Lieber Holger, die Geschlossenheit der Form kann ich durchaus als eine Konvention begreifen: Wodurch aber kommt jetzt der Gedanke ins Spiel, dass diese Konvention "leer" sein sollte? Sie wurde - deine Beispiele zeigen es - ja schon lange vor Cage auf verschiedene Art und Weise relativiert. War Cage da nicht ein bisschen spät dran?
John Cage - 4`33 - was ist die beste Einspielung?
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Lieber Holger, die Geschlossenheit der Form kann ich durchaus als eine Konvention begreifen: Wodurch aber kommt jetzt der Gedanke ins Spiel, dass diese Konvention "leer" sein sollte? Sie wurde - deine Beispiele zeigen es - ja schon lange vor Cage auf verschiedene Art und Weise relativiert. War Cage da nicht ein bisschen spät dran?
Lieber Leiermann,
da fällt mir jetzt Jean-Francois Lyotard ein, der vom "Trost der schönen Formen" sprach, den die Postmoderne nicht mehr nötig hat. Die Beispiele Schumann bis Debussy zeigen ja, dass man sich mit einem Schein-Schluss getröstet hat, um die Erwartung nach einem Abschluss trotz Unmöglichkeit irgendwie doch noch zu befriedigen. Und schlaue Musikwissenschaftler wollen z.B. in Ravels Streichquartett die mangelnde Entwicklung des Schlusses aufzeigen. Da wird also der fehlende Abschluss zum Kriterium für Formqualität. Daran sieht man, wie schwer es ist, sich von Konventionen zu lösen!
Schöne Grüße
Holger
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Bezugnehmend auf Holgers Beitrag - in den 1960ern wurde es modern, dass Lieder mit einem "Fade Out" enden - gibt es so was auch bei klassischen Werken?
Was mir dazu einfällt wäre die Abschiedssymphonie von Haydn oder Holsts "Planeten" - kommt so was auch woanders vor?
Kein direktes "fade out", aber immer leiser werdend: Der Schluss von Mahlers 9. Sinfonie.
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Lieber Leiermann,
da fällt mir jetzt Jean-Francois Lyotard ein, der vom "Trost der schönen Formen" sprach, den die Postmoderne nicht mehr nötig hat. Die Beispiele Schumann bis Debussy zeigen ja, dass man sich mit einem Schein-Schluss getröstet hat, um die Erwartung nach einem Abschluss trotz Unmöglichkeit irgendwie doch noch zu befriedigen. Und schlaue Musikwissenschaftler wollen z.B. in Ravels Streichquartett die mangelnde Entwicklung des Schlusses aufzeigen. Da wird also der fehlende Abschluss zum Kriterium für Formqualität. Daran sieht man, wie schwer es ist, sich von Konventionen zu lösen!
Schöne Grüße
Holger
Ja, Konvention übt immer auch Macht aus, das geht zwingend aus ihrer Etablierung hervor.
Der "Trost der schönen Form" war zumindest in der Klassik kein Trost, sondern ästhetisches Elementarprogramm, eine empfundene Notwendigkeit. Das ging bei Beethoven dann natürlich in eine stark individualisierte Richtung, aber die Geschlossenheit der Form war - wenn ich nichts übersehe - auch bei ihm noch unhinterfragt.
In der Romantik ändert sich das, wie du anhand mehrerer Beispiele gezeigt hast. Da mögen dann auch "Schein-Lösungen" eine Rolle gespielt haben. Aber du hast ja z.B. auch Mahler genannt. Der hat die Sinnentleerung der "schönen Form" beispielhaft im ersten Satz der Sechsten quasi als Programm umgesetzt - auf unfassbar komplexe und vielschichtig aufgeladene Weise. Das war ein halbes Jahrhundert vor "4'33".
Insofern weiß ich nicht, ob deine Überlegung wirklich eine überzeugende Qualität des Cage-Stückes in den Blick rücken kann, sofern man nicht den Aspekt der 'Stille' mit ins Spiel bringt.
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Insofern weiß ich nicht, ob deine Überlegung wirklich eine überzeugende Qualität des Cage-Stückes in den Blick rücken kann, sofern man nicht den Aspekt der 'Stille' mit ins Spiel bringt.
