"Tannhäuser" Bayreuth 2019

  • Musikalisch mE kein großer Wurf, aber auch nicht so schlecht, wie in den Kritiken zu lesen. Mein Verdacht ist, dass da aus politischen Gründen nochmal "nachgetreten" wurde. BILD - nun nicht gerade an Themen der Hochkultur interessiert - hat regelrecht gegen Gergiev gehetzt. In den Feuilletons geht es natürlich etwas feiner zu. ...

    Lieber Mischa.


    Hinter und neben mir haben etliche Besucher Buh gerufen. Ich hatte nicht den Eindruck, ihnen ginge es um politische Meinungsäußerungen. Sie waren schlicht und einfach mit der Leistung des Dirigenten unzufrieden. Dafür gab es reichlich Grund. Wer jetzt noch mal die Aufnahme hört, wird das kaum bestreiten können.

    Von den Feuilletons dürfte niemand aufgestachelt gewesen sein. Und auch ich habe meine Kritik an Gergiev schon mit Freunden diskutiert als noch keine Zeitungen erschienen waren.


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • der zitierte Satz eröffnet den Artikel von Fr. Kostner, den ich verlinkt habe. Dessen erster Absatz ist für jeden lesbar. Leider sind Quellen im Internet zunehmend hinter Bezahlschranken verborgen.

    Lieber Hans,


    die ersten Sätze fand ich schon fürchterlich verkopft. Die Problematik ist mir allerdings vertraut - ohne politisierende Links-Rechts-Schablonen hat sie treffend und präzise der Rechtsphilosoph Christoph Menke dargestellt, als die "Aporien des Liberalismus":



    Der Liberalismus leidet, wie Menke es instruktiv darstellt, an einem irreparablen Konstruktionsfehler. Die Voraussetzung ist, dass der Rechtsstaat den rechtlichen Rahmen für die Sicherung der individuellen Freiheit geben soll, aber eben nur das. Die Verwirklichung individueller Freiheit und Gleichheit wird der Gesellschaft überlassen, d.h. der Liberalismus vertraut der "Kultur", weswegen sich der Staat nicht einmischen soll mit Gesetzen. Nur das funktioniert wiederum nicht. Die Aporie wird deutlich an der Quotenregelung. Nach der Vorstellung des Liberalismus soll die Gesellschaft und nicht der Staat für die Gleichstellung der Frau sorgen. Tut sie aber nicht. Frauen sind weiterhin unterrepräsentiert. Also greift der Staat ein mit einer Gesetzgebung, der Quotenregelung. Das ist eigentlich antiliberal - aber andererseits bleibt der liberale Verweis auf die Selbstregulierung der Gesellschaft fruchtlos. Nachweislich ändert sich nur etwas, wo eine Quotenreglung wirksam war. Die verschiedenen politischen Lager setzen nun auf die verschiedenen Seiten: die Liberalen auf eine nachweislich nicht funktionierende Selbstregulierung der Gesellschaft und die Sozialdemokraten auf staatliche Regulierung, was natürlich auch wieder ungerecht ist, weil dies andere individuelle Rechte beschränkt. Aus dieser Aporie gibt es letztlich keinen Ausweg, so Menke, und auch keine Patentlösung, die man auf dem politischen Markt feilbieten könnte. Die "linke Identitätspolitik" ist eigentlich nur eine Konsequenz aus diesem Dilemma, dass die Gesellschaft die liberalen Werte nicht selbst zu realisieren imstande ist, und somit durch die Gesetzgebung (die auf dem Gedanken der Gleichheit vor dem Gesetz beruht) dafür sorgen muss. Menke hebt auch genau das hervor - im liberalen Staat dehnt sich die Gesetzgebung immer mehr in die Bereiche der Gesellschaft aus. Das ist aber kein ideologisches Konstrukt, sondern eine Konsequenz aus der Aporie des Liberalismus.


    Der Konstruktionsfehler liegt eigentlich im Individualismus des 19. Jhd. begründet (den ja auch Wagner und Liszt pflegen), der meinte, eine Gesellschaft setze sich aus freien Individuen zusammen. Die Gesellschaft ist aber ein soziales System, dessen Systemzwängen gerade auch das Individuum unterliegt. Die Zwänge kommen also nicht nur vom Staat, der in die Gesellschaft eingreift - die schafft sich die Gesellschaft - in der Globalisierung um so stärker - selbst.


    Den Begriff "Affirmation" wollte ich durchaus nicht sprachwissenschaftlich verwenden, sondern meine Kritik an der leitkultur-kompatiblen Inszenierung in ihm bündeln.

    Ich hatte auch eher an Adorno gedacht und seine Kritik am "Affirmativen". Ich verstehe auch nicht ganz, wieso Du den "Leitkultur"-Gedanken hier verwenden kannst. Er stammt ja aus einem ganz anderen Kontext, nämlich vom Islamwissenschaftler Tibi und bezog sich auf das Verhältnis von Einwanderen, die sich bei uns integrieren wollen. Was ich verstehe, ist, dass die Pop-Kultur einen egalitären und nivellierenden Grundzug hat. Die "Postmoderne" betont aber wiederum das Gegenteil - die Diversität. Was ist diese Inszenierung nun eigentlich: Popkultur oder Postmoderne?



    Das Verhandeln auf dem Theater, von dem Hacks spricht, habe ich immer als Angelegenheit großer Ernsthaftigkeit - mit der man ja auch eine Komödie auf die Bühne bringen muß, daß es gut wird - verstanden.

    Diese Ernsthaftigkeit hatte ich erhofft, habe sie aber vermißt.

