Ich möchte hier an eine außergewöhnliche Sopranistin erinnern, die wahrscheinlich nur einem ganz kleinen Kreis von Musikliebhabern bekannt ist: Ursula van Diemen, verehelichte Meyerhof.
Geboren wurde sie 1897 in Schwerin (Mecklenburg). Nach ihrer Schulausbildung studierte sie Gesang, u.a. bei Lola Beth und Louis Bachner in Berlin. Im Jahr 1918 feierte sie in ihrer Heimatstadt ihr Debüt als Konzertsängerin und trat danach in dieser Eigenschaft bis 1933 in vielen Städten Deutschlands auf. Sie ging auch auf Reisen, die sie u.a. nach England, Schweden, Lettland, Holland und in die Schweiz führten. Auch dort machte sie sich als Liedersängerin einen Namen. In Frankfurt am Main war sie einige Male zu erleben, sie trat dort mit dem berühmten Schweizer Pianisten Edwin Fischer auf, mit dem sie Liederabende veranstaltete. Nur selten kam es zu Bühnenauftritten. Bekannt ist aber ihre Mitwirkung an einer Inszenierung der Offenbach-Operette "Die schöne Helena" 1929 in Berlin. Kein Geringerer als Max Reinhardt war der Regisseur. Sie wirkte aber auch in Filmen der Zwischenkriegszeit als Schauspielerin mit, u.a. in "Der Andere" (1930) und "Ich bei Tag und du bei Nacht" (1932).
Über ihre Tätigkeit während der unseligen Nazijahre gibt es keinerlei Aufzeichnungen. Ob sie den Machthabern nicht genehm oder gar jüdisch "versippt" war, ist nicht bekannt. Jedenfalls trat sie erst nach 1945 wieder in Erscheinung. Nach ihrem Abschied vom Konzertsaal war sie als Gesangslehrerin in Stuttgart tätig. Sie starb 1988.
Mehr konnte ich über sie nicht in Erfahrung bringen; selbst Todesort und -datum waren nicht exakt zu ermitteln. Ihre Biographie ist leider nur lückenhaft überliefert.
Es sind nur wenige Aufnahmen von ihr erhalten, die aber nicht im normalen Handel angeboten werden. Das "Hamburger Archiv für Gesangskunst" hat vor einigen Jahren eine CD veröffentlicht, die Lieder von u.a. Schumann, Brahms, Liszt und Tschaikowsky enthält, dazu zwei Stücke, von denen ich jetzt kurz berichten will.
Bekannt geworden ist mir diese Künstlerin bereits in meiner frühen Jugend, und zwar von einer 78er Schellackplatte, die ein "Ave Maria" aus einer Oper (?) von Felix Mendelssohn Bartholdy mit dem Titel "Lorelei" enthielt, und auf der zweiten Seite das bekannte "Laudate Dominum" aus Mozarts "Vesperae solennes de confessore" KV 339.
Jahr für Jahr wurde der Heiligabend bei uns mit diesem "Laudate Dominum" eröffnet, und ich muß sagen, daß dieser Gesang mich schon als Kind gefesselt und verzaubert hat. Inzwischen besitze ich dieses Stück mit so berühmten Sängerinnen wie Victoria de los Angeles, Maria Stader, Erna Berger, Edith Mathis, Lisa Otto und Lucia Popp, aber trotz herrlicher Gesangsleistungen ist und bleibt für mich Ursula van Diemens Darstellung einmalig und unübertroffen, so sehr, daß ich die Tradition fortgesetzt habe und noch heute an jedem Weihnachtsabend dieses Stück auflege und damit das Fest einläute. Zum Glück ist es auf der oben genannten CD enthalten, denn die alte Schellackplatte hat leider inzwischen ausgedient.
Obwohl (wahrscheinlich wegen der geringen Speicherkapazität der 78er Platten) die Orchestereinleitung fehlt und starkes Rauschen und auch einige Knacker die Wiedergabe beeinträchtigen, ist diese Aufnahme für mich ein wahres Juwel, das ich mit auf die "einsame Insel" nehmen würde. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1928; Siegfried Ochs dirigiert den Philharmonischen Chor Berlin und die Berliner Philharmoniker. Es handelt sich um eine originale ELECTROLA-Aufnahme (HMV).
Oft habe ich mich gefragt, ob hier auch eine gewisse Nostalgie mitspielt; das mag durchaus möglich sein, aber nie habe ich das abschließende Amen so mirakulös und makellos rein gehört wie von dieser einmaligen Sängerin. Übrigens ist auch das ominöse, kaum bekannte Ave Maria von Mendelssohn eine kleine Kostbarkeit.
Deshalb möchte ich mit diesem Beitrag an die großartige Künstlerin erinnern. Vielleicht gibt es noch den einen oder anderen, der über die Sängerin etwas berichten kann.
LG, Nemorino