Mit Gewitter und Sturm --- Richard Wagner: Der fliegende Holländer

  • Zitat

    Original von Antracis
    An Gutem lässt sich zu Gunsten von Norman Baileys Holländer in dieser Aufnahme sagen, dass sein Sachs unter Solti noch schlechter ist.


    Ich will dem nun wirklich nicht widersprechen, möchte aber ergänzen: die sängerische Leistung von Norman Bailey als Holländer ist geradezu unterirdisch schlecht. Vermutlich ist das eine der grässlichsten Holländer-Interpretationen überhaupt, was dieser Sänger mit seinem grobkörnigen, schlecht fokusierten, abgesungenen, dumpf-blechernen und höhenschwachen Organ da bietet.


    Da auch Janis Martin mit ihrem ältlich-scharfem Sopran keine hörenswerte Senta ist und René Kollos Gesang auch nicht gerade in den Sitz drückt, dazu die Orchesterleistung uneinheitlich ausfällt und etwas pauschal-lärmend daherkommt, ist das eine Aufnahme, die problemlos aus dem Katalog gestrichen werden könnte.


    Karajan halte ich für mittelmässig - besonders inspiriert ist das Dirigat nicht, wie so oft: polierte Oberfläche statt Interpretation.


    Der klare Schwachpunkt der Aufnahme: Dunja Vejzovic, die hier nicht nur das falsche Fach singt, sondern auch stimmlich in einem nicht mehr akzeptablen Zustand ist.


    Hofmann muss nicht sein, da gibt es besseres. Zufriedenstellend Moll und van Dam.


    Auch bei Karajan würde ich sagen: keine Aufnahme des "Holländer", die man unbedingt haben muss.

  • Man muß dazu wohl auch sagen, daß ich bisher nur die Karajan-Aufnahme kenne.
    Mich haut die Oper generell weniger um, wie bereits an anderer Stelle deutlich wurde. Sie ist ja auch keine typische Wagner-Oper, wie man weiß.
    Wer Karajan und seinen Wagner nicht mag, wird an der Aufnahme keine Freude finden - mal ganz abgesehen von der Sängerleistung. Ist ja bei seinem Parsifal dasselbe. Neulich meinte jmd. zu mir zu seiner 1980er-Aufnahme, daß er den Parsifal noch nie derart kühl und wenig bewegend gehört hat.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Felipe II.
    Sie ist ja auch keine typische Wagner-Oper, wie man weiß.


    Mit solchen Einschätzungen wäre ich vorsichtiger. Was ist eine "typische Wagner Oper"? Ist der "Holländer" nicht ein wichtiger Schritt hin zu jenen Musikdramen, die später Wagners Schaffen bestimmten? Und "wie man weiss"... Wer ist "man"? Keine Frage, wenn Dir der "Holländer" nicht zusagt, ist das eine zu respektierende, persönliche Geschmacksäusserung - als Verallgemeinerung taugt sie nicht.

  • Meine Lieben,


    Wenn ich alle die Stellungnahmen so überschaue, dann herrscht an guten Einspielungen wahrlich kein Mangel, auch wenn über die absolute Spitze keine völlige Einigkeit besteht.


    Für mein Empfinden wurde in der Diskussion die schon eingangs eingebrachte Aufnahme von Franz Konwitschny zu sehr in den Hintergrund gedrängt.



    Sie zeichnet sich aus durch ein vielleicht unspektakuläres, aber sehr intensives Dirigat, das mir besonders für "Holländer"- und Wagner-Einsteiger sehr empfehlenswert vorkommt. Wenn man Gottlob Frick als Daland, Fritz Wunderlich als Steuermann und Rudolf Schock als Erik dazunimmt, gibt das schon ziemlich modellhaftes Format. Sieglinde Wagner als Mary und der Chor der Berliner Oper garantieren verläßliches und mehr als bloß solides Niveau.
    Die Senta Marianne Schechs mußte schon manche Kritik einstecken. Ohne zu leugnen, daß es bessere Verkörperungen dieser Rolle gibt, möchte ich gerechterweise unterstreichen, daß die Schech ihre Sache doch gut macht und in dieser Rolle stets glaubhaft bleibt. Sie fällt aus dem Ensemble nicht in irgendeiner störenden Weise heraus.
    Daß Dietrich Fischer-Dieskau seiner Stimmnatur nach kein Holländer ist, bleibt unbestritten. Er stellt sozusagen eine höchstrangige Fehlbesetzung dar und bleibt als Ausnahme doch eine irgendwie faszinierende Interpretation, die natürlich nicht als Maßstab zu verstehen ist, sondern als Extrem.


    Unter den Nachkriegs-"Holländern" schätze ich besonders Thomas Stewart unter Karl Böhm - mit dieser wirklich hochrangigen Aufnahme kann man sehr gut leben. Wie ich merke, bin ich da mit Siegfried einig.





    Der dämonischste Holländer aber bleibt für mich Hans Hotter unter Clemens Krauss 1944.



    Die breiten Tempi von Krauss sind nicht unbedingt meine Sache (und nehmen den Ensembles doch einiges an Wirkung), aber trotzdem erkenne ich die Stringenz dieser Deutung an und kann mich dem Effekt keineswegs entziehen. Der zweite große Pluspunkt dieser Version ist Franz Klarwein als Steuermann, der für mich nahezu ebenbürtig neben Wunderlich zu nennen ist. Der Erik Karl Ostertags kommt mir hingegen zu maniriert vor. Georg Hann gibt einen ausgezeichneten, stimmlich souveränen Daland, weniger biedermeierlich-jovial als beschränkt-materialistisch, ohne im Kern böse zu sein - ein geschäftstüchtiger Vater mit schmalem Horizont eben. Viorica Ursuleac als Senta ist natürlich, wie schon oft bemerkt worden ist, nicht ganz die Richtige. Sie strengt sich leidenschaftlich an (sie schafft die höchsten Töne auch mit dem letzten Lungeninhalt) und ihre Leistung ist mehr als respektheischend, aber mit solchen Partien hat sie ihrer schönen Stimme sicher keinen Gefallen getan - das war so, als wäre die Jurinac plötzlich als Isolde aufgetreten. Totzdem bleibt das ein "Holländer", an dem kein Wagner-Fetischist vorbeikommt.


    LG


    Waldi

  • Bei mir waren es ebenfalls 3 Aufnahmen des Fiegenden Holländers, die mich ein Leben lang begleitet haben. Das war zuletzt die Klemperer-Aufnahme von 1968 (mit Ernst Kozub als Erik), davor die oben von Waldi beschriebene Konwitschny-Aufnahme mit Frick und Wunderlich. Meine erste, frühe Einspielung wurde bisher noch nicht erwähnt, es ist diese:



    Aufnahme: 1952, Studio
    Spieldauer: 125'34
    Dirigent: Ferenc Fricsay
    RIAS Symphonie-Orchester Berlin
    RIAS Kammerchor Berlin
    DG CD: 439 714 2, Preiser PR20036 (2 CD)


    Daland: Josef Greindl
    Der Holländer: Josef Metternich
    Erik: Wolfgang Windgassen
    Mary : Sieglinde Wagner
    Senta: Annelies Kupper
    Steuermann: Ernst Haeflinger


    LG
    Harald

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

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  • Ich würde auch keinen Augenblick zögern, den Holländer von Franz Konwitschny zu empfehlen. Der Dirigent ist ausgezeichnet und die Besetzung der Männerstimmen liest sich wie ein who-is-who der berühmtesten deutschen Nachkriegssänger: Fischer-Dieskau, Frick, Schock und Wunderlich in einer Aufnahme – wo gibt es das sonst noch? Dass der Holländer von Fischer-Dieskau polarisiert, ist wenig überraschend. Allein dass er ein atypischer Holländer ist, ist kein Argument; das sind zum Beispiel Theo Adam, Franz Crass oder Josef Metternich auch. Auf der Bühne hätte Fischer-Dieskau die Partie wohl kaum singen können, aber in der Studioaufnahme klingt er unforciert und hat auch sonst mit der Partie keine großen Probleme. Ich finde die Besetzung daher eigentlich nicht verfehlt. Auch Marianne Schech ist wirklich nicht schlecht. Ihre Stimme ist nicht sehr sinnlich sondern hart und metallisch; ich meine aber auch, dass ihre Senta eine grundsolide Leistung ist. Die meisten anderen Holländer-Aufnahmen, die ich kenne, haben in mindestens einer Partie größere Probleme.


    An George Londons Holländer kommt man wohl kaum vorbei. Gut anhören kann ich mir den Mitschnitt aus Bayreuth 1956 (Keilberth), die Sawallisch-Aufnahme (1959) kenne ich leider noch nicht. Bei Antal Doratis Studioeinspielung ist London zum Glück noch gut bei Stimme. Auch die übrige Besetzung ist durchgängig gut. Das gilt insbesondere für Leonie Rysanek, aber auch für Giorgio Tozzi, der als Daland beweist, dass italienische Gesangskultur auch Wagners Opern zugute kommen kann. Das einzige, was man der Aufnahme vielleicht vorwerfen kann, ist, dass sie ein wenig zu sorgfältig dirigiert ist und so etwas an Spannung einbüßt.


    Karl Böhms Liveaufnahme aus Bayreuth gefällt mir auch recht gut, bleibt aber insgesamt etwas hinter Konwitschny und Dorati zurück. Auf der Haben-Seite: Das explosive, spannende Dirigat von Karl Böhm. Auch Thomas Stewart ist sehr eindrucksvoll und sicher vokal einer der besten Holländer nach George London. Sängerisch geht es in der Aufnahme aber insgesamt eher grob zur Sache, was vielleicht auch ein wenig der Tatsache geschuldet ist, dass es sich um eine Liveaufnahme handelt. Auch bei den Chören muss man mit kleineren Ungenauigkeiten leben, da wackelt es mehr als einmal.


