Richard Wagner als Liedkomponist
Dieser Thread knüpft an den von WoKa initiierten und sich auf die Wesendonck-Lieder beziehenden an, dies allerdings mit anderer Ausrichtung und erweiterter Fragestellung. Sein Titel wurde bewusst so gewählt. Man hätte auch formulieren können: „Der Liedkomponist Richard Wagner“. Dann aber hätte man danebengelegen, denn Wagner ist kein solcher, gehört nicht in die Reihe der Komponisten des neunzehnten Jahrhunderts, die sich dem romantischen Klavierlied verschrieben und aus dieser kompositorischen Intention heraus ein umfangreiches und eine genuine Liedsprache aufweisendes Werk hervorgebracht haben. Das ist bei Richard Wagner nicht der Fall. Er hat – ausweislich des Bandes „Klavierlieder“ der Gesamtausgabe - nur 21 Lieder komponiert, und nicht alle davon sind - formal betrachtet – in die Kategorie „Klavierlied“ einzureihen.
Hinzu kommt, dass ihm Liedkomposition kein wirklich wesentliches, einen maßgeblichen Bestandteil seines Selbstverständnisses als Komponist bildendes Anliegen war. Werner Oehlmann hat zwar durchaus recht, wenn er meint, Wagners Lieder seien „mehr als Gelegenheitsarbeiten“, und dabei die eventuelle Beiläufigkeit und kompositorische Belanglosigkeit im Sinn hat. Gleichwohl sind sie nicht aus einer spezifischen, auf die Gattung „romantisches Klavierlied“ ausgerichteten kompositorischen Intention hervorgegangen. Mit dessen traditionellem Bestand hat er sich nicht wirklich beschäftigt und auseinandergesetzt. Zwar findet sich bei ihm eine Notiz zu einer Komposition seines Freundes Theodor Apel, lautend, sie sei „wohl aus den Eindrücken der Beethovenschen Gesangskompositionen, namentlich seines >Liederkreises< hervorgegangen“, und das Lied „Der Tannenbaum“ könnte auf eine Orientierung an der Balladensprache Loewes verweisen. Das ist es dann aber auch, was man als Zeugnis einer tiefer reichenden Kenntnis der Literatur des romantischen Klavierliedes bei Wagner finden kann.
Seine Lieder entspringen also nicht einer bewussten kompositorischen Hinwendung zur musikalischen Gattung in der Absicht, ein darin gültiges größeres Werk zu schaffen, ihre Entstehung ist vielmehr durchweg einem konkreten biographischen Anlass geschuldet. Zu den „Sieben Kompositionen zu Goethes >Faust<“ wurde er mit großer Wahrscheinlichkeit angeregt durch die damalige Inszenierung des Werks in Leipzig, in der seine Schwester Rosalie die Rolle Gretchens spielte. Die Kompositionen auf französische Texte entstanden, weil Freunde während seines Aufenthaltes in Paris 1839/40 ihm rieten, „einige kleinere Gesangskompositionen zu schreiben“, die er „beliebten Sängern zum Vortrag in den häufigen Konzerten anbieten könnte“, um auf sich diese Weise Zugang zur kulturellen Pariser Szene Zugang zu verschaffen, - was übrigens nicht recht gelingen wollte, denn keiner und keine von diesen Sängern nahm eines seiner Lieder in sei Repertoire auf. Und dass seine berühmt gewordenen „Wesendonck-Lieder“ einem eminent biographischen Anlass geschuldet sind, bedarf keiner sonderlichen Erwähnung.
Bleibt die Frage:
Warum dann dennoch ein ins Detail gehendes Sich-Einlassen auf diese wenigen Lieder Wagners, bei denen es sich wirklich um „Klavierlieder“ im genuinen Sinne handelt? Denn nur um diese soll es hier gehen.
Einen gewichtigen Grund gibt es in einem speziellen Fall, den – zu Recht berühmt gewordenen – „Fünf Gedichten für eine Frauenstimme mit Pianoforte-Begleitung WWV 91“, die allerseits unter dem Begriff „Wesensdonck-Lieder“ rangieren. Bei ihnen handelt es sich um ein bedeutendes Werk der Kunstlied-Geschichte. Was aber ist mit den übrigen? Bei ihnen ist das wohl nicht der Fall. Der Versuch, in ihnen so etwas wie Vorstufen der späteren großen Bühnenwerke zu sehen, hat sich – mit Ausnahme der „Wesendonck-Lieder“ bei denen das offenkundig ist – allgemein als wenig ergiebig erwiesen.
Was sie allerdings interessant und bemerkenswert macht, ist die Tatsache, dass man in ihnen – ähnlich wie ja auch im Falle von Franz Liszt – vor allem in der Melodik und in ihrer spezifischen Harmonisierung, eine Art Keimzelle einer Liedsprache vorfindet, die in Hugo Wolfs großem kompositorischem Liedwerk aufgegriffen, weiterentwickelt und zur Vollendung geführt wurde.
In diesem Sinne sollen sie nachfolgend einer genaueren Betrachtung unterzogen werden, wobei all die Liedkompositionen, bei denen es sich nicht um wirkliche Klavierlieder im Sinne der gattungsmäßigen Definition handelt, ausgeklammert bleiben sollen. Das wird bei den unter chronologischen Aspekten zuerst anstehenden „Faust-Liedern“ in massiver Weise der Fall sein.