Bericht über ein Recital von Marc-André Hamelin beim Klavierfestival Ruhr am 5. 6. 2019 in Mülheim/Ruhr um 20.00 Uhr in der Stadthalle, Teil I:
Instrument: Steinway
Programm:
Ferruccio Busoni:
Chaconne, Schlusssatz aus der Partita Nr. 2 d-moll BWV 1004, für Violine solo von J.S. Bach, Transskription für Klavier
Marc-André Hamelin spielte diese Chaconne, die mir persönlich völlig unbekannt war, mit klarem Klang kraftvollen Spiel und zog die Zuhörer sofort in ihren Bann. Wenn man Bach hört, muss man hellwach sein, und in dieser Chaconne musste man es auch bleiben, denn sie war mit rund 15 Minuten recht ausufernd. Aber das Spiel Hamelins war derart spannungsvoll, dass es, wenigstens darf ich das für mich behaupten, leicht war, dem Geschehen zu folgen. Zudem kommt hinzu, dass Variationensätze, das weiß ich von zahlreichen Sonaten Mozarts und Beethovens, bei den großen Meistern, stets so aufgebaut sind, dass sie spannend bleiben. Und das Bach zu den großen Meistern gehört, vielleicht gar der größte ist, wer wollte das bezweifeln. Gleichwohl war dies der einzige Variationensatz in Bachs gesamter Kammermusik und sein längster instrumentierter Einzelsatz überhaupt. Auch der eigenwillige Rhythmus der Chaconne trug dazu bei, die Zuhörer immer bei der Sache zu halten.
Schon im Thema wurde deutlich, dass Hamelin kraftvoll zupacken kann und dies auch tat, aber auch im weiteren Verlauf merkte man, wie er beinahe unmerklich die dynamische Spannweite nach oben und unten ausdehnte. Natürlich gehe ich davon aus, dass er partiturgerecht spielte, wie ich später anhand des Hauptwerkes noch nachweisen werde.
Technisch, das konnte man schon bei Busonis Transskription sagen, konnte er jedenfalls aus dem Vollen schöpfen.
Vor allem wurde dies deutlich bei der hochdynamischen Variation, die in staccatoartigem Rhythmus voranpreschte und die dynamische Skala auf und bei tanzte bei unvermindertem temporalen Vorwärtsdrang.
Wer sich ein Bild von der ganzen Chaconne machen möchte, der kann sich in diesem YT-Video kundig machen:
Frederic Chopin:
Polonaise-Fantaisie in As-dur op. 61
Nach reichem Beifall für das fürwahr bemerkenswerte erste Werk setzte sich Hamelin wieder an den Flügel, ohne das Podium zu verlassen.
Dieses Stück war mir schon geläufiger. Ich hatte es schon einige Male von Barenboim, Brendel und Rubinstein gehört. Aber live ist das dann doch noch ganz etwas anderes.
Wie es heißt, eroberte dieses Werk nur langsam die Herzen der Interpreten, vor allem wegen seiner komplexen Harmonik und seiner komplizierten Form.
Davon war bei Marc André Hamelin nichts zu spüren. Natürlich hat man es bei einer Beethoven-Sonate leichter, dem musikalischen Fortgang zu folgen. Man weiß, was als nächstes kommt. Dazu werde ich später noch etwas bei der Besprechung des Hauptwerkes sagen. Bei einer Fantasie oder, wie hier gemischt mit den Form-Elementen der Polonaise, ist das schon schwieriger, und deswegen habe ich das Naheliegende getan. Ich habe es einfach genossen, wie sich der Rhythmus änderte, wie eine neue Tonarten auftauchte, neben der Haupttonart As-dur auch B-dur und unvermittelt, nach zwei Dritteln, tauchte auch das Hauptthema wieder auf. Eins war mir klar: man muss das öfter hören. Diese Musik ist so reich an Einfällen, an Melodien, ist so tänzerisch und zeigt einen Weg auf, der von den Formen und den inneren musikalischen Gesetzmäßigkeit der klassischen Sonate wegführt zu kleineren Formen mit weniger strengen Gesetzen.
Frederic Chopin:
Scherzo Nr. 4 E-dur op. 54
Auch das Scherzo war mir geläufiger. Ich habe es in meiner Sammlung von Swjatoslaw Richter und Arthur Rubinstein.
Es ist ein Stück mit ruhigen Sequenzen, aber auch einigen leidenschaftlichen und dramatischen Momenten, mit deinem Trio in cis-moll, das auf ein polnisches Volkslied zurückgeht. Es ist auch das einzige der vier Scherzi mit einer Dur-Tonart.
Es zeigt auch einige durchaus virtuose Passagen, alles Dinge, die m. E. bei Marc-André Hamelin nur Mittel zum Zweck waren, nämlich einen Bogen zu spannen vom Barock zur Romantik und mit einem Stück nach der Pause fortzufahren, das noch in der Klassik fußt, sich aber auch schon auf die Romantik erstreckt.
Nach dem zweiten Chopinstück wuchs der Beifall an, und der großartige Pianist musste zwei Mal zurückkommen, bevor ihn das Publikum in die wohlverdiente Pause entließ.
Das Hauptstück des Abends werde ich heute Nachmittag besprechen, weil es mehr Zeit umfasst, denn ich werde es Stück für Stück mit der Partitur nachhören, da ich es in meiner Sammlung auch von Hamelin habe.
Liebe Grüße
Willi