Le Nozze di Figaro, Wiener Staatsoper, 9.3.2019 - Ein Abend der vergebenen Chancen

  • Ein Abend der vergebenen Chancen


    EXKURS

    Ich komme ursprünglich aus dem Sportbereich und beobachtete Spieler und Mannschaften, die ein großes Potential in sich hatten, doch entweder diese niemals auf den Platz brachten – oder direkt beim Spiel vom Trainer durch Fehlentscheidungen oder durch Fehlentscheidungen oder zu passives Coaching um den Erfolg gebracht wurden.

    EXKURS ENDE


    .. und genau dieses Gefühl hatte ich gestern am Abend. Die „Nozze“ ist sicherlich eine der perfektesten Opern aller Zeiten und sollte entsprechend geprobt werden. Bei dieser Mini-Serie, die eingeschoben wurde, da die Philharmoniker sich zurzeit auf Tournee befinden, gab es keine einzige Orchesterprobe, keine Bühnenprobe – und gleich drei Rollendebüts. Dazu wurde, um im Sportjargon zu bleiben, für eine vakant gewordene Stelle ein Ersatzspieler nominiert, der normalerweise auf einer ganz anderen Position spielt und so seine Stärken nicht ausspielen konnte, im Gegenteil, die Harmonie innerhalb der Mannschaft sogar störte. Der Trainer war auch nicht in der Lage entsprechend auf die Mannschaft einzuwirken – unter all diesen Umständen wurde aber nichtsdestotrotz ein gutes Ergebnis rausgeholt – obwohl das Potential für einen klaren Sieg gegeben war.


    Die Produktion des bereits verstorbenen Jean-Louis Martinoty in den Bühnenbildern (im wahrsten Sinne des Wortes) von Hans Schavernoch und in den wirklich großartigen Kostümen von Sylvie de Segonzac war von Beginn an umstritten. Zu sehr hängt das Herz des Wiener Stammpublikums noch an der Vorgängerinszenierung. Natürlich brachte Martinoty eine ganz andere Ästhetik auf die Bühne – und ich selbst war dieser niemals so negativ eingestellt als die meisten meiner Kollegen, aber eine Frage bleibt unbeantwortet (und ist meines Erachtens nach aber eine sehr wichtige in Bezug auf jede Neuproduktion) – warum eine Neuinszenierung, wenn die „Deutung“ des Stückes genau der der Vorproduktion entspricht? Und wenn man sich trotzdem dazu entschließt ist es die Pflicht des Managements dafür zu sorgen, dass die Bedingungen für die Sänger rein akustisch sich entweder verbessern oder zumindest gleichbleiben. Derartig sängerunfreundliche Produktionen wie z.B. die aktuelle Traviata, Onegin, Nozze etc. sollten verhindert werden. Und noch einmal – da geht es nicht um Ästhetik, sondern rein darum, dass Sänger durch den Bühnenaufbau unterstützt werden.


    Sascha Goetzel wurde im Vorjahr für das Dirigat des Don Giovanni sehr gelobt. An diesem Abend klang es aber nach „Dienst nach Vorschrift“. Ich vermisste jedwede Akzentuierung, irgendwie klang alles nach Einheitsbrei. Aber – und das gebe ich zu – ist es möglich, dass ich dem Dirigenten Unrecht tue, weil ich HIP-Produktionen von Mozart-Opern einfach präferiere, besonders die von Harnoncourt – und wie man ja weiß befinden sich Welten dazwischen. Ich bin auch sicher, dass er, hätte er die Möglichkeit zu Orchesterproben gehabt, mehr Gestaltungsmöglichkeiten gefunden hätte.


    Stephanie Houtzeel gebührt ein Sonderlob. Ich habe noch niemals eine derart präsente und prägnante, spielfreudige und bühnenbeherrschende Marcelline erlebt wie sie. An diesem Abend war es wirklich schade, dass die Arie im 4.Akt (wie meistens) gestrichen wurde. Eine brillante Leistung – und die Vorfreude auf die Rosenkavalier-Serie in zwei Wochen steigt!