Ja, bei Cage gibt es die Überschreitung von Musik zu Nicht-Musik. In der Interpretation von "4.33", die Albrecht Wellmer plausibel findet, geht es darum, anhand der Überschreitung von Musik zu Nicht-Musik die Inszenierungsstrategien der Konzertsituation deutlich werden zu lassen (wenn "nichts" aufgeführt wird, bleibt die Inszenierung nackt als das einzig Wahrnehmbare übrig), die sonst, wenn tatsächlich Musik gespielt wird, als solche eben nicht auffällig werden. Da kommen beide Aspekte zusammen und das ist auch plausibel finde ich. Ich hatte das konkret auf das Zeitproblem bezogen. Musik ist ja so etwas wie "organisierte Zeit" - und in der europäischen Tradition das musikalische Werk etwas, was Anfang und Ende hat. Wir erwarten als traditionell geprägter Hörer, dass uns eine Konzertaufführung Musik so organisiert. Hier kommt ein anderes Anliegen von Cage wohl hinzu: Cage wollte die Musik von ihren "Deutungen" befreien, von ihrem Sinnhintergrund und sozusagen "reine Musik" machen. Solche Vorerwartungen was die Zeitorganisation angeht sind ja auch "Sinnversprechen" und "Sinnhintergründe", die Cage radikal in Frage stellen und uns davon befreien will. Wenn nichts zu hören ist ist eben nichts zu hören - und es ist sinnlos, sich darüber aufzuregen. Denn dann fragt man über das was sich ereignet hinaus nach einem Sinn. Das alles ist sehr dialektisch - aber eben mehr als nur ein blöder Gag, sondern sehr witzig-geistreich. Man muss die Sinnhintergründe erst bewegen, um sie dann sozusagen aufzugeben.
Schöne Grüße
Holger
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Wenn nichts zu hören ist ist eben nichts zu hören - und es ist sinnlos, sich darüber aufzuregen.
Aber für nichts möchte ich dann auch nichts bezahlen! Deshalb ist es für mich nicht witzig-geistreich, sondern es wird zur Kultur erhoben.
In einer Gaststätte oder im Kaufhaus bekomme ich für nichts nichts. Etwas zu bekommen kostet. Das ist dann keine Kultur.
Herzlichst La Roche
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Ja, bei Cage gibt es die Überschreitung von Musik zu Nicht-Musik. In der Interpretation von "4.33", die Albrecht Wellmer plausibel findet, geht es darum, anhand der Überschreitung von Musik zu Nicht-Musik die Inszenierungsstrategien der Konzertsituation deutlich werden zu lassen (wenn "nichts" aufgeführt wird, bleibt die Inszenierung nackt als das einzig Wahrnehmbare übrig), die sonst, wenn tatsächlich Musik gespielt wird, als solche eben nicht auffällig werden. Da kommen beide Aspekte zusammen und das ist auch plausibel finde ich. Ich hatte das konkret auf das Zeitproblem bezogen. Musik ist ja so etwas wie "organisierte Zeit" - und in der europäischen Tradition das musikalische Werk etwas, was Anfang und Ende hat. Wir erwarten als traditionell geprägter Hörer, dass uns eine Konzertaufführung Musik so organisiert. Hier kommt ein anderes Anliegen von Cage wohl hinzu: Cage wollte die Musik von ihren "Deutungen" befreien, von ihrem Sinnhintergrund und sozusagen "reine Musik" machen. Solche Vorerwartungen was die Zeitorganisation angeht sind ja auch "Sinnversprechen" und "Sinnhintergründe", die Cage radikal in Frage stellen und uns davon befreien will. Wenn nichts zu hören ist ist eben nichts zu hören - und es ist sinnlos, sich darüber aufzuregen. Denn dann fragt man über das was sich ereignet hinaus nach einem Sinn. Das alles ist sehr dialektisch - aber eben mehr als nur ein blöder Gag, sondern sehr witzig-geistreich. Man muss die Sinnhintergründe erst bewegen, um sie dann sozusagen aufzugeben.
Schöne Grüße
Holger
Ich fasse das Stück genau entgegengesetzt auf, sozusagen: Nicht die Kritik der Konzertsituation ist gemeint, nicht "nichts" ist zu hören, sondern die Konzertsituation wird genutzt, um aus dem allgegenwärtigen Schall ein "Stück" herauszuschneiden, das man staunend belauschen soll.