    Verstehe! Worauf ich Wert legen würde, ist darauf, dass die Inszenierung nicht einfach das romantische Klischee von Sexualität und keuscher christlicher Liebe bemüht, das schon bei Wagner selbst unglaubwürdig ist. Selbst der als "katholisch" geltende Josef v. Eichendorff hat diesen romantischen Topos, die Antithese Christentum-Heidentum, ja kräftig ironisiert bis hin zur Parodie - und Nietzsche Wagner hier aufgespiest. Der Revoluzzer und Feuerbach-Leser Wagner wird schließlich romantisch fromm, und löst den Widerspruch durch die "Erlösung"! =O :D


    Schöne Grüße

    Holger

  • Hinter und neben mir haben etliche Besucher Buh gerufen. Ich hatte nicht den Eindruck, ihnen ginge es um politische Meinungsäußerungen. Sie waren schlicht und einfach mit der Leistung des Dirigenten unzufrieden.

    Ich bin mir relativ sicher, dass - analog dazu - die Buh's, die dem Regisseur galten, von denen abgegeben wurden, die mit der Inszenierung, also der Leistung des Regisseurs, unzufrieden waren. Die These von Thomas Pape, dass diese bezahlt gewesen seien, womöglich noch vom Regisseur selbst, weil dieser einen Skandal haben wollte, halte ich für abenteuerlich.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Holger,


    mit meinen Bemerkungen zu Kratzers Tannhäuser wollte ich keine Kritik an Identitätspolitik üben, die ich durchaus für bigott halte, sondern nur darauf eingehen, daß der Regisseur sie zu einem wesentlichen Element einer daran gescheiterten Inszenierung gemacht hat.

    Zwischen Popkultur und Postmoderne kann ich keinen grundsätzlichen Gegensatz erkennen. Die Betonung von Gruppenidentitäten ist ein wesentliches Element der Popkultur, der inzwischen leitkulturelle Funktionen zugefallen sind.

    Deinem letzten Absatz stimme ich zu. Schau Dir doch Frau Davidsen in vollem Ornat beim Sängerwettstreit an! Was hätte man aus diesem chaotischen Wechselbad von Gefühlen, durch das sie gezogen wird, mit dieser Sängerin/Schauspielerin machen können! Es gibt nicht viele Helden auf der Bühne, die sich auf der Szene von der geliebten Frau nicht nur abwenden, sondern auch auch noch ad hoc eine Apologie vorbringen. Warum hat Kratzer da nicht zugepackt?

    Es grüßt Hans

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Hallo!


    Eben bin ich mir selbst aufgesessen. Seit Tagen frage ich mich, weshalb in Tamino keine Diskussion über den Bayreuther Tannhäuser stattfindet. Nun war ich heute sowohl auf dem Laptop als auch am PC bei Tamino angemeldet. Auf dem Laptop konnte ich die Posts zum Tannhäuser sehen, auf dem PC nicht. Des Rätsels Lösung war, dass ich das Thema "Regietheater" vor einiger Zeit blockiert hatte, da mich die Schlammschlachten genervt haben. Auf dem Laptob war ich heute nicht bei Tamino angemeldet, sodass die Blockade nicht wirkte.


    Das wäre zunächst meine eigene Sache. Was ich allerdings schade finde, dass ein solch brandaktueller Thread nicht im Opernforum platziert, sondern direkt in den "Regietheater"- Giftschrank verbannt wird. Hier nimmt die Platzierung bereits eine Beurteilung vorweg. Caruso hat die Frage bereits in Post 7 gestellt. Wenn die Diskussion über eine aktuelle Inszenierung in die übliche Diskussion abgleitet, kann eine Verschiebung doch immer noch stattfinden. Aber zunächst doch im Opernforum?


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Lieber Holger,

    vielleicht interessiert Dich das Gespräch, das D. Borchmeyer und Chr. Gerhaher über den Tannhäuser im Wagnerspectrum geführt haben. Mit hat die Lektüre Vergnügen bereitet. Es grüßt Hans


    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Mit etwas zeitlichem Abstand möchte nun auch ich meine Eindrücke vom Bayreuther "Tannhäuser" schildern. Wie allgemein bekannt ist, gehöre ich nicht unbedingt zu den Verfechtern des RT, aber um an einer Diskussion teilzunehmen, muss man sich das fragliche Stück ja erst einmal ansehen. Das Stück in die heutige Zeit zu verlegen ist ja ein probates und gern geübtes Mittel, aber der Gegensatz "reine" gegen sexuelle Liebe spielt ja nun heute keine große Rolle mehr, ein Problem, das wohl jeden "Tannhäuser"-Regisseur hat. Aber egal. Den ersten Akt fand ich nicht gerade gelungen, nicht so sehr wegen der Verlegung der Zeit, sondern weil der Herr Kratzer wie so viele seiner Kollegen den Text völlig vernachlässigt hat. Da fahren die vier durch die herrlichen Thüringer Wälder, und Tannhäuser jammert er habe so lange kein Grün mehr gesehen bzw. keinen Vogel mehr singen gehört. Warum es wieder mal ein Clown sein musste, hat sich mir auch nicht erschlossen - haben die Leute, wenn sie unterwegs sind, keine Zivilklamotten? Grenzwertig fand ich auch die Szene, in der der radfahrende "Hirte" auf den zusammengebrochenen Tannhäuser trifft und ihm, anstatt zu fragen, ob er helfen kann, mitteilt, der Mai sei gekommen...


    Von dort an nahm die Inszenierung für mich Fahrt auf. Die Idee, die Pilger ins Festspielhaus marschieren zu lassen, fand ich witzig - bei weit über 30 Grad Außentemperatur kann man vermutlich dort mehr als eine Sünde abbüßen.


    Auch den zweiten Akt fand ich gelungen. Die Idee, Venus und ihre Entourage ins Festspielhaus eindringen zu lassen und Tannhäuser dort direkt zu konfrontieren, brachte Leben ins Spiel, wenn auch manches übertrieben war. Die Videoeinspielungen lockerten vor allem das endlose Finale des Aktes auf - für einen Nicht-Wagnerianer wie mich durchaus willkommen.


    Auch den dritten Akt fand ich gelungen. Ob er nun auf einer Müllhalde spielte oder irgendwo im Wald unter der Wartburg, sehe ich als nicht so wichtig an. Die ganze Szene ist ja voll Tristesse, trotz Elisabeths Gebet und des Liedes an den Abendstern. Ob das Quickie zwischen Wolfram und Elisabeth unbedingt sein musste, sei dahingestellt. Zusammenfassend möchte ich sagen, dass zwar nicht alles gelungen war, ich aber schon weitaus fragwürdigere RT-Inszenierungen gesehen habe.


    Was die Leistungen der Sänger angeht: Lise Davidsen fand ich sehr gut, der Wolfram war für mich o.k., aber nicht mehr, dem Landgrafen fehlte meiner Meinung nach etwas des Basses Grundgewalt, um seine Autorität zu untermalen, und den Tannhäuser könnte ich mir sicherlich etwas schönstimmiger vorstellen, aber er meisterte seine Riesenpartie durchaus beachtlich.


    Es grüßt Mme. Cortese

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Hallo, WoKa!


    Der 'Schuldige' bin ich! Als ich am 17. 7. die Mitteilung gepostet habe, dass sich die Sängerin Ekaterina Gubanova bei den Proben so sehr verletzt hat, dass sie durch Elena Zhidkova als 'Venus' ersetzt werden musste, habe ich diesen Beitrag in die Rubrik "Regietheater" eingeordnet, weil ich damit rechnete, dass eine ähnlich kontroverse Diskussion wie über den Bregenzer "Rigoletto" geführt werden würde - was allerdings bisher gottseidank nicht geschah.


    Aber wenn diese Bayreuther "Tannhäuser"-Inszenierung kein signifikantes Beispiel für "Regietheater" ist, was ist sie dann? Ich habe sowohl die Rundfunkübertragung gehört wie auch die Fernsehsendung in voller Länge gesehen und ich muss sagen, dass ich - und da begebe ich mich entgegen meiner Absicht, das 'Minenfeld' einer Diskussion über Opernaufführungen weiträumig zu umgehen, denn doch auf gefährliches Terrain - die stringente Erzählweise, den Einfallsreichtum und die in vielen Momenten gelungene optische Umsetzung interessant finde (wesentlich mehr jedenfalls als der "Lohengrin" des Vorjahres). Wenn nur die Musik und der Text nicht wären...


    Carlo

  • Ich frage mich auch immer, warum man der im Libretto dargestellten Geschichte so sehr misstraut, dass man meint, sie durch Aktualisierung und Veränderung "verbessern" zu müssen.

    Da wird mit großem Aufwand eine Geschichte dazuerfunden, eine Rahmenhandlung gebastelt, eine Vielzahl an Bezügen und Parallelen konstruiert und an das Stück aufgeflanscht.

    Dies kann man natürlich, mit allerlei Klimmzügen und Verrenkungen, machen, so nach dem Motto, "steht zwar nicht im Libretto, steht aber auch nicht drin, dass es das nicht gibt..."; wie auch immer, ich finde nur, dass es die Essenz verwässert, dem Stück sein organisches, harmonisches Gesamtgefüge nimmt, eine sorgfältig zwischen Musik und Libretto austarierte Balance aufhebt, und dadurch zu einer Austauschbarkeit und Beliebigkeit führt, die ich persönlich nicht als Gewinn empfinde.

    Man erlaube mir folgenden, sicherlich hinkenden Vergleich: Wenn ich etwa einen alten Single-Malt Whisky mit noch, sagen wir, vier oder fünf anderen alkoholischen Getränken vermische, erhalte ich einen mehr oder weniger genießbaren Cocktail; aber mit dem ursprünglichen, edlen Getränk hat dies kaum noch zu tun.

    So kommt mir auch diese Tannhäuser-Inszenierung vor, als würde man einen alten Rotwein mit Cola vermischen, damit daraus ein hipper, stylischer Drink wird.

    In gleicher Weise könnte man ja auch diese ganzen jahrhundertealten Violinen doch auch gleich durch Synthesizer und E-Gitarren ersetzen; das wäre dann zumindest konsequent...und kostensparend.

    Man sieht also, hier wird Altes mit Neuem verquickt, was ich per se auch gar nicht verurteilen möchte; es lassen sich sicher Argumente finden, um so zu verfahren.

    Aber ich bin da von meiner Vorliebe und Prägung eher "puristisch", ich denke, dass die Beschränkung und Konzentration auf das Charakteristische, Besondere und Eigentümliche mitunter bereichernder sein kann, als alles in kunterbunter Vielfalt, Mannigfaltigkeit und überbordender, grenzenloser Durchmischung durcheinanderzuwirbeln bis zur Unkenntlichkeit.

    Ich möchte damit auch nicht zu einer Spaltung oder Attacke zwischen konservativ und progressiv beitragen; ich respektiere das sogenannte "Regietheater" und die Anhänger desselben genauso wie jeden anderen Musikfreund; auch dieses Experimentierfeld hat sicherlich seine eigenen Spielregeln, Hintergründe und Bezugsgrößen, und ganz sicher auch seine Daseinsberechtigung. Jegliche Disskussion sollte daher auch in Respekt und Wertschätzung erfolgen, in diesem Sinne möchte ich auch diesen Beitrag hier gerne verstanden wissen.

    Ich habe es in der Vergangenheit bereits mit der Jazzmusik verglichen; während ein "klassischer" Komponist die Sonate so spielt, wie Sie in der Partitur steht (auch wenn er sie in gewissem Rahmen interpretiert durch Lautstärke, Phrasierung, Tempo etc.), wird der Jazzmusiker vielleicht nur ein Thema aus dieser Sonate nehmen, und völlig frei, ganz einfach seiner Eingebung und Spontanität folgend, etwas ganz anderes daraus machen.

    Beides hat seinen Sinn und seine Berechtigung.

    In der Oper, um dazu zurückzukehren, finde ich es in der Tat eher störend, wenn man eine Form der Inszenierung wählt, die das Stück quasi "entwurzelt", Zeit und Ort ändert, Abläufe darstellt, die mit dem gesungenen Text nichts mehr zu tun haben (wie ja bereits in anderen Beiträgen ausgeführt wurde) etc.

    Es steht außer Frage, dass man auch allerlei Denkanstöße durch solche Brechungen erzielen kann.

    Ich begnüge mich jedoch gerne mit dem, was in der Partitur und im Libretto steht; jeder Regisseur hat natürlich Leerstellen zu füllen, Interpretationsspielräume zu nutzen, aber auch nicht mehr.

    Deswegen empfinde ich diesen Tannhäuser als Rotwein mit zu viel Cola...


    herzliche Grüße


    Notabene: ich bin sicherlich nicht unintellektuell, ewiggestrig, RT-feindlich oder ähnliches. Ich bin durchaus für Moderne, ich sehe mir gerne auch zeitgenössische Opern an, und finde, dass noch sehr viel mehr moderne Opern komponiert werden sollten, die aktuelle Probleme aufgreifen, und dass solche Stücke auch viel mehr gespielt und im TV gezeigt werden sollten, statt immer nur 18. und 19. Jahrhundert.... Dass man die Aktualität jedoch in nicht-aktuelle Stücke hineintragen muss, denke ich nicht. Das empfinde ich oft als künstlich, und nicht als künstlerisch.

  • Zwischen Popkultur und Postmoderne kann ich keinen grundsätzlichen Gegensatz erkennen. Die Betonung von Gruppenidentitäten ist ein wesentliches Element der Popkultur, der inzwischen leitkulturelle Funktionen zugefallen sind.

    Lieber Hans,


    die Postmodern-Debatte hat verschiedene Quellen. Ursprünglich taucht der Begriff in einer amerikanischen Literaturdebatte auf - und da ist Postmoderne in der Tat als Pop-Kultur konzipiert - so beim Literaturkritiker Leslie A. Fiedler: "Überwindet die Grenzen - schließt die Gräben". Das ist aber in der späteren, sehr einflussreichen Architektur-Debatte wiederum gar nicht der Fall. Postmoderne Architektur ist keine Popkunst, da geht es um ganz andere Dinge. Es gibt also sehr verschiedene Postmoderne-Konzeptionen. Die anspruchsvollste ist wohl die von Jean-Francois Lyotard, der sie nicht als Epochenbegriff versteht, sondern als eine andere Art, die Moderne zu lesen ("Die Moderne redigieren"). Postmoderne richtet sich gegen die "großen Erzählungen", das Integrale, Einfache und Vereinheitlichende und gibt der Diversität, den Widerstreiten, der Heterogenität und Vielheit einen positiven Wert. Postmodern sind auch Niklas Luhmann und Michel Foucault, für die sich Identität nur durch Differenz konstituiert. Ein schönes Beispiel für Postmoderne in der Musik ist finde ich Alfred Schnittke, wenn die Musik erst wie J.S. Bach klingt und dann wie Anton Webern. Die Betonung von Gruppenidentitäten kann zwar finde ich, muss aber durchaus nicht unbedingt als Pop-Kultur gemeint sein. Siehe Leslie A Fiedler: Bei Fiedler geht es um die Egalisierung von Hochkultur und Alltagskultur - alle Kunst sei nur Unterhaltung. Interessant, dass Fiedler z.B. Bob Dylan scharf kritisiert als gar nicht popkulturellen Esoteriker - also gerade die Diversität und Individualisierung wie auch die Exklusion von Gruppenidentitäten ablehnt, die in weiten Teilen des Postmoderne-Diskurses so positiv gewertet wird, weil sie sich der popkulturellen Vereinheitlichung widersetzen. :D Zum Leitkultur-Begriff gehört eine normative Komponente - bei der so heterogenen Postmoderne kann man da für meinen Geschmack schwer eine vereinheitlichende Norm ausmachen. Sicher gibt es viele Schnittmengen, aber die sind eher von der Art von "Familienähnlichkeiten" im Sinne von Ludwig Wittgenstein, taugen also von daher kaum für eine normative Vereinheitlichung. Auch die Biogasanlage und die Waschmaschine auf der Bühne sind postmodern - Alltagsprosa im Rahmen von Poesie. Das gab es aber als Konzeption schon in der Romantik. Wie "romantisch" so etwas ist, da haben RT-Gegner leider keinen Blick dafür! ^^


    Ich schreibe im Moment einen Essay und komme deswegen einfach nicht zum Musikhören geschweige denn dazu, mir eine Oper anzuschauen. Dazu war es auch noch letzte Woche bei uns unterm Dach 31-38 Grad Celsius, da läuft dann in dieser Hinsicht leider gar nichts! :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

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  • Ich frage mich auch immer, warum man der im Libretto dargestellten Geschichte so sehr misstraut, dass man meint, sie durch Aktualisierung und Veränderung "verbessern" zu müssen.

