Rilling, Richter, Harnoncourt --- Bach - Kantaten

  • der Lullist schrieb:

    Zitat

    Den Meinungen hier kann ich mich nur anschließen, Philippe Herreweghe steht bei mir auch auf Platz eins, dann Gardiner. Von den alten Aufnahmen von Harnoncourt und Richter bin ich nicht mehr so angetan, Rilling geht gar nicht...


    Wiedermal gleichen sich unsere Meinungen. :lips: Ich habe in letzter Zeit Herreweghes Kantaten-Aufnahmen für mich entdeckt und bin hin und weg von seiner Art, Bach zu musizieren. Das hat so viel Leichtigkeit, ohne leichtgewichtig zu sein. Das Prunkstück ist meiner Meinung nach sein Chor, der ist einfach unübertroffen gut!


    Nach dem Rummel im Bach-Jahr 2000 hatte ich genug von Bach. Ich hab mich damals wohl überhört daran. Vor ein paar Monaten fiel mir bei einem Gelegenheitskauf eine Herreweghe-Einspielung (Trauerode BWV 198 ) in die Hände. Seitdem hat´s mich wieder gepackt und Bach´sche Musik liegt wieder häufiger in meinem CD-Player, und gerne in Herreweghes Einspielungen. :jubel:


    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Ach, es soll 'mal wieder alles nicht wahr sein - nicht nur Bachs Orchester,
    sondern nun auch sein Chor neuerdings ein Minimalverein mehr oder min-der stimmfester Thomaner (wenigstens das kann ja nicht bestritten wer-den !) !


    Selbst gesetzt den Fall, es sei so gewesen, so lese man sich doch end-
    lich einmal Bachs" Höchstnötigen Entwurff" von Anfang bis Ende sorg-
    sam durch: Ein einziger Schrei nach Verbesserung seiner ihm zur Verfü-gung stehenden Klangmittel, ein "So hätt' ich's zumindest gern !" und kein "So geht's schon !"


    Daher: Bach darf auch im Schlaglicht der "historisch informierten" Auffüh-rungspraxis heute durchaus etwas voller klingen, wie Karl Richter es eben so unnachahmlich vorgemacht hat.


    Wohl bekomm's !

  • So, nachdem also nun Gardiners Aufnahme der Kantaten zum 15. und 16. Sonntag nach Trinitatis eine erdbebenartige Gemütserschütterung bei mir ausgelöst hat und ich mich daran gar nicht satt hören kann, werd ich mir wohl demnächst die beiden aktuell noch erhältlichen Doppel-CDs aus dieser Serie zulegen. 2 Neuerscheinungen soll es ja ebenfalls bald geben. Mein ursprünglicher Plan, den Richter-Schuber zu vervollständigen ist damit erstmal von Tisch. Mal schaun, wie viele Veröffentlichungen Gardiners Label verkraftet, hoffentlich recht viel, wenn die Qualität so bleibt.


    Gruß
    Sascha

  • Gerd:

    Zitat

    Daher: Bach darf auch im Schlaglicht der "historisch informierten" Auffüh-rungspraxis heute durchaus etwas voller klingen, wie Karl Richter es eben so unnachahmlich vorgemacht hat.


    Trotzdem steht in Bachs "Entwurf" kein Wort davon drin, daß er seine Werke gerne aus dem Geist des 19.Jahrhunderts über den Filter Wagners und Bruckners aufgeführt wissen wollte, es spricht daraus keine Sehnsucht nach den Klängen einer spätromantischen Sauer-Orgel oder dem Klavierspiel Glen Goulds. Will sagen, wir wissen es nicht, wie er auf dergleichen reagiert hätte und viel wichtiger noch: Bach schrieb IMMER für die Ensembles, die er zur Verfügung HATTE und niemals für eine imaginäre Schublade, in der seine Musik zu verschwinden habe, bis sie durch Karl Richter eiine klangmulmige Auferstehung erfahre.
    Allein schon aus diesen sicher nur schwer widerlegbaren Gründen stehen für mich die Verfechter einer "historischen" Aufführungspraxis, einerlei, welche Ergebisse sie zeitigen, auf der "richtigen" Seite. Wir können dem Geist Bachs nicht auf die Spur kommen, wenn wir das ignorieren, was ihm ans klanglischen Ausdrucksmöglichkeiten zu Verfügung stand und sattdessen jenes in höchsten Töenn preisen, was er garnicht kannte und möglicherweise auch garnicht gewollt hätte....

