Saisonabschlusskonzert in der Kölner Philharmonie am 10. 7. 2018, 20.00 Uhr

  • Bericht vom Saisonabschlusskonzert in der Kölner Philharmonie, 10. 7. 2018, 20.00 Uhr.


    So, das war sie also, die Saison 2017/2018: auf 34 Konzertbesuche habe ich es gebracht seit dem 14. 9. 2017, davon 23mal in Köln, 2mal in Coesfeld und je 1mal in Stuttgart, Ötisheim, Burgsteinfurt, Mülheim, Heilbronn, Münster, Bochum, Düsseldorf und Kiel.
    Davon waren 17 Klavierabende oder Konzerte mit einem Klaviersolisten, 5 mit geistlichen Vokalwerken, 1 Orchesterkonzert mit Vokalsolo, 1 Liederabend, 1 Oper, 1 Opernkonzert, 3 Orchesterkonzerte mit Streichersolo, 4 Sinfoniekonzerte (9 Sinfonien Beethovens), 1 Orchesterkonzert mit Bläsersolo (gestern):
    Gestern Abend war die Philharmonie fest in französischer Hand, wie mein weiterer Bericht noch zeigen wird. Zunächst das Programm:
    Felix Mendelssohn Bartholdy: Ouvertüre h-moll op. 26 "Die Hebriden"
    Philippe Manoury: "Saccades" für Flöte und Orchester in fünf Teilen, Uraufführung 2017-2018
    Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 5 c-moll op. 67
    Emmanuel Pahud, Flöte
    Gürzenich-Orchester Köln
    Dirigent: Francois-Xavier Roth


    Der Dirigent hatte sein Orchester wieder bestens eingestellt, wie schon die einleitende Hebriden-Ouvertüre erkennen ließ. Vor allem Eines fiel mir zum wiederholten Male auf, dass das atemberaubende Pianissimo, das zu spielen das Gürzenich-Orchester mühelos in der Lage ist, nirgendwo besser zu hören ist als im Konzertsaal. Und hier wirkt es auch am stärksten. Und extrem leise, extrem luzide Passagen sind ja immer wieder in Mendelssohns Werken festzustellen, ja geradezu eines der hervorstechenden Merkmale dieser Musik
    Speziell in der Hebriden-Ouvertüre tritt noch als typisch Mendelssohnsches Merkmal der fließende Duktus schon im Anfangsmotiv hervor, der das ewig fließende Wasser symbolisieren soll, denn die Hebriden sind ja bekanntlich eine Inselgruppe (ein Archipel) vor der Nordwestküste Schottlands.
    Aber das Wasser des Atlantiks fließt ja nicht immer so lieblich in die Hebridensee hinein, wie uns das Anfangsmotiv glauben machen will, sonder es kann auch recht rau und stürmisch daherkommen, wie uns diese Ouvertüre in den schroffen marschartigen Tutti-Ausbrüchen mit den eckigen Bläserein-würfen auch deutlich macht, und unter den Whiskykennern im Forum ist die südlichste der Inseln der "inneren Hebriden", also der küstennäheren, die Insel "Islay" (gesprochen: "aila") ein Begriff, von der mit die rauchigsten schottischen Whiskys stammen. Jeder, der schon mal einen Laphroaig getrunken hat, weiß, wovon ich spreche.
    Und am Schluss der Ouvertüre schließt sich wieder der Kreis, wenn nach der großen Steigerung des Anfangsmotiv in der Klarinette "versinkt".


