Wiederaufnahme der Daphne am 1. Februar in Frankfurt
Beim Schlußbeifall kam für einen kurzen Moment Premierenstimmung auf. Claus Guth trat mit den Sängern und dem Dirigenten vor das Publikum. Das hatte die Inszenierung positiv aufgenommen und applaudierte dem Regisseur hörbar – zu Recht.
Guth verlegt die Szene in das Innere eines aufgegeben Funktionsbaus: Modernismus mit einem Schuß Brutalismus. Zur Feier des Dionysos hängt der erste Schäfer eine staubige Girlande im Saal auf. Die beim Bau ausgetriebene Natur dringt anarchisch wieder in das Gebäude ein. Auf der Haupttreppe wächst Gras, auf der Brüstung Moos.
In den Nebenräumen, zwischen denen die Handlung geschickt wechselt, wird gewohnt.
Dort,
in einem Wandschrank, steht Daphnes brüderlicher Baum trocken und
braun. Die Vögel, die aus ihm singen sollen, sind ausgestopft.
Die Hirten, die ihr eigentliches Handwerk längst verlernt haben, von Wiese und Weide, Fluß und Vieh längst nichts mehr wissen und entfremdet sind, erscheinen als männliche Gesellschaft, deren trunkener Feier sexuelle Gewalt latent innewohnt. Auch Peneios kann sie mit der großen Erzählung von der Verwandtschaft des Menschen mit den Göttern nur phasenweise ruhig stellen.
Mich frappierte, wie nah Tscherniakows Berliner Parsifal von 2015 an Guths Daphne von 2010 war. Das Motiv frauenarmer Gesellschaften, in denen der einzelne Mann die Beziehung zur Frau, wenn sie denn auftaucht, nur als sexuelles Gewaltverhältnis gestaltet und der Geschlechtsakt konsequent nur Vergewaltigung sein kann, die als Taharrusch vollzogen wird, ist in den letzten Jahren oft auf Opernbühnen zu sehen gewesen. Ich denke an Tristan in der Berliner Deutschen Oper (Vick), den Holländer ebendort (Spuck) oder an den genannten Parsifal an der Staatsoper.
Guths Szene ist eine untergehende Gesellschaft. Aber während die Halle - bemoost und von Gras durchwachsen - früher oder später an die Natur zurückfällt, ist dem Gesellschaftstier Mensch der Weg zurück in den Naturzustand versperrt, auf seinem Weg aus der Gesellschaft gelangt er nur zur Barbarei. Der Regisseur nimmt die im Programmheft zitierte Camille Paglia gleichsam beim Wort: Die Gesellschaft bietet der Frau Schutz vor Vergewaltigung und ist nicht etwa (...) Schuld daran, daß es Vergewaltigungen gibt.
Daphne schließt sich gegen die Zumutungen des Erwachsenwerdens ab, insbesondere gegen die kommenden Dionysien. Jane Archibald hat es in ihrer ersten Einzelszene nicht leicht, sie klingt mehr heldisch denn innig. Der vertrocknete Baum, das im Gebäude vermißte Sonnenlicht, die toten Vögel konterkarieren ihre Andacht. Leukippos, der aus einem anderen Wandschrank kriecht, wirbt nicht schlechter um Daphne, als andere auch. Mir gefiel Peter Marshs Spieltenor in dieser Rolle gut, in der direkten Auseinandersetzung mit Apollon vernimmt man ihn dann aber manchmal kaum.
Die Reise nach Frankfurt hatte ich unternommen, um Andreas Schagers Apoll zu hören. Wenn Schager singt, dominiert er. Für einen Apoll ist das der richtige Ansatz. In dramatischen Passagen steigert er die Lautstärke. Mir sagt das zu. Es ist herrlich, wenn ein Sänger über dieses Gestaltungsmittel verfügt!
Als Daphne Apoll den blauen Mantel umlegen will, hatte ich kurz erwartet, daß der Mann etwas übermenschliches bekommt. Man hätte den Sänger auf Kothurne stellen, oder ein silbriges Leuchten um die Gestalt spielen lassen können. Nichts davon billigt Guth seinem Gott zu. Aber Schager hat seine Stimme, die einen ganzen Apoll aus ihm macht. Den blauen Mantel behält er zusammengefaltet auf dem Arm.
Zum Kuß verschwinden Daphne und Apoll im Wandschrank, der vorher den vertrockneten Baum barg. Für mein Verständnis der Szene verweilen sie dort zu lange. So entfaltet das Orchester diese Begegnung von Mädchen und Gottheit mit dionysischem Klang vor leerer Bühne. Das ist einer der schönsten Momente des Abends, und groß ist der Beifall für das Orchester und seinen Dirigenten, Sebastian Weigle, am Ende. Im anschließenden Dialog, bis zum „Doch du: der Fremdeste aller!“, kann Archibald ihre dramatischen Stärken ausspielen.
Claus Guth bevölkert die Bühne gern mit Personage, die nicht im Libretto aufgeführt ist. Hier sind es eine alte und mehrere junge Daphnen, sowie ein junger Leukippos, die tonlos agieren. Jene sollen wohl eine entwicklungspsychologische Klammer bilden. Dieses äußeren reflexiven Rahmens bedarf es nicht. Er ist eine gänzlich undramatische Konstruktion.
Nachdem die Feier gesprengt ist, die Hirten durch Apoll ins Dunkle geschickt sind, bleiben Daphne und beide Bewerber, der menschliche und der göttliche, im Festsaal zurück. Guth läßt die Männer unablässig fechten, bis Daphne die Wahrheit verlangt, Apoll sich der Maske entledigt und sich erklärt. Leukipp verflucht Apoll, dieser ersticht jenen mit einem Dolch, den er im Gewande führt.
Marsh und Archibald gestalten die tristaneske Sterbeszene und den Klagegesang Daphnes im Nebenraum, in den der tödlich verwundete Leukippos noch gekrochen ist, großartig! Ihrer letzten Verwandlung geht der jähe Übergang ins Erwachsenenalter, -wissen, -erkennen voraus: „Unheilvolle Daphne!“ Sie bleibt auf dem Schoß des toten Geliebten sitzen, während der Gott die Szene aufräumt und sich des Rückhalts seines Clans versichert.
Es gibt keinen Baum, in den sich Daphne verwandelt und kein grünes Licht. Ihr ist der Schritt in die bergende Natur verwehrt. Sie behält nur ihren Gesang.