Ich habe mich entschlossen, jedem Konzert eine kurze Besprechung folgen zu lassen. Der „Konzert-Marathon“ mit fünf Konzerten bis Sonntagabend wird abwechselnd gestaltet von Sir András Schiff, der am 21. Dezember seinen 65. Geburtstag feiert, und seinem Landsmann Dénes Várjon, der am 23. Februar seinen 50. Geburtstag gefeiert hat.
1. Konzert: Freitag, 7. 9. 2018, 20 Uhr im World Conference Center, Platz der Vereinten Nationen Nr. 2 (gegenüber dem alten Bundeshaus Bonn)
Sir András Schiff, Klavier
Programm:
Ludwig van Beethoven, Sonate Nr. 30 E-dur op. 109 (3,5 – 2,5 – 12,5 ---18,5 min.)
Bela Bartok, Sonate SZ 80 (4,5 -4.5 -4,0 --- 13 min.)
Franz Schubert, Sonate Nr. 19 c-moll D.958 (10,5 – 7,0 – 4,0 – 9,0 --- 30,5 min.)
Wie das erste Programm es schon andeutet, stehen im Mittelpunkt dieser Konzertreihe die späten Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven und Franz Schubert.
Da es angeboten wurde und mein Hotel direkt neben dem World Conference Center liegt, bin ich auch zur Einführung, die von dem mir seit vielen Jahren bekannten Christoph Vratz gegeben wurde. Er stellte am Anfang die Frage, die er auch Andras Schiff gestellt hatte, wie die Programme zustande gekommen wären und ließ an den entsprechenden Stellen durch eingespielte Tonaufzeichnungen auch Andras Schiff zu Wort kommen.
Wie ich auch schon durch die Booklets in Schiffs Beethoven -Sonaten erfahren hatte, erwies sich Schiff einmal mehr als profunder Kenner der Zusammenhänge zwischen Beethovens und Schuberts Klaviersonaten.
Christoph Vratz führte dabei aus, dass sich Schubert bezüglich der Sonaten sich fast ausschließlich mit dem frühen und mittleren Beethoven beschäftigt hätte.
Als ein Beispiel führt er die Verwandtschaft der Finalsätze von Beethoven Sonate Nr. 18 Es-dur op. 31 Nr. 3 und der Klaviersonate Nr. 19 c-moll D.958 von Franz Schubert an, was er durch Hörbeispiele untermauerte.
Seine Ausführungen gefielen mir so gut, dass ich beschlossen habe, die übrigen Einführungen auch zu besuchen.
Sir Andras Schiff, der zu den Pianisten gehört, die ich bis jetzt am häufigsten im Konzert erlebt habe (neben Brendel, Sokolov und Pollini), hatte laut Vratz über das op. 109 gesagt, er hielte sie für die musikalisch schönste Sonate Beethovens. Deshalb hat er sie wohl auch als Erste auf das Programm dieser Konzertreihe gesetzt, und dass er zu dieser Sonate ein besonders enges Verhältnis hat, hörte man vom ersten Ton an, und es sollte sich im Laufe des Abends noch aus einem anderen Grunde bewahrheiten.
Obwohl die anfängliche Satzbezeichnung Vivace, ma non troppo, lautet und sie sich mit einem expressiven Adagio abwechselt, ist dieser Satz in großen Teilen sehr lyrisch, und Sir András ist nun mal ein sehr lyrischer Pianist, dem allerdings auch der rhythmisch-dynamische Impetus nicht fremd ist.
Dies stellet er vor allem im scherzoartigen Prestissimo unter Beweis, das er in zweieinhalb Minuten in die Tasten hämmerte.
Das Finale: Gesangvoll, mit innigster Empfindung. Andante molto cantabile ed espressivo, hatte Beethoven laut Vratz mit dieser zusätzlichen deutschen Satzbezeichnung versehen, weil er wohl seit Längerem schon der Meinung war, dass italienische Satzbezeichnung nicht immer hinlänglich den Charakter seiner Musik beschreiben könnten, und Christoph Vratz meinte dazu, dass schöner, als Beethoven es mit seinen deutschen Worten ausdrückte, die Italiener auch nicht hätten ausdrücken können.