    Spätestens im zweiten Stück des Abends, dem Flötenkonzert, das der französische Komponist Philippe Manoury, auch gestern wieder persönlich anwesend:

    bezeichnenderweise "Saccades" ("Rückungen" oder "ruckartige Verschiebungen") genannt hatte, was im überaus brillanten Spiel des großen französischen Flötisten Emmanuel Pahud:

    zum Ausdruck kam, der seinem Instrument einen raffinierten rauen Ton entlockte und mit ihm fortwährend bizarre klangliche Bocksprünge vollzog, in denen er kleinste melodische Figuren aneinanderreihte, viele Notenrepetitionen einfügte und die klanglichen Bocksprünge gleichsam in rhythmischen Bocksprüngen ausdrückte. Das war nicht nur virtuose, sondern auch körperliche Schwerstarbeit, mit der er aber unter Beweis stellte, dass er sicherlich zu den führenden Flötisten der Gegenwart zu rechnen ist.
    Geleitet wurde das Ganze natürlich von einem weiteren Franzosen. nämlich Francois-Xavier Roth:

    der, wie mir scheinen wollte, gestern Abend besonders "sprunghaft" dirigierte.
    Nachdem am 24. 5. 2016 das erste Konzert mit einer Uraufführung des "Rings" von Philipp Manoury aus der "Trilogie Köln", einer Auftragsreihe des Gürzenich-Orchesters an Philippe Manoury im Beisein des Komponisten stattfand (ich berichtete darüber), war dies nun das dritte Konzert. Das zweite im vergangenen Jahr habe ich krankheitshalber verpasst wie gut 15 andere Konzerte auch.
    Die verschiedenen Teile dieses Manoury-Konzertes nun waren nicht so einfach zu erkennen wie die Sätze einer landläufigen Sinfonie oder eines Instrumentalkonzertes, sondern die Instrumentengruppen, das ganze Orchester und der Solist wechselten sich ohne erkennbare Ordnung ab, unterbrachen sich gegenseitig oder spielten gleichzeitig.
    Und dennoch steckte eine Architektur dahinter, die Manoury selbst "Grammaires Musicals Generatives" (generative musikalische Grammatiken). Sicherlich würde das Studium der Partitur mir die dem Stück innewohnende Architektur näherbringen, denn so eine muss ja vorhanden sein, sonst würde das Ganze nur ein Tohuwabohu ergeben.

    Zitat

    Philippe Manoury: Das Verfahren besteht darin, mit bestimmten Klangeinheiten- das kann ein Motiv sein, eine Figur, aber auch ein einfaches Klangbild oder eine besondere Situation, etwa ein Solist gegenüber ein er Gruppe- Phrasen zu konstruieren, die in einer präzisen Anordnung aneinandergefügt sind".


    So erfolgte nach dem ersten Teil, der im Wesentlichen aus einer Solokadenz bestand- man glaubte bei den ersten Tönen zunächst, Pahud wollte sein Instrument kurz einstimmen)-, der zweite Teil, indem Dirigent und Orchester kurzerhand in einer gewaltigen Klangeruption das Zepter übernahmen. Und im dritten Teil fanden sich dann verschiedene Grupperungen zwischen Solist, Instrumentengruppen und Orchester und am Ende dann ein "tout le monde est tout le temps ensemble" (alle spielen immer gemeinsam).
    Daran schloss sich der vierte Teil, eine Art Scherzo mit extremem Tempo und wiederum heftigen Ausbrüchen in Soloinstrument und Orchester an und im letzten Teil wurde der Bogen zurückgeschlagen zum Anfang, wobei sich auch im Orchester die Flöten zu einer Art Schatten des Solisten entwickelten, allen voran der neue Soloflötist des Gürzenich-Orchesters, der 27jährige Südkoreaner Sung-Hyun Cho:

    der übrigens den gleichen Lehrer hatte wie vor ihm schon Emmanuel Pahud.
    Am Ende herrschte dann Resignation und Orientierungslosigkeit.
    Die bravouröse Leistung von Solist, Dirigent und Orchester wurde jedoch zu Recht mit starkem Beifall belohnt, auch wenn das Stück selbst vielleicht nicht jedermanns Sache war.


