Interpretation - eingeschränkte Notwendigkeit?

  • Es bleibt halt die Frage, was denn wirklich gegen den Inhalt eines Stückes spricht bzw. was diese ominöse Werktreue eigentlich ist!? Für mich ist eine Inszenierung oder besser allgemein eine Interpretation dann werktreu, wenn sie den Geist des Werkes transportiert. Dabei ist mir natürlich vollkommen klar, dass ich den Geist des Werkes nur für mich und nur schwer allgemein bestimmen kann. Klar ist aber, dass insbesondere Äußerlichkeiten, wie Bühnenbild, Kostüme, zeitlicher Rahmen bzw. Bezug für mich in den allermeisten Fällen eher zweit- bis drittrangig sind, und so kann denn auch eine Carmen durchaus in der Psychatrie spielen. - Die RT-Kritiker und ich haben da einfach so unterschiedliche Maßstäbe, dass wir wohl nie übereinkommen werden.

    Lieber Michael,


    was mich einfach stört ist die Dialogverweigerung und fehlende Ehrlichkeit. Wenn eines so sicher ist, wie das Amen in der Kirche, dann das, dass es bei so einer Inszenierung wie in Verona um etwas nicht geht: um "Werktreue". Da geht es vielmehr einzig und allein darum, eine möglichst effektvolle Bühnenshow nach den Bedürfnissen des touristischen Publikums zu inszenieren. Und warum immer über Kulissen geredet wird, ist auch klar: Eine Zeffirelli-Inszenierung kann doch so wenig "werktreu" und kitschig sein wie sie will, sie wird akzeptiert und bejubelt aus dem einzigen Grund, weil das Illusionstheater ist. Carmen in der Psychiatrie und die Biogasanlage bei Wagner sind auch nicht "werktreu" bzw. librettotreu (was "werktreu" oder "werkgerecht" ist, ist eine sehr komplizierte Frage, welche das Niveau in diesem Forum hier übersteigt, wo nur der Austausch von polemischen Plattitüden zählt), nicht mehr und nicht weniger als so ein Zeffirelli-Pomp. Warum das aber nicht akzeptiert wird, ist auch klar: Solche Bühnenausstattung konfrontiert den Operngänger mit der Wirklichkeit seines tatsächlichen Lebens, an die er schlicht nicht erinnert werden will sondern diese seine Lebensrealität im Opernhaus so weit weg wünscht wie die Oberfläche des Mondes. Es interessiert also die Frage, ist nun der Ausstattungspomp a la Zeffirelli mehr oder weniger werkgerecht als die Versetzung der Handlung in ein zeitgenössisches Milieu, in Wahrheit Niemanden. Es geht um die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse und um sonst gar nichts. Selbstreflexion ist unerwünscht. Man wirft einem Intellektuellen wie mir ja immer gerne vor, graue Theorie zu treiben. Im Unterschied zu den RT-Phoben lese ich aber zeitgenössische Berichte aus dem 19. Jhd., wie da Operninszenierungen ausgesehen haben. Da wurden rücksichtslos gegenüber dem "Werk" auch die berühmtesten und bedeutendsten Opern als Bastelkasten betrachtet, wo man nach Belieben den Wünschen des zeitgenössischen Publikums entsprechend etwas nach eigenen Vorstellungen zusammengezimmert hat, was oft mit dem Originalwerk kaum mehr etwas gemein hatte. Da nehmen sich im Vergleich die Veränderung des Regietheaters von heute in den meisten Fällen reichlich harmlos dagegen aus. Die RT-Gegner sollten ihre rosarote Wunschbrille absetzen, wenn sie meinen, was eine "traditionelle" Operninszenierung ist und zumindest ehrlich sein und zugeben, dass es ihnen nicht anders als dem Publikum vor 50, 100 oder 150 Jahren auch letztlich nur um die ganz egoistische Wunscherfüllung geht, das serviert zu bekommen, wie sie gerne eine Oper sehen möchten.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Lieber Holger,

    ist eine sehr komplizierte Frage, welche das Niveau in diesem Forum hier übersteigt


    einem Intellektuellen wie mir

    Bravo, das nenne ich doch mal Selbstbewußtsein! Finde ich aber nicht schlecht. smilie_op_015.gif Falsche Bescheidenheit war mir übrigens sowieso schon immer suspekt. Kleiner Scherz.;)


    Ansonsten hast Du das gar nicht schlecht beschrieben, wenn auch in einem unterschwellig etwas verächtlichen und geringschätzigen Stil, wie ich meine. Ich finde mich in dem Konsumententyp, den Du da oben beschrieben hast , ausdrücklich wieder und habe auch kein Problem damit, das ganz offen zuzugeben und zu bekennen: Ja, ich möchte gelegentlich gern im puren Wohlklang schwelgen, hollywoodreife Ausstattung erleben und die Lebensrealität für ein paar Stunden vollständig verdrängen. Wenn ich dann nach Hause zurückkehre, kümmere ich mich dann sofort wieder gern als Pflegeperson um meinen über 80jährigen Vater ( mit allen nur vorstellbaren "Annehmlichkeiten", die das so mit sich bringt) und wenn ich den Fernseher anmache, läuft dort die Tagesschau mit Berichten über Folterknäste für Flüchtlinge in Libyen und dem unaufhaltsamen Abschmelzen der Arktis ( was mich beides sehr betroffen macht!). Aber in den wenigen Stunden, wo ich dann wirklich mal weg kann, will ich diese Dinge einmal komplett ausblenden.


    Ernstgemeinte Frage an Dich als Philosoph jetzt, ( ich weiß nicht genau, ob es in dein Fachgebiet fällt): Wie ist meine oben beschriebene Haltung eigentlich aus ethischer Sicht objektiv zu bewerten? Ist das moralisch vor der Allgemeinheit oder vor dem eigenen Gewissen gerade noch so vertretbar oder bin ich dadurch, sagen wir es polemisch, ein "schlechterer" Mensch, als derjenige, der mit einer professionelleren bzw. intellektuelleren Rezeptionshaltung an die Kunstform "Oper" herangeht? Oder haben beide die gleiche ethisch-moralische Wertigkeit und Berechtigung? Das würde mich mal aus wissenschaftlicher Sicht interessieren.