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Genau, das kann man vielleicht so zusammen fassen (?) :
    Bachs Musik ist (für ihn) das "Beste" für das Ensamble, das ihm zur Verfügung stand.
    Er hat bestimmt nicht (und das behauptet so ja auch keiner) im ein Riesenchor im kopf gehabt und jede Woche gedacht, oh Mann, und ich hba nur 12 Luschen..

  • Hallo Max - zurück aus dem Urlaub?


    Zitat

    Er hat bestimmt nicht (und das behauptet so ja auch keiner) im ein Riesenchor im kopf gehabt und jede Woche gedacht, oh Mann, und ich hba nur 12 Luschen..


    .... aber GEWÜNSCHT hätte er sich ein paar mehr und qualitativ bessere Musiker/ Sänger auf jeden Fall - welcher Komponist würde das nicht? :]

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Dächte man dieses Argument freilich konsequent zu Ende, so hätte bei-spielsweise Wilhelm Furtwängler mit philharmonischen Mitteln keine
    "Matthäus-Passion" aufführen dürfen, obschon man doch zugeben muß,
    daß dies ein großes künstlerisches Ereignis war; zudem hat doch jeder
    Musiker das Recht, seinen Weg in einer Partitur zu gehen !


    Daß Bach im übrigen sehr wohl auch "sub specie aeternitatis" kompo-niert hat, zeigt das Studium gewisser Orgelwerke, die auf den barocken Instrumenten so gar nicht spielbar waren sowie etliche Kantatenpar-tien, die einen ungleich höheren Schwierigkeitsgrad für die Sänger auf-weisen als selbst in den Oratorien.


    Was Richters "Romantizismus" anlangt, so hat er diesen für sich im übrigen stes abgestritten...


    Grüße, G.

  • Hallo Gerd,


    ich möchte dich bitten, ein paar Beispiele für damals Unspielbares zu nennen und auch das Warum dazu (wobei mich letzteres noch mehr interessiert).


    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Gerd:


    Zitat

    Daß Bach im übrigen sehr wohl auch "sub specie aeternitatis" kompo-niert hat, zeigt das Studium gewisser Orgelwerke, die auf den barocken Instrumenten so gar nicht spielbar waren sowie etliche Kantatenpar-tien, die einen ungleich höheren Schwierigkeitsgrad für die Sänger auf-weisen als selbst in den Oratorien.


    Ich schliesse mcih Thomas an und bitte um wenigstens EIN BEISPIEL für deine Behauptung, welche "ge-wissen" Orgelwerke da gemeint sind bzw. sollten. Bach standen für seine Interpretationen sowohl mitteltönig wie auch temperiert gestimmte Instrumente zur Verfügung, wobei wir wissen, daß er letzteren (Beispiel Trost-Orgel Altenburg) den Vorzug gab. Welches der Bachschen Orgelwerke sollte darauf bitte NICHT spielbar sein ? Wenn Bach eine Solopartie in seinen kantaten schrieb, ging er immer von einem ganz konkreten Interpreten aus,das belegen vor allem Kantaten aus seiner weimaraner Zeit, die er dann ganz individuell den veränderten Verhältnissen in Leipzig anpasste und über sein Parodie-Verfahren im Besondsren habe ich mich schon an anderer Stelle geäussert.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Zitat


    Allein schon aus diesen sicher nur schwer widerlegbaren Gründen stehen für mich die Verfechter einer "historischen" Aufführungspraxis, einerlei, welche Ergebisse sie zeitigen, auf der "richtigen" Seite.


    Hallo BBB!