    Mit Otto Klemperers Aufnahme konnte ich hingegen bislang nicht so recht Freundschaft schließen. Klemperers Tempi gefallen mir nicht. Diese Aufnahme ist nicht nur langsam sondern auch ziemlich unspannend. Im Orchester höre ich weniger Gewitter und Sturm als weihevolle Andacht. Dieser Holländer fliegt nicht, sondern dümpelt in der Flaute vor sich hin. Bei Theo Adams Stimme glaube ich allerdings sofort, dass ihr Besitzer gerade sieben Jahre lang bei feuchtkaltem Wetter draußen gewesen ist. Fairerweise sei gesagt, dass er nichtsdestotrotz ein intensiver Darsteller und nicht mit der Rolle überfordert ist. An Anja Silja, Martti Talvela und Ernst Kozub habe ich nichts auszusetzen. Trotzdem gibt es da meines Erachtens insgesamt einige bessere Aufnahmen.


  • Hallo lieber Harald,


    die Friscay-Aufnahme wurde von keith63 schon mal erwähnt, hast Du wahrscheinlich übersehen ;) Oder ist das eine andere Aufnahme?


    Ich kenne bislang 4 Aufnahmen des "Holländers", 3 davon kann ich bedenkenlos empfehlen und zwar:


    - Böhm (1971, live): Hervorragender Holländer von Stewart, Ridderbusch überzeugt als Daland auf voller Linie und die oft recht negativ bewertete Gwyneth Jones bietet eine wirklich gute Interpretation der Senta, vor allem einige piano-Stellen haben mir sehr gut gefallen! Dazu ein etwas ruppiges, dramatisch-zupackendes Dirigat von Böhm. Der Chor ist nicht ganz auf diesem Niveau.


    - Steinberg (1992, Studio): Der Glanzpunkt dieser Aufnahme ist ohne Zweifel der sensationelle Erik von Peter Seiffert, für mich der beste Erik, den ich bislang gehört habe. Alfred Muff bietet einen guten Holländer, Erich Knodt als Daland ist solide, dazu ist der Chor hervorragend. Ingrid Haubold als Senta gefällt mir dagegen weniger.


    - Keilberth (1956, Live): George London ist ganz vorne mit dabei wenn es um die beeindruckenste Interpretation des Holländers geht, der Rest des Ensembles ist ebenfalls große Klasse! Astrid Varnay, wie bereits gesagt, nicht ideal aber noch in Ordnung. Irgendwie klingen mir die meisten Sentas zu schrill. Keilberth bietet ein gutes Dirigat.


    Die Aufnahme, von der ich generell eher abraten möchte bietet kurioserweise ausgerechnet eine überdurchschnittlich gute Senta. Es handelt sich um die Studio-Aufnahme unter Sinopoli aus dem Jahr 1991. Der einzige Grund, sich diese Einspielung anzuschaffen ist Cheryl Studers Senta, ansonsten bekommt man ein wenig überzeugendes Dirigat und Bernd Weikls grotesken Holländer geboten, der an eine Parodie der Rolle grenzt! Und Domingo als Erik ist auch nicht gerade der Hit.



    :hello: Florian

  • Diabolus in Opera


    Hallo Florian,


    Du hast natürlich recht. Das ist die Fricsay-Aufnahme, die keith63 schon beschrieben hat. Das habe ich tatsächlich übersehen!


    LG


    Harald

    Harald


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    (Vinícius de Moraes)

  • In meinem "Holländer"-Archiv befindet sich auch eine EMI-Video-Aufzeichnung der Oper aus München unter Sawallisch:



    Aufnahme: 25., 28.2., 3.3. 1991, live, Video, München
    Spieldauer: 133'18 (51'38, 53'49, 27'51)
    Dirigent: Wolfgang Sawallisch
    Bayerisches Staatsorchester München
    Chor der Bayerischen Staatsoper München
    Chorleitung: Eduard Asimont
    Inszenierung: Henning von Gierke
    Kommentar: Fassung in 3 Akten
    ( EMI VI: MVD 99 1311 3)


    Daland: Jaako Ryhänen
    Der Holländer: Robert Hale
    Erik: Peter Seiffert
    Mary : Anny Schlemm
    Senta: Julia Varady
    Steuermann: Ulrich Ress


    Kennt jemand diese Aufnahme? Meine Kassette ist noch originalverpackt und ungesehen. Wenn ich mal Zeit habe, werde ich sie mir mal ansehen.


    LG
    Harald

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)


  • Habe mir gestern die Konwitschny-Aufnahme zugelegt, die momentan bei 2001 im Angebot ist. Meine ersten Eindrücke: Das Dirigat ist ordentlich, an ein paar Stellen ist es mir ein bisschen zu gemütlich (was aber vielleicht auch davon kommt, dass ich die Böhm-Aufnahme sehr schätze ...), die Tonqualität sehr gut. Der eigentliche Grund für meine Empfehlung sind jedoch die Sänger.
    Ich möchte hier gleich mal ein lobendes Wort bezüglich FiDis Holländer anbringen: Er mag von der Stimmfarbe her nicht wirklich der prototypische Holländer sein, aber liebe Leute: Was Differenziertheit und Nuanciertheit der Interpretation angeht, da können sich 90% der Konkurrenz eine dicke Scheibe abschneiden! :yes:
    Ganz hervorragend auch Gottlob Frick, Rudolf Schock (nicht ganz so gut wie Seiffert, aber fast ...) und Fritz Wunderlich. Auch Marianne Schech finde ich durchaus überzeugend. Die Chöre könnten besser sein, aber insgesamt eine wirklich interessante Aufnahme!