    LG....MDM :hello:

    >>So it is written, and so it shall be done.<<

  • Carmen in der Psychiatrie und die Biogasanlage bei Wagner sind auch nicht "werktreu" bzw. librettotreu


    Warum das aber nicht akzeptiert wird, ist auch klar: Solche Bühnenausstattung konfrontiert den Operngänger mit der Wirklichkeit seines tatsächlichen Lebens, an die er schlicht nicht erinnert werden will

    Wenn ich eine Biogasanlage sehe will, dann wäre für mich ein Besuch in einem Betrieb zur Herstellung von Biogas die einzig mögliche und technisch auch interssierende Darstellung, aber nicht der Besuch einer Oper. Auch der Besuch einer Psychiatrie (der sicher nur als Parodie a la Pension Schöller Spaß bereitet) gehört nicht zu meinen Wunschobjekten. Ich bezweifle auch, daß ein psychisch kranker Mensch Interesse daran haben wird, seinen Leidensweg gerade in einer Carmen-Inszenierung auf der Bühne erleben zu müssen und damit an einem Ort, in welchem er sicher alles andere erwartet als die Behandlung von Psychosen. Das haut nicht hin.

    Die RT-Gegner sollten ihre rosarote Wunschbrille absetzen, wenn sie meinen, was eine "traditionelle" Operninszenierung ist und zumindest ehrlich sein und zugeben, dass es ihnen nicht anders als dem Publikum vor 50, 100 oder 150 Jahren auch letztlich nur um die ganz egoistische Wunscherfüllung geht, das serviert zu bekommen, wie sie gerne eine Oper sehen möchten.

    Und was ist daran verwerflich, Wünsche erfüllt zu bekommen, Wünsche, die nicht zum Nulltarif zu bekommen sind?? Macht das nicht jeder, der einen Wunsch hat? Ist nicht jeder enttäuscht, wenn er bestimmte Vorstellungen in Verbindung mit einem Wunsch nicht erfüllt bekommt? Das muß ja nicht immer eine Oper sein, es kann um Gebrauchsgegenstände, eine Reise, ein Buch usw. gehen. Ein nicht oder nicht wunschgerecht erfüllter Wunsch wird immer zunächst Enttäuschung hervorrufen. Dazu braucht er keine rosarote Brille abzusetzen, um angebotene grün-gelb gemusterte Schuhe entsprechend seinen Wunschvorstellungen als schwarz zu sehen.

    Dabei schließe ich mich Dir in einem Punkt an: Wer sich einen Rigoletto unter Affen wünscht und das dann bekommt, der wird nicht enttäuscht sein. Für diese Interessenten gewinnt der Besuch der Dörrie-Inszenierung eine ganz andere Wertschätzung als für den, der sich einen Schenk-Rigoletto wünscht. In diesem Sinne fühle ich mich wie ein Opernbesucher vor 50, 100 oder 150 Jahren. Ich gehe in die Oper mit gezielten Vorstellungen. Egoistisch, wie das Publikum vor 50, 100 oder 150 Jahren. Überraschungseffekte sind gerne willkommen, aber keine Affen im Rigoletto oder ein physisch kranker Lohengrin in Mailand (was sicher angesichts gesundheitlicher Probleme mancher Prominenter heute nicht gut ankommen dürfte). Nichts anderes tun übrigens die Zuschauer auch, die am Biogastannhäuser Gefallen finden. Es wird immer Gegner und Anhänger bestimmter Inszenierungen geben. Leider wird eine Gruppe auch bei Übertragungen im TV benachteiligt.

    Angesichts des Trovatore, um den es hier im Thread geht, möchte ich keinefalls behaupten, daß es das gelbe vom Ei gewesen sei. Es war eine Show für die Bedingungen in Verona. Die Show hat die Erwartungshaltung des wohl größten Teils des Publikums erfüllt.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Ernstgemeinte Frage an Dich als Philosoph jetzt, ( ich weiß nicht genau, ob es in dein Fachgebiet fällt): Wie ist meine oben beschriebene Haltung eigentlich aus ethischer Sicht zu bewerten? Ist das moralisch vor der Allgemeinheit oder vor dem eigenen Gewissen gerade noch so vertretbar oder bin ich dadurch, sagen wir es polemisch, ein "schlechterer" Mensch, als derjenige mit einer professionelleren bzw. intellektuelleren Rezeptionshaltung an die Kunstform "Oper" herangeht? Oder haben beide die gleiche ethisch-moralische Wertigkeit? Das würde mich mal aus wissenschaftlicher Sicht interessieren.

    :thumbup:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Er ist ohne Frage ein stattlicher Typ mit tollem Material, aber sobald es weiter rauf geht, kommt da nicht viel.

    Ich hab ihn live noch nicht erlebt. Die TV-Übertragung läßt mich voller Wehmut an Namen wie Bastiannini, Panerai, Gobbi oder auch Metternich, Schlusnus u.a. denken. Im Baritonfach werden wir wohl noch etwas warten müssen, bevor die Luna-Arie "Il balen" Gänsehaut erzeugt.

    Ist euch auch aufgefallen, wie Herr Salsi gegen Ende der Oper mit stimmlichen Problemen zu kämpfen hatte?


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Ernstgemeinte Frage an Dich als Philosoph jetzt, ( ich weiß nicht genau, ob es in dein Fachgebiet fällt): Wie ist meine oben beschriebene Haltung eigentlich aus ethischer Sicht zu bewerten? Ist das moralisch vor der Allgemeinheit oder vor dem eigenen Gewissen gerade noch so vertretbar oder bin ich dadurch, sagen wir es polemisch, ein "schlechterer" Mensch, als derjenige mit einer professionelleren bzw. intellektuelleren Rezeptionshaltung an die Kunstform "Oper" herangeht? Oder haben beide die gleiche ethisch-moralische Wertigkeit? Das würde mich mal aus wissenschaftlicher Sicht interessieren.