Als Beleg wären Cage-Zitate anzuführen des Inhalts, dass es keine Stille gibt, wie er im schalltoten Raum erleben konnte, und, dass notierte und nicht notierte Klänge für ihn bei Aufführungen seiner Musik gleichermaßen interessant wären. Also nun einmal als Extremfall ein Stück, das nur aus nicht notierten Klängen besteht.
Aber 4'33" ist natürlich für viele Interpretationen geeignet.
Eine ideale Aufführung sollte natürlich irgendwie die Dreisätzigkeit andeuten (kein Scherz).
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Einspielungen von 4'33" ergeben aus dieser Sicht keinen Sinn - am besten, man setzt sich mit einer Stoppuhr hin, wenn man es genau haben will.
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Aber für nichts möchte ich dann auch nichts bezahlen! Deshalb ist es für mich nicht witzig-geistreich, sondern es wird zur Kultur erhoben.
In einer Gaststätte oder im Kaufhaus bekomme ich für nichts nichts. Etwas zu bekommen kostet. Das ist dann keine Kultur.
Wieso bekommst Du nichts? Du bekommst doch etwas - nämlich eine Inszenierung mit einer schauspielerischen Leistung geboten. Fürs Theater - auch wenns keine Musik ist - bezahlst Du ja auch Geld. Außerdem: Wenn ein Symphoniekonzert 4:33 Minuten eher fertig ist, verlangst Du dann für 4:33 Minuten anteilig Deinen Eintritt zurück?
Ich fasse das Stück genau entgegengesetzt auf, sozusagen: Nicht die Kritik der Konzertsituation ist gemeint, nicht "nichts" ist zu hören, sondern die Konzertsituation wird genutzt, um aus dem allgegenwärtigen Schall ein "Stück" herauszuschneiden, das man staunend belauschen soll.
Als Beleg wären Cage-Zitate anzuführen des Inhalts, dass es keine Stille gibt, wie er im schalltoten Raum erleben konnte, und, dass notierte und nicht notierte Klänge für ihn bei Aufführungen seiner Musik gleichermaßen interessant wären. Also nun einmal als Extremfall ein Stück, das nur aus nicht notierten Klängen besteht.
Aber 4'33" ist natürlich für viele Interpretationen geeignet.
Eine ideale Aufführung sollte natürlich irgendwie die Dreisätzigkeit andeuten (kein Scherz).Ich glaube auch - bei Cage darf man nichts ausschließen. Die Interpretation, die Du gibst, ist ja auch durchaus gängig. Wellmer erwähnt sie ebenfalls. Da Cage ein witziger Kerl war, glaube ich schon, dass er sich mit dem Publikum eben auch einen Spaß machen wollte. Die komisch-verblüffende Wirkung kann man ja schlecht unterdrücken...
Schöne Grüße
Holger
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Jedenfalls geht bei einer Einspielung vieles verloren ...
Eine "korrekte" Einspielung wäre: kein Signal, aufgeteilt auf 3 Tracks, die zusammen 4:33 dauern.
Dann sieht man schön, wann der nächste Satz beginnt, und wann es aus ist. Klänge sind sowieso da, auf der CD braucht es keine zusätzlichen.
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Das ist wirklich sehr aufschlussreich :
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ja, der schluss: er schätzt am meisten stille. stille = verkehr = immer anders. 4:33 ist sozusagen das daraus ausgeschnittene "stück".
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Da Cage ein witziger Kerl war, glaube ich schon, dass er sich mit dem Publikum eben auch einen Spaß machen wollte. Die komisch-verblüffende Wirkung kann man ja schlecht unterdrücken...
Schöne Grüße
Holger
Das zeigt doch klar, dass es nur ein Gag ist. Die komische Wirkung tritt ja nicht ein, wenn man den Gag schon kennt. Ich sage dann immer: "Dieser Witz war schon veraltet, als der Hauptmann von Kapernaum noch Feldwebel war." Ich hoffe nur, dass ihr diesen Spruch noch nicht kennt.
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Nein, es ist eher ein Gag als Nebenprodukt, die Hauptsache ist eine andere. Dennoch wird das Stück stets auch mit Schmunzeln rezipiert. Meistens kennen heutzutage die Konzertgäste das Stück, wenn es mal am Programm steht, und haben trotzdem ihre Freude daran. Die komische Wirkung tritt immer wieder und wieder ein.
