Liebe Taminos,
eigentlich wollte ich am Sonntag eine Gastveranstaltung mit Gounods Faust im Wolfsburger Theater sehen, aber da diese ausfallen musste, bin ich kurzentschlossen in den Zug nach Hannover gestiegen, um die Premiere des Tristans dort zu erleben - mein erster Besuch in Hannover. Da ich erst im August den Tristan bei den Bayreuther Festspielen sah, konnte ich nun gut vergleichen - ein Vergleich der Zugunsten der Staatsoper ausfällt. Wie mir meine Sitznachbarin verriet, war die ganze Oper mit Ensemblemitglieder besetzt (habe dies nicht überprüft), was angesichts der Gesangleistung für ein qualitativ hochwertigen Haus spricht.
Alle Figuren waren vorzüglich besetzt. Vom vielleicht etwas zu exaltierten Schöngesang des Steuermanns durch Byung Kweon Jun, zum mächtig auftrumpfenden Melot von Gihoon Kim, waren die kleinen Rollen bestens besetzt. Der Kurwenal von Stefan Adam war stimmmächtig, zu Beginn etwas undifferenziert und zu vulgär in der Ausgestaltung, jedoch vermochte er im letzten Akt an der Seite seines sterbenden Freundes doch zu rühren. Tobias Schabel als Marke war umwerfend. Anders als in Katharina Wagners Inszenierung, wird er nicht als diktatorischer Machthaber, sondern als gebrochener Mensch gezeichnet, der von der Untreue Tristans im Mark erschüttert ist. So trumpfte er stimmlich zwar mächtig auf, zog sich aber immer in einen gebrochenen Ausdruck zurück, der besonders im letzten Akt zu bedrückend leisen Tönen fand. Auch die beiden Hauptdarsteller reihen sich in die wirklich gute Qualität des Hauses ein. Robert Künzli, der als noch von einem Infekt kurierend angekündigt wurde, sprengte die Erwartungen. Sein eindrucksvoller Heldentenor, teils mit strahlender Kraft, konnte in allen Belangen überzeugen. In den trumpfenden Höhen setze er klug akzentuierten Ausbrüche, konnte aber auch in den breiteren Phrasen mit klaren Linien die lyrischen Elemente überzeugend darbringen. Die Diktion war hervorragend, er war absolut textverständlich, wie auch der Rest des Ensemble und zudem ein richtiger Sängerdarsteller im besten Wagnerschen Sinn. Sein gehauchtes "Isolde" nach dem Trank jagte mir einen gewaltigen Schauer über den Rücken. Großartig!
Wenn ich mich schon hier kaum im Lob bremsen kann, so muss man sagen, dass die Rollendebütantin Kelly God, die schon optisch etwas an Birgit Nilsson erinnert, trotzdem alle an die Wand sang. Die hochdramatische, vor Kraft strotzende Stimme konnte sowohl die Verzweiflung im ersten Akt als auch im großen Liebesduett mit Momenten voller Zärtlichkeit und Lyrik mit ihrem tollen Stimmmaterial überzeugen. Was mir besonders gefiel - viele Soprane werden in den Höhen klanglich offen und unklar, Kelly God hat jedoch eine strahlende, treffsichere Höhe, aber auch eine sehr resonante Tiefe. Die Spitzentöne saßen 1a. Und auch hier - eine tolle Sängerdarstellerin, bei der man jedes Wort verstand! Isoldes Verklärung zum Schluss wurde zu einem Fest der Sinne! Großartig.
Mit Recht, wurden alle Sänger einhellig, besonders Kelly God mit vielen Bravos vom Publikum gefeiert!
Die Orchesterleistung hatte Will Humburg inne. Auch wenn, wie ich erfahren habe, die Einstudierung mit ihm recht problematisch war - er ist wohl ein ziemlicher Pultdiktator - so kann ich mich kaum beschweren. Während das Vorspiel noch recht leidenschaftslos war und mich Schlimmes ahnen ließ, so wurde doch auch über die Akte hervorragend musiziert. Humburg ließ den Sängern viel Raum zur Klangentfaltung, entfesselte das Orchester an den richtigen Stellen und konnte mit klugen Tempi doch mitreißend durch die Vorstellung leiten. Sehr eindrucksvoll gelang das Finale des ersten Aktes mit dem bestens einstudierten Chor. Das Vorspiel zum dritten Akt war mir persönlich zu zäh, das hat Thielemann in Bayreuth besser gemacht, aber im Grunde war die ganze Vorstellung ein musikalischer Hochgenuss! Von zwei Buhs abgesehen, war das Publikum hörbar beglückt vom musikalischen Teil. Wie das Orchester jedoch dem wilden herumgefuchtel Humburgs folgen konnte, bleibt mir wohl ein Rätsel...
Nachdem ich bezüglich der Inszenierung schon viel Böses über Hannover gehört habe, wurde ich auch hier sehr angenehm überrascht. Stephen Langridges Inszenierung ist sehr schlicht. Im ersten Akt hängt eine Brücke über der Bühne, darunter ein Röhrengang, davor ein kleines Schiff, welches sich bis zur Ankunft bei Marke von linken zum rechten Bühnenrand bewegt. An der Decke befinden sich Lamellen, die farblich angestrahlt werden, es sieht wolkig aus - ich fand es sehr reizvoll. Der zweite Akt befindet sich vor der gleichen Decke, es steht nun ein Bett auf der Bühne, der Röhrengang hängt von der Decke herab. Der dritte Akt spielt auf der chaotischen Burg Karneol. Wieder ein paar Betten, eine Brücke, die an Land führt und wieder die Röhre.
Die Röhre hat eine besondere Funktion - für die Inszenierung wurden zwei Butoh-Tänzer eingeladen, die in weiß offenbar die Seelen Isoldes und Tristans verkörpern und je nach Musik bzw. Text hinter den Figuren agieren und zu sehr poetischen Bildern finden. Sie erscheinen jeweils aus den Röhren. Zu Tristans Fiebertraum liegt die Seele beispielsweise auf dem Bett, während Tristan im Fieberwahn seine große Szene singt. Mir erschien die Dopplung schlüssig und angenehm anzusehen.
Ansonsten inszenierte Langridge erstaunlich nah am Libretto und an der Musik. Es gab keine symbolische Aufladung - er ließ einfach der Text spielen - und dies funktionierte bestens, auch da die Sänger so spielfreudig ihre Rollen verkörperten. Die Personenführung war toll, Rampensingen gab es nie und langweilig war es keine Sekunde. Ich muss sagen - das war einfach gut inszeniert!
Im Vergleich zu Bayreuth muss man einfach sagen - die Staatsoper verfügt über bessere Sänger, auch wenn die Namen noch nicht so groß sind - die Inszenierung ist viel überzeugender und auch das Orchester bewegt sich auf einem ähnlich gutem Niveau. Für mich war der Besuch in Hannover eine meiner Sternstunden - und es wird nicht mein letzter sein.
LG
Christian