    Ich persönlich finde es legitim, mit einer solchen Konsum-Haltung in die Oper zu gehen, auch wenn das nicht meine Haltung ist und ich finde, dass man der Kunstform Oper damit nicht gerecht wird. Nur sollte man dann auch dazu zu stehen, dass man in der Oper etwas sehen möchte, was die eigenen Bedürfnisse (nach Flucht in eine Märchenwelt o.ä.) befriedigt, statt denjenigen Regisseuren, die andere Ziele verfolgen als den Zuschauern ein kulinarisches Erlebnis zu verschaffen, eine Verunstaltung der Opern vorzuwerfen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ansonsten hast Du das gar nicht schlecht beschrieben, wenn auch in einem unterschwellig etwas verächtlichen und geringschätzigen Stil, wie ich meine.

    Die Erfahrung die ich immer wieder mache, wenn ich mal versuche, etwas "anspruchsvoller" mit theoretischem (theaterwissenschaftlichen, ästhetischen) Hintergrundwissen an gewisse Dinge klärend heranzugehen, dass dem mit einer geringschätzenden, absolut antiintellektualistischen Haltung begegnet wird. Das regt mich auch gar nicht (mehr) auf. Ich konstariere nur das Faktum. Was mich dabei ärgert ist, dass man einerseits das "Philosophische" verteufelt, aber andererseits in dilettantischer Weise mit Versatzstücken aus der philosophischen Ästhetik hemdsärmlig hantiert, um normative Ansprüche gegenüber den bösen Regisseuren durchzusetzen. Das ist ein eklatanter Selbstwiderspruch. Im übrigen hat man in Deutschland - anders als in Frankreich - mit "Intellektuellen" ein Problem in der Öffentlichkeit. Intellektueller zu sein ist fast schon ein Schimpfwort bei uns. Deshalb bekenne ich mich auch gerne als "Intellektueller" mit einer gewissen Ironie. ^^

    Ich finde mich in dem Konsumententyp, den Du da oben beschrieben hast , ausdrücklich wieder und habe auch kein Problem damit, das ganz offen zuzugeben und zu bekennen: Ja, ich möchte gelegentlich gern im puren Wohlklang schwelgen, hollywoodreife Ausstattung erleben und die Lebensrealität für ein paar Stunden vollständig verdrängen. Wenn ich dann nach Hause zurückkehre, kümmere ich mich dann sofort wieder gern als Pflegeperson um meinen über 80jährigen Vater ( mit allen nur vorstellbaren "Annehmlichkeiten", die das so mit sich bringt) und wenn ich den Fernseher anmache, läuft dort die Tagesschau mit Berichten über Folterknäste für Flüchtlinge in Libyen und dem unaufhaltsamen Abschmelzen der Arktis ( was mich beides sehr betroffen macht!). Aber in den wenigen Stunden, wo ich dann wirklich mal weg kann, will ich diese Dinge einmal komplett ausblenden.

    Dagegen ist auch gar nichts einzuwenden. Bedürfnisse an sich zu verteufeln, wäre inhuman. Nur darf man andererseits doch die Frage stellen, wo man das Bedürfnis befriedigt und ob das nicht am falschen Ort geschieht. Wenn sich der Helene Fischer-Fan zufällig in einen klassischen Liederabend verirrt und sich darüber beschwert, dass ihn die "Winterreise" nicht unterhalten habe, dann ist er einfach Fehl am Platze. Entspannung und Unterhaltung kann man im Kino, auf dem Jahrmarkt oder beim Musical finden. Die Oper ist aber nun mal eine altehrwürdige Tradition, die höhere Ansprüche hat - nicht alle Opern, aber viele. Die sind dem klassischen Drama vergleichbar, dass eben mehr sein will als nur Enspannung und Unterhaltung. Da ist der Künstler im Recht, der sagt, er fühlt sich in erster Linie dieser Gattungstradition und dem Werk insbesondere verpflichtet und nicht den ephemeren Bedürfnissen eines Publikums, das keinen Unterschied mehr machen will zwischen anspruchslosem Vergnügen und anspruchsvoller Kunst. Hier den Publikumsinteressen nachzugeben, wäre verantwortungslos.

    Ernstgemeinte Frage an Dich als Philosoph jetzt, ( ich weiß nicht genau, ob es in dein Fachgebiet fällt): Wie ist meine oben beschriebene Haltung eigentlich aus ethischer Sicht objektiv zu bewerten? Ist das moralisch vor der Allgemeinheit oder vor dem eigenen Gewissen gerade noch so vertretbar oder bin ich dadurch, sagen wir es polemisch, ein "schlechterer" Mensch, als derjenige, der mit einer professionelleren bzw. intellektuelleren Rezeptionshaltung an die Kunstform "Oper" herangeht? Oder haben beide die gleiche ethisch-moralische Wertigkeit und Berechtigung? Das würde mich mal aus wissenschaftlicher Sicht interessieren.

    Rezeptionshaltungen als solche kann man nicht kritisieren. Nur erhebt die Kunst auch Ansprüche gegenüber dem Rezipienten. Wenn Schiller die "moralische Weltregierung" auf der Bühne errichten will, dann hat sein Theater ein emanzipatorisches Interesse. Wer davon nichts mehr wissen will, darf das natürlich. Nur darf man ihm dann auch sagen, dass er nicht mehr bereit ist, sich dem Anspruch zu stellen, den das Kunstwerk erhebt, sprich solche Kunst nicht mehr Ernst nimmt.

    Wenn ich eine Biogasanlage sehe will, dann wäre für mich ein Besuch in einem Betrieb zur Herstellung von Biogas die einzig mögliche und technisch auch interssierende Darstellung, aber nicht der Besuch einer Oper. Auch der Besuch einer Psychiatrie (der sicher nur als Parodie a la Pension Schöller Spaß bereitet) gehört nicht zu meinen Wunschobjekten. Ich bezweifle auch, daß ein psychisch kranker Mensch Interesse daran haben wird, seinen Leidensweg gerade in einer Carmen-Inszenierung auf der Bühne erleben zu müssen und damit an einem Ort, in welchem er sicher alles andere erwartet als die Behandlung von Psychosen. Das haut nicht hin.