    Das mag ja alles zutreffend sein, ich als Laie werde mich hüten, es zu bestreiten.Aber mich interessiert doch bei der Wahl einer Aufnahme keine objektiv " richtige" Seite, kein Dogma wie etwas mal geklungen hat.Damit mögt Ihr Profis Euch beschäftigen.Dabei geht es mir wie beim Reden über einen guten Tee- ganz interessant, aber ohne den Genuß aus der Schale doch recht müßig. Für mich und manch anderen Hörer zählt doch etwas ganz anderes: Entspricht eine Aufnahme im Moment des Hörens meinem höchstpersönlichen Empfinden des " Richtigen", paßt sie zu meiner Klangästhetik, spricht die Aufnahme zu mir.Und bei mir ist das halt manchmal eine Aufnahme von Gardiner, von Herreweghe, von Rilling, vom Thomanerchor oder von Karl Richter.
    Die Präferenz MEINER " richtigen" Aufnahme ändert sich im Lauf der Jahre auch mal.
    Unbeschwert von der Last der Suche nach dem objektiv Richtigen genieße ich einfach...! :]


    Gruß
    Stefan

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Hallo Stefan,


    schön formuliert (vor allem der Tee-Vergleich!) - ich sehe das ganz genauso: Mich muss eine Aufnahme ansprechen, dann ist mir der ganze theoretische "Background" zunächst mal egal, so spannend er auch sein mag!
    Das ist ja das Schöne an Musik ;)


    Um nochmal auf Gerds Statement zurückzukommen:

    Zitat

    Daß Bach im übrigen sehr wohl auch "sub specie aeternitatis" kompo-niert hat, zeigt das Studium gewisser Orgelwerke, die auf den barocken Instrumenten so gar nicht spielbar waren sowie etliche Kantatenpar-tien, die einen ungleich höheren Schwierigkeitsgrad für die Sänger auf-weisen als selbst in den Oratorien.


    Er meint damit sicherlich nicht unbedingt, dass man einige Bachsche Orgelwerke partout nicht auf zeitgenössischen Orgeln spielen kann, sondern will damit wohl eher sagen, dass einige dieser sehr komplexen, geradezu sinfonisch-konzipierten Orgelwerke weit über ihre Zeit hinausweisen und mit modern(er)en Orgeln vielleicht noch ausdrucks- und facettenreicher wiedergegeben können, als es mit dem Instrumentarium der Bachzeit möglich war.
    Jedenfalls verstehe ich seine Äußerung so.
    Und es spricht ja eindeutig für die Substanz Bachscher Musik, dass da selbst 275 Jahre nach ihrer Erschaffung immer noch soviel Potential drin steckt und es immer noch Neues zu entdecken und hörbar zu machen gibt!

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Ja, ich denke auch; selbst, wenn man herausfände, dass ein "normaler Chor im Barock Lutherdeutschlands" wie das Parrott sagt, aus höchstens 12 Sängern bestand und BAch auch seine Musik niemals für einen Massenchor geschrieben hat; dann sollte as ja trotzdem "die Leute" (also solche wie Rilling und Biller :) )nicht daran hindern, die Stücke trotzdem so aufzunehmen, weil wir das HEUTE so einfach---hm--schöner finden.
    Das ist vielleicht ähnlich wie die "Pedalfrage". Ich habe mich früher immer (und war noch stolz dabei) geweigert, bei BAch Pedal zu spielen, als o auch WTK und so, alles ohne; denn BAch habe es ja auch nicht geamcht. Meine Klavierlehrerin meinte dann aber , wenn Bach das Pedal gekannt hätte, hätte ers sicher benutzt...!
    Naja, wer weiß.. :)
    OK, ich habe jetzt bisher über die "Anzahl" der Chorsänger geredet, natüröich wird durch den "Entwurff" sehr gut deutlich, dass es Bach vOR ALLEM darum ging, dass er zu wenige gute Sänger hatte (tüchtige).
    Zu den Orgelstücken :
    Gerd, amnchmal kommt einem das nur so vor... :(:D

  • Also das mit den Orgelwerken ist mir auch neu.
    Allerdings bei den Suiten für Laute / Theorbe ist das schon eher der Fall, das rührt wohl daher, das Bach diese Instrument nicht spielen konnte und - man muß es sagen - wohl einige "Fehler" eingebaut hat die man einfach nicht spielen kann.



    Was das übrige betrifft so schließe ich mich dem Statement von BigBerlinBear an. Das fatale an der Sache ist doch, dass man solche Interpretationen ein völlig falsches Bild der Komposition ergeben.
    Ich bezweifle keinesfalls den Ansatz, jeder soll doch machen was er will, aber wer Heute noch gegen die "historische Aufführungspraxis" wettert ist nicht ganz auf dem Laufenden. Es klingt längst nichtmehr so hölzern und dünn wie in den ersten Aufnahmen der 60er und 70er Jahren.


    Das waren zwar interessante Pionierarbeiten, aber da hat noch viel Forschung gefehlt.


    Ein Karl Richter ist Heute bestenfalls Durschnitt im Vergleich zu Aufnahmen von Gardiner oder Herreweghe, das ist ein anderer und wie ich meine besserer Ansatz.
    Das ändert jedoch nichts an seinem Wert an der Sache.
    Aber Heute ist das nichtmehr zeitgemäß.


    Ich mag es zwar auch nicht wenn man versucht das rekonstruieren wie es damals gewesen war - man denke nur an die ital. Opern im 17. Jahrhundert, da hat man genommen was gerade da war (...)
    Dann ist es mir doch lieber wenn man sich an den größeren Hoforchestern orientiert und nicht an den notdürftigen Aufführungen kleiner Gemeinden.


    Den wohl größten Reiz den kleinere Chöre ausmachen ist diese Transparenz und Beweglichkeit, das haben diese Massen einfach nicht, und man denke auch mal um was es hier geht: um das Wort Gottes - es muss verständlich sein, der Text ist hierbei wichtiger als die Musik.
    Das ist eine ganz andere Auffassung der Musik als im 19. Jahrhundert.


    Dann kommt ja noch ein viel entscheidender Teil zum tragen, der wichtiger als die Instrumente und die Größe des Ensembles ist:
    Die Art und Weise wie musiziert wird.
    Allein was aus dem Vibrato geworden ist, das kann man kaum genug verurteilen. Es war eine einfache Verzierung für besondere Effekte, heute sind sie alle am "zittern" - fürchterlich.
    Dann die Theorien der Zeit über Vortragsstil und Rhetorik, das gibt es bei Richter alles nicht und das merkt man.

  • Oolong:


    Zitat

    Unbeschwert von der Last der Suche nach dem objektiv Richtigen genieße ich einfach...


    Hallo Stefan,


    Aber das mache ich doch ebenso und eine meiner Lieblings-Bachplatten ist jene mit Kathleen Ferrier, welche jedem Origialklang-Fetischisten die Haare zu Berge stehen ließe und die aber aufgrund der immensen Ausdruckskraft der Interpretin über allen Zweifel erhaben ist. Sie sei dir hiermit wärmstens empfohlen:



    Ich hab mich lediglich gegen eine Sichtweise gewehrt, in der Bachs Musik unterstellt wird, auf den Instrumenten und wohl auch mit den gestalterischen Möglichkeiten der Barockzeit nur unvollkommen wiedergegeben werden zu können.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • MarcCologne:


    Zitat

    sondern will damit wohl eher sagen, dass einige dieser sehr komplexen, geradezu sinfonisch-konzipierten Orgelwerke weit über ihre Zeit hinausweisen und mit modern(er)en Orgeln vielleicht noch ausdrucks- und facettenreicher wiedergegeben können, als es mit dem Instrumentarium der Bachzeit möglich war.