    Es kamen nach der Pause auch alle wieder, da ja noch ein Leckerbissen bevorstand, die Fünfte Beethoven. Wer jetzt wegen eines möglichweise negativ empfundenen Erlebnisse bei dem Manoury-Konzert nicht wiedergekommen wäre, könnte auch als "Schmock" bezeichnet werden". Aber das traf ja, soweit ich sehen konnte, nicht zu.
    Eines fiel mir bei der Fünften sofort auf, weil wir hier im Forum darüber trefflich gestritten haben, zumindest, als der liebe Liebestraum noch unter uns Taminos weilte und ich eine Eloge auf die Interpretation der Fünften durch Paavo Järvi und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen gehalten hatte. Liebestraum konnte sich überhaupt nicht damit abfinden, dass Järvi nach den ersten drei Achteln des "Schicksalsmotivs" die folgenden liegenden Halben in den nächsten drei Takten nur relativ kurz anhielt und verglich im Übrigen das Tempo, das Järvi anschlug, mit einem "TGV":

    Francois-Xavier Roth machte es nun so ähnlich, und als Beckmesser müsste ich in der Tat sagen, dass das zu kurz sei, doch von dem Beckmesserischen bin ich schon lange herunter, und wenn man den Satz als Ganzes betrachtet, muss man sagen, dass Roth (wie Järvi) dem Satz durch diesen Kniff einen ungeheuren Drive verlieh, und immerhin steht ja auch über dem Satz: "Allegro con brio".
    Da ich die Fünfte ja in dieser Saison in Köln schon einmal gehört hatte (im November mit Saraste und dem WDR-Orchester), bin ich mir nun nicht sicher, welche Lesart mir besser gefallen hat.
    War schon am 17. November 2017 die Fünfte des ruhigen Finnen Jukka-Pekka Saraste schon top, so wurde gestern Abend von einem "feurigen Franzosen" dirigiert, der dazu noch ein großer Freund der Pauke als Soloinstrument ist, und das hörte man. Der Solopaukist Robert Schäfer:

    stand seinem Kollegen Werner Kühn vom WDR-Sinfonieorchester in Nichts nach, und er gebraucht vornehmlich die kleinkopfigen Holzschlegel, die eine hellen, besonders durchdringenden Ton erzeugen. Ich liebe das.
    Nach diesem mitreißend musizierten Kopfsatz in c-moll entfaltete das Orchester unter Roths souveränem Dirigat den wunderbar kontrastierenden langsamen zweiten Satz, das Andante con moto in As-dur mit den herrlichen Steigerungen in den Trompeten und den Pauken- wunderbar, wie das auch das Gürzenich-Orchester machte.
    Im Scherzo legte Roth dann die verkürzte Fassung vor, sprich die mit der verkürzten Reprise, die Beethoven (nicht ganz freiwillig?) nach der Uraufführung vorgenommen hat, wodurch der Satz fast um die Hälfte kürzer wird. Dem Originalklang nahestehende Dirigenten wie Christopher Hogwood, Nikolaus Harnoncourt oder Sir John Eliot Gardiner, lassen immer noch die Originalfassung mit der kompletten Reprise spielen, was mir auch besser gefällt. Wenn auch der Satz hier kürzer ausfiel, so lag er jedoch auf dem gleichen hohen Niveau wie die beiden Sätze zuvor auch.
    Im Finale ließ Roth jedoch dankenswerterweise die Exposition wiederholen, was auch nicht alle Dirigenten machen. Und da ja die Fünfte eine Final-Symphonie ist wie später auch die Neunte, konnte hier noch mal ein jubelender Höhepunkt gesetzt werden.
    Spontaner Jubel des Publikums dankte es den furios aufspielenden Musikern. Und sagte ich am Anfang, um noch einmal darauf zurückzukommen, an diesem Abend sei alles fest in französischer Hand gewesen, so erwies sich das ganz am Ende noch einmal, als Francois-Xavier Roth nach seinem ersten Abgang nochmal erschien, und zwar mit strahlender Miene im Fantrikot der französischen Fußball-Nationalmannschaft und spontan den belgisch-israelischen Solobratschisten Nathan Braude

    umarmte, nachdem Frankreich gerade durch ein 1:0 über Belgien das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft erreicht hatte.
    Und dann verließen alle Protagonisten doch relativ schnell das Podium- ein erfüllender Konzertabend!