    Das zeigt nur die fehlende Bereitsschaft, sich mit solchen Inszenierungen ernsthaft auseinanderzusetzen. Die Biogasanlage an sich ist genauso belanglos wie der Nachttopf auf der Bühne bei Shakespeare. Auch das ist nämlich Biogas. :D Es kommt darauf an, was sie bedeutet. Warum ist denn die Biogasanlage bei Euch kein "Wunschobjekt"? Ist nicht die Antwort das Ärgernis der Illusionsdurchbrechung? Ihr wollt Illusionstheater haben um jeden Preis, das Euch in eine fiktive Welt fernab der Wirklichkeit entführt. Das ist der eigentliche Stein des Anstoßes und nicht die Biogasanlage und die Psychiatrie an sich, die ist dafür nur Symbol. Ihr lehnt also die zugrundeliegende Theaterästhetik ab. Darum geht es eigentlich. Das kann man natürlich. Nur darf man sich darüber beschweren. Es gibt auch Menschen, die mit Zwölftonmusik nichts anfangen können, weil da keine "Melodie" mehr drin ist und für die Schönberg oder Stockhausen deshalb nur Geräusch ist. Das heißt aber noch lange nicht, dass es deshalb illegitim ist, Schönberg oder Stockhausen aufzuführen, weil ein Konzert mit Schönberg oder Stockhausen eine "Verunstaltung" von Musik sei und so ein Nicht-sein-Sollendes. Wer das nicht hören will, der soll halt nicht hingehen. So einfach ist das. Es gibt genug Menschen, die in solcher Musik und auch im "ernsten" Theater ein Sinnangebot finden, auf das sie nicht verzichten möchten. Und nochmals: Danach zu suchen, seine Wünsche erfüllt zu bekommen, darf man. Aber das ist wie bei den Frauen. Nicht jede Frau erfüllt die Wünsche, die man hat oder will sie erfüllen. Auch das muss der Mann letztlich so hinnehmen. :P


    Schöne Grüße

    Holger

  • Ich persönlich finde es legitim, mit einer solchen Konsum-Haltung in die Oper zu gehen, auch wenn das nicht meine Haltung ist und ich finde, dass man der Kunstform Oper damit nicht gerecht wird. Nur sollte man dann auch dazu zu stehen, dass man in der Oper etwas sehen möchte, was die eigenen Bedürfnisse (nach Flucht in eine Märchenwelt o.ä.) befriedigt, statt denjenigen Regisseuren, die andere Ziele verfolgen als den Zuschauern ein kulinarisches Erlebnis zu verschaffen, eine Verunstaltung der Opern vorzuwerfen.

    Ob es sinnvoll ist, beim Reinziehn von Oper mit "legitim" oder sowas wie "ethisch" (MDM) zu operieren, hab ich momentan noch etwas Zweifel. Denn es geht um Kunst, nicht um richtiges Handeln.


    Jede Oper (auch Bazis Soldaten) hat ihre kulinarische Seite.


    Andererseits macht man die Erfahrung, dass Opernchosen auch gleichsam wie von sich aus "verstanden" werden wollen. Denn denjenigen möchte ich mal erleben, dem sich beim Wozzeck oder der Nozze alles (!) unmittelbar erschließt.

    Opern erschöpfen sich m.E. nicht im kulinarischen Reinziehn (ohne dabei dieses Moment klein reden zu wollen), der Vielfalt des einzelnen Gegenstands Oper wegen. Ich vermute sogar, dass diejenigen Opern-Nerds, die sich ganz (quasi zefirelli-like^^) auf das Kulinarische versteifen, letztlich nicht völlig daran kleben bleiben; egal ob sie wollen oder nicht. Der Hörer wird gleichsam zwangläufig mit weiteren Schichten konfrontiert. Gielen meinte mal mal recht chillig: "Für die Kunst darf man auch das Gehirn bemühen !"

    Jeder entscheidet letztlich selbst, inwieweit er Bock hat, sich darauf einzulassen.

  • Ich vermute sogar, dass diejenigen Opern-Nerds, die sich ganz (quasi zefirelli-like ^^ ) auf das Kulinarische versteifen, letztlich nicht völlig daran kleben bleiben; egal ob sie wollen oder nicht. Der Hörer wird gleichsam zwangläufig mit weiteren Schichten konfrontiert

    Na das ist doch prima! Wozu brauche ich dann einen Regisseur, der mir quasi nur (s)eine S(ch)icht aufdrängt?

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Schönberg oder Stockhausen deshalb nur Geräusch ist.

    Widerspruch bei Schönberg!! Die Gurrelieder oder die verklärte Nacht gehören zu meinen durchaus gern gehörten Stücken, selbst dem Pelleas bin ich nicht abgeneigt. Aber spätestens mit dem 2. Streichquartett mache ich um ihn und um alles von Stockhausen einen Riesenbogen. Bin ich deshalb weniger wert als ein "Intellektueller?"

    Ja, ich möchte gelegentlich gern im puren Wohlklang schwelgen, hollywoodreife Ausstattung erleben und die Lebensrealität für ein paar Stunden vollständig verdrängen.

    Aus diesem Grunde gehe auch ich in die Oper. Ich will genießen, ich kann in der Oper die Bodenhaftung verlieren und schweben, ich kann Gänsehaut bekommen, gerührt oder amüsiert sein. Ich kann mich auch langweilen, ärgern, wütend werden. Es ist schon ein seltsames Erlebnis, eine Oper. Man zahlt Geld dafür, bei einen Mord zuzusehen, bei welchem gesungen wird, und anschließend klatscht man auch noch. Paradox, es macht sogar Spaß. Sterben als Lustfaktor, eigentlich müßte man das verbieten. Kommt bestimmt noch. Aber bis dahin will ich das genießen, aber nur das, was mir gefällt! Es muß anderen nicht gefallen.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • Ich glaube ja grad, die Sache ist schon komplizierter, als die Unterscheidung zwischen Oper als Unterhaltung und Fluchtmöglichkeit aus der alltäglichen Realität auf der einen Seite und Oper als intellektuelle Herausforderung auf der anderen Seite. Z.B. haben ja auch Ratten auf der Bühne einer Lohengrin-Inszenierung zuersteinmal abslolut nichts mit der alltäglichen Realität zu tun. Und selbst in einer vollständig auf das Heute bezogenen, in keinster Weise abstrahierenden Inszenierung einer Oper bricht die Realität unmmitelbar in dem Moment, in dem die Musik erklingt. Insofern hat Oper vollkommen unabhängig von der jeweiligen Inszenierungsform sowieso immer einen größtmöglichen Abstand zu Alltagsrealität. In diesem Sinn jedoch zerfällt der Wunsch nach konventionellen Inszenierungen zwecks einer zeitweisen Flucht aus dem Alltag zumindest in seiner Funktion als Argument gegen das Regietheater und dialektisch gefolgert darf dann auch der Verfechter moderner Inszenierungsformen entsprechende Aufführungen aus einer rein "kulinarischen" Konsum-Haltung heraus besuchen.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Zitat von Dr. Holger Kaletha

    Entspannung und Unterhaltung kann man im Kino, auf dem Jahrmarkt oder beim Musical finden.

