Ernst Märzendorfers Haydn-Zyklus auf CD erschienen

  • Fast unbemerkt wurde sie vor kurzem endlich in CD-Form auf den Markt gebracht: Die legendäre erste Gesamteinspielung sämtlicher Symphonien von Joseph Haydn, interpretiert vom Wiener Kammerorchester unter Ernst Märzendorfer. Bisher musste man auf die LPs der Musical Heritage Society zurückgreifen. Auf 33 CDs ist der Zyklus jetzt beim Label Scribendum erschienen. Die Aufnahmen entstanden offenbar in den 1960er Jahren (natürlich bereits in Stereo), jedenfalls war der Zyklus etwa 1970 herum vollendet - kurz vor demjenigen von Antal Doráti für Decca.


    Bei Amazon ist er lieferbar. jpc hat ihn bisher nicht im Angebot. Vielleicht kommt das aber noch.



    Details bei Scribendum

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Joseph II.,


    hier im Forum war schon mehrfach von diesem Zyklus die Rede.


    Meine Frage: Was zeichnet ihn aus, wenn man ihn z.B. mit den altbekannten Zyklen von Antal Dorati (Decca) oder Adam Fischer (Nimbus, bzw. Brilliant) vergleicht? Ich kenne bislang nur diese beiden, davon den von Dorati in Teilen und den letztgenannten komplett. Ist es vor allem der Einsatz eines Kammerorchesters, oder hat der Dirigent besondere Akzente gesetzt? Diese müßten schon sehr bemerkenswert sein, wenn ich mir noch eine solche Riesenkiste mit über 30 CDs in den Schrank stellen würde. Ich habe ohnehin eine Antipathie gegen diese unhandlichen Kisten. Die Fischer-Box habe ich seit ca. 10 Jahren, von den 105 Sinfonien habe ich bis heute nicht mehr als max. 15 gehört:(.


    Ernst Märzendorfer ist auf Tonträger m.W. nur spärlich vertreten, ich habe nur eine einzige CD von ihm:

    mit Aufnahmen aus den Jahren 1959 und 1962, die sowohl künstlerisch als auch klanglich wohlgelungen sind.

    Ansonsten ist er mir vor allem als Operndirigent bekannt, der jahrelang an der Wiener Staatsoper bzw. in Salzburg gewirkt hat. Zahlreiche Mitschnitte kann man u.a. bei Amazon finden. In meiner Plattensammlung befand sich noch dieser Opernauszug:

    Wenn ich König wär - Großer Querschnitt - Signiert - Signed Thomas Stewart auf dem Cover. Ernst Märzendorfer, Völker, Melander, Stewart, Schock, Schirrmacher. WCLP 674 Mono Adolphe Adam: Wenn ich König wär'

    eine Monoproduktion vom Ende der 1950er Jahre, die mir recht gut gefallen hätte: Wenn der Schock nicht wär' ^^. Doch das ist eine andere Geschichte.


    Manche rühmen Märzendorfer auch als Mahler- und Bruckner-Dirigent, aber als solcher ist er auf Tonträger kaum in Erscheinung getreten. Er scheint seinen Wirkungskreis wohl hauptsächlich in seinem Heimatland gehabt zu haben.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Meine Frage: Was zeichnet ihn aus, wenn man ihn z.B. mit den altbekannten Zyklen von Antal Dorati (Decca) oder Adam Fischer (Nimbus, bzw. Brilliant) vergleicht?

    Lieber nemorino,


    nach dem, was ich bisher so von Märzendorfer gehört habe - einiges ist bei YouTube verfügbar -, ist das ein wirklich hochinteressanter Haydn-Zyklus. Dass ein nominelles Kammerorchester spielt, merkt man m. E. nicht, denn der Klang ist voll und rund. Also sicherlich nicht das, was heutzutage unter "HIP" durchginge. (Das Wiener Kammerorchester hörte ich auch schon live mit dem 92-jährigen Sir Neville Marriner, ein beglückendes Erlebnis.) Ich habe vor Zeiten ein paar Vergleiche interessehalber angestellt und fand, dass Märzendorfer mit Doráti nicht nur mithalten kann, sondern ihn sogar hie und da übertrifft. Märzendorfer hat ein Händchen für Haydn und wird generell weit unter Wert gehandelt (die Gründe hast Du ja schon angerissen). Überhaupt höre ich fast überhaupt nicht mehr in den Doráti-Zyklus, der zwar nach wie vor seine Meriten hat, aber wo es doch bei nahezu jeder Symphonie eine bessere Alternativaufnahmen gibt (gerade bei denen ab Nr. 82). Märzendorfers Pech war es wohl, fürs falsche Label aufzunehmen, so dass dieser Zyklus mit Aufkommen der CD (und das ist bald 40 Jahre her) praktisch verschwand. Schön, dass er nun doch noch zu späten Ehren kommt.

    Frohe Pfingsten!

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    – Luís de Camões

  • Nachtrag: Laut David M. Cummings, International Who's Who In Music and Musicians' Directory, Bd. 1: 2000/2001, S. 420 entstand diese Gesamtaufnahme zwischen 1967 und 1971.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

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    – Luís de Camões

  • Ich bin rigoros. Ich besitze den Zyklus von der Academy of Ancient Music unter Christopher Hogwood, der bis zur Sinfonie 88 reicht und dann von diesen Schuften der Decca abgebrochen wurde. Die restlichen Sinfonien waren aber alle auch mit Originalinstrumenten verfügbar (Cappella Coloniensis, Bruno Weil, La petite bande und...und...). Was anderes kommt mir nicht ins Haus. Ich habe dann in einem 5jährigen Projekt alle Haydn-Sinfonien gehört, immer eine nach der anderen, manche 10-20x hintereinander. Vor allem in den Sturm-und-Drang-Werken (das sind die 40er) macht man aufregende Entdeckungen, etwa bei 44 (Trauer), 45 (Abschied), 49 (La Passione) oder 22 (Der Philosoph).

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

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  • Lieber Joseph II.,


    danke für Deine Antwort und frohe Pfingsten!


    Es ist wohl tatsächlich so, daß der Haydn-Zyklus von Märzendorfer beim "falschen" Label erschienen ist, denn in der Fachpresse (zumindest im Altreich ^^) hat er kaum Beachtung gefunden. Es ist bedauerlich, daß Märzendorfer seine Zusammenarbeit mit der DGG, die ja so erfolgreich mit den Bläserkonzerten von Mozart etc. begonnen hatte, nicht hat fortsetzen können. Wie bereits an anderer Stelle bemerkt, die Marketing-Strategen der großen Labels gehen oft seltsame Wege ….


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Märzendorfers Haydn ist meinem Eindruck nach schon zu LP-Zeiten "untergegangen", war nicht sehr verbreitet. Bzgl. der CD-Ausgabe habe ich einige recht kritische Kommentare gesehen; man sollte jedenfalls schauen, ob man einiges davon evtl. vorher als Downloads oder auf youtube testen kann. (Es gab sie schonmal aus etwas dubioser Quelle als Bezahl-downloads, glaube ich).

    Haydn-Sinfonieaufnahmen sind eine unendliche Geschichte mit vielen unvollendeten oder sehr durchwachsenen Projekten. (Das vielleicht interessanteste HIP-Projekt mit Solomons (CBS) in den 80ern wurde nie vollendet, ein ausgewiesener Spezialist wie Manfred Huss hat überhaupt fast nur "Nebenwerke" aufgenommen...) Ich bin hier gesättigt und werde Märzendorfer sicher nicht auf CD anschaffen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)