    Ebenfalls großartig war (man möchte schon fast sagen „natürlich“) Jongmin Park als Figaro. Eine hervorragende fundierte Stimme, technisch sehr sauber, beeindruckte er von Beginn an das Publikum. Ich bin sicher, dass mit der Zeit seine Interpretation der Rolle reifen wird. Er war ein wenig zu „brav“ und wirkte an und ab wie ein gemütlicher Teddybär – daran sollte er in Zukunft noch arbeiten. Aber es ist wirklich viel von ihm zu erwarten, und möge er der Staatsoper noch möglichst lange erhalten bleiben.


    Als Susanna zeigte sich in dieser Saison zum letzten Mal Valentina Nafornita. Nach einem etwas verhaltenen Beginn (in der Anfangsszene mit Park klang sie etwas „belegt“) konnte sie sich freisingen und präsentierte eine innig gesungene Rosenarie. Dass sie eine außergewöhnliche Bühnendarstellerin ist weiß man ohnehin.




    Alessio Arduini stammt, wie überhaupt die komplette Besetzung, aus dem Hausensemble. Was für Jongmin Park gilt, das trifft auch auf ihn zu. Eine technisch saubere Leistung, gut gespielt – aber von der Interpretation her ist noch Platz nach oben. Es liegt aber vielleicht auch an der Inszenierung, dass der Conte eher als Schwächling dargestellt wird, der von jedermann gegängelt wird. Seine Contessa war Olga Besztmertna, die ja in den vergangenen Jahren eine tolle Entwicklung hinter sich hat. Ihre Leistung war – so unglücklich der Ausdruck auch ist – rollendeckend, allerdings gelang ihr „Dove sono“ sehr gut und sie erhielt berechtigten Szenenapplaus.


    Die Wiener Staatsoper hat immer schon hervorragende Darstellerinnen des Cherubino gehabt. Prägend in den letzten 10-15 Jahren waren auf jeden Fall Angelika Kirchschlager und Elina Garanca. An diesem Abend übernahm Virginie Verrez diese sehr dankbare Rolle. Ihr Mezzo ist etwas hell timbriert und klang besonders bei Rezitativen fast wie ein Sopran, doch gesanglich blieb kein Wunsch offen, auch die tieferen Töne bei „Voi che sapete“ erreicht sie mühelos. Auch figürlich ist sie ideal für den Farfallone d’amor. Ob sie schauspielerisch von sich aus ein wenig zu sehr outrierte oder ob das seitens der Regie so gewollt ist – diese Frage bleibt einmal unbeantwortet.


    Maria Nazarova ist eine quirlige Barbarina. Dass ihre Cavatina nicht mehr Eindruck hinterließ kreide ich nicht ihr an, sondern dem Dirigat. Das war eine der (vielen) vergebenen Chancen an diesem Abend.

    Was ist dem Besetzungsbüro dabei eingefallen, dass sie Herwig Pecoraro als Don Basilio einspringen ließen?!?? Er, der ein ganz toller Mime ist und ein erfahrener Charaktertenor war leider eine Fehlbesetzung. Damit tat man weder dem Sänger noch dem Publikum einen Gefallen.


    Ein gesundheitlich ein wenig angeschlagener Sorin Coliban war Don Bartolo, Don Curzio wurde von Leonardo Navarro auch ein wenig übertrieben gespielt, als Antonio sorgte Igor Onishchenko für Heiterkeit.


    Zusammenfassend war es schlussendlich ein doch gelungener Abend – aber als Nozze- und Mozart-Liebhaber war ich fast mehr über das enttäuscht, was möglich gewesen wäre als über das erfreut, was tatsächlich geboten wurde.

    Hear Me Roar!

  • Noch ein Szenenphoto (alle Photos von Michael Pöhn (c) Wiener Staatsoper)


    Alessio Arduini (Conte) - Valentina Nafornita (Susanna)


    Hear Me Roar!