    Hm, ich denke, in seinem Text steht eher das Gegenteil deiner Vermutung zu lesen, aber seis drum. Bachs Orgelwerke sind keinesfalls "sinfonischer" , (ein Begriff, den es wohl so im barocken Denken noch garnicht gab !) als die seines Lehrers Dietrich Buxtehude, die noch in Gänze dem Geist und dem Formempfinden des 17.Jahrhuderts verpflichtet sind. Ausserdem ist es wohl eher möglich, auf einer großen barocken Orgel eine Komposition Messiaens in Maßen authentisch wiederzugeben als umgekehrt eine Choralbearbeitung Heinrich Scheidemanns oder eine Variationsfolge J.P. Sweelincks auf einem "modernen" Instrument , das möglichwerweise mit großer Klangfülle aber eben auch häufig mit einem Mangel an individuellen Registern, die es ja ausschliesslich sind, um ein Instrument "unverwechselbar" zu machen, darzustellen !

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • DerLullist:


    Zitat

    Allerdings bei den Suiten für Laute / Theorbe ist das schon eher der Fall, das rührt wohl daher, das Bach diese Instrument nicht spielen konnte und - man muß es sagen - wohl einige "Fehler" eingebaut hat die man einfach nicht spielen kann.


    Diese Vermutung wurde schon oft geäussert. DAGENGEN spricht jedoch, daß Bach mit dem bedeutendsten Lautenisten seiner Epoche, dem großen Leopold Sylvius Weiss, nicht nur bekannt sondern befreundet war. Weiss gehört zu den wenigen Instrumentalisten, die nicht aus Bachs direktem Familienkreis stammen, mit denen er öfter GEMEINSAM musizierte, so daß man mit Sicherheit davon ausgehen kann, daß Weiss seinen Freund auf mögliche "Fehler" hingewiesen und bei den Korrekturen geholfen hätte. Ich bin eher davon überzeugt, daß Bach seine Suiten für ein sogenanntes "Lautenwerk", also ein Tasteninstrument ähnlich dem Cembalo, geschrieben hat. Dafür spricht, daß er den Leipziger Instrumentenbauer Hoffmann, der u.a. auch solche "Lautenwerke" herstellte, ebenfalls persönlich kannte.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Das wäre eine Erklärung, denn von der Freundschaft zu Weiss meine ich auch gelesen zu haben.
    Es wäre wirklich sehr merkwürdig wenn Weiss ihn nicht darauf hingwiesen hätte.


    Andereseits, vielleicht konnte Weiss es spielen :D


    Jedenfalls würde es auch die Vorhaltung begründen, es seien eher Kompositionen für ein Tasteninstrument bzw. sie würden sich dafür besser eignen...

  • DerLullist:


    Zitat

    Andereseits, vielleicht konnte Weiss es spielen


    Ja, möglicherweise war dem so aber leider ist uns absulut garnichts über die Instrumente, die Weiss spielte, (Stimmung, Chörigkeit) bekannt.Ich weiss aber vom dem Lautenisten Konrad Junghänel, daß es auch bei etlichen Weiss-Werken ähnliche Probleme wie bei den Bach-Suiten giibt, was zu der Vermutung führt, daß Weiss ein sehr spezielles, für ihn angefertigtes Instrument spielte. Jedenfalls ist überliefert, daß Weiss in der Lage gewesen sein soll "in allen herkömmlichen Tonahrten zu präludiren", was auf einer herkömmlichen Laute mit Sicherheit nicht geht !

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Zitat

    Original von BigBerlinBear


    Ich hab mich lediglich gegen eine Sichtweise gewehrt, in der Bachs Musik unterstellt wird, auf den Instrumenten und wohl auch mit den gestalterischen Möglichkeiten der Barockzeit nur unvollkommen wiedergegeben werden zu können.


    Hallo BBB,


    also an diesem Punkt stimme ich Dir uneingeschränkt zu. Bach war zwar ohne Zweifel das, was Christoph Wolff einen " learned musician" nennt, der sich teils in schwindelnden kompositorischen Höhen bewegte. Aber er war auch und vor allem praktizierender Musiker und ich halte es für ausgeschlossen,daß ihm jemals der Gedanke gekommen wäre, ein Werk " auf Hoffnung " zu komponieren - das heißt, es so aufzubauen, daß es in seiner Zeit nur unvollkommen spielbar war, aber VIELLEICHT mit den Mitteln des zu erwartenden Fortschritts optimal erklingen würde.


