Tristan und Isolde - Niedersächsisches Staatstheater Hannover - Premiere 16.09

  • Liebe Taminos,


    eigentlich wollte ich am Sonntag eine Gastveranstaltung mit Gounods Faust im Wolfsburger Theater sehen, aber da diese ausfallen musste, bin ich kurzentschlossen in den Zug nach Hannover gestiegen, um die Premiere des Tristans dort zu erleben - mein erster Besuch in Hannover. Da ich erst im August den Tristan bei den Bayreuther Festspielen sah, konnte ich nun gut vergleichen - ein Vergleich der Zugunsten der Staatsoper ausfällt. Wie mir meine Sitznachbarin verriet, war die ganze Oper mit Ensemblemitglieder besetzt (habe dies nicht überprüft), was angesichts der Gesangleistung für ein qualitativ hochwertigen Haus spricht.


    Alle Figuren waren vorzüglich besetzt. Vom vielleicht etwas zu exaltierten Schöngesang des Steuermanns durch Byung Kweon Jun, zum mächtig auftrumpfenden Melot von Gihoon Kim, waren die kleinen Rollen bestens besetzt. Der Kurwenal von Stefan Adam war stimmmächtig, zu Beginn etwas undifferenziert und zu vulgär in der Ausgestaltung, jedoch vermochte er im letzten Akt an der Seite seines sterbenden Freundes doch zu rühren. Tobias Schabel als Marke war umwerfend. Anders als in Katharina Wagners Inszenierung, wird er nicht als diktatorischer Machthaber, sondern als gebrochener Mensch gezeichnet, der von der Untreue Tristans im Mark erschüttert ist. So trumpfte er stimmlich zwar mächtig auf, zog sich aber immer in einen gebrochenen Ausdruck zurück, der besonders im letzten Akt zu bedrückend leisen Tönen fand. Auch die beiden Hauptdarsteller reihen sich in die wirklich gute Qualität des Hauses ein. Robert Künzli, der als noch von einem Infekt kurierend angekündigt wurde, sprengte die Erwartungen. Sein eindrucksvoller Heldentenor, teils mit strahlender Kraft, konnte in allen Belangen überzeugen. In den trumpfenden Höhen setze er klug akzentuierten Ausbrüche, konnte aber auch in den breiteren Phrasen mit klaren Linien die lyrischen Elemente überzeugend darbringen. Die Diktion war hervorragend, er war absolut textverständlich, wie auch der Rest des Ensemble und zudem ein richtiger Sängerdarsteller im besten Wagnerschen Sinn. Sein gehauchtes "Isolde" nach dem Trank jagte mir einen gewaltigen Schauer über den Rücken. Großartig!


    Wenn ich mich schon hier kaum im Lob bremsen kann, so muss man sagen, dass die Rollendebütantin Kelly God, die schon optisch etwas an Birgit Nilsson erinnert, trotzdem alle an die Wand sang. Die hochdramatische, vor Kraft strotzende Stimme konnte sowohl die Verzweiflung im ersten Akt als auch im großen Liebesduett mit Momenten voller Zärtlichkeit und Lyrik mit ihrem tollen Stimmmaterial überzeugen. Was mir besonders gefiel - viele Soprane werden in den Höhen klanglich offen und unklar, Kelly God hat jedoch eine strahlende, treffsichere Höhe, aber auch eine sehr resonante Tiefe. Die Spitzentöne saßen 1a. Und auch hier - eine tolle Sängerdarstellerin, bei der man jedes Wort verstand! Isoldes Verklärung zum Schluss wurde zu einem Fest der Sinne! Großartig.
    Mit Recht, wurden alle Sänger einhellig, besonders Kelly God mit vielen Bravos vom Publikum gefeiert!


    Die Orchesterleistung hatte Will Humburg inne. Auch wenn, wie ich erfahren habe, die Einstudierung mit ihm recht problematisch war - er ist wohl ein ziemlicher Pultdiktator - so kann ich mich kaum beschweren. Während das Vorspiel noch recht leidenschaftslos war und mich Schlimmes ahnen ließ, so wurde doch auch über die Akte hervorragend musiziert. Humburg ließ den Sängern viel Raum zur Klangentfaltung, entfesselte das Orchester an den richtigen Stellen und konnte mit klugen Tempi doch mitreißend durch die Vorstellung leiten. Sehr eindrucksvoll gelang das Finale des ersten Aktes mit dem bestens einstudierten Chor. Das Vorspiel zum dritten Akt war mir persönlich zu zäh, das hat Thielemann in Bayreuth besser gemacht, aber im Grunde war die ganze Vorstellung ein musikalischer Hochgenuss! Von zwei Buhs abgesehen, war das Publikum hörbar beglückt vom musikalischen Teil. Wie das Orchester jedoch dem wilden herumgefuchtel Humburgs folgen konnte, bleibt mir wohl ein Rätsel...