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Allerdings vielleicht nicht die, die Du meinst - man lacht nicht, weil der Pianist nichts spielt, das erwartet man ja, aber man amüsiert sich z.B. über die sich entwickelnden Geräusche, da ja alle wissen, dass es auf sie ankommt, und niemand welche verursachen will, alle sind gewissermaßen unfreiwillige akustische Hauptrollen mit ungewissem Ausgang.
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ja, der schluss: er schätzt am meisten stille. stille = verkehr = immer anders. 4:33 ist sozusagen das daraus ausgeschnittene "stück".
Das glaube ich auch. Nur hätte er das ja auch anders inszenieren können: Z.B. ein Tonband auf die Bühne stellen lassen, das Straßengeräusche produziert. Dann kommt ein Schauspieler oder Sänger mit einem Schild wie im Brecht-Theater "Stille 4:33" - für die Zeit schaltet er das Tonband ab, setzt sich dazu in meditativer Haltung und macht das Tonband nach 4:33 wieder an. Warum hat er es nicht so gemacht? Das wäre dann der Gegensatz Ton-Stille gewesen wie bei Anton Webern. (Weiter s.u.!)
Das zeigt doch klar, dass es nur ein Gag ist. Die komische Wirkung tritt ja nicht ein, wenn man den Gag schon kennt. Ich sage dann immer: "Dieser Witz war schon veraltet, als der Hauptmann von Kapernaum noch Feldwebel war." Ich hoffe nur, dass ihr diesen Spruch noch nicht kennt.
Ein Gag ist so etwas wie eine witzige Pointe. Das ist hier aber etwas ganz und gar Neues und keine bloße Pointe - zumal es ja nicht um Sprache geht, sondern eine Aktion.
Nein, es ist eher ein Gag als Nebenprodukt, die Hauptsache ist eine andere. Dennoch wird das Stück stets auch mit Schmunzeln rezipiert. Meistens kennen heutzutage die Konzertgäste das Stück, wenn es mal am Programm steht, und haben trotzdem ihre Freude daran. Die komische Wirkung tritt immer wieder und wieder ein.
Ich habe inzwischen eine andere Deutung - und glaube, dass die Adorno nahe, welche Wellmer favorisiert, die mir bisher auch einleuchtend schien, weniger einleuchtet. In dem Film kommt ja neben der Stille das andere zentrale Motiv von Cage: Die Musik soll von Bedeutung und Sinn befreit werden. Dann bezieht er sich auf Kant (wo mir allerdings momentan nicht klar ist, wo Kant das sagt): Es gäbe zwei Dinge beim Menschen, die keine Bedeutung hätten: die Musik und das Lachen.
Wenn ich das nun aufnehme, bekomme ich das Motiv der Stille und das Komische zusammen: Wenn ich einen großen Konzertflügel auf die Bühne stelle, den Deckel öffne etc., um ihn dann die diesem Tatbestand entsprechende Erwartung nicht erfüllend, dass etwas gespielt wird schließlich gar nicht spiele, dann ist das einfach absurd. Über diese Absurdität lachen wir doch eigentlich und über nichts Anderes. Absurdität heißt aber: es gibt keinen Sinn. Und genau das ist im Sinne von Cage: ein Lachen, das uns vom Krampf der Suche nach Sinn und Bedeutung befreit und was uns zugleich zur Stille führt.
Diese spontane Deutung gefällt mir sogar...
Schöne Grüße
Holger
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Nur gehört der Konzertflügel gar nicht zu dem Werk, das ist nur eine Möglichkeit, es aufzuführen. Auch der Konzertsaal muss nicht sein - ich habe mal ein Video gesehen, da steht Cage mit ein paar Leuten an einer Straße und lauscht - als Aufführung von 4:33.
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Nur gehört der Konzertflügel gar nicht zu dem Werk, das ist nur eine Möglichkeit, es aufzuführen. Auch der Konzertsaal muss nicht sein - ich habe mal ein Video gesehen, da steht Cage mit ein paar Leuten an einer Straße und lauscht - als Aufführung von 4:33.