    Bach hatte unzweifelhaft bei jedem Werk den Klang seiner Zeit im Ohr. Annäherungen an diesen Klang wieder hörbar zu machen ist ein unschätzbarer Verdienst der historisch informierten Aufführungspraxis.Das jeweilige ästhetische Empfinden bleibt aber davon unberührt - und ich freu mich, daß Du dies mit Aufnahmen wie der von Kathleen Ferrier ebenso empfindest.


    Danke für die Empfehlung, ich werd demnächst in jedem Fall mal reinhören


    Viele Grüße aus dem grünen Thüringen in die Hauptstadt :hello:


    Stefan

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Liebe Forumsgemeinde,


    einerseits hocherfreut, solch lebhaftes Diskussionsecho hervorgerufen zu haben, zum anderen etwas über mich selbst entsetzt, sie in eine
    mißverständliche Richtung gelenkt zu haben, darf ich hier zuvorderst
    klarstellen, daß ich einige Bach'sche Orgelwerke keineswegs als auf
    historischen Instrumenten technisch unspielbar hinstellen wollte, sondern - durchaus in Marcs Sinne - für schwer zu durchdringen halte,
    so man sich bei der Interpretation auf den häufig zu geringen Tonum-
    fang in den Manualen (kurze Oktve) und im Pedal, das Fehlen jeglicher
    Kombinationen sowie die historische Stimmung des Orgelwerkes reduziert; beispielhaft sei hier der Choral "Hilf Gott, daß mir's gelinge"
    BWV 624 (insbesondere dessen problematische Führung des Conse-
    guente im Alt) genannt.


    Im übrigen noch: Darf man Karl Richter objektiv als "Durchschnitt" ab- kanzeln, wenn selbst ein Glenn Gould ihm noch 1977 in einem
    CBS-Interview das Prädikat des "bedeutendsten Bach-Interpreten un-
    seres Jahrhunderts" ausstellt ?


    Beste (provokante ?) Grüße,


    GERD

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Hallo Gerd,


    es war etwas anders gemeint. Im Vergleich zu den aktuellen Aufnahme von beispielsweise Herreweghe, Koopman, Gardiner wirken die Einspielungen von Karl Richter etwas veraltet, wie gesagt er berücksichtigte damals noch nicht die Erkenntnisse die wir Heute haben, wie auch.


    Aber Du hast die Frage ja schon selbst beantwortet - 1977, das ist lange her und seitdem hat sich sehr viel getan.


    Dennoch, auch ich mag es ab und zu Aufnahmen von Gould und Richter zu hören, ich finde es außerordentlich Interessant wie die Interpretation sich über die letzten Jahrzehnte verändert hat.


    Aber die Heutigen Interpretationen überzeugen jetzt mehr, das kann in 40 Jahren auch ganz anders aussehen, denn wer weiß was man bis dahin noch herausfindet.


    Ich denke einfach diese Dinge sind zu wichtig - Beispiel: seine Orchestersuiten: eine Sammlung frz. Tänze, doch zu Richters Zeiten gab es noch keine professionellen Forscher wie Madame Lancelot die den Barocktanz wiederendeckte und ihn in die richtigen Tempi brachte, Resultat diese Tänze wurden meist viel zu langsam gespielt, das Air verkam zu einem Schwulstfeuerwerk etc.
    Es handelt sich hierbei um keine Konzerte sondern um Ballettmusik die konzertant vielleicht auch szenisch aufgeführt wurde.


    Jetzt kennt man die richtigen Tempi und kann im besten Fall sogar mit Tänzern zusammenarbeiten um der Musik den entsprechenden Gestus zu geben.