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Und sagte ich am Anfang, um noch einmal darauf zurückzukommen, an diesem Abend sei alles fest in französischer Hand gewesen, so erwies sich das ganz am Ende noch einmal, als Francois-Xavier Roth nach seinem ersten Abgang nochmal erschien, und zwar mit strahlender Miene im Fantrikot der französischen Fußball-Nationalmannschaft und spontan den belgisch-israelischen Solobratschisten Nathan Braude


    umarmte, nachdem Frankreich gerade durch ein 1:0 über Belgien das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft erreicht hatte.

    :D :D :D Das habe ich gestern verpasst, lieber Willi, weil ich den Don Giovanni in der Oper gesehen habe. So muss ich mir heute das langweiligere Spiel ansehen. Ein wirklich schönes Abschlussprogramm - und wie immer hast Du das sehr lebendig geschrieben. Ich habe gestern übrigens die Pollini-Karte für den 10.9. zugeschickt bekommen! :thumbsup:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Vielen Dank für die recht persönliche Machart deines kurzweiligen Berichts, insbesondere empfinde ich die Garnierung des Posts mit einem guten Eisenbahnbild als i- Tüpfelchen ! Für mich als vorzugsweisen Nord- Süd- (Auto-) Fahrer und Eisenbahnliebhaber sind die Frankfurter und Münchener TGVs bisher immer ein Hingucker. :jubel:

  • Lieber Damiro,


    um der Wahrheit die Ehre zu geben, war das Bild mit dem TGV nicht meine Idee, sondern die, wie ich bereits oben ausführte, des ehemaligen Taminos Liebestraum, der sich angesichts des Tempos in Paavo Järvis Beethoven-Aufnahmen so echauffierte, dass er dieses Bild verwendete. Ich habe es hier dann dankbar aufgegriffen.
    Das Bild könnte natürlich Anlass geben für einen neuen Thread, etwa mit dem Titel: "Bei welcher Aufnahme denkst du, das Tempo betreffend, an einen französischer TGV, und bei welcher anderen Aufnahme eher an eine "Schwäb'sche Eisenbahne"? :D


    Liebe Grüße


    Willi


    P.S. Bei der gestrigen Rückfahrt vom Kölner Konzert haben wir uns (wegen einer "roten Signalstellung") knapp 10 Minuten im "Nulltempo" fortbewegt. :D:D

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Whoah.... arrrgh :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha:


    Aber: Schbass beiseite.


    Das oben könnte eine 75 cm Spur der KWStB (Kgl. Wttbg. Staatseisenb...) von ca. 1890 sein, das Triebfahrzeug dagegen ein ex- preussisches oder auch ex- sächsisches Produkt. Nix genaues weiss mr net. Oder du kannscht weiterhelfa ?
    :D :D :D

  • Lieber Willi,


    auch ich möchte mich für Deinen einfühlsammen Hörbericht bedanken, der mir richtig Lesespass bereitet hat.
    Den Dirigenten Francois-Xavier Roth kenne ich noch nicht, :thumbsup: aber gut zu wissen, dass er vom Tempo her der von uns Beiden hochgeschätzten Järvi-Beethoven-Sinfonien-Aufnahmen auf dem gleichen Level ist ... Klasse !


    Zur Zeit läuft bei uns im TV (für mich im Hintergrund) das nächste Europameisterschaftsspiel England_Kroatien, dass von der Familie gesehen wird ... ich widme mich da lieber Tamino, als den "hinter dem Ball herlaufenden Männeken zuzusehen" (bin absolut kein Fussballfan).
    Zur Zeit lkässt mir das TOP-Sommerwetter nämlich ohnehin wenig Zeit für Tamino und Klassik !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang