, die mir ausnehmend gut gefiel.


    Nach der Pause spielte das Orchester wieder in voller Besetzung, wie es sicherlich Sibelius auch gebührt.
    Aber ich muss sagen, obwohl ich von Sibelius zwei GA's habe (Kurt Sanderling und Herbert Blomstedt), habe ich bisher noch nicht den richtigen Zugang zu dieser Musik gefunden. Deswegen kann ich auch kaum etwas darüber schreiben. Das einzige Stück, was ich seit meiner frühen Jugend von ihm kannte und bis heute liebe, ist die Valse triste, die ich durch Karajan kennen lernte.
    Ich empfand die beiden Symphonien als kunstvolle Gebilde mit teilweise schwelgerischem Klang, in dem man sich so in etwa die finnische Landschaft vorstellen konnte, wenn man vorher ein Bild von ihr hatte. Das Orchester hat sie ganz toll gespielt, und ich hatte so den Eindruck, dass MTT sie auch engagiert dirigiert hat. Jedenfalls zeugte der abermals überreiche Schlussapplaus davon.
    Jedenfalls werde ich mich demnächst seinem Mahler widmen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi, dass ist wieder mal von Dir ein besonders schöner, lebendiger Bericht mit Vorstellung der Musiker, was mir sehr gefällt! :hello:


    Liebe Grüße
    Holger

  • Lieber Willi, dass ist wieder mal von Dir ein besonders schöner, lebendiger Bericht mit Vorstellung der Musiker, was mir sehr gefällt! :hello:


    Dito. Gerade bei diesem schön zusammengestellten Programm! … Da wäre ich auch gerne an diesem Abend gewesen … :yes:

    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

  • Dann darf ich vielleicht Appetit auf den nächsten Thread machen:


    Am Montag Abend, 20 Uhr, werde ich in Bochum im Anneliese Brost Musikzentrum sitzen und mir mein selbst verordnetes Namenstagsgeschenk zu Gemüte führen, einen Klavierabend mit Arcadi Volodos und Schumann, Papillons op. 2, Brahms, 8 Stücke op. 76, und, was kann es momentan Schöneres als Abschluss geben: Schubert, Sonate Nr. 21 B-dur D.960.


    Natürlich werde ich darüber wieder schreiben.


    Liebe Grüße und schönes Wochenende


    Willi

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).