z.B. Robert Schumann in den Hausregeln:
Betrachte es als etwas Abscheuliches, in Stücken guter Tonsetzer etwas zu ändern, wegzulassen, oder gar neumodische Verzierungen anzubringen. Dies ist die größte Schmach, die du der Kunst anthust. –schärfer gehts kaum.
So eine Aussage darf man erst einmal nicht aus ihrem Kontext reißen. Wenn Schumann das schreibt, dann nur deshalb, weil die gängige Aufführungspraxis eben aus solchen "Abscheulichkeiten" bestand. Und zweitens ist es ein Fehlschluss zu meinen, dass das, was Schumann hier als scharfe Kritik formuliert, in seiner Zeit die Regel gewesen wäre. Es war vielmehr die Ausnahme. Das zeigt der Blick auf Schumanns Geistesverwandten E.T.A. Hoffmann z.B. Auch bei Hoffmann wird Kritik an solcher Auffassungpraxis geübt. Doch dabei geht es nicht um "Werktreue", sondern darum, dass die Intention des Komponisten erkennbar bleiben muss (fachlich gesprochen um die intentio auctoris und gerade nicht die intentio operis.) Es geht also nicht um die Veränderung überhaupt, sondern nur die Art und Weise der Veränderung, die als zu weitgehend kritisiert wird. Auch Schumann hat sehr wohl akzeptiert, dass die Aufführung bestimmt, in welcher Form ein Werk aufgeführt wird und nicht das Werk. Das zeigt der Briefwechsel mit Franz Liszt, wo Liszt um die Zusendung für ein neues Finale für eine Uraufführung bittet, weil er das, was er von Schumann erhalten hat, nicht passend findet. Das war damals ganz normal. Explizit nachweisbar ist die Forderung, dass eine Aufführung "werktreu" sein müsse, erst in den 1920iger Jahren.
Dass Beethoven gerade bei so einer architektonischen Komposition wie der großen Hammerklaviersonate den Vorschlag macht, der Aufführende könne das Werk verändern, zeigt ebenfalls, dass dies keineswegs abwegig war, weil so etwas die Aufführungspraxis der Zeit darstellte.
Nicht zuletzt sind Tondokumente von Pianisten und Komponisten erhalten, die in der Aufführungstradition des 19. Jhd. groß geworden sind, die belegen, dass sie Interpretation und Veränderung nicht als ausschließliche Gegensätze betrachteten. So hält sich z.B. Alexander Scriabin in der Interpretation seiner eigenen Werke reichlich wenig an den Notentext, den er selbst geschrieben hat. Nachgeborene Pianisten wie Sofronitzky, Ashkenazy oder Gilels spielen Scriabin werk- und notentextreu, aber nicht der sehr freizügig rhapsodisch spielende Komponist.
Schöne Grüße
Holger