  • Lieber Dreamhunter, danke für den schönen Bericht. Mozart wird mit zunehmendem (eigenen) Lebensalter immer interessanter. Eine Frage, was ist mit den "sängerunfreundlichen" Produktionen genauer gemeint? z.B. singen mit dem Rücken zum Publikum (Agathe erste Arie in einer Konwitschny-Inszenierung in Hamburg) oder nach oben und hinten offener Bühnenraum, der einen Teil des Schalls absorbiert (Rummelplatztraviata in Hamburg, Manon lescaut auf der am Ende völlig leeren Riesenbühne des Mosklauer Bolschoi-Theaters z.B.) und die Sänger fast an die Rampe zwingt, damit man sie noch ordentlich hört?

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Ich meinte in diesem Fall speziell den nach hinten offenen Bühnenraum - und die Tatsache, dass die Sänger oft vom hinteren Teil der Bühne aus agieren müssen - dadurch müssen sie dann manchmal forcieren...

    Hear Me Roar!

  • z.B. singen mit dem Rücken zum Publikum (Agathe erste Arie in einer Konwitschny-Inszenierung in Hamburg)

    Hallo Ralf, ich möchte Dich nur ungern korrigieren, aber da ich aufgrund eines anstehenden Besuches der aktuellen Freischütz-Inszenierung in Lübeck grad erst wieder in die Konwitschny-Inszenierung hineingeschaut habe: Du meinst hier die zweite Arie "Und ob die Wolke sie verhülle ..." im 3ten Aufzug. Die erste Arie "Wie nahte mir der Schlummer ... Leise, leise, fromme Weise!" singt Agathe direkt in Richtung Publikum durch einen ausgeschnittenen Gaze-Vorhang, wie durch ein Fenster, während im Rückraum kleine Lämpchen einen Sternenhimmel darstellen - allen Zweiflern sei übrigens gesagt, dass sich Konwitschny hier wie so oft sehr dicht an die Vorgaben des Librettos hält. Die zweite Arie hingegen singt Agathe zu Beginn tatsächlich mit dem Rücken zum Publikum auf einer fast leeren Bühne; allerdings versteht Konwitschny genug von seiner Arbeit, um zu wissen, dass das natürlich nicht funktionieren kann, weshalb er direkt vor ihr eine ausreichend große Wand als Schallreflektor positioniert. Anschließend steigt Ännchen auf diese Wand und singt von oben herab das Schauerlied von Nero, dem Kettenhund, bevor auch die Brautjungfern von hinten auf die Wand klettern und den Jungfernkranz zum Besten geben.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Lieber Michael, Du hast natürlich recht, so wie Du es erinnerst; allerdings erschließt sich mir der Sinn des rückwärts gerichteten Gesangs nicht, auch reichte die Wand meiner Erinnerung nach nicht aus, um den vollen Klang der Stimme in den Zuschauerraum zu transportieren (ich habe die Konwitschny-Inszenierung viermal gesehen, mit Charlotte Margiono, Hellen Kwon, Danielle Halbwachs und Julia Maria Dan als Agathe, Hellen Kowon gefiel mir davon stimmlich am besten, andere gute Agathen waren Elisabeth Grümmer, Melitta Muszely, Catarina Ligendza, Judith Beckmann und vor allem Gundula Janowitz). Konwitschny hat sich in der Tat dicht an das Libretto gehalten, vor allem wurde der gesamte Text gesprochen, im Grunde war es nahezu ein Textstück mit gesanglichen Einlagen. Grüße, Ralf

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Fortsetzung der Freischütz-Abschweifung siehe hier.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Die zweite Arie hingegen singt Agathe zu Beginn tatsächlich mit dem Rücken zum Publikum

    Wir schweifen hier vom Threadthema ab. Dennoch eine kurze Bemerkung: Ist das nicht ein wenig unhöflich gegenüber dem Publikum und auch gegenüber der Sängerin? Oder ist meine Erziehung altmodisch? Jemanden während eines Gespräches den Rücken zuzukehren ist unhöflich, so wurde mir das von meinen Eltern und in der Tanzstunde beigebracht. Oder ist das Vortragen einer Arie in der Oper gar nicht als Dialog im Sinne eines Gespräches zu betrachten??


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Wir schweifen hier vom Threadthema ab.

    Weshalb ich hier auf einen anderen Thread verwiesen habe!

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.