    Da frage ich mich doch lieber Holger, wie oft du schon im Kino warst und ob du solche Filme gesehen hast wie:

    Taxi-Driver - mit Robert de Niro, Regie Martin Scorsese,

    Papillon - mit Steve McQueen, Regie Franklin J. Schaffner,

    The Dark Knight - mit Heath Ledger, Regie Christopher Nolan;

    Und andererseits: hast du in Opern wie Il Barbe di Siviglia oder Der Wildschütz keine Entspannung und Unterhaltung empfunden?


    Lieber Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Wenn man zur Entspannung in die Oper geht, bedeutet das noch lange nicht, dass man seinen Verstand ausschalten soll. Mit Nachdenken hat man auf jeden Fall mehr und länger was vom Genuss. Hinterfragen und verstehen wollen kann auch bei Puccini nicht schaden. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass man eine Vorstellung von Les Troyens, Salome, Moses und Aron, Wozzeck oder Alcina besucht, um zu relaxen. Aber solchen Kram wollen einige von denen, die hier Beiträge einstellen, ja auch gar nicht sehen.


    Oper will und kann nicht die Welt verbessern, Oper soll und kann aber auch nicht als unterhaltames Erlebnis konsumiert werden. Oper kann, soll und muss zum Denken, Verstehen und zur Auseinandersetzung mit dem Stück führen - und das wiederum kann eine tolle Erfahrung sein.


    ... ich kann in der Oper die Bodenhaftung verlieren und schweben, ich kann Gänsehaut bekommen, gerührt oder amüsiert sein. Ich kann mich auch langweilen, ärgern, wütend werden.

    Das alles kann ich auch, lieber La Roche, bis auf die letzten zwei Punkte. Aber ich gehe nicht in eine Oper, um zu schweben oder um Gänsehaut zu bekommen, sondern die Gefühlsregung stellt sich manchmal ein und manchmal nicht - und das liegt nie an der Inszenierung, sondern immer am Gesang. Mich berühren schöne Stimmen sogar in einer schlechten Inszenierung.

  • Also, ich gebe ja zu, dass ich mich gern "verzaubern" lasse. Ich würde aber auch sagen, dass ich das Werk und die Künstler durchaus ernst nehme, beim "Lohengrin" etwa Wagner als Künstler (Komponisten) sowieso, aber auch die ausführenden Künstler auf der Bühne und im Orchestergraben bekommen von mir selbstverständlich Beifall, wenn sie einigermaßen gut waren. Ist es übrigens den letzteren nicht sowieso meist egal, von wem genau sie denn nun da unten ihren Applaus bekommen und wer die Eintrittskarte bezahlt/ihren Broterwerb gesichert hat- der Nurgenießer oder der intellektuelle Rezeptionsprofessional?


    Bei den Inszenierungsstilen müßte man eigentlich mal einen "unabhängigen Test" durchführen, was derzeit besser laufen würde. Ich würde dazu (noch) junge Erwachsene aus allen "Schichten" und beiderlei Geschlechts, ab 40 oder so, die sich generell selbst als "operninteressiert" bezeichnen würden, aber noch keine größeren Vorkenntnisse haben, als Probanden in ein Kino einladen. Sie bekämen einführend kurz erklärt, worum es z.B. im "Lohengrin" geht, wann und wo er spielt, ohne die komplette Handlung zu erklären und den Schluss zu verraten. Dann würde ich ihnen am ersten Abend die Bayreuther Inszenierung von 1979/1982 von Götz Friedrich ( Hofmann, Vogel, Weikl) und am zweiten Abend die Inszenierung von Hans Neuenfels ( Vogt, Dasch, Zeppenfeld) von 2011 zeigen. Anschließend sollten sie einfach spontan abstimmen, was ihnen besser gefallen hat. ( evtl. Begründung warum/Diskussion) Das Ergebnis fände ich mal ganz interessant.

    >>So it is written, and so it shall be done.<<

  • Aber ich gehe nicht in eine Oper, um zu schweben oder um Gänsehaut zu bekommen, sondern die Gefühlsregung stellt sich manchmal ein und manchmal nicht - und das liegt nie an der Inszenierung, sondern immer am Gesang. Mich berühren schöne Stimmen sogar in einer schlechten Inszenierung.

    Lieber Souffleur,


    das ist bei mir nicht anders!! Um den Zustand der "Schwerelosigkeit" zu bekommen, dazu gehe ich nicht in die Oper oder auch ins Konzert. Da muß schon viel mehr zusammenkommen. Da ist der erste Faktor die Musik, und die braucht durchaus nicht voller Schmelz (oder Schmalz?) zu sein. Das kann z.B. die Schlußszene der Salome sein, wenn sie singt "Ich habe Deinen Mund geküßt, Jochaanaan, ich habe ihn geküüüßt, deinen Mund", oder Jochanaan selbst, wenn er Salome verflucht. Dann gehört aber eine Stimme dazu, die diese Gefühle so rüber bringt, daß sie mich erreichen! Auch Elektra bei Ihrem Triumph kann das bewirken, und da denke ich an Gabriele Schnaut in der Berghaus-Inszenierung in Dresden, die mich erst "schweben" lies, und dann in den Sitz drückte, daß ich kaum aufzustehen vermochte. In 100 Opernbesuchen passiert mir das höchstens 2-3 mal, denn diese Gefühlsregung ist sowohl an den gesamten musikalischen Eindruck gebunden, der nicht nur expressive Musik sein kann, sondern auch innige Gefühle ausdrücken kann. Passen muß bei mir auf alle Fälle die Inszenierung. Jetzt könnte Dich stören, daß ich gerade in der Berghaus- Elektra die Bodenhaftung verloren habe. Diese Sprungturm-Kulisse hatte mich da nicht gestört, da es meine erste Elektra war. Nochmal war ich allerdings nicht drin.


    Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass man eine Vorstellung von Les Troyens, Salome, Moses und Aron, Wozzeck oder Alcina besucht, um zu relaxen.

    Auch wenn es Dich enttäuschen sollte, ich gehe in Salome, Elektra, die Frau ohne Schatten genau wie in die Tosca oder in den Wildschütz, um Musik, Stimmen, Orchester und Inszenierung zu genießen. Sonst hätte ich mir die Salome nicht schon ca. 10 x in versch. Inszenierungen angesehen. Und manchmal bin ich dabei wütend geworden, weil mich die Inszenierung abgestoßen hat. Ich habe bisher 3x eine Oper in der Pause verlassen, und gerade die Boheme gehört dazu, in Weimar zu den Anfangszeiten des RT, als ein schlechter Tenor seine Hauptarie verpatzte und im 2. Bild kein französisches Flair zu erleben war, sondern ein Sportplatz mit Elementen von american Football. Ich konnte die Pause kaum noch erwarten. Solche Erlebnisse brauche ich nicht. Ich bin dann mit meiner Frau fein ein Steak essen gegangen.


    Also bitte sei vorsichtig mit Deiner Einschätzung, daß man nicht auch in eine Mordoper gehen kann, um Vergnügen zu haben. Relaxen ist dabei das falsche Wort.


    Herzlichst La Roche

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    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Bei den Inszenierungsstilen müßte man eigentlich mal einen "unabhängigen Test" durchführen, was derzeit besser laufen würde.

    Lieber mdm, das gab es schon. In Erfurt brachte man 2 Inszenierungen gleichzeitig auf die Bühne, von "Hänsel und Gretel". Einmal nur für Erwachsene, im Hurenmilieu. Und die andere Inszenierung so, wie man es kennt, als Märchen. Die Hurenoper (übrigens inszeniert von Giancarlo del Monaco!) wurde nach 3 oder 4 Aufführungen abgesetzt, das Märchen stand über 10 Jahre auf dem Spielplan.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Die Hurenoper (übrigens inszeniert von Giancarlo del Monaco!) wurde nach 3 oder 4 Aufführungen abgesetzt, das Märchen stand über 10 Jahre auf dem Spielplan.



    Was hätte wohl nur der Herr Papa dazu gesagt? ;)


    Lieber La Roche,


    wie haben sich denn die Zuschauer und die "Thüringer Allgemeine" seinerzeit geäußert? Hast Du mit Besuchern gesprochen?


    LG...MDM :hello:

    >>So it is written, and so it shall be done.<<

  • Widerspruch bei Schönberg!! Die Gurrelieder oder die verklärte Nacht gehören zu meinen durchaus gern gehörten Stücken, selbst dem Pelleas bin ich nicht abgeneigt. Aber spätestens mit dem 2. Streichquartett mache ich um ihn und um alles von Stockhausen einen Riesenbogen. Bin ich deshalb weniger wert als ein "Intellektueller?"

    Aus diesem Grunde gehe auch ich in die Oper. Ich will genießen, ich kann in der Oper die Bodenhaftung verlieren und schweben, ich kann Gänsehaut bekommen, gerührt oder amüsiert sein. Ich kann mich auch langweilen, ärgern, wütend werden. Es ist schon ein seltsames Erlebnis, eine Oper. Man zahlt Geld dafür, bei einen Mord zuzusehen, bei welchem gesungen wird, und anschließend klatscht man auch noch. Paradox, es macht sogar Spaß. Sterben als Lustfaktor, eigentlich müßte man das verbieten. Kommt bestimmt noch. Aber bis dahin will ich das genießen, aber nur das, was mir gefällt! Es muß anderen nicht gefallen.


    Herzlichst La Roche

    Warum muss man immer gleich werten oder etwas als Wertung auffassen? Ist jemand, der keinen Zugang zur klassischen Musik hat, deshalb weniger wert als ein Klassikhörer? Und dass nur Intellektuelle Zugang zu Stockhausen z.B. fänden, ist schlicht ein Vorurteil. Ich war ja nun bei Stockhausen und etlichen Stockhausen-Konzerten. Da kamen ganz "normale" Menschen hin und haben sich für diese Musik begeistert. Spaß haben beim Sterben auf der Bühne? Das kann ich nicht nachvollziehen. Streets Scene von Weill enthält viel Komik. Am Schluss passiert ein Mord. Das fanden sowohl ich als auch die Personen, mit denen ich in der Vorstellung war, nur beklemmend.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Naja, Elektra freut sich zu Tode, daß ihre Mutter erschlagen wurde.

    Und ist das keine Freude, wenn eine ganze Bühne singt und tanzt "Hurra, die Hex ist tot"?


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Lieber Willi,


    natürlich gibt es genug Filme im Kino, die kein Unterhaltungskino sind. Von denen, die ich gesehen habe, fällt mir jetzt spontan Dogville von Lars von Trier ein. Aber ich glaube rein quantitativ dominiert das Unterhaltungskino. Entspannung ist glaube ich nicht unbedingt einem Unterhaltungseffekt geschuldet. Die kommt eher ähnlich wie bei einer Meditation durch die Konzentration auf das Erlebte, die den Kopf leer macht. Und natürlich gibt es in der Oper viel Unterhaltsames. Das Problem beginnt erst da, wo man diesen Aspekt zum Ausschließlichen macht.


    Ich sitze übrigens im Zug unterwegs nach Essen zum Konzert von Martha Argerich und Misha Maisky.


    Liebe Grüße

    Holger

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  • Naja, Elektra freut sich zu Tode, daß ihre Mutter erschlagen wurde.

    Und ist das keine Freude, wenn eine ganze Bühne singt und tanzt "Hurra, die Hex ist tot"?


    Herzlichst La Roche

    Ja, aber wir doch nicht mit ihr! Und bei der Hexe ist die Freude doch nicht die über den Tod an sich, sondern die Befreiung von der Bedrohung durch diesen Dämon. Das Böse ist besiegt! :)


    :hello: aus dem Zug

  • Wozu brauche ich dann einen Regisseur, der mir quasi nur (s)eine S(ch)icht aufdrängt?

    Erfreulich, dass du dem Regisseur zubilligst, nicht nur seine Sicht zu realisieren.

    Unabhängig ob Frage von dir lediglich rhetorisch intendiert oder nicht, kannste diese letztlich nur dir selbst beantworten.

    Aber spätestens mit dem 2. Streichquartett mache ich um ihn und um alles von Stockhausen einen Riesenbogen

    Ist ja okay, dass du Schönbergs Mucke ab Fis-Moll-Quartett nicht leiden kannst.

    Vor allem in seiner sog. frei-atonalen und in seiner späteren 12-Phase brachte er super-fetzig ausgestaltete Themen zustande, die sich keinesfalls hinter Brahms oder Schubert verstecken brauchen: z.B. Bläserquintett, Violinkonzert, 3. und 4. Streichquartett, auch super-zart-zerbrechliche Seitensatzkomplex seines Streichtrios, Klavierkonzert...

    Aus diesem Grunde gehe auch ich in die Oper. Ich will genießen,

    Ist gleichfalls okay. Aber du bist nicht der einzige Opern/Konzertbesucher. Ich gehöre auch zu Kulturkonsumenten, also zum bürgerlichen Publikum und will mich bespaßen lassen durch z.B. Schönberg, Nono, Cage, Kalle Stockhausen, B.A. Zimermann, Nunes, Saunders .... oder durch Inszenierungen von z.B. Neuenfels, Konwitschny, Bieito, Berger, Langridge, Kosky....


    Ich würde dazu (noch) junge Erwachsene aus allen "Schichten" und beiderlei Geschlechts, ab 40 oder so, die sich generell selbst als "operninteressiert" bezeichnen würden, aber noch keine größeren Vorkenntnisse haben, als Probanden in ein Kino einladen. Sie bekämen einführend kurz erklärt, worum es z.B. im "Lohengrin" geht, wann und wo er spielt, ohne die komplette Handlung zu erklären und den Schluss zu verraten. Dann würde ich ihnen am ersten Abend die Bayreuther Inszenierung von 1979/1982 von Götz Friedrich ( Hofmann, Vogel, Weikl) und am zweiten Abend die Inszenierung von Hans Neuenfels ( Vogt, Dasch, Zeppenfeld) von 2011 zeigen. Anschließend sollten sie einfach spontan abstimmen, was ihnen besser gefallen hat. ( evtl. Begründung warum/Diskussion) Das Ergebnis fände ich mal ganz interessant.

    Ich habe eher Zweifel, ob das Ergebnis besonders interessant rüberkommt. Denn warum sollen ausgerechnet Besucher mit geringen Vorkenntnissen in der Lage sein, als Probanden über eine Regie angemessener abstimmen, ihr Feedback plausibler begründen zu können, als solche mit umfangreichen Vorkenntnissen.:huh:

    Was besser laufen würde, gilt als wirtschaftliches, aber nicht als ästhetisches Argument. Andernfalls wären z.B. Pfitzners Palestrina, Humperdincks Königskinder totaler Schrott, weil man damit die Hütte kaum voll kriegt.

    Einmal editiert, zuletzt von Amfortas08 ()

  • wie haben sich denn die Zuschauer und die "Thüringer Allgemeine" seinerzeit geäußert? Hast Du mit Besuchern gesprochen?

    Lieber MDM, natürlich habe ich den del Monaco nicht besucht, aber einige Jahre später die märchenhafte Märcheninszenierung im grünen Wald.

    Die Premiere war 2004, im Internet habe ich nichts mehr dazu gefunden. Im Opernglas Heft 3/2005 steht auf Seite 46 im Report eine Notiz dazu. Nur ein kurzer Auszug daraus:


    "Hänsel und Gretel spiele im ersten Akt der Oper vor dem morschen Bauwagen ihrer Eltern im Plastikmüll, saufen und kiffen. Die Mutter ist eine heroiabhängige Hure, der Vater durchsetzungsschwacher Alkoholiker...."


    Trotz des guten Willens, Aufklärung besonders zum Kindesmißbrauch betreiben zu wollen wurde die Inszenierung vom Publikum nicht honoriert.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Hallo, Amfortas,

    ich habe nichts gegen Deinen Geschmack.

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Ich habe eher Zweifel, ob das Ergebnis besonders interessant rüberkommt. Denn warum sollen ausgerechnet Besucher mit geringen Vorkenntnissen in der Lage sein, als Probanden über eine Regie angemessener abstimmen, ihr Feedback plausibler begründen zu können, als solche mit umfangreichen Vorkenntnissen. :huh:

    Es sollen ja bewußt keine Experten gefragt werden, die sind ja schon vorbelastet. Die "Probanden" sollen einfach spontan und unverdorben sagen, das und das hat mir gut gefallen, weil ... und das und das hat mir nicht gefallen, ebenfalls weil. . . Ob die Begründungen "angemessen" wären, darüber würde ich gar nicht befinden wollen, zumindest wären sie wohl ziemlich erfrischend echt /authentisch. Es wäre ja übrigens auch völlig offen, welche Inszenierung die Nase bei den Jungen vorn hätte. Ich zum Beispiel habe 2011 die Neuenfels-Inszenierung im Stream gesehen und gleichzeitig den begleitenden Thread hier bei Tamino gelesen. Das Livebild u.a. mit den rosa Rattenchor , zusammen mit den köstlichen Kommentaren des hier leider ausgeschiedenen Users "Wolfram" waren für mich ein echtes Highlight , ich wäre vor Lachen damals beinahe erstickt, ich konnte einfach nicht mehr. Ich hatte für mich mittendrin einfach beschlossen, mein ursprüngliches Herangehen einfach aufzugeben und das Ganze nur noch als einen Riesenspaß zu betrachten.

    >>So it is written, and so it shall be done.<<

  • "Hänsel und Gretel spiele im ersten Akt der Oper vor dem morschen Bauwagen ihrer Eltern im Plastikmüll, saufen und kiffen. Die Mutter ist eine heroiabhängige Hure, der Vater durchsetzungsschwacher Alkoholiker...."

    Du hast das Zitat stark verkürzt, denn alles was in der Kritik für die Inszenierung sprach, hast du weggelassen.

    Die ganze Kritik unten:


    Leider Nein. da copyright MOD 001 Alfred

    2 Mal editiert, zuletzt von Souffleur ()

  • Aber spätestens mit dem 2. Streichquartett [von Arnold Schönberg] mache ich um ihn und um alles von Stockhausen einen Riesenbogen. Bin ich deshalb weniger wert als ein "Intellektueller?"

    [...] natürlich habe ich den del Monaco [Hänsel und Gretel"-Inszenierung "für Erwachsene] nicht besucht, [...]

    Verehrter La Roche, dass ist jetzt überhaupt nicht böse gemeint und schon garnicht als persönlicher Angriff, aber das hört sich für mich einfach so an, als würde Dir eine gewisses Maß an Neugier fehlen!?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Zitat von Dr. Holger Kaletha

    Ich sitze übrigens im Zug unterwegs nach Essen zum Konzert von Martha Argerich und Misha Maisky.

    Ich hoffe, lieber Holger,


    du hattest ein schönes Konzert, was man bei den beiden Protagonisten ja wohl annehmen darf.

    Um auf das Thema zurückzukommen: man kann zugleich entspannt und angespannt sein, auch, wenn man klassiche Musik genießt, und da gibt es ja (Gott sei Dank) nicht nur Oper.

    Ich saß am 2. Juli in Düsseldorf bei einem grandiosen Schubert-Konzert von Sir Andras Schiff. Da verspürte ich diese Situation, in einem Stück zugleich angespannt und entspannt zu sein, ähnlich wie es der Musiker war und vermutlich in den gleichen Phasen des Stückes. Nie kann bei einer Schubert-Sonate eines fehlen, bei der a-moll-Sonate D.845 war die konzentrierte Anspannung sicherlich häufiger zu verspüren, bei der D-dur-Sonate D.850 war das Verhältnis ausgeglichener, ähnlich wie bei der abschließenden G-dur-Sonate D.894.

    Am 9. Juli in Unna lauschte ich einem reinen Mozart-Konzert des Pianisten und Dirigenten Lars Vogt mit der neuen Philharmonie Westfalen: sicherlich war dort die Entspannung vorrangig mit der Ouvertüre zur Nozze, dem KK Nr. 27 B-dur KV 595 und der Sinfonie Nr. 36 C-dur KV 425 "Linzer", und am 11. Juli war ich in Bochum, wo der wunderbare Igor Levit mit einem nicht alltäglich Programm alles bot, was es in dieser Hinsicht zu verspüren gibt: Entspannung pur und Beglückung in einigen "Liedern ohne Worte" von Mendelssohn, dann vorzugsweise konzentrierte Anspannung in einer Klavierfassung von Mahlers Adagio der 10. Sinfonie und am Schluss Schuberts B-dur-Sonate D.960, die ja, wie du weißt, alles an konzentrierter Anspannung und beglückender Entspannung bietet, was man nur in eine Sonate packen kann. Dazu kommt noch verstärkt bei dem reinen Schubert-Konzert Schiffs und auch bei dem zweiten und dritten Stück des Levit-Konzertes der tiefe Einblick in Mahlers und Schuberts Seelenleben und das "fast Miterleben" ihres erlittenen Schmerzes.

    Allen drei Veranstaltungen gemeinsam war aber, wie bei fast allen der über 50 Konzerte dieser Saison, eine tiefe Beglückung, dabei gewesen zu sein und es erlebt zu haben.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Es sollen ja bewußt keine Experten gefragt werden, die sind ja schon vorbelastet. Die "Probanden" sollen einfach spontan und unverdorben sagen, das und das hat mir gut gefallen, weil ... und das und das hat mir nicht gefallen, ebenfalls weil. . . Ob die Begründungen "angemessen" wären, darüber würde ich gar nicht befinden wollen, zumindest wären sie wohl ziemlich erfrischend echt /authentisch. Es wäre ja übrigens auch völlig offen, welche Inszenierung die Nase bei den Jungen vorn hätte.

    Warum eine Zielgruppe mit ausgerechnet geringen Kenntnissen authentischer rüberkommt, erschließt sich nicht. Zumal Oper und ihre Umsetzung sehr rational organisierte und höchst vielfältige Chose bildet, also alles andere als voraussetzungslos.
    Wenn man sich geist/gedanken/begriffsfeindliche Äußerungen (z.B. „Deuteritis“ ) von manch RT-Phoben hier reinzieht, dann drängt sich vielmehr der Eindruck von Ressentiment auf, aber keinesfalls von „echt/authentisch“ bzw. „unverdorben“.

    "Echt" ausgerechnet im Zusammhang mit Kunst entfacht in einem eher Bauchschmerzen.


    Andererseits – da gehe ich wiederum mit dir:thumbup:- kommt doch von RT-Phoben in Tamino dabei jede Menge Spaßfaktor rüber:yes:, den TV-Blödel-Satire-Shows eben nicht einlösen.

  • Na das ist doch prima! Wozu brauche ich dann einen Regisseur, der mir quasi nur (s)eine S(ch)icht aufdrängt?

    Liebe Mme.Cortese,


    du hast vollkommen Recht. Da ist immer von Mitdenken die Rede. Sicher gibt es viele Opernbesucher, die in erster Linie einen schönen Abend mit Abstand vom Alltag genießen wollen, und auch das leugne ich bei mir noch nicht einmal ganz ab. Aber es gibt auch die Leute, die sich eingehend über das Werk informieren und auch während der Vorstellung mitdenken. Glücklicherweise bion ich noch in der Lage, selbst zu denken und keinen Vordenker zu brauchen, der mir eine einseitige, die Handlung, auf die der Komponist seine Musik geschrieben hat entstellende Sichtweise aufdrängen will. Ich bin bereit, mir meine Gedanken über das Werk des Komponisten und seines Librettisten zu machen, die, wie ich vielfach (gerade auch beim Troubadour) in Dokumentationen gelesen habe, um die Gestaltung gerungen haben. Nun kommt irgendein Regisseur daher und meint, alles das umwerfen zu müssen.

    Bei der Originalhandlung hat jeder die Chance, sich eigene Gedanken über das Werk zu machen. Ich bin aber nicht bereit, für mich denken zu lassen.


    Liebe Grüße

    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

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