    Lieber Don,


    da würde Dir der Opernkritiker Eduard Hanslick mit seiner Erfahrung von Opernaufführungen von 1860 und 1870 antworten, dass Opernlibretti Flickwerke und Machwerke zweifelhafter Qualität sind, die man erst einmal verbessern muss, um sie einem zeitgenössischen Publikum überhaupt zuzumuten! Was hat die Pariser Oper so alles mit Mozart gemacht damals - "Verbesserungen", die Hanslick in seinen Kritiken ausdrücklich begrüßt! ^^

    Da wird mit großem Aufwand eine Geschichte dazuerfunden, eine Rahmenhandlung gebastelt, eine Vielzahl an Bezügen und Parallelen konstruiert und an das Stück aufgeflanscht.

    Dies kann man natürlich, mit allerlei Klimmzügen und Verrenkungen, machen, so nach dem Motto, "steht zwar nicht im Libretto, steht aber auch nicht drin, dass es das nicht gibt..."; wie auch immer, ich finde nur, dass es die Essenz verwässert, dem Stück sein organisches, harmonisches Gesamtgefüge nimmt, eine sorgfältig zwischen Musik und Libretto austarierte Balance aufhebt, und dadurch zu einer Austauschbarkeit und Beliebigkeit führt, die ich persönlich nicht als Gewinn empfinde.

    Was Du da beschreibst, kann passieren, muss es aber nicht, finde ich. Das beurteile ich immer je nach Einzelfall. Wenn eine Inszenierung zusätzliche Reflexionsebenen schafft, dann empfinde ich das erst einmal als eine Bereicherung, wenn sie mir zudem das Stück damit näher bringen, das mir ja aus dem Zeitabstand was seine (entstehungs-)zeittypische "Ideologie" angeht sehr fremd sein kann.

    Man erlaube mir folgenden, sicherlich hinkenden Vergleich: Wenn ich etwa einen alten Single-Malt Whiskey mit noch, sagen wir, vier oder fünf anderen alkoholischen Getränken vermische, erhalte ich einen mehr oder weniger genießbaren Cocktail; aber mit dem ursprünglichen, edlen Getränk hat dies kaum noch zu tun.

    Man kann den Vergleich aber auch anders machen: Ein Schweinebraten ohne Soße, ohne Kartoffeln und ohne Salatbeilage schmeckt einfach nur trocken - mit all diesen Beilagen bekommt er erst den richtigen Geschmack!

    So kommt mir auch diese Tannhäuser-Inszenierung vor, als würde man einen alten Rotwein mit Cola vermischen, damit daraus ein hipper, stylischer Drink wird.

    Bei dem ideologischen Weihrauch bei Wagner, der völlig obsoleten, verquasten Ideologie von Sexualität und Keuschheit tut finde ich Wasser im Wein eher gut...

    Man sieht also, hier wird Altes mit Neuem verquickt, was ich per se auch gar nicht verurteilen möchte; es lassen sich sicher Argumente finden, um so zu verfahren.

    :thumbup:Ja genau, da urteile ich immer wieder neu im Einzelfall! Wie ambivalent Regietheater sein kann, habe ich in Münster erlebt und auch darüber geschrieben:


    Die Entführung aus dem Serail in Münster (Vorstellung vom 29.6.2019)


    Aber ich bin da von meiner Vorliebe und Prägung eher "puristisch", ich denke, dass die Beschränkung und Konzentration auf das Charakteristische, Besondere und Eigentümliche mitunter bereichernder sein kann, als alles in kunterbunter Vielfalt, Mannigfaltigkeit und überbordender, grenzenloser Durchmischung durcheinanderzuwirbeln bis zur Unkenntlichkeit.

    Das stimmt! Man kann so etwas gut machen aber auch wie Du es beschreibst sehr schlecht machen!

    Ich möchte damit auch nicht zu einer Spaltung oder Attacke zwischen konservativ und progressiv beitragen; ich respektiere das sogenannte "Regietheater" und die Anhänger desselben genauso wie jeden anderen Musikfreund; auch dieses Experimentierfeld hat sicherlich seine eigenen Spielregeln, Hintergründe und Bezugsgrößen, und ganz sicher auch seine Daseinsberechtigung. Jegliche Disskussion sollte daher auch in Respekt und Wertschätzung erfolgen, in diesem Sinne möchte ich auch diesen Beitrag hier gerne verstanden wissen.

    :thumbup::)

    In der Oper, um dazu zurückzukehren, finde ich es in der Tat eher störend, wenn man eine Form der Inszenierung wählt, die das Stück quasi "entwurzelt", Zeit und Ort ändert, Abläufe darstellt, die mit dem gesungenen Text nichts mehr zu tun haben (wie ja bereits in anderen Beiträgen ausgeführt wurde) etc.

    Die Frage ist, ob man durch die Änderung von Ort und Zeit das Stück nicht gerade zu seinen Wurzeln zurückführt, weil wir einen anderen Verstehenshorizont haben als damals, als das Stück uraufgeführt wurde.

    Ich begnüge mich jedoch gerne mit dem, was in der Partitur und im Libretto steht; jeder Regisseur hat natürlich Leerstellen zu füllen, Interpretationsspielräume zu nutzen, aber auch nicht mehr.