    :hello: Florian

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  • Nachdem ich mich mittlerweile etwas ausgiebiger in die Konwitschny-Aufnahme hineingearbeitet habe, möchte ich mein Lob für Marianne Schech als Senta noch ausweiten: Ich halte sie für die beste Senta, die mir bislang untergekommen ist! :)



    :hello: Florian

  • Folgende Aufnahme des "Fliegenden Holländers" habe ich heute unter den Neuigkeiten bei jpc entdeckt:



    Richard Wagner (1813-1883)
    Der Fliegende Holländer
    2 CDs
    Erscheinungstermin: 11.3.2008

    Otto Edelmann, Gottlob Frick, Christel Goltz,
    Staatsopernorchester Wien,
    Dirigent: Rudolf Moralt
    Label: Golden Melodram , ADD/m, 1953


    Merkwürdig ist, dass es nirgendwo Daten zu dieser Aufnahme gibt. Dr. Ommer hat sie nicht in seiner Liste, auch in der Biographie von Gottlob Frick wird sie nicht erwähnt.
    Kennt vielleicht einer der Wierner Taminos diese Aufführung?


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Hallo zusammen,


    anlässlich des Erscheinens der neuen Decca-Box mit gängigen Livemitschnitten aus Bayreuth der 60er bis 80er Jahre wollte ich die einzelnen Aufnahmen in den entsprechenden Threads zur Diskussion stellen. Zumeist wurden sie ja schon besprochen bzw. zumindest erwähnt, aber die Box ist ja durchaus ein Schnäppchen und so ist zu Hoffen, dass auch andere User die Aufnahmen aus aktuellem Anlass hören oder zumindest ein Interesse bei potentiellen Käufern besteht.
    Und nicht zuletzt bietet dieser Vorsatz für mich eine gewisse Unterstützung, die 33 neu gekauften CDs auch zu hören. :D




    Am Anfang steht also der Holländer von 1961 und das Wiederhören machte viel Freude. Die Aufnahme besitzt ja einen gewissen Ruf, war aber für zumindest einige Jahre leider gar nicht einzeln erhältlich.
    Für mich die große Überraschung das Dirigat von Wolfgang Sawallisch, der mir eigentlich immer als recht behäbig agierender Kapellmeister in Erinnerung war (vor allem Liveeindrücke im Alter). Hier aber sitzt man vom ersten Ton an als Hörer auf der Stuhlkante und schaut bisweilen beängstigt, ob nicht Gischt aus den Lautsprechern spritzt. Es gelingt ihm, einen unglaublich intensiven rhythmischen Puls durch das ganze Werk zu verfolgen. Der Höhepunkt für mich dann die große Matrosen-Chorszene, wo wahrlich eine Schlacht zwischen den einzelnen Besatzungen tobt. Da wird mit vollstem Einsatz und dennoch weitgehend sehr präzise musiziert.
    Der Belcanto-Holländer von Franz Crass ist ein sehr hörenswerter Sonderfall. Er lehrt einerseits, wie technische Meisterschaft und kluge Disposition auch eine Stimme jenseits überbordender, heldenbaritonaler Mittel sicher durch die Partie leiten. Und weiterhin, bei allem Verständnis für den Vorwurf mangelnder Dämonie, wird so daran erinnert, dass nur wenige Szenen der Titelpartie wirklichen heldenbaritonalen Charakter haben, während andererseits viele eher an die Tradition der romantischen deutschen Spieloper anknüpfen und dieses element bedient Crass wunderbar. Anja Silja" ist die zweite vocale Stütze der Aufnahme. Ihre Senta ist engagierter und vor allem technisch souveräner, als in der späteren Klempereraufnahme.
    Sehr zwiespältig Joseph Greindl. Stimmlich ist er nicht gut beieinander, hat erheblich zu kämpfen. Dennoch - dies wohl seine größte Tugend - schafft er es , einen egoistisch-geldgierigen Daland glaubhaft auf die Klangbühne zu stellen. Und dies nicht nur aufgrund des meckernden Lachen, auf das ich gut verzichten könnte. Dennoch im Vergleich mit Sängern wie Moll, Talvela oder Ridderbusch sängerisch eine Zumutung.
    Fritz Uhl als Erik erinnert daran, dass auch Wagner Gruppetti in seine Partien geschrieben hat - leider dadurch , dass er sie sehr ungelenk ausführt. Kann er in dieser Partie nicht wirklich überzeugen, mag ich mir seinen Tristan gar nicht erst vorstellen. Last and certainly least Georg Paskuda als Steuermann, leider mit nicht sehr klangvoller, flacher und heiserer Stimme ,und auch wenig intonationssicher.