    Nachdem ich bezüglich der Inszenierung schon viel Böses über Hannover gehört habe, wurde ich auch hier sehr angenehm überrascht. Stephen Langridges Inszenierung ist sehr schlicht. Im ersten Akt hängt eine Brücke über der Bühne, darunter ein Röhrengang, davor ein kleines Schiff, welches sich bis zur Ankunft bei Marke von linken zum rechten Bühnenrand bewegt. An der Decke befinden sich Lamellen, die farblich angestrahlt werden, es sieht wolkig aus - ich fand es sehr reizvoll. Der zweite Akt befindet sich vor der gleichen Decke, es steht nun ein Bett auf der Bühne, der Röhrengang hängt von der Decke herab. Der dritte Akt spielt auf der chaotischen Burg Karneol. Wieder ein paar Betten, eine Brücke, die an Land führt und wieder die Röhre.


    Die Röhre hat eine besondere Funktion - für die Inszenierung wurden zwei Butoh-Tänzer eingeladen, die in weiß offenbar die Seelen Isoldes und Tristans verkörpern und je nach Musik bzw. Text hinter den Figuren agieren und zu sehr poetischen Bildern finden. Sie erscheinen jeweils aus den Röhren. Zu Tristans Fiebertraum liegt die Seele beispielsweise auf dem Bett, während Tristan im Fieberwahn seine große Szene singt. Mir erschien die Dopplung schlüssig und angenehm anzusehen.


    Ansonsten inszenierte Langridge erstaunlich nah am Libretto und an der Musik. Es gab keine symbolische Aufladung - er ließ einfach der Text spielen - und dies funktionierte bestens, auch da die Sänger so spielfreudig ihre Rollen verkörperten. Die Personenführung war toll, Rampensingen gab es nie und langweilig war es keine Sekunde. Ich muss sagen - das war einfach gut inszeniert!


    Im Vergleich zu Bayreuth muss man einfach sagen - die Staatsoper verfügt über bessere Sänger, auch wenn die Namen noch nicht so groß sind - die Inszenierung ist viel überzeugender und auch das Orchester bewegt sich auf einem ähnlich gutem Niveau. Für mich war der Besuch in Hannover eine meiner Sternstunden - und es wird nicht mein letzter sein.


    LG
    Christian

  • Herzlichen Dank für dein engagiertes Feedback, dem ich mich gerne anschließe (bis auf schmerzliche Kürzungen im 2. und 3. Akt), weil wir uns gleichfalls die Premiere gegönnt haben. Wie gesagt uns beeindruckte die Aufführung nicht minder. Noch ein kleiner Hinweis: Sie erfolgte im Niedersächsischen Staatstheater Hannover. Der Hinweis dient die Werbetrommel für Hannover möglichst kräftig zu rühren. Die Oper dort ist eine Reise wert.


    Wir werden voraussichtlich im Dezember eine Folgeaufführung besuchen.

  • Wie könnt ihr nur zur RT Mafia nach Hannover fahren Die Zeitungskritiken waren durchweg positiv und haben vor allem die Sänger gelobt. Meine nächste Wagner Oper wird die Götterdämmerung Premiere im Oktober in Düsseldorf sein Ich schreibe ja immer wieder was die Taminos für hervorragende Aufführungen verpassen, die sich nicht in die Oper trauen, weil sie nur nach der Inszenierung oder dem Regisseur gehen.

  • Lieber Christian, Dank für den ausführlichen Bericht. Es grüßt Hans

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Noch ein kleiner Hinweis: Sie erfolgte im Niedersächsischen Staatstheater Hannover.


    Ich verstehe Amfortas so, dass er auf die Überschrift dieses Threads hinweisen wollte, die ich auch etwas irritierend fand. Ansonsten hat uns Christian einen sehr plastischen Bericht geschrieben. :)

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Wie könnt ihr nur zur RT Mafia nach Hannover fahren

    Ja, zunehmend selbst höchstlich zerknirscht, weil eigener Brägen total von RT-Mafia konditioniert. Mein Therapeut ist inzwischen vollkommen hilflos.

    Die Zeitungskritiken waren durchweg positiv

    Hm. Kann dann eigentlich doch nur „Fake-News“ oder „Lügenpresse“ sein.
    :yes: :yes: :yes: :yes:

    Meine nächste Wagner Oper wird die Götterdämmerung Premiere im Oktober in Düsseldorf sein

    Aha! Du also auch…..