    Der Barockgesang ist reinste Rhetorik und er ist nunmal kein Belcanto.
    Vielleicht fällt es auch nur schwer zu akzeptieren das Bach ein Barockkomponist ist.

  • hallo,


    auch wenn ich sicherlich eine ausnahmemeinung vertrete: ich finde, daß die aufnahmen richters zu den qualitativ hochwertigsten und sicherlich dauerhaftesten aufnahmen gehören.


    trotz aller genannten und berechtigten mängel, teilweise zu langsam, zu groß besetzt, zu 'breiig', nicht auf dem stand der heutigen forschung etc. strahlen sie eine einzigartige größe, ernsthaftigkeit, würde und tiefe aus, die mit einem solchen gefühl gepaart sind (die sängerbesetzung tut ihr übriges), daß es mir immer wieder den rücken kalt herunterläuft und seine einspielungen, wenn es nur jeweils eine sein dürfte ... die meinen für die insel wären). und seine münchner h-moll-messe (über die passionen kann man streiten...) ist für mich einfach unübertroffen.

    wie viele einspielungen der neuen zeit (auch hier gibt es 'große', nicht mißverstehen, bitte) sind dagegen so klinisch und blutleer.
    aber zum glück kann man ja wechseln - mal richter, mal gardiner, mal rilling, mal andere ... :yes:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Zitat

    Original von klingsor
    und seine münchner h-moll-messe (über die passionen kann man streiten...) ist für mich einfach unübertroffen.


    Hallo Klingsor,


    hier kann ich Dir nur zustimmen! Während mir einzelne Stellen durchaus bei anderen noch gelungener erschrscheinen, z.B. der von mir schon mehrfach verzückt erwähnte Übergang des "et sepultus est" zum " Et resurrexit" in Jochums Aufnahme mit dem Bayrischen RSO, ist Richters majestätische Größe im GANZEN unübertroffen! :yes:


    Gruß
    Stefan

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Obigen Ausführungen über Richters Einspielung der "Hohen Messe" brauche ich ja nichts mehr hinzuzufügen.
    Bezüglich der Formationsstärke der barocken Orchester habe ich freilich eine hochinteressante Bemerkung bei Johann Mattheson von 1740 ge-funden, wonach Bachs Kollegen Telemann und Stölzel von Besetzungen mit 40 oder 50 Musikern schwärmten, was ja den als Bach-Orchester be-kannten Ensembles der 30er-70er Jahre unseres Jahrhunderts durchaus entspricht oder diese sogar übertrifft !


    Salut,


    Gerd

  • Gerd:


    Zitat

    wonach Bachs Kollegen Telemann und Stölzel von Besetzungen mit 40 oder 50 Musikern schwärmten,


    Ja, da taten sie auch richtig daran: sie gingen etwa von 20 Instrumentalisten und 30 Sängern aus und ungefähr so präsentiert sich zum Beispiel auch das erhaltene Aufführungsmaterial der Brockes-Passion
    von Stölzel. Sowohl Telemann in Hamburg wie auch Stölzel in Gotha hatten ungleich bessere Arbeitsbedingungen als Bach in Leipzig. Graupner wiederum in Darmstadt hatte ein kleineres (etwa 20 Sänger/Instrumentalisten) Ensemble, das allerdings hoch motiviert UND qualifiziert war. Die Leipziger Wirklichkeit allerdings war eine völlig andere und eben genau der hatte sich Bach zu stellen. Bach sah, sein 2ter Brief an Erdmann belegt es, die Leipziger Stellung als einen Übergang an. Ein Wechsel nah Dresden wäre seinen Ambitionen sicher sehr nahe gekommen, aber gegen den "weltberühmten" Hasse und seinen teilweise schon die Vorklassik streifenden neapolitanischen Opernstil hatte Bach keine Chance.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hallo Gerd,


    es ist doch nicht allein die Anzahl der Musiker, die den Klang ausmacht. Die Art und Weise des Musizierens machte ebensoviel aus. Und da liegen Richter & Co. eben völlig daneben.


