Es fehlt ein Thread über ihn - deshalb als Eröffnung und längst überfällige Würdigung dieses Pianisten im Tamino-Forum mein Konzertbericht vom 17.1.2019.
Jerome Rose: Gastkonzert zum Meisterkurs an der Musikhochschule Münster, 17.1.2018
https://www.uni-muenster.de/Mu…hlusskonzert-01-2019.html
Programm:
Chopin: Polonaise-Fantasie op. 61
Schumann : Kreisleriana op. 16
nach der Pause:
Beethoven: Sonate op. 109
Liszt: Funérailles
Fast wäre mir dieses Konzertereignis entgangen. Zufällig hatte ich zwei Tage zuvor endlich (wofür ich technisches Genie die Hilfe einer jungen Kollegin brauchte) eine Whatsapp auf meinem Handy installiert und erfuhr durch eine Whatsapp-Gruppe von Musik-Freunden hier aus Münster, dass am Donnerstag-Abend Jerome Rose ein – kostenloses (!) – Konzert in der Musikhochschule gibt, wo er bis Sonntag eine Meisterklasse veranstaltet
https://www.uni-muenster.de/Mu…hlusskonzert-01-2019.html
Ich kannte Jerome Rose bislang nur von seiner Aufnahme der Chopin-Sonaten her und habe mich natürlich gefreut und früh auf den Weg gemacht, weil ich befürchtete, der Saal wird übervoll. Wie sich herausstellte war meine Furcht unbegründet. Der kleine Saal wurde vornehmlich von Musikstudenten und ein paar Klavierbegeisterten besucht. Es blieben noch Plätze frei. Interessant war mein Gespräch mit einem angehenden Musikstudenten, der bei ihm in Italien schon eine Meisterklasse besucht hatte und später bei ihm studieren möchte. Rose ist Schüler vor allem von Adolph Baller (auch von Rudolf Serkin)
https://en.wikipedia.org/wiki/Adolph_Baller
dem die Nazis 1938 in Wien die Hände brachen. Rose, der auch Jude ist, reagiert deshalb bis heute sehr empfindlich auf Antisemitismus, wie er mir erzählte, und auch von seiner Großzügigkeit, was die finanzielle Unterstützung von Studenten angeht und seinem Lampenfieber bei Konzerten besonders mit wenig Zuschauern (Horowitz hatte bekanntlich so großes Lampenfieber, dass man ihn auf die Bühne schupsen musste!).
Das Konzert begann mit 10 Minuten Verspätung, weil um 19:30 ein Bläser in einem Übungsraum meinte spielen zu müssen. Rose, der inzwischen 80 Jahre alt ist, ist von der Statur her groß und kräftig und bewegte sich mit langsamen Schritten zu seinem Arbeitsgerät. Dazu muss man sagen, dass der große Steinway D für diesen kleinen Saal eindeutig zu groß ist – ein C wäre passender (Im Palais Wittgenstein in Düsseldorf, ein deutlich größerer Saal als dieser, steht ein Steinway C). Trotzdem ist die Akustik gut. Die Nervosität merkte man Rose bei der Polonaise-Fantasie und auch der „Kreisleriana" an – es gab viele Konzentrationsfehler und einige „Lücken“. Er ist ein Musiker, der erst „warm“ werden muss im Konzert. Seine Spielweise bei Chopin und Schumann ist sehr freizügig, ein dem Moment verhaftetes Musizieren in der Tradition von Josef Hofmann und Chura Cherkassky (der Hofmanns Schüler war). Besonders die „Kreisleriana“ liegen ihm. Eindrucksvoll fand ich, wie er die Dämonie des asymmetrischen Basses am Schluss herausarbeitete – insgesamt war die Kreisleriana von ihm wunderbar gespielt, mit einer sehr irdischen Kantabilität und rhythmischen Präzision. Seine Stärke ist die ungemein klare Herausarbeitung von Stimmführungen.
Nach der Pause stand Beethovens op. 109 auf dem Programm. Der angehende Student erzählte mir, dass er zwar vor allem als Liszt-Spieler berühmt ist, aber eigentlich ihm Beethoven und Schumann sehr am Herzen liegen – besonders op. 109. Und sein Beethoven war für mich die positive Überraschung und der „Stern“-Moment des Abends – klar, mit ungemein sauberer Stimmführung, hochkonzentriert, sehr lebendig und rhythmisch präzise vorgetragen ohne jede Romantisierung. Von wegen – Rose „der letzte Romantiker“! Und dass er den Liszt zum Schluss eindrucksvoll vortragen kann – klaviertechnisch ist er auch mit 80 Jahren unglaublich souverän – braucht man eigentlich nicht zu erwähnen. Sein Musizieren auf dem Klavier ist sehr „irdisch“ und diesseitig weltzugewandt – erinnert mich in dieser Hinsicht an den ganz jungen Vladimir Ashkenazy, dessen frühe Aufnahmen ich zuletzt hörte. Jerome Rose ist so gar kein Ästhetizist, der irgendwie klangverliebt wäre und verbreitet auch keine metaphysische Aura. Er hat aber Sinn für Kantabilität und einen schön singenden Klavierton. Als Zugabe gab es die lyrisch-dramatische Chopin-Etüde op. 25 Nr. 7. Mal sehen, ob ich es morgen vielleicht schaffe, in seine Meisterklasse reinzuschauen. Heute will ich ins Picasso-Museum zur Chagall-Ausstellung, die morgen endet.
Weil mich sein Beethoven so begeistert hat habe ich gleich die CD mit den Sonaten op. 109-111 bestellt und auch die Années de Pèlerinage von Liszt, eine Aufnahme, für die er den Grand Prix du Disque erhielt.
Schöne Grüße
Holger