    So, so . Götterhämmerung unter ML Axel Kobers (kollaborierte er nicht bereits vor Jahren im nämlichen Haus mit der perfiden und skandalösen Tannhäuser-Zersetzung? ) und dem Regisseur – sorry Opernzerstörer ! - Dietrich Hilsdorf.
    Ts ts ts ts …….. :D :D :D


    Johannes 8,7
    Fazit: Wir sollten - nein, müssen !! - uns alle gemeinsam was schämen ! :untertauch::untertauch:


    "@Rheingold":
    Ich verstehe Amfortas so, dass er auf die Überschrift dieses Threads hinweisen wollte, die ich auch etwas irritierend fand. Ansonsten hat uns Christian einen sehr plastischen Bericht geschrieben.


    So ist es.
    Ich habe mich über Christians Feedback sehr gefreut !
    Als zusätzlicher Appetizer: Link mit Bildchen und Terminen zum Hannover-Tristan:
    [url='https://oper-hannover.de/index.php?m=459&f=03_werkdetail&ID_Vorstellungsart=0&ID_Stueck=556&ID_Vorstellung=4620']https://oper-hannover.de/index…k=556&ID_Vorstellung=4620


    Will Humburg leitet anscheinend alle Tristan-Vorstellungen in dieser Saison.

  • Hallo zusammen!

    Vielen Dank für eure positiven Reaktionen auf meinen kleinen Bericht. Besonders hat es mich gefreut, dass Du Amfortas zu einem gleichen Urteil über die Aufführung gekommen bist. Die Striche habe ich nicht bemerkt, aber so gut kenne ich den Tristan auch noch nicht. Ich muss mir mal den Klavierauszug vornehmen. Weshalb allerdings Hamburg im Titel steht ist mir ein Rätsel...vielleicht kann es ja jemand aus der Moderation ändern? Das wäre toll!

    Zur üblichen Regietheaterfrage...hmmm...bis auf das Bühnenbild und die Tänzer wurde wie gesagt sehr aus dem Libretto und der Musik heraus inszeniert. Ich kannsie wirklich nur empfehlen. An einem Sonntag werde ich nochmal hinfahren. Wenn kommendes Jahr Schrekers "Die Gezeichneten" gespielt wird, werde ich gewiss auch noch mehrfach dort Gast sein.

    LG
    Christian

  • Da bin ich als "Hamburger Jung" doch glatt auf den Thread-Titel reingefallen :untertauch: Trotzdem, danke für dieses sehr lesenswerter Bericht. Zwar ist Hamburg ja nicht soooo weit weg von Hannover, aber geschafft habe ich es bislang immer nur nach Lübeck. Die hannoveraneschen Premieren höre ich häufiger im Radio, diesen Tristan leider nicht :(


    p.s. Die letzte Tristan und Isolde-Premiere in Hamburg war übrigens im März 1988 und ich hatte eine Schüler-Karte. Damals sorgte der inzwischen legendäre Berghaus-Tristan noch für einen veritablen Opern-Skandal :jubel:

  • Hallo,
    danke für diesen Bericht. Als Hannoveraner ist der Tristan natürlich eine Muß. Warte aber noch ab. Es läuft fast nur am Sonntag. Die Inszenierung wird wohl kaum übernommen werden, da durch den bevorstehenden Intendantenwechsel in Hannover sicher auch viele Sänger gehen werden.
    Schöne Grüße
    wega

  • Wenn kommendes Jahr Schrekers "Die Gezeichneten" gespielt wird, werde ich gewiss auch noch mehrfach dort Gast sein.

    Schrekerei werden wir uns natürlich uns gönnen. Ob Premiere und/oder Folgevorstellung, wissen wir bisher nicht.


    Ebenso keine Info, ob Gezeichnete mit oder ohne Cut gespielt werden bzw. ob das überhaupt bereits entschieden.
    München (Metzmacher) war komplett. Salzburg (Nagano) mit Cuts

    Zwar ist Hamburg ja nicht soooo weit weg von Hannover,

    Das muss endlich mal betont werden :thumbup:

    aber geschafft habe ich es bislang immer nur nach Lübeck.

    aber doch wengstens Kiel ?

    Die hannoveraneschen Premieren höre ich häufiger im Radio, diesen Tristan leider nicht :(

    Menno, auf was wartest du dann noch? ;)


    Das in Vergleich zu Hamburg recht kleine und bescheidene Niedersächsische Staatstheater ist auch eine Reise wert! :yes: :yes: :yes: :yes:


    Glaub mir !