    Fazit: Dirigat, Chöre und die Protagonisten ergeben für mich eine der
    besitzenswerten Aufnahmen des Werkes. Schon alleine dafür würde sich bei dem Preis der Kauf der Box lohnen. Die Kangqualität ist gut und die ganze Aufnahme wirkt sehr live - und das nicht nur wegen der manigfaltigen Bühnengeräusche.


    Gruß
    Sascha

  • Johohoe - ich kann Saschas Posting in fast allen Punkten zustimmen. Auch ich finde Greindl schwach (nicht nur hier), Erik und den Steuermann allenfalls dreiviertel-rollendeckend besetzt. Aber Crass ist (wie fast immer) ein wunderbarer, fast belcantesker Sänger. Und Silja zeigt in dieser Aufnahme wie in keiner anderen, was ihre Faszination ausmacht. Ihre stimmlichen Mittel sind nicht überragend, aber wie sie mit ihnen die Rolle gestaltet: eine so überzeugende, ungeheuer identifikatorisch singende Senta habe ich nie wieder gehört. Silja klingt so jung, wie sie damals tatsächlich war - wie sie der Ballade einen wilden und gleichzeitig human-mitleidenden Charakter gibt, wie sie den Satz "Ich bin ein Kind und weiß nicht, was ich singe" rüberbringt, wie visionär ihre kurzen Einwürfe während Eriks Traumerzählung klingen - toll!


    Für Sawallisch als Operndirigenten, gerade als Wagner-Dirigenten, müsste man eh wieder mal eine Lanze brechen. Das ist der stürmendste. drängendste und schäumendste Holländer, den ich kenne. Und die Chorszenen, insbesondere das Duell im dritten Akt sind eine Wucht.


    Wer Liveaufnahmen nicht mag, sollte sich von diesem Mitschnitt fernhalten. Kleine Unvollkommenheiten sind zu hören, vor allem aber ein Maximum an Bühnengeräuschen. Aber gerade das verleiht der Aufnahme ihren unübertroffen theatralischen Charakter und macht die Oper erst zur Oper. Wenn die Matrosen bei "Steuermann, lass die Wacht" rhythmisch mit den Füßen stampfen oder das große Chorduell im dritten Akt in einem sekundenlangen, unentwirrbaren Cluster aus Orchester und Bühnengeräuschen gipfelt, ist Ernst Blochs "Rettung Wagners durch Karl May" so nah wie nie. :D


    Doratis Aufnahme habe ich dagegen trotz aller sängerischer Meriten immer als steril empfunden, was noch mehr für Klemperers Einspielung gilt.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht


    Für Sawallisch als Operndirigenten, gerade als Wagner-Dirigenten, müsste man eh wieder mal eine Lanze brechen. Das ist der stürmendste. drängendste und schäumendste Holländer, den ich kenne. Und die Chorszenen, insbesondere das Duell im dritten Akt sind eine Wucht.



    Hallo Bernd,


    kennst Du Nelssons Live-Aufnahme von den Bayreuther Festspielen?



    Sawallisch ist stürmend, drängend und schäumend, aber Nelsson ist imo noch ein wenig stürmender, drängender und schäumender.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


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  • Halloho! Auch ich mag diesen Holländer. Großen Anteil daran hat sicher Wolfgang Sawallisch. Er ist aber natürlich nicht der einzige sog. "Kapellmeister", der einen eher raschen Holländer in der deutsch-romantischen Tradition dirigiert hat, ich denke da vor allem Karl Böhm, aber auch mit Einschränkungen Franz Konwitschny und Joseph Keilberth. Mir liegt dieser stürmische Ansatz eher als beispielsweise Klemperer mit seiner weihevollen Nebelfahrt. Den Mädchen-Chor gleich nach der Senta-Ballade lässt Sawallisch als einen verstreuten Haufen schon mal hinter sich, das ist aber der Live-Situation geschuldet und man nimmt das bei dieser lebendigen Aufnahme gern in Kauf.


    Noch bemerkenswerter finde ich den Holländer von Franz Crass, der zeigt, was ein schlanker Bass mit guter Höhe in dieser Rolle leisten kann. Das wunderschöne volltönende Material kommt schon im Monolog gut zur Geltung. "Wie aus der Ferne längst vergang'ner Zeiten" ist hier mal ein echtes Liebesduett. Sicher: ein eher gediegener, sehnsüchtiger Holländer, weniger eine mystische, dämonische Gestalt. George London, den ich von der 1956er-Bayreuth-Liveaufnahme und der Dorati-Version kenne, war stimmlich mindestens genauso eindrucksvoll, aber ein eher urtümlicher Holländer und auch nicht so textverständlich wie Crass.


    Die sehr junge Anja Silja war damals eine Sensations-Senta. Jugendlich, impulsiv und unverbraucht passt sehr gut in den diesen stürmisch-drängenden Holländer. Vor allem hat sie aber Ideen. Schon allein die Abstufungen, die sie ihrer Ballade gibt! Gelegentliche spitze Töne stören mich nicht.