    Da machst Du dann aber die Voraussetzung, dass so ein Stück überhaupt aufführbar ist in der Form, wie es einstmals aufgeschrieben wurde. Genau das ist aber das Problem. Etwas im Grunde unaufführbar Gewordenes wieder aufführen wollen, setzt voraus, dass man über die Nutzung von Interpretationsspielräumen hinausgeht und hinausgehen muss. Wenn Du auch hier Hanslicks Kritiken aus dem 19. Jhd. liest, wirst Du feststellen, dass man bei einer Opernaufführung keinerlei Skrupel hatte, eine Oper mit radikalen Veränderungen den aktuellen Bedürfnissen des Publikums anzupassen, also dem, was es in einer Aufführung sehen wollte und was nicht. Man muss ja nicht zu dieser in vielerlei Hinsicht fragwürdigen Aufführungspraxis zurückkehren, darf dann aber auch feststellen, dass auch das sogenannte Regietheater (bei den wirklich anspruchsvollen und gelungenen Beispielen) durch das Fegefeuer des Werktreue-Anspruchs gegangen da sehr viel reflektierter und gewissenhafter mit den Stücken umgeht, auch und gerade wenn es sie verändert, als es die "Macher" des 19. Jhd. ganz ungeniert taten. :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Bitte auch noch unbedingt in der Rubrik NEUE STIMMEN verlinken! :D

    Schließlich darf keine Gelegenheit für eine Bosheit gegenüber dem Thread1) ausgelassen werden.


    Besten Dank im Voraus!
    Caruso41


    1) Bisher waren die meisten Stimmen beim Publikum und der Presse einfach zu einseitig begeistert von Frau Davidsen! Da muss man doch eine Stimme unterstützen, die reserviert ist und für ihre Verbreitung sorgen. Eine anderen Sinn kann ich zumindest in der Aufforderung nicht erkennen.

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • In dem oben (Beitrag 72) von Gerhard Wischniewski verlinkten Artikel findet sich eine Bemerkung, die aus meiner Sicht bedenkenswert und diskussionswürdig ist, weil sie die grundsätzliche Problematik dieses Inszenierungs-Konzepts aufzeigt, wie es der der Tannhäuser-Aufführung zugrundeliegt.

    Ich meine diese:

    "Das Problem ist nur, dass das ästhetisch nicht funktioniert. Ähnlich wie die Barockoper im 19. Jahrhundert, als sie mit bürgerlicher Moral gegen den Strich gebürstet wurde, öde und redundant wurde, so wird auch die romantische Oper öde und redundant, wenn man sie mit liberalem Anarchismus gegen den Strich bürstet. In der Oper, viel mehr noch als im Schauspiel, gibt es eine ästhetische Konvergenz der Mittel, der Atmosphäre und der Aussage, die sich nicht auseinanderdividieren lässt."

  • Bisher waren die meisten Stimmen beim Publikum und der Presse einfach zu einseitig begeistert von Frau Davidsen! Da muss man doch eine Stimme unterstützen, die reserviert ist und für ihre Verbreitung sorgen. Eine anderen Sinn kann ich zumindest in der Aufforderung nicht erkennen.

    Ich habe sehr Unterschiedliches gehört und gelesen. In deiner Rubrik war dein (Pauschal-) Urteil hingegen erwartbar einseitig.

    Ganz nach dem bekannten Motto: Wer von mir in meiner Rubrik vorgestellt worden ist, MUSS gut sein...


    Schließlich darf keine Gelegenheit für eine Bosheit gegenüber dem Thread1) ausgelassen werden.

    Du irrst. Ich habe schon sehr viele diesbezügliche Gelegenheiten ausgelassen. Aber die Massivität deiner diesbezüglichen Hinweise in den letzten Tagen haben meinen Beitrag sozusagen "hervorgekitzelt". :P

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Stimmenliebhaber!

    … In deiner Rubrik war dein (Pauschal-) Urteil hingegen erwartbar einseitig.

    Ganz nach dem bekannten Motto: Wer von mir in meiner Rubrik vorgestellt worden ist, MUSS gut sein...

    Ich habe eigentlich absichtlich keine eingehendere Kritik von der Elisabeth Lise Davidsens geschrieben.

    Stattdessen habe ich nur geschrieben:

    Sicher wird der eine oder andere an dem nicht optimalen hohen H in der Hallenarie der Elisabeth herumkritteln. Für mich und die meisten der Besucher der Bayreuther Premiere des "Tannhäuser" aber war das Debut von Lise Davidsen einfach beglückend!

    Das war der Eindruck, den man am Grünen Hügel einfach bekam. (Und nicht nur ich hatte, diesen Eindruck)

    Es gibt eben Aufführungen, da will und muss man nicht akribisch und kleinlich kritisieren, weil man von der Leistung der Sängerin so erfüllt ist, dass man sich begnügt, genau das auszudrücken. Wie gesagt: Für mich … war das Debut von Lise Davidsen einfach beglückend!


    Du hast sicher Recht: ich habe in den letzten Monaten öfter über Lise Davidsen und ihr Fortkommen auf der Karriereleiter geschrieben. Dabei habe ich meine Eindrücke wiedergegeben, die ich live von ihrer Ariadne, ihrer Medea und von ihr in der Sopranpartie des Verdi-Requiems gewonnen habe. Die Aufführungen gibt es inzwischen alle im Internet. Wenn Dir etwas zu einseitig vorkam in meinen Beiträgen, hättest Du widersprechen können. Mein Interesse in diesem Thread war und ist es, dass wir uns über NEUE STIMMEN austauschen. Das haben wir getan - auch mit dem Ton des Staunens und der Begeisterung über diese phänomenale Stimme. Was war daran falsch? Du hast Dich daran nicht beteiligt 1.).

    Jetzt, nach dem Erfolg als Elisabeth in Bayreuth redet und schreibt alle Welt über die Sopranistin. Der Ton ist dabei teilweise durchaus euphorischer, als wir ihn hier im Forum benutzt haben.

    Du irrst. Ich habe schon sehr viele diesbezügliche Gelegenheiten ausgelassen. Aber die Massivität deiner diesbezüglichen Hinweise in den letzten Tagen haben meinen Beitrag sozusagen "hervorgekitzelt". :P

    Aha!

    Aber Du hast auch noch genügend genutzt!;)

    Damit soll es nun gut sein.