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  • Das in Vergleich zu Hamburg recht kleine und bescheidene Niedersächsische Staatstheater ist auch eine Reise wert! :yes: :yes: :yes: :yes: Glaub mir !

    Ich glaube es Dir sofort, nicht nur Lübeck, auch Kiel, Hannover und selbst Bremen warten immer wieder mit interessanten Produktionen auf. Allein die Zeit, das Geld! - Vielleicht, wenn schon nicht als Rentier, so doch irgendwann einmal als Rentner :hello:

  • Eine ausführliche Beschreibung eines Vollzahlers, der die Aufführung am 16. September besucht hat, zu der szenischen Umsetzung las ich jetzt in der Oktoberausgabe unter http://www.marie-louise-gilles.de. Sie bestätigt meine Aussage zu dieser Inszenierung unter "Sammelplatz für absurde und lächerliche Inszenierungsideen". Eines weiteren Kommentars enthalte ich mich.

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Eine ausführliche Beschreibung eines Vollzahlers, der die Aufführung am 16. September besucht hat, zu der szenischen Umsetzung las ich jetzt in der Oktoberausgabe unter http://www.marie-louise-gilles.de. Sie bestätigt meine Aussage zu dieser Inszenierung unter "Sammelplatz für absurde und lächerliche Inszenierungsideen"

    Herzlichen Dank für den Link !
    Bereits sehr gespannt auf MLGs neuen, unterhaltsamen Blog. Es gibt allgemein sonst so wenig zum Lachen.

    Eines weiteren Kommentars enthalte ich mich.

    Wie bedauerlich!
    Denn deine kämpferischen Beiträge gegen das Verunstaltungstheater zeichnen, wie üblich, durch kaum zu toppende Differenziertheit und Kompetenz sich aus. Du beabsichtigst doch nicht etwa deine treuen Leser zu enttäuschen ?

  • Lieber Rodolfo,


    ich finde das garnicht so. Frau Gilles bespricht in ihren Schrift verschiedene interessante Themen. Man muss sich eben - wie bei jedem Schriftstück - die Mühe machen, ein wenig zu blättern, bis man das Gesuchte findet. Ich komme mit ihren "Mitteilungen ...", die ich regelmäßig mit Interesse lese, sehr gut zurecht und. wie ich weiß, manche andere auch.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Liebe Taminos,


    heute war ich nun ein zweites Mal in Hannover um die letzte Vorstellung dieser Spielzeit noch zu erleben. Die Vorstellung war nahezu ausverkauft und der Jubel für das Sängerteam und Orchester erneut ohrenbetäubend.

    Ich kann nur wiederholen auf welch hohem Niveau diese Aufführung war. Kelly God als Isolde war wieder atemberaubend - welch eine Bühnenpräsenz und welch eine Intensität im Ausdruck. Tobias Schabels Marke war heute noch beeindruckender als bei der Premiere. Der Rest war gleichbleibend erfreulich. Leider fand jedoch eine Umbesetzung (Ersatz?) in der Rolle des Tristan statt. Statt des heldischen Robert Künzlis sang Bryan Register. Warum er so stark zum Schluss gefeiert wurde ist mir ein Rätsel. Wenn es auch zum Schluss besser wurde, war er eigentlich eine Zumutung. Bereits beim ersten Auftritt brach ihm mehrfach die Stimme weg, Ausdruck gabs da auch nicht, aber er fand im Laufe des Abends mehr und mehr seine Stimme wieder. Ich hätte nicht gedacht, dass er die große Szene im 3. Akt stemmen kann, aber er kam durch. So lasch wie der Gesang war leider auch sein Spiel....enttäuschend. Sein übermäßiges Vibrato führte manchmal gar zu ziegenartigen Tönen...naja.

    Das Orchester wurde diese Vorstellung nicht von Will Humburg geleitet. Statt seiner dirigierte Dirk Kaftan. Bis auf kurze Koordinationsschwierigkeiten zwischen Chor und Orchester zu Ende des ersten Aktes gelang ihm ein ebenso furioser Abend wie Will Humburg, konnte dem Vorspiel zudem mehr dynamische Zugkraft verleihen als Humburg.

    Bis auf den Tenor war es also erneut ein beglückender Abend. Besonderes Lob gilt auch noch der hervorragenden Lichtregie - das Farbkonzept war m.E. vollkommen stimmig. Es bleibt zu hoffen, dass die Inszenierung zur kommenden Spielzeit wieder aufgenommen wird.

    LG und schöne Weihnachten!

    Christian