Im Jahr 1775 faßte Johann Wolfgang von Goethe den Entschluß, über den Freiheitskampf der Niederländer gegen die spanische Herrschaft ein Trauerspiel zu schreiben. Er nahm es zwar noch im gleichen Jahr in Angriff, vollendete sein Werk aber erst 12 Jahre später, 1787. Am 9. Januar 1789 fand in Mainz die Uraufführung des Stückes statt.
Im Jahr 1809 beauftragte der Leipziger Verleger Gottlieb Christoph Härtel (Verlag Breitkopf & Härtel) Ludwig van Beethoven, für Goethes Drama eine Schauspielmusik zu komponieren. Beethoven war sofort begeistert und machte sich unverzüglich an die Arbeit seines Opus 84, die er bereits im folgenden Jahr abschloß. Besonders bekannt wurde die Ouvertüre, die immer wieder im Konzertsaal aufgeführt wird und bis heute zu den populärsten Stücken des Komponisten zählt.
Insgesamt umfaßt Beethovens Komposition, die in der Folge mit Goethes Drama eng verbunden blieb, folgende Nummern:
1. Ouvertüre
2. Klärchens Lied: "Die Trommel gerühret"
3. Zwischenaktmusik I (Andante - Allegro con brio)
4. Zwischenaktmusik II (Larghetto)
5. Klärchens Lied: "Freudvoll und leidvoll"
6. Zwischenaktmusik III (Allegro - Marsch. Vivace)
7. Zwischenaktmusik IV (Poco sostenuto e risoluto - Larghetto - Andante agitato)
8. Musik, Klärchens Tod bezeichnend (Larghetto)
9. Melodram (Egmont): "Süßer Schlaf"
10. Siegessinfonie (Allegro con brio)
Beethoven schrieb seine Schauspielmusik für eine szenische Aufführung. Da diese im Konzertsaal nicht realisierbar ist, wird dort in der Regel nur die Ouvertüre gespielt.
Goethes Drama spielt in Brüssel während der Zeit des niederländischen Aufstandes gegen die spanische Herrschaft, in den Jahren 1566 bis 1568. Es hat den Untergang und Tod des Grafen Egmont zum Thema, der ursprünglich loyal zur spanischen Krone steht, später aber die Aufständischen unterstützt. Egmonts Geliebte Klärchen unternimmt einen vergeblichen Versuch, die gefangenen Rebellen zu befreien. Nach dem Scheitern ihrer Bemühungen wählt sie den Freitod, während Egmont des Hochverrats bezichtigt und von den Spaniern hingerichtet wird.
In meiner CD-Sammlung befinden sich zwei Gesamtaufnahmen von Beethovens Schauspielmusik:
Herbert von Karajan und die Berliner Philharmoniker
Klärchen: Gundula Janowitz (Sopran), Sprecher des Egmont: Erich Schellow (Aufnahme: 1969, Jesus-Christus-Kirche, Berlin);
sowie:
George Szell und die Wiener Philharmoniker
Klärchen: Pilar Lorengar (Sopran), Sprecher: Klausjürgen Wussow (Aufnahme: 12/1969, Sofiensäle, Wien).
..... und außerdem noch folgende Auswahl:
Otto Klemperer mit dem Philharmonia Orchestra London
Klärchen: Birgit Nilsson (Sopran) - Aufnahme: 10/1957, Kingsway Hall, London.
Alle drei Interpretationen sind von hohem künstlerischen Wert. Das beste Klärchen hat für meine Begriffe Karajan mit Gundula Janowitz zur Verfügung. Seine Version ist auch klanglich hervorragend. Karajan läßt sich vor allem von den klanglichen Schönheiten der Musik faszinieren, während George Szell ebenfalls eine klangschöne Darbietung bringt, jedoch mehr auf Präzision und die dynamischen Werte achtet. Auch er hat eine glänzende Darstellerin des Klärchen zur Verfügung; doch die junge Pilar Lorengar verfügt (noch) nicht über die Reife und auch nicht das Stimmvolumen ihrer Kollegin Gundula Janowitz.
Klemperer (EMI) beschränkt sich in seiner Aufnahme auf die Ouvertüre sowie die beiden Gesangsstücke des Klärchen, die von der Schwedin Birgit Nilsson kraftvoll gesungen werden. Er schließt seine Darbietung mit der "Musik, Klärchens Tod bezeichnend" ab. Seine Interpretation ist, wie bei Klemperer nicht anders zu erwarten, von herber Strenge, mit großartigen Steigerungen vor allem in der Ouvertüre. Der Klang ist frühes Stereo, räumlich und recht transparent.
Zum Schluß möchte ich noch zwei Aufnahmen der Ouvertüre nennen, die sich mir als besonders geschlossen und künstlerisch überragend eingeprägt haben:
Ferenc Fricsay mit den Berliner Philharmonikern (Aufnahme: Berlin, 9/1958, Stereo)
und diese:
Václav Neumann mit dem Gewandhausorchester Leipzig (Aufnahme: 1969, Leipzig).
LG Nemorino