Da hast Du auch wieder Recht - anders als Stockhausen legt Cage in solchen Partituren nichts genau fest. Was aber auch heißt, dass es dann in der Deutung und Ausdeutung ebenfalls keine solche Festlegung gibt, die auf Eindeutigkeit und eindeutige Entscheidung nach "richtig" und "falsch" zu beurteilen wäre, d.h. man kann den Deutungskontext bei Cage verschiedenen stimmig füllen je nachdem, welche Aufführungsvariante man wählt.
Schöne Grüße
Holger
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Also, Herrschaftem, 4:33 hat auch eine Pop-Version, gegürzt zwar, aber immerhin. Für das Album "Unfinished Music" hat John Lennon das Stück "Two Minutes Silence geschrieben", das auch bei youtube zu finden ist. Gustav Mahler hat sowas "Sammlungsstille" genannt. Und für seine zweite Sinfonie wünschte er sich zwischen dem ersten und em zweiten Satz ein Pause von fünf Minuten. John Cage hat seinerseits den musikalischen Raumausstatter Erik Satie (erfinder der musique d'ameublement) sehr ernst genommen. Die vollständige Auffürung von dessen "Vexations" hat er veranlasst und zählte auch zu den aufführenden Pianisten. Die bruchten dafür etwas über 18 Stunden. Satie formulierte etwas nebulös als Spielanweisung: "Um dieses Motiv achthundertvierzigmal zu spielen, wird es gut sein, sich darauf vorzubereiten, und zwar in größter Stille, mit ernster Regungslosigkeit." Folghendes Konzertprogramm wäre denkbar: Cage: 4:33, Satie: Vexations", HIP-Version, Lennon: Two minutes silence (hier bei Yoko Ono nach den Rechten fragen. Oder einfach machen und hoffen, dass das Plagiat nicht entdeckt wird. Vor der Aufführung sind zwingend alle Mobiltelephone an der Garderobe ausgeschaltet zu hinterlegen.
Da ich das Ganze dennoch nich als musikalische Scherze ansehe sondern vielmehr auf die Reiszauslieferung des Menschen, die schon in den 1960er Jahren kritisch beschrieben wurde, verweise ich auf die Oper "Einstein on the Beach"; keinerlei sinnstiftender Text (außer der Busfahrergeschichte am Ende der Oper), permanente Widerholung von Sequenzen und keine Angabe darüber, wie lange das Ganze dauern soll. Die Struktur der Teile und der kneeplays ist vorgegeben, wie oft man wiederholt liegt in der Hand der Aufführenden. Allzu starkk sollte man nicht kürzen, denn Robert Carson hatte bei der Entwicklung des STücks zusammen mit Philipp Glass durchaus die Idee, ein Entschleunigungsangebot zu machen. Oder, wie es im Dortmunder Opernhaus hieß: "Wir wünschen ihnen einen gute Flug."
Liebe Grüße vom Thomas
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Die vollständige Auffürung von dessen "Vexations" hat er veranlasst und zählte auch zu den aufführenden Pianisten. Die bruchten dafür etwas über 18 Stunden. Satie formulierte etwas nebulös als Spielanweisung: "Um dieses Motiv achthundertvierzigmal zu spielen, wird es gut sein, sich darauf vorzubereiten, und zwar in größter Stille, mit ernster Regungslosigkeit." Folghendes Konzertprogramm wäre denkbar: Cage: 4:33, Satie: Vexations", HIP-Version, Lennon: Two minutes silence (hier bei Yoko Ono nach den Rechten fragen. Oder einfach machen und hoffen, dass das Plagiat nicht entdeckt wird. Vor der Aufführung sind zwingend alle Mobiltelephone an der Garderobe ausgeschaltet zu hinterlegen.
Da ich das Ganze dennoch nich als musikalische Scherze ansehe sondern vielmehr auf die Reiszauslieferung des Menschen,
Wunderbar, lieber Thomas. Wobei ich allerdings denke, dass so ein Programm bei uns aktionistischen und meditationsunfähigen Europäern letztlich utopisch bleibt - Buddhisten könnten das, wir schaffen vielleicht wirklich gerade mal 4:33 oder 5 Minuten wie bei Mahler uns in der Stille zu konzentrieren - ohne uns irgendwann dann entsetzlich zu langweilen!
