Saisoneröffnung in der Kölner Philharmonie: Nézet-Séguin, Bronfman und das Rotterdams Philharmonisch Orkest

  • Zur Saisoneröffnung erlebte ich gestern Abend ein furioses Konzert mit


    Yefim Bronfman, Klavier:

    dem Rotterdams Philharmonisch Orkest und seinem bisherigen Chefdirigenten (seit 2009) Yannick Nézet Séguin:

    Ich habe ihn jetzt zum wiederholte Male live erlebt, zuletzt vor drei Jahren, ebenfalls in Köln, mit dem C.O.E. und Jan Lisiecki und kann die negative Kritik, die ich über ihn hier im Forum letztens gelesen habe, nicht nachvollziehen.
    Schon die Symphonie Nr. 35 D-dur KV 385 von Wolfgang Amadeus Mozart, die er als erstes Werk auf das Programm gesetzt hatte, begeisterte die vollbesetzte Philharmonie.
    Man merkte Orchester und Dirigent an, dass man seit fast 10 Jahren schon zusammenarbeitete.
    Die Konzertmeisterin Marieke Blankestijn:

    die ich seit vielen Jahren auch vom Chamber Orchestra of Europe kenne, auch von dem o. a. Konzert mit Lisiecki und auch schon Jahre vorher von einem Konzert hier bei uns in Coesfeld, noch in der alten Stadthalle, also schon seit sicherlich 11 bis 12 Jahren, spielte ihren Part hervorragend, trat schon im Andante der Haffner-Symphonie hervor, als sie das Wechselspiel der ersten und zweiten Geigen inszenierte: 1. Geigen Pizzicati im Diskant - zweite Geigen Seitenthema ( diese Sequenz wird im zweiten Teil wiederholt), und wann immer auch im weiteren Fortgang solistische Passagen auftauchten, spielte sie diese mit Bravour.
    Hervorzuheben sind auch die Holzbläser, namentlich der Solooboist Remco de Vries:

    fiel mir schon bei Mozart auf.
    Beim abschließenden Presto schließlich zeigte das ganze Orchester, dass es auch hochvirtuos spielen kann, schließlich hat es der Komponist ja selbst so verlangt, diesen Satz "so geschwind, als es möglich ist" zu spielen, und da sorgte schon der Dirigent für, und das Orchester folgte ihm willig und gekonnt.
    Wie raffiniert das Programm zusammengestellt war, zeigte sich nach dem rauschhaften Mozartfinale in Liszts zweitem Klavierkonzert A-dur S.125, das zwar einsätzig ist, aber durchaus aus verschiedenen Teilen besteht, die allerdings alle thematisch zusammenhängen, ähnlich wie beispielweise bei Schuberts Wandererfantasie oder Berlioz' "Symphonie fantastique". Vor allem ist dieses Konzert auch gekennzeichnet von höchsten dynamischen Kontrasten, von schwierigsten Passagen, und das war natürlich ein "gefundenes Fressen" für den großen "Yefim Bronfman", den ich zuletzt vor zwei Jahren bei uns in Coesfeld live erlebte mit Beethovens KK 3 mit dem WDR-Sinfonieorchester unter Jukka Pekka Saraste. Die dynamischen und temporalen und rhythmischen Kontraste im Liszt-Konzert waren natürlich bedingt durch die verschiedenen thematischen Variationen, das heißt dem Tastengedonner standen natürlich auch lyrische Passagen gegenüber, aber immer wieder, und vor allem in der unglaublichen Coda brachten Orchester und vor allem Yefim Bronfman wahre dynamische Exzesse zustande. Ich ahbe das Lisztkonzert zwar in meiner Sammlung, hatte es aber noch nicht live gehört- gigantisch.
    Und nach dem letzten Ton gab es dann zum ersten Mal Standing Ovations und eine originelle Zugabe, die auch meine Frage beantwortete, warum ein zweiter Klavierhocker seitlich unter dem Flügel stand: Die Zugabe spielten nämlich Bronfman und Nézet-Séguin vierhändig, nachdem sie die beiden Klavierhocker der Länge nach parallel aufgestellt hatten, und dabei durfte sogar Nézet-Séguin den Melodiepart spielen. Wenn man aber weiß, dass er schon mit fünf Jahren Klavierunterricht erhielt und auch im Studium neben Komponieren und Dirigieren Klavier als Fach hatte, darf das nicht verwundern. Jedenfalls war das eine feine Idee.
    Nach der Pause kam dann meine Lieblingssymphonie Tschaikowskys, die Vierte f-moll op. 36, die wenn man so will, in Punkte Dynamik und Dramatik nochmal eine Steigerung brachte, allerdings auch in Punkto Spielwitz, denn in welcher Sinfonie gibt es einen vergleichbaren Satz wie den dritten: Scherzo.Pizzicato ostinato.Allegro. Und dieser Satz kam nochmal Nézet-Séguins extrovertierter Dirigierart sehr entgegen. Ähnlich wie bei Andris Nelsons oder noch mehr wie bei Carlos Kleiber konnte man auch bei Yannick Nézet Séguin die musikalischen Verläufe an den Bewegungen seines ganzen Körpers ablesen.
    Und wenn man dann gestern Abend den Verlauf des finalen Allegro con Fuoco erleben durfte, konnte man konstatieren, dass dieser unglaubliche Satz nicht nur der Zielpunkt der vierten Sinfonie war, sondern des ganzen Konzertes.
    Und der Schlussbeifall war nochmals eine Steigerung samt Standing Ovations im Vergleich zum Liszt-Konzert
    Und es gab noch eine Zugabe: das Präludium zum dritten Akt der Traviata.