Diese Finale, das zeitlich etwa zwei Drittel der ganzen Sonate ausmacht, gehört sicherlich zu den herausragenden Variationensätzen in der gesamten Klavierliteratur. Und András Schiff spielte das herausragend. Wie sagte Christoph Vratz es noch so schön: Diese Sonate fängt so recht nicht an und sie hört auch so recht nicht auf.
Im Programm stand, dass es keine Pause gäbe, und so setzte sich auch András Schiff nach einigen Verbeugungen und starkem Beifall wieder hin und begann mit der
Einzigen Klaviersonate Béla Bartóks aus dem Jahre 1926, Sz 80.
Das war in der Tat das krasse Gegenteil von Beethovens lichter, lyrischer E-dur-Sonate. Und András Schiff bewies, dass er auch ein veritabler Sachwalter seines Landsmannes Bela Bartok ist und dieses Ostinato- und Dissonanzen-Gewitter des Kopfsatzes, Allegro moderato mit Bravour meisterte. Doch auch der zweite Satz, wenngleich eher im Tempo eines strengen Kondukts daher kommend, blieb ganz auf der rhythmisch-dynamischen Schiene.
Zumindest temporal und melodiös unterschied sich das finale Allegro molto erheblich von den vorangegangenen Sätzen, so sehr sie sich in ihrer zeitlichen Ausdehnung auch ähnelten. Im rhythmischen Impetus ergab sich jedoch eine unglaubliche Steigerung gegenüber dem Mittelsatz. Auch diesen Satz, der spektakulär endete, spielte Schiff mit einer natürlichen, nicht gewollten Bravour und wurde abermals mit reichem Beifall belohnt.
Einen würdigen (ersten) Abschluss fand dieser erste Klavierabend in der ersten Sonate der Schubertschen Schlusstrias, der Nr. 19 c-moll D.958.
Die Sonate gehört sicherlich zu den ganz Großen der Klaviersonaten-Literatur überhaupt, und ich erinnere mich gerne an einen Klavierabend vor vielen Jahren beim Klavierfestival Ruhr, als András Schiff die gesamte Trias auf einem historischen Brodmannflügel von 1820 spielte.
Gestern Abend spielte er auf einem wunderbaren rotbraun-schwarz gemaserten Bösendorfer.
Diese frappierende Sonate, die sich in den ersten Takten des Kopfsatzes noch nach Beethoven anhört, ist jedoch wenige Takte später, als das Seitenthema unvermittelt erklingt, Schubert reinsten Wassers. Man fühlt sich unvermittelt in eine ganz andere Welt versetzt. Und Schiff hat dieses Gefühl wunderbar eingefangen.
Auch dieses wunderbare Adagio nimmt sofort mit aller Macht für sich ein- das ist reinste Himmelsmusik, vor allem in der Wiederholung des Themas in der Oktavierung. Aber es wäre nicht Schubert, wenn sich nicht dunkle Wolken vor die Sonne schöben.
Hier zum Vergleich eine Aufnahme von 1991:
Das Adagio beginnt etwa bei 11:15 min.
Nach dem kurzen, aber knackigen Menuetto folgt ein taktmäßig riesiges Finale mit über 700 Takten, nochmals um 200 Takte länger als das aus D.960, ein mitreißender Tanz, unterbrochen von kurzen lyrischen Episoden, aber immer vorwärtsdrängend, ein im wahrsten Sinne des Wortes umwerfender Satz, von Schiff grandios vorgetragen.
Aber nach einer guten Stunde war das Programm vorbei- euphorischer Beifall anlässlich des mitreißenden Schubert, und nach drei „Vorhängen“, als der Meister seinen Blumenstrauß wegegebracht hatte, setzte er sich wieder und … schloss den Kreis.
Er spielte wieder Beethoven, und zwar, wozu ich weiter oben schon einen Hinweis gab, das ganze op. 109 noch einmal, und mindestens genauso schön wie am Anfang, und nach dieser Sonate war immer noch nicht Schluss, und dann kam, na was wohl- Bach, ein wunderbares Stück, dessen Titel mir aber partout nicht einfallen will. Wenn ich es aber in den nächsten beiden Tagen in Erfahrung bringen kann, werde ich es nachreichen.
Ein wunderbarer Konzertaben!
Liebe Grüße
Willi