    Liebe Grüße

    Caruso41


    - - - - - - -

    1.) Von Deiner recht ungalanten Bemerkung mal abgesehen!

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Deine gefühlt 25 Hinweise in den letzten 5 Tagen auf deine Rubrik haben mich halt dazu gekitzelt, nach Lesen des von "Gerhard Wischniewski" verlinkten Artikels einen 26. hinzuzufügen... :D


    (Vielleicht waren's tatsächlich auch etwas weniger, aber ihre Anzahl war gewiss zweistellig...)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Meine teuerster Stimmenliebhaber!

    Deine gefühlt 25 Hinweise in den letzten 5 Tagen auf deine Rubrik haben mich halt dazu gekitzelt, nach Lesen des von "Gerhard Wischniewski" verlinkten Artikels einen 26. hinzuzufügen... :D


    (Vielleicht waren's tatsächlich auch etwas weniger, aber ihre Anzahl war gewiss zweistellig...)

    Ich habe fünf Beiträge von mir gefunden, in denen ich auf den NEUE-STIMMEN-Thread hingewiesen habe.

    Im OPERALIA-Thread die Beiträge 2, 7, 22 30,32.

    In anderen Threads, in denen ich in den letzten 5 Tagen geschrieben habe, habe ich keine Hinweise auf den NEUE-STIMMEN-Thread gefunden.


    Die fünf Hinweise haben schon gereicht, bei Dir die kleine Bosheit herauszukitzeln?? Damit waren es wohl doch zu viele.

    Aber zweistellig ist die Summe nach meinen mathematischen Kenntnissen doch noch längst nicht!


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Da sieht man wieder mal, wie groß die Diskrepanz zwischen Realität und "gefühlter Wahrheit" sein kann! :D


    Auf alle Fälle nahmen deine diesbezüglichen Aktivitäten deutlich zu, als "Gregor" seine Rubrik zum "Operalia"-Wettbewerb eröffnete. Aber vielleicht ist das auch wieder nur gefühlt...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich würde mich sehr dafür interessieren, wie Caruso und Stimmenliebhaber den Tannhäuser denn nun dezidiert fanden - Caruso hat ja schon auf manche Aspekte, zum Beispiel das schwache Dirigat Gergievs, hingewiesen. Lieber Stimmenliebhaber, wie beurteilst Du die Gesangsleistungen?

    Ich schlage vor, wenn Ihr und auch andere Musikfreunde mitmacht, einfach mal verschiedene Passagen gemeinsam anzuhören und zu kommentieren.

    Wir könnten z.B. mit Lise Davidsen beginnen und der Arie "Dich, teure Halle" ab etwa 57:36 im Video bzw. Tondokument:



    Wie sieht's aus? Wer ist dabei? Ich gehe mal voran:


    Strahlkraft, unforciert, und dennoch kräftig, dabei ein sehr einnehmendes Timbre, das für mich weder schrill noch spitz klingt, ganz im Gegenteil, silbrig-elegant funkelnd und geschmeidig selbst bei hohen Tönen in forte und fortissimo.

    Hier finde ich auch die Textdeutlichkeit, die ich sonst gelegentlich bei ihr moniert habe, durchaus ganz gut, für eine Live-Aufnahme in besonderer Akustik geht das für mich in Ordnung.

    Beeindruckendes Legato, wie ich finde, mit minimalem glissando, aber ansonsten sehr gute Linienführung.

    "Aus mir entfloh der Frieden, die Freude zog aus dir..." zeigt, dass sie mehr als nur Dauerforte zu bieten hat, da singt sie deutlich verhaltener, wehmütiger, schönes ritardando, um eine gedämpfte Stimmung zu erzeugen, bevor dann nach diesem melancholischen Gedanken umso machtvoller Jubel und helle Freude in großer Steigerung beschworen werden.

    "Der dich und mich so neu belebet, nicht weilt er ferne mehr...", da meistert sie bravourös die großen Intervalle, singt sehr sauber und ansatzlos die hohen Töne, lässt sie mit wohldosiertem Vibrato mühelos kurz aufblühen, ohne die Phrase zu unterbrechen. Das ist schon stark.

    Auch die Wiederholung von "sei mir gegrüßt", erst im piano, dann immer mehr im crescendo, ebenso der Spitzenton auf "Halle", sind alle nicht nur technisch sehr gelungen, souverän und sicher genommen, sie vermittelt glaubhaft die Freude und innere Anteilnahme, diese Ergriffenheit, an diesem besonders erhabenen Ort in der Wartburg zu stehen.

    Dies ist natürlich nur ein Mosaikstein innerhalb einer ganzen Partie, aber ich finde dieses isolierte Beispiel schon sehr eindrucksvoll und hochkarätig.

  • Lieber Stimmenliebhaber, wie beurteilst Du die Gesangsleistungen?

    Lieber "Don_Gaiferos", ich habe diesen neuen Bayreuther "Tannhäuser" weder gehört noch gesehen und habe hier auch nichts Gegenteiliges behauptet. Ich habe mich daher auch nicht zu dieser Aufführung geäußert und werde dies mangels Kenntnis auch nicht tun. Mitgelesen habe ich hier trotzdem - gerade auch deinen Beitrag mit deiner Beurteilung der Inszenierung mit großem Interesse, obwohl ich sie nicht gesehen habe. :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Stimmenliebhaber,


    na, das wäre doch jetzt DIE Gelegenheit ;) oben ist ja zumindest das Audio verlinkt, wenn Du magst, kannst Du zumindest die erwähnte Arie ab 57:36 schon mal anhören, sobald Du Zeit und Muße hast; ich wäre sehr gespannt auf Deine Eindrücke.


    Liebe Grüße

  • Ach nee, hier ist das Internet so schlecht...