Liebe Grüße
Holger
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Ein Gag ist so etwas wie eine witzige Pointe. Das ist hier aber etwas ganz und gar Neues und keine bloße Pointe - zumal es ja nicht um Sprache geht, sondern eine Aktion.
Ein Gag ist nicht an Sprache gebunden, wie der häufig verwendete running gag belegt. Der klassische running gag ist das Tigerfell in "Dinner for One"! Der beste running gag in diesem Film ist der, wenn er gar nicht stattfindet, sondern der Butler elegant über das Fell steigt. Hier ist es das gleiche: der beste Gag ist der, der nicht stattfindet, nämlich statt Klaviermusik Stille.
Und nach wie vor: wenn ich das Stück von Cage "kenne", ist meine Reaktion nicht Spannung, nicht Bewunderung, nicht all das, was ihr hier als Reaktion hervorzaubert, sondern ich bleibe einfach weg, weil ich mit den 4'33'' was Besseres anfangen kann, z.B. ein Bier trinken, wo kein Bier im Glas ist.
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Ein Gag ist nicht an Sprache gebunden, wie der häufig verwendete running gag belegt. Der klassische running gag ist das Tigerfell in "Dinner for One"! Der beste running gag in diesem Film ist der, wenn er gar nicht stattfindet, sondern der Butler elegant über das Fell steigt. Hier ist es das gleiche: der beste Gag ist der, der nicht stattfindet, nämlich statt Klaviermusik Stille.
Und nach wie vor: wenn ich das Stück von Cage "kenne", ist meine Reaktion nicht Spannung, nicht Bewunderung, nicht all das, was ihr hier als Reaktion hervorzaubert, sondern ich bleibe einfach weg, weil ich mit den 4'33'' was Besseres anfangen kann, z.B. ein Bier trinken, wo kein Bier im Glas ist.
Die Fehldeutung besteht aber einfach darin, lieber Dr. Pingel, dass ein Gag immer ein intendierter Effekt ist. Genau das kann man aber bei Cage nicht unterstellen. Dass etwas komisch wirkt, heißt noch lange nicht, dass hier eine ausdrückliche Absicht im Spiel ist, eine solche Wirkung erzielen zu wollen und die ganze Handlung nur umwillen eines solchen komischen Effektes auszuführen.
Eine solche Unterstellung ist vom Phänomen her einfach nicht ausgewiesen. Wenn ich mit Cage Absurdes vorführe, wirkt das komisch. Nun kann man sagen, ja, aber die Vorführung des Absurden hat zwangsläufig einen komischen Effekt. Und dann kommt man leicht dazu, eine Intention zu unterstellen, als sei dieser Effekt damit intendiert.
Auf den Denkfehler, der dem zugrundeliegt, haben aber schon Platon und Aristoteles aufmerksam gemacht. Gutes zu tun macht Freude und bedeutet Glück. Erstrebe ich also Gutes zu tun oder nicht vielmehr das Glück und also die lustvolle Empfindung, die damit notwendig einhergeht? Der scharfsinnige Aristoteles sagt nun völlig zu Recht: Nein! Ich erstrebe das Gute um des Guten willen und dann stellt sich das Glück und die Freude daran als eine Mitgift gewissermaßen mit ein. Letztere wird eben nicht indentiert - denn sonst hätte eine Handlung, die ein Gutes erstrebt, keinen moralischen Wert, sondern würde nur umwillen eines Lustgewinns geschehen. Wenn so etwas geschieht (so etwas gibt es natürlich), ist das die Perversion einer moralischen Handlung, aber nicht diese selbst. Abusus usum non tollit.
Wenn man also Cage unterstellt, er wolle nur einen Gag machen, dann unterstellt man ihm die Perversion, es ginge ihm nicht wirklich darum zu zeigen, dass auch Stille Musik ist, sondern dies sei nur Mittel zum Zweck, einen billigen Gag zu machen und das Publikum zu verarschen. Und genau da trifft der Einwand des heiligen Aristoteles!
Schöne Grüße
Holger
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Interessant, dass Niemand Fragen hat zur Notierung von Cage. Warum schreibt er das in Form eines traditionellen Notentextes auf, was so eigentlich gar nicht notierbar ist? Und was heißt das für den aufführenden Interpreten? Wie sind diese Spieanweisungen zu verstehen?
