Lianna Haroutounian hat wohl schon in Hamburg gesungen (Butterfly), von ihr gehört hatte ich bisher aber nichts. Sie stammt aus Armenien, sprang 2013 am Londoner Opernhaus Covent Garden als Elisabetta ein und hat sich seitdem offenbar einen Namen als eine der führenden Verdisoprane gemacht. Sie sang heute eine großartige Elisabetta mit frei fließender, ausgeglichener, nie enger oder schärfer werdender Stimme, mit schönen Piani, Schwelltönen und, besonders beeindruckend, grandios leuchtenden Höhen. Ihre große Arie im vorletzten Bild war nicht nur gesanglich, sondern auch von der Empfindung her überzeugend. Da muss ich bis in das Jahr 1987 zurückgehen, um eine gleichwertige Leistung gehört zu haben (Margaret Price). Elena Zhidkova sang die Eboli erwartungsgemäß nicht nur ausgezeichnet, sondern überzeugte auch darstellerisch. Wie überhaupt heute ungemein gut miteinander gespielt wurde, selbst dem Orchester wurden von Pier Giorgio Morandi berührende Töne entlockt.
Das gilt vor allem für den zweiten Teil, d.h. ab der großen Arie des Königs „Sie hat mich nie geliebt“. Die Aufführung dauerte einschl. Schlussbeifall und von zwei Pausen knapp fünfeinhalb Stunden, d.h. es wurde eine ungekürzte Fassung geboten einschließlich Fontainebleauakt und Ballettmusik (und alles auf französisch). Wirklich Verdi findet für mich aber vor allem während der letzten 90 Minuten statt, beginnend mit der Arie des Königs, dessen Dialog mit dem Großinquisitor, Ebolis Arie „O don fatale“, Posas Sterbearie und als gesanglich krönender Höhepunkt: Elisabetta mit ihrer großen Schlussarie. Nur Don Carlos hat im zweiten Teil wenig zu singen, allerdings wird ihm im Fontainebleauakt eine Arie abverlangt.
Pavel Cernoch (Carlos) lag mehr das Dramatische als das Ariose seiner Partie, seine Stimme schien mir anfangs in den Höhen leicht gequescht, außerdem steuerte er die im oberen Frequenzbereich liegenden Töne nicht immer ganz sauber an, in den mittleren Frequenzen klang er aber angenehm und harmonierte gut mit Posas Bariton. Außerdem ist Cernoch von der Erscheinung her (groß gewachsen, schlank) gut besetzt gewesen und verfügte auch darstellerisch über genügend Ausdruckkraft. Ihn hatten wir zuletzt vor 4 Jahren als Carlos gehört, ebenso wie Alexey Bogdanchikov als Posa. Damals hatte er mir nicht gefallen, sein Bariton hat sich aber weiter entwickelt, er klingt nicht mehr so leise wie früher, es gibt an seinem Gesang technisch nichts zu bemängeln und er verfügt über genügend Atem für das Halten der Töne. Bogdanchikov überzeugte im Todesbild überaus schönstimmig und mit Inbrunst im Herzen. Gabor Bretz sang wieder den König, auch er gefiel mir diesmal besser als vor 4 Jahren. Für einen Philipp war er damals sowohl vom Stimmklang und auch vom Aussehen her noch zu jung; heute hatte er die für den Philipp notwendige Größe, sowohl stimmlich als auch vom Auftreten her.
Nicht ganz überzeugte Luigi De Donato als Großinquisitor, weder stand ihm die Schwärze der Stimme, noch das für die Rolle notwendige Stimmvolumen zur Verfügung, um diesen Kirchenlenker genügend zu charakterisieren. Da war Hans-Peter König bei der Duisburger Aufführung von vor zwei Wochen ein ganz anderes Kaliber. Das gilt auch für den dortigen Sänger der Partie von Karl V. (Beniamin Pop), der mit Bass-Schwärze die auf Carlos am Ende des Stücks eindringenden Edelleute hinter die Schranken verwies. Das war heute Alin Anca nicht gegeben. Insgesamt war es trotz gewisser Einschränkungen eine Sternstunde des Operngesangs, an dem alle Beteiligten mitwirkten, also auch das Orchester. Das nicht ganz vollbesetzte Haus applaudierte am Schluss stehend (man hatte ja auch lange genug gesessen) und klatschte die Protagonisten noch einmal heraus, als der Schlussvorhang wegen Abebbens des Beifalls schon geschlossen worden war.