    Dies war ein würdiger Saisonauftakt. Ich habe das große Glück, Yefim Bronfman noch einmal in Köln zu erleben, nämlich am 26. Februar mit einem Soloprogramm.


    Liebe Grüße und angenehme Nacht


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    LG Siamak

  • Auch in der Essener Philharmonie ist die Truppe aufgetreten. Den Auftakt bildete "La Passione" (49) von Haydn, eine meiner Lieblingssinfonien neben 44 ("Trauer") überhaupt. Aber dann Tschaikowski und Liszt. Da hat mein Geldbeutel entschieden den Kopf geschüttelt, da habe ich dann doch den Bezirksligafußball mit Kind, Sonne, Bier und Bratwurst vorgezogen.

    Schönheit du kannst zwar wol binden...

    Schönheit machet viel zu blinden...

    Schönheit alle Freyer grüssen...

    Schönheit reitzet an zum küssen...

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Wieviel wollten sie denn in Essen haben, lieber Dottore? Ich habe samt Gebühren für den besten Platz 53 Euronen bezahlt. Für das, was ich da geboten bekam, hat sich mein Geldbeutel noch bedankt. Wenn ich für den 9. 9. Anna Netrebko und ihren derzeitigen Lebensabschnittsgefährten Jusif Eyazow gebucht hätte, dann hätte ich für den gleichen Platz samt Gebühren 310 Euronen bezahlt und dann hätte mein Geldbeutel nicht nur den Kopf geschüttelt, sondern ohne Unterlass geheult. Soviel haben noch nicht einmal mein Klavierabo und mein Gürzenich-FXR-Abo zusammen gekostet.
    Am 9. 9. genieße ich stattdessen um die gleiche Uhrzeit das fünfte von fünf Konzerten an drei Tagen beim Beethoven-Fest in Bonn mit Sir Andras Schiff, der vor der Pause Schuberts D.960 spielt und nach der Pause Beethovens op. 111. Auf dem Rückweg höre ich dann am 10. in Köln noch Beethovens op. 13 und op. 106 sowie Schönberg mit Maurizio Pollini ( in einem kleinen Tamino-Treffen mit Holger).
    Aber wenn ich eins nicht tue, dann ist es Bezirksligafußball gucken.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber William, es war kein Geldproblem, sondern mein Geldbeutel hat denselben musikalischen Geschmack wie ich, und da ist La Passione nicht genug für einen Konzertabend.

    Schönheit du kannst zwar wol binden...

    Schönheit machet viel zu blinden...

    Schönheit alle Freyer grüssen...

    Schönheit reitzet an zum küssen...

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Lieber William B.A.


    Danke für die Schilderung deiner Eindrücke des Konzertes mit Yannick Netzet-Séguin. Ich hatte diesen Dirigenten schön früh auf meinem Radar und hier im Forum verschiedentlich über ihn und seine Aufnahmen geschrieben.


    NÉZET-SÉGUIN Yannick - kleiner drahtiger kanadischer Wirbelwind mit Potential?


    Letzthin kam im Radio die Übertragung eines Konzertes aus Wien auf SRF Kultur 2 mit diesem Dirigenten. Dort wurde die Zweite Sinfonie von Bernstein sowie die Vierte Sinfonie von Tschaikowsky samt einer Zugabe von Elgar gegeben.


    moderato
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928