    2020/21 schaue ich mir Frau Davidsen als Sieglinde in Berlin an, da mache ich mir dann lieber einen eigenen Live-Eindruck.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Karl,

    ganz ausgezeichneter Beitrag, der in origineller Weise von den Trendbeiträgen abweicht.

    herzlichst

    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • In dem oben (Beitrag 72) von Gerhard Wischniewski verlinkten Artikel findet sich eine Bemerkung, die aus meiner Sicht bedenkenswert und diskussionswürdig ist, weil sie die grundsätzliche Problematik dieses Inszenierungs-Konzepts aufzeigt, wie es der der Tannhäuser-Aufführung zugrundeliegt.

    Ich meine diese:

    "Das Problem ist nur, dass das ästhetisch nicht funktioniert. Ähnlich wie die Barockoper im 19. Jahrhundert, als sie mit bürgerlicher Moral gegen den Strich gebürstet wurde, öde und redundant wurde, so wird auch die romantische Oper öde und redundant, wenn man sie mit liberalem Anarchismus gegen den Strich bürstet. In der Oper, viel mehr noch als im Schauspiel, gibt es eine ästhetische Konvergenz der Mittel, der Atmosphäre und der Aussage, die sich nicht auseinanderdividieren lässt."

    Wie wahr, wie stimmend, lieber Helmut! Nur der Zeitgeist ist eher zerstörend als harmonisierend. Ich fürchte nur, wir, die dies erkenen und ändern wollen sind eher die Minderheit.

    Herzlichst

    Operus (Hans)

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Nur der Zeitgeist ist eher zerstörend als harmonisierend.

    Im aktuellen Sprech muss das, lieber operus, nicht "zerstörend" sondern "dekonstruktiv" heißen. Und diese "Dekonstruktion" ist nach der Meinung ihrer - heutzutage das große Wort führenden - Protagonisten zwingend erforderlich, um die gegenwärtige gesellschaftliche und kulturelle Grundhaltung in ihrer abgrundtiefen Verlogenheit, Unwahrhaftigkeit und Unaufgeklärtheit zu entlarven.


    Das ist die Haltung, in der die Exponenten des modernen Regisseurtheaters an den klassischen Bestand von Literatur und Oper heute herangehen, - unterstellend, dass man deren künstlerische Aussage in ihrer Rezeption aus Gründen eben dieser Grundhaltung gar nicht mehr zu erfassen vermag, so dass eine "Augen-Öffnung" absolut erforderlich ist.

  • Na, das sagt doch hier der absolut Richtige! Dem es nicht peinlich ist, zweitklassige Sänger hochzujubeln, nur weil sie an seinem Lieblings-Provinztheater auftreten, und, nachdem er als jemand entlarvt wurde, der von der Beurteilung sängerischer Leistungen keine Ahnung hat, seinen Frust nun hier abzuladen.

    Lieber Bertarido,

    Dein Beitrag liegt schon eine Weile zurück. Ich habe ihn jedoch erst jetzt gelesen. Bisher habe ich Deine Meinungen immer respektiert und mich mit ihnen auseinander gesetzt, weil ich sie zwar tendenziös für eine Richtung, aber argumentativ begründet fand. Was empfindest Du, wenn ich jetzt auf Deinen Stil eingehen und sagen würde: "Jetzt hat sich Bertarido selbst als boshafter Zeitgenosse entlarvt, weil sein Beitrag böse, sehr böse und zynisch ist. Chrissy, der ein ganz fleissiger Opernbesucher ist, äußert seinen Eindruck, dass das Theater in Liberec/Reichenberg seine Erwartungen in besonderem Maße erfüllt, ihm genau dieser Inszenierungsstil gefällt und ihm die Sängerleistungen außerordentlich gut gefallen. Das ist seine Meinung und die zu äußern ist sein gutes Recht. Ausserdem hat er die Sänger live gehört, wir alle nicht, höchstens in technisch fragwürdigen Aufnahmen. Ich selbst habe schon häufig die Ensemblestützen von Opernhäusern genossen, also die sogenannte Zweitbesetzung, die so sicher und auf hohem Niveau gesungen hat, dass man auf das Engagement der teuren Premierenbesetzung gerne verzichtet hat. Welch ausgezeichnete Aufführungen erlebte ich schon in Coburg, Meiningen, Nürnberg, Heidelberg, Augsburg, von Mannheim und Stuttgart ganz zu schweigen. Ein bekanntes Beispiel war der Heldentenor Hermin Esser, ein Einspringer vom Dienst aus Wiesbaden, aber was für einer. Er rettete in Bayreuth reihenweise Vorstellungen. Mir ist immer noch eine Kritik von Karl Schumann, damals Feuilleton-Chef der Süddeutschen Zeitung in Erinnerung, der formulierte: "Tristan wurde es erst als Hermin Esser in der 3. Vorstellungung für Herrn...(ein weltberühmter Tenor) die Partie übernahm."

    Was möchte ich mit meinem Beitrag erreichen: Ich wäre dankbar, wenn künftig ein sehr aktives Mitglied unseres Forums nicht mehr in dieser persönlich rüden Form meines Erachtes unbegründet angegangen würde. Selbstverständlich ist eine kontroverse Gegenmeinung erlaubt, ja sogar erwünscht, jedoch nur, wenn man die gleichen Erlebnisse zueinander in Bezug setzen kann und selbst dann könnten verschiedene Aufführungen sehr gegensätzliche Meinungen auslösen.

    Ich bin gespannt, ob Du die Größe aufbringst, die herabsetzenden, demütigenden Äusserungen über unseren Tamino-Kollegen Chrissy in irgendeiner Form richtig zu stellen.


    Herzlichst

    Operus (Hans)

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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