    Teile aus der h-Moll Messe, nämlich das Kyrie und das Gloria, hat Bach bereits 1733 für den Dresdner Hof geschrieben. Bach wußte mit Sicherheit um die Besetzungsstärke des Orchesters in Dresden. Das beweist schon allein die Tatsache, dass in den beiden Teilen für wichtige Instrumente obligate Partien enthalten sind (nämlich: Laudamus te mit Solovioline; Domine Deus mit Soloflöte; Qui sedes mit Solooboe; Quoniam mit Solohorn und 2 Fagotten), eine Praxis, die üblich war am Dresdner Hof. Bei fast allen Werken für die Dresdner Kapelle findet sich sowas. Sogar Vivaldi hat sich bei seinen Concerti per l´Orchesta di Dresda daran gehalten.


    Auch mit dieser großen Besetzung kann flexibel und durchhörbar musiziert werden. Und das hängt nicht ausschließlich an historischen Instrumenten. Es ist eine Frage der Ausführung.


    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Selbstverständlich kann man über Karl Richters Bachauffassung und seinen Stil (hatte er überhaupt einen ?) geteilter Meinung sein, doch denke ich, daß in seinem Falle puristische Diskussionen hier, wo gestalterische Kreativität derart ultimativ ihre Eigengesetzlichkeit geltend macht, fast sinnlos ist.


    Überhaupt: Ernst Haefliger und Anna Reynolds beispielsweise können es,
    was tongeberische Leichtigkeit anlangt, durchaus mit "authentischen"
    Spezialisten aufnehmen; Peter Schreier und Dietrich Fischer-Dieskau
    beherrschen die Ausdruckskunst des sprachimmanenten Bach-Gesangs
    perfekt. Und wer würde es Aurele Nicolet im Ernst ankreiden wollen,
    daß er seine Töne aus der modernen Querflöte hervorzaubert und nicht
    aus einer asthmatischen Traverse ? Oder was ließe sich gegen Gerhard
    Hetzeks obligate Violinsoli Stichhaltiges sagen, gegen Johannes Finks
    Gambenstrich ?


    Best,


    Gerd

  • Zu meinen Lieblingskantaten gehört schon immer Wie schön leuchtet der Morgenstern, BWV 1.
    Leider konnte ich bisher außer der Rilling- Interpretation keine andere Aufnahme finden, weder über Amazon noch bei Saturn, Köln. Deshalb meine Frage: Von wem gibt´s die Aufnahme sonst noch?
    Am liebsten wäre mir Gardiner, Suzuki oder Herreweghe.


    Mit Gruß von Carola

  • Hallo Carola


    amazon bietet folgende Aufnahmen an:


    Karl Richter, 5 CDs 33,90


    9,99


    3 CDs 53.99 :wacky:


    6 CDs 51,99


    Von diesen Aufnahmen fände ich Harnoncourt am interessantesten (ich habe mal leihweise in diese Aufnahme reingehört und warte auf eine günstige Kaufgelegenheit.


    Ansonsten lohnt es sich wohl unbedingt auf Gardiner zu warten. Der Livemitschnitt dieser Kantate aus dem Jahr 1999/2000 wird sicher in einigen Monaten beim Label SDG auf den Markt kommen.


    Masaaki Suzuki scheint mir auch ratsam, ist aber ebenfalls noch nicht veröffentlicht.

  • Hallo Carola,


    es laufen derzeit ja einige Gesamsteinspielungen der Bach-Kantaten, Gardiner, Koopman, Suzuki sind dabei. Meines Wissen ist die gesuchte Kantate in den aktuellen Reihen bisher nur in der Reihe von Ton Koopman erschienen, auf Vol. 13. (Erato) sowie in der Gesamtausgabe bei Brilliant Classics.


    Von Gardiner, Herreweghe und Suzuki gibt´s BWV 1 noch nicht, aber das wird kommen.


    Ältere Aufnahmen gibt´s mit dem Thomaner unter Rotzsch oder in der bei Teldec erschienen Kantaten-Edition unter Harnoncourt.



    :hello:
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose