Kann eigentlich jeder das Stück "aufführen"? Also nicht nur Orchester, Pianisten usw, sondern auch Schlagerfuzzis, Volkstanzgruppen, Männerchöre, Ballettschulen, Politiker, Schauspieler, Radiosender, Karnevalsvereine??? Bekommt der große Künstler Cage Tantiemen für nichts?
Das System funktioniert ganz einfach: Das Publikum bezahlt das Konzert eines Künstlers - und es ist schlicht egal, welche einzelnen Programmpunkte dazu gehören. Mit der Programmauswahl hat der, welcher ein Konzertticket kauft, schlicht nichts zu tun. Er bezahlt allein den ausübenden Künstler für das was er tut und nicht die Komponisten der Werke, die aufgeführt werden. Der Künstler muss wiederum für moderne Werke, die er aufs Programm setzt und die gebührenpflichtig sind, weil das Werk angemeldet ist, für jedes Werk einzeln (!) eine Gebühr bei der GEMA zahlen. Auch wenn nur zwei Zuschauer kommen, muss er denselben Betrag zahlen wie wenn 1000 Zuschauer kommen. Das interessiert die GEMA nicht, ob er dann in die roten Zahlen gerät. (Weswegen deshalb viele regional aktive nicht so groß bekannte Künstler sich leider scheuen, moderne Werke aufs Programm zu setzen.) Das ist also sein eigenes Risiko und seine Freiheit. Jeder kann das Werk aufführen in einem Konzert, für das Eintritt verlangt wird - Hauptsache, er entrichtet die Gebühr.
Naja, das ist ja sehr klar: TACET heißt, dass man keine Klänge aktiv hervorbringen soll, und die Satzbezeichnungen bedeuten eine Binnengliederung der vorgegebenen Zeitdauer. Das ist ja alles, was an traditionellem Notentext da ist.
Für mich erst einmal ist das gar nicht klar. Wenn da "Adagio" steht und 4/4 Takt, muss er dann die Stille-Takte durchzählen? Und was sollen die dynamischen Bezeichnungen < mf > < fff > ?? Zeit ist das Gemessene an einer Bewegung. Nur was wird gemessen, wenn sich wie bei der Stille gar nichts bewegt?
Alles anzeigenBeu Wolfgang Sterneck habe ich eine Anmerkung zu 4:33 gefunden, die hier wiederzugegeben durch das Zitatrecht legitimiert ist:
"Überrascht stellte John Cage auf der Suche nach neuen Hörerfahrungen in einem schalldichten Raum in Cambridge fest, dass er rhythmische Geräusche vernahm. Der zuständige Techniker erklärte ihm später, dass er verschiedene Abläufe in seinem Körper wahrgennommen hatte. ”Ich hörte, dass Schweigen, dass Stille nicht die Abwesenheit von Geräuschen war, sondern das absichtslose Funktionieren meines Nervensystems und meines Blutkreislaufes. Ich entdeckte, dass die Stille nicht akustisch ist. Es ist eine Bewusstseinsveränderung, eine Wandlung. Dem habe ich meine Musik gewidmet. Meine Arbeit wurde zu einer Erkundung des Absichtslosen.”
Das veränderte Verständnis der Stille führte 1952 zur Komposition von ”4,33”, einem Stück in dem kein Geräusch absichtlich erzeugt wird. Die Aufgabe der beteiligten MusikerInnen ist es dabei, die Bühne zu betreten und sie nach einer Zeitspanne von 4,33 Minuten wieder zu verlassen ohne ein Instrument gespielt zu haben. Die Musik besteht aus den Geräuschen des Publikums, einem Husten, Flüstern oder auch aus Protestrufen, genauso wie beispielsweise aus den Geräuschen einer quietschenden Tür, eines auf der Straße vorbeifahrenden Lastwagens oder eines Regengusses. Einige Jahre nach der Komposition von ”4,33” erklärte Cage in einem Interview, dass er das Stück nicht mehr benötige, da er inzwischen in der Lage sei, es ständig zu hören. ”Die Musik, die mir am liebsten ist und die ich meiner eigenen oder irgendeines anderen vorziehe, ist einfach die, die wir hören, wenn wir ruhig sind.”
Stille, verstanden als Spanne zwischen dem Ende einer Aktion und dem Beginn einer Neuen ist zumeist mit Spannung erfüllt, die man auch Warten nennt. Eine Pause zwischen zwei Sätzen in einem Konzert wird zum Husten genutzt, man erwartet aber auch einen flinken Fortgang. Werke folgen einer mehr oder weniger erwartbaren Struktur. Das Absichtslose, wie es Cage nennt, das Heraustreten aus dem Räderwerk unseres täglichen Seins, das überfordert. Insofern überfordert auch 4:33. Oder "Einstein on the Beach", beides Werke, die den Halt des Vorgewussten verweigern. Der moderne Städter mag sich da vielleicht fühlen, wie jemand, der auf der Treppe stolpert und kein Geländer findet. Viele weise Kulturen auf dieser Welt verstünden indes das Problem nicht. Nicht das Bedürfniss, 4:33 oder "Two minutes silence" schreiben zu müssen, noch die Schwierigkeit, damit umzugehen.
Das ist sehr interessant, lieber Thomas und wirft viele neue Fragen auf. Besten Dank!
Schöne Grüße
Holger