Domingo die 4000ste - Simon Boccanegra, 1.4.2019, Wiener Staatsoper

  • Es gibt nicht viele Sänger, die es im Laufe ihrer Karriere auf 4000 Vorstellungen, hauptsächlich in Hauptrollen, kommen. Ein derart ungewöhnliches Ereignis wurde nach der Vorstellung gefeiert. Placido Domingo erhielt als Geschenk von Direktor Meyer die Originalunterlagen der Bewertung seines Vorsingens – ja, auch Domingo musste einmal vorsingen! Es wurde auch die Gesamtbeurteilung vorgelesen – „ein vielversprechender junger Sänger“. Nun, man kann diesem Urteil rückblickend nicht widersprechen…


    Seine Fans belagerten ihn nicht nur nach der Vorstellung beim Bühneneingang, wo er geduldig bis knapp vor Mitternacht noch Autogramme schrieb und für Selfies posierte, auch beim Schlussvorhang regnete es Blumen und auch ein Transparent zu seinen Ehren wurde in die Höhe gehalten.


    Kann man unter diesen Umständen ein objektives Urteil fällen? Man kann es zumindest versuchen. Ich selbst hatte bis an diesem Abend den „Bariton“ Domingo standhaft verweigert, sprang für einen Merker-Kollegen relativ kurzfristig ein. Nun, ich bemühe mich jetzt für die nächste Saison Karten für seine Auftritte in Nabucco und Macbeth zu bekommen.. Es geht da – und da sind sich wohl alle einig – nicht um die Leistungen als Bariton, sondern um die Ausstrahlung, die von diesem rund 80-jährigen Künstler ausgeht. Es war interessant, wie jugendlich er zu Beginn des Abends bei seiner ersten Szene wirkte – da war tatsächlich die Körpersprache eines jüngeren Mannes vorhanden. Später passte er diese dem Alter der Figur an (und ehrlich gesagt, auch seinem wirklichen Alter). Ja, er hatte gewisse Ermüdungserscheinungen vor der Pause, erfing sich aber. Ja, er ist kein wirklicher Bariton – ABER! Noch immer weiß er wunderbar zu phrasieren, er weiß im richtigen Moment Akzente zu setzen und das Publikum zu berühren. Das Phänomen „Domingo“ steht irgendwie außerhalb jeder Kritik – man muss es so hinnehmen, wie es ist. Der Sänger kreiert noch immer ergreifende und intime Momente, das Publikum liebt ihn noch immer, auch der kaufmännische Direktor der Oper – darum ist es (und zu diesem Schluss komme ich, obwohl ich nie ein Domingo-Fan war) würdig und recht ihn noch immer anzusetzen.


    Die sängerisch beste Leistung an diesem Abend lieferte Francesco Meli ab. Sichere Höhen, viel Kraft (ohne dass er forcieren musste) und ein angenehmes Timbre zeichnen ihn aus. Er hat sich in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt und mit Freude vernahm ich, dass er einer der Premierensänger des neuen „Ballo“ sein wird. Zum ersten Mal in dieser Serie stellte sich Eleonora Buratto dem Wiener Publikum als Amelia Grimaldi vor. Sie war ein Gewinn und es bleibt zu hoffen, dass sie auch in der Zukunft in Wien auftreten wird. Meiner Meinung nach gibt es nicht so viele „Verdi“-Sängerinnen, die aktuell ihr Niveau erreichen.


    Etwas ausgesungen klang Kwanchul Youn als Fiesco. Sehr beeindruckend auf der anderen Seite wieder Marco Caria, der als Paolo sicherlich eine seiner überzeugendsten Rollen gefunden hat. Verlässlich Dan Paul Dumitrescu als Pietro, unauffällig Lydia Rathkolb als Dienerin. Wie schon in der Lucia gelang es leider Lukhanyo Moyake auch an diesem Abend in einer kleineren Rolle unangenehm aufzufallen.


    Ein Pauschallob and Dirigent Philippe Augin, dem Staatsopernorchester und –chor. Die Inszenierung von Peter Stein hält sich nun schon seit fast 20 Jahren am Spielplan und ist absolut praktikabel.

    Hear Me Roar!