Schöne Grüße
Holger
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Kann eigentlich jeder das Stück "aufführen"? Also nicht nur Orchester, Pianisten usw, sondern auch Schlagerfuzzis, Volkstanzgruppen, Männerchöre, Ballettschulen, Politiker, Schauspieler, Radiosender, Karnevalsvereine??? Bekommt der große Künstler Cage Tantiemen für nichts?
Herzlichst La Roche
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Bekommt der große Künstler Cage Tantiemen für nichts?
Zumindest er persönlich bekommt schon seit langer Zeit keine Tantiemen mehr für irgendetwas...
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Interessant, dass Niemand Fragen hat zur Notierung von Cage. Warum schreibt er das in Form eines traditionellen Notentextes auf, was so eigentlich gar nicht notierbar ist? Und was heißt das für den aufführenden Interpreten? Wie sind diese Spieanweisungen zu verstehen?
Schöne Grüße
Holger
Naja, das ist ja sehr klar: TACET heißt, dass man keine Klänge aktiv hervorbringen soll, und die Satzbezeichnungen bedeuten eine Binnengliederung der vorgegebenen Zeitdauer. Das ist ja alles, was an traditionellem Notentext da ist.
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Beu Wolfgang Sterneck habe ich eine Anmerkung zu 4:33 gefunden, die hier wiederzugegeben durch das Zitatrecht legitimiert ist:
Zitat"Überrascht stellte John Cage auf der Suche nach neuen Hörerfahrungen in einem schalldichten Raum in Cambridge fest, dass er rhythmische Geräusche vernahm. Der zuständige Techniker erklärte ihm später, dass er verschiedene Abläufe in seinem Körper wahrgennommen hatte. ”Ich hörte, dass Schweigen, dass Stille nicht die Abwesenheit von Geräuschen war, sondern das absichtslose Funktionieren meines Nervensystems und meines Blutkreislaufes. Ich entdeckte, dass die Stille nicht akustisch ist. Es ist eine Bewusstseinsveränderung, eine Wandlung. Dem habe ich meine Musik gewidmet. Meine Arbeit wurde zu einer Erkundung des Absichtslosen.”
Das veränderte Verständnis der Stille führte 1952 zur Komposition von ”4,33”, einem Stück in dem kein Geräusch absichtlich erzeugt wird. Die Aufgabe der beteiligten MusikerInnen ist es dabei, die Bühne zu betreten und sie nach einer Zeitspanne von 4,33 Minuten wieder zu verlassen ohne ein Instrument gespielt zu haben. Die Musik besteht aus den Geräuschen des Publikums, einem Husten, Flüstern oder auch aus Protestrufen, genauso wie beispielsweise aus den Geräuschen einer quietschenden Tür, eines auf der Straße vorbeifahrenden Lastwagens oder eines Regengusses. Einige Jahre nach der Komposition von ”4,33” erklärte Cage in einem Interview, dass er das Stück nicht mehr benötige, da er inzwischen in der Lage sei, es ständig zu hören. ”Die Musik, die mir am liebsten ist und die ich meiner eigenen oder irgendeines anderen vorziehe, ist einfach die, die wir hören, wenn wir ruhig sind.”Stille, verstanden als Spanne zwischen dem Ende einer Aktion und dem Beginn einer Neuen ist zumeist mit Spannung erfüllt, die man auch Warten nennt. Eine Pause zwischen zwei Sätzen in einem Konzert wird zum Husten genutzt, man erwartet aber auch einen flinken Fortgang. Werke folgen einer mehr oder weniger erwartbaren Struktur. Das Absichtslose, wie es Cage nennt, das Heraustreten aus dem Räderwerk unseres täglichen Seins, das überfordert. Insofern überfordert auch 4:33. Oder "Einstein on the Beach", beides Werke, die den Halt des Vorgewussten verweigern. Der moderne Städter mag sich da vielleicht fühlen, wie jemand, der auf der Treppe stolpert und kein Geländer findet. Viele weise Kulturen auf dieser Welt verstünden indes das Problem nicht. Nicht das Bedürfniss, 4:33 oder "Two minutes silence" schreiben zu müssen, noch die Schwierigkeit, damit umzugehen.
Liebe Grüße vom Thomas