    Problematischer ist da Josef Greindl und sein Freistil-Gesang. Er hat größere Probleme mit den hohen Tönen seiner Partie als sein Bass-Kollege Crass mit denen der des höher liegenden Holländers. Andererseits kontrastiert sein derb-kupplerischer Daland gut mit dem kultivierten Gast aus der Fremde. Andere stimmlich bessere Dalands (Frick, Talvela z.B.), die eher den väterlich-gutmütigen Ansatz verkörpern, waren mir immer sympathischer als die dazugehörenden Holländer. Hier ist das umgekehrt. Vom sängerischen Standpunkt ist Greindl aber wirklich nicht die ideale Besetzung. Gerade das Holländer-Daland-Duett im ersten Akt "Wie? Hör ich recht?", das in dieser Aufnahme mal eine Begegnung von zwei echten Bässen ist, fällt nicht zugunsten von Greindl aus.


    Die beiden Tenöre haben zum Glück nur kleine Rollen. Fritz Uhl singt mit der Nase und auch Georg Paskuda hält mich nicht mit seinem Steuermann nicht besonders gefangen.


    Insgesamt ist das aber wirklich eine gute Aufnahme mit einem ungewöhnlichen Holländer, die ich ebenfalls empfehlen kann.



  • Hallo Norbert,


    die CD kenne ich nicht - besitze aber eine VHS-Kassette mit dieser Produktion, bei der Harry Kupfer Regie geführt hatte. Nachdem das Anfang der 80er im Fernsehen lief und ich sehr beeindruckt gewesen war, habe ich mir irgendwann später das Video gekauft. Leider hat sich mein Videorecorder schon vor einer halben Ewigkeit auf den Gerätefriedhof verabschiedet, so dass ich das Band entsprechend lange nicht gesehen habe (und auch gar nicht mehr weiß, wo es sich z.Zt. genau befindet).


    Ich muss zugeben, dass meine Erinnerung in Bezug auf die Inszenierung noch am besten funktioniert (damals ziemlich spektakulär, heute empfände man das wohl eher als hervorragend gemachte traditionelle Regie). Ich erinnere mich sehr schwach daran, dass mir das Dirigat gut gefallen hat, dass ich Simon Estes nicht schlecht fand, ich aber mit Lisbeth Balslev als Senta bzw. ihrem Gesang einige Probleme hatte.


    Inzwischen natürlich auch als DVD erhältlich:





    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Bernd,


    wenn man Sawallisch und Nelsson miteinander vergleichen möchte, dann kommt man in etwa auf ein "gerechtes Unentschieden".


    Nelsson spielte die Urfassung des Holländers ohne "Erlösungsschluß". Wo manch großer Dirigent sich gemütlich durch die Partitur spielt, so erkennt man bei Nelsson, welch musikalische Revolution Wagner mit dem Holländer entfacht hat.
    Sawallisch ist gut, zweifelsfrei, aber Nelsson noch um einiges besser, weil "Stürmender und drängender".


    Ja, es stimmt, Lisbeth Balslev ist stimmlich und gestalterisch "solide", aber kein Vergleich zu Anja Silja. Auch ist Simon Estes Franz Crass an Stimmschönheit unterlegen, aber sein Vortrag weiß -abgesehen von einigen kleinen Vokalverfärbungen- zu gefallen.


    Matti Salminen ist Josef Greidl haushoch überlegen; mit Robert Schunk und Graham Clark als Erik und Steuermann wurden imo sehr gute Sänger gefunden.
    Ein "Grenzfall" ist sicher Anny Schlemm als Mary. Stimmlich sicherlich diskutabel, aber welch Autorität...


    Vom Dirigat ist die Aufnahme der Maßstab, an dem sich alle anderen Aufnahmen zu messen haben.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo Harald Kral vom 25.06.2007!


    wie "Diabolus in Opera" am 09.02.2008 geschrieben.


    Die Aufnahme habe ich erwähnt. Hervorragend! Der "Holländer"!


    Bis dann.

  • Meine Lieben,


    Den "Holländer" sind wir als dämonisch, pathetisch und dergleichen gewöhnt. Aber es gibt auch eine andere Art von Romantik ohne dick aufgetragenes Pathos mit menschlichen Zügen und klassischer Transparenz. Das ist die Art, in der Antal Dorati eine wirklich modellhafte Einspielung mit dem Covent Garden Opera-Orchester vorgenommen hat. Die ursprünglich 1962 edierte Aufnahme wurde 1999 neu herausgebracht und zählt für mich zu den absoluten Meisterleistungen:





    Die Tempi sind zunächst ungewohnt, aber man hört sich schnell hinein. Ich empfinde sie durchaus angemessen der Deutlichkeit, der phantastischen Art, wie Dorati die musikalischen Feinheiten herausziseliert, nicht das Reißerische betont, sondern die Steigerungen wohlüberlegt aufbaut, das Klassische im Romantischen erkennt.


    Dafür standen ihm auch ideale Interpreten zur Verfügung.


    Gegen Leonie Rysaneks Senta wurde schon eingewendet, daß ihr das Jungmädchenhafte abgeht. Die Stimme wirkt aber keineswegs zu "alt". Die Rysanek gibt aber keine "hysterische" Senta wie oft üblich, sondern eine verinnerlichte, im Gefühl starke, stimmlich einfach phänomenale Liebende, die im Typ sich stark an die Agathe annähert - eine meiner Meinung nach sehr überzeugende Auffassung.
    Der Holländer George Londons entspricht ihr in idealer Weise. Der sonore Klang, die absolute Wortdeutlichkeit, die Phrasierung sind Spitze. Vielleicht ergeben sich zum Schluß von ferne ganz leichte Ermüdungserscheinungen, aber das fällt kaum auf.


    Ebenfalls höchstes Lob verdient Giorgio Tozzi als Daland, der klar macht, daß diese Partie durchaus in Belcantomanier gesungen werden kann (ja ich frage mich sogar, ob das nicht sogar die authentischere Art sein könnte). Großartig bei Stimme, dieser Italo-Amerikaner, der mit der deutschen Sprache fast keine Mühe zu haben scheint.


    Der nächste Pluspunkt der Aufnahme ist Karl Liebl als Erik, der an Intensität den Hauptdarstellern nicht nachsteht, über einen schlanken Heldentenor verfügt, mit dem er den Gefühlssturm, der in diesem armen Kerl vorgeht, so deutlich macht, daß die vielen grobschlächtigeren Typen, denen man in der Rolle des Erik so oft begegnet, dagegen fast ungenießbar werden.


    Ausgezeichnet außerdem Rosalind Elias als Mary und der Chor.
    Gut Richard Lewis als Steuermann.


    Eine ausgesprochene Gänsehautaufnahme! Dramatik ergibt sich eben nicht nur aus Schnelltempo.


    Das einzige Manko, das ich aber nicht zu schwer nehme: Sentas Ballade ist auch hier durch den CD-Wechsel zweigeteilt.


    LG


    Waldi

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  • Meine Lieben,


    Es liegt nahe, die Dorati-Aufnahme mit der ebenfalls stets gelobten Bayreuther Keilberth-Liveaufnahme von 1956 zu vergleichen:





    Keilberth erreicht zwar nicht die einmalige Klangschönheit und Stringenz Doratis, bietet aber einen "normalen" Wagner von sehr hoher Qualität, steigert sich vor allem im dritten Akt bewußt zu einer, man kann ruhig sagen, Höchstleistung. Vorher wirkt er manchmal etwas breit und entwickelt die Spannungen nicht immer so zwingend. Das Ensemble ist von den Stimmcharakteren her nicht ganz so homogen, paßt nicht so völlig ideal zusammen, bleibt aber trotzdem ein Erlebnis.


    George London ist rein stimmlich noch etwas besser als unter Dorati (schließlich war er auch noch ein paar Jahre jünger). Ein wahrer Traum.


    Der Kritik an Astrid Varnays Senta vermag ich mich nicht anzuschließen (und bitte das nicht etwa auf ihre ungarische Abstammung und meine Parteilichkeit zurückführen). Natürlich steht außer Frage, daß ihre Stimme für diese Partie nicht jugendlich genug ist, darüber braucht es gar keine Diskussion zu geben. Sie ist eine reife Heroine. Aber: Ihre Gestaltungskraft, ihre Phrasierung, ihr hochklassiger Ausdruck samt Volumen kompensieren das weitestgehend. Anfangs denkt man sich, sie ist nur gut und Norberts

    Zitat

    Sicherlich, die Textstelle "Ich bin ein Kind und weiß nicht, was ich singe" nimmt man ihr nicht ab, denn es ist genau umgekehrt


    trifft den Nagel auf den Kopf, aber im weiteren Verlauf werden solche Empfindungen für mich unwesentlich, weil die Rollengestaltung ansonsten perfekt erfolgt und ich nur das auch schon konstatierte Urteil bestätigen kann, daß die Varnay eben immer weiß, was sie singt. Sie bleibt auch hier noch immer ein Erlebnis.


    Arnold van Mill als Daland singt zum Teil wunderschön, aber etwas ungleichmäßig und nicht immer ganz so wortdeutlich wie die anderen. Was ich gegen diesen Daland einwende: Er wirkt stimmlich ausgesprochen sympathisch, was er eigentlich nicht soll.


    Eine sehr gute Leistung mit nur ganz kleinen Einschränkungen bietet auch Jean Cox als Steuermann.


    Josef Traxel (Erik) singt hervorragend, mutet mich aber ein klein wenig künstlicher an als Karl Liebl, dem das Gefühlsmäßige noch besser gelingt. Bei Traxel dominiert eher das Pathos. Jedoch: Sein dritter Akt ist zum Niederknien!


    Elisabeth Schärtel als Mary und der Chor vermögen das hohe Niveau zu halten.


    LG


    Waldi

  • Die Kritik an Astrid Varnay als Senta in dieser "Holländer"-Aufnahme halte ich für ungerechtfertigt. Astrid Varnay war zum Zeitpunkt der Aufnahme 38 Jahre alt, das ist jünger als viele andere Sentas auf Platte.
    Ich habe Frau Varnay gekannt und Dutzende Male auf der Bühne gesehen - sie war Ehrenmitglied der Düsseldorfer Oper und Professorin an der hiesigen Musikhochschule.
    Ihre Hinterlassenschaft an Tondokumenten habe ich nicht gesammelt. Das große Problem ist: Ihre Stimme war nicht phonogen. So schön sich das alles live im Opernhaus anhörte - auf Platte klang es immer irgendwie schrill. Oder eben alt.
    Damit müssen wir leben.


    LG


    Harald


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Hallo Harald,


    Dunja Vejzovic war bei Karajan auch ungefähr 38 Jahre alt als die ersten Aufnahmesitzungen zum Fliegenden Holländer statt fanden und in meinen Augen trotzdem fehl besetzt.


    Leonie Rysanek war 33 oder 34 als sie die Senta in der Dorati-Aufnahme sang; drei oder vier Jahre machen in meinen Augen keinen Unterschied zwischen einer "passenden" oder "unpassenden" Senta.


    Entscheidender ist für mich die stimmliche Färbung, die "Reife" in der Stimme.


    Das ist das, was Du als "phonogen" bezeichnest.


    Bloß wenn jemand auf Tonträger zu hören ist, dann muß sich diese Person zwangsläufig der "phonogenen Kritik" stellen.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Seit ein paar Wochen besitze ich ebenfalls Weils Aufnahme und erlaube mir, ein paar Takte dazu zu schreiben:



    Wer den Fliegenden Holländer als großsinfonisches Ereignis betrachtet, der wird mit Weils Deutung nicht sehr viel Freude haben; wer hingegen Woldemar Nelssons Bayreuther Aufnahme mag, der findet hier ein begeisterndes Pendant - zumindest musikalisch.


    Das reduzierte Orchester, das mehrfach erwähnt, auf Originalinstrumenten spielt und erheblich kleiner besetzt ist als normal (es spielen gerade einmal 55 Musiker + elf Bühnenmusiker), eröffnet völlig neue, faszinierende Hörerfahrungen.


    Exemplarisch sei der Wechsel zwischen dem ersten und zweiten Aufzug genannt, bei dem die Mädchen nicht betulich vor sich hinspinnen, sondern es pulsiert das Leben, das "gute Rädchen" "summt und brummt" buchstäblich in einem rasanten, rhythmisch sehr pointierten und in den Bläsern ungemein farbigen Übergang.


    Bruno Weil ist mit einer Spielzeit von ca. 126 Min, noch einmal acht Minuten schneller als Nelsson (und ca. 26 als Klemperer 8o ). Abgesehen von der etwas zu schnell gespielten Ballade der Senta (in der Originaltonart a-moll) empfindet man die rasantere Gangart aber als stets stimmig.


    Apropos Senta: Astrid Weber weiß durch einen engagierten und wortdeutlichen Vortrag zu gefallen. Zwar vernimmt man ab und zu leichte Schärfen in der Höhe, aber sie schafft für mich den seltenen Spagat, einerseits den großen Anforderungen der Rolle gerecht zu werden und gleichzeitig "jugendliche Schwärmerei" zu vermitteln.


    Ihr "diesseitiger Freund", Georg (Erik), Jörg Dürmüller, steht ihr stimmlich und darstellerisch in nichts nach. Jörg Dürmüller verfügt über einen eher lyrischen Tenor, der für mich gut zur Partie des Georgs paßt. Er identifiziert sich mit seiner Rolle und meistert sie ohne stimmliche Schärfen.


    Diese wiederrum hört man bisweilen bei Donald (Daland), Franz Josef Selig. Stellenweise forciert er zu sehr, wenn es stimmlich in die Höhe geht. Dadurch wird er manchmal zu schnell zu laut, aber auch für ihn gilt, daß er seiner Gesangspartie ein Profil verleiht.


    Engagement würde ich Teje Stensvold als Holländer nicht absprechen wolle, wenn ich denn wüßte, ob ihm geläufig ist, was er singt...
    Mit Sprachschwierigkeiten kann ich leben, aber weniger damit, wenn die Aussprache "unidiomatisch" ist. Im Finale "Verloren! Ach! Verloren!" z.B. singt er "verloren" erst korrekt mit "offenem o" und dann mit einem "o" wie in "Wolle".
    Auch hat er merklich mit den höheren Gesangspartien zu kämpfen. In tieferen Regionen fühlt er sich merklich wohler (hörbar z.B. im Duett mit Senta "Wie aus der Ferne längst vergangner Zeiten").
    So gerät leider die Titelrolle zum größten Schwachpunkt der Aufnahme.


    Über den Steuermann und Mary gibt es nichts negatives zu vermerken; die Chöre allerdings sind nicht immer gut verständlich und erreichen kein "Bayreuth-Niveau".


    Trotz einiger Einschränkungen stellt die Aufnahme für mich einen Gewinn meiner Sammlung dar. Das Beiheft arbeitet informativ die Unterschiede der Pariser Urfassung und der gängigen Version heraus, verzichtet aber leider auf Biographien der größtenteils (mir) unbekannten Künstler. Man spart halt wo man nur kann...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Wer die vorgenannte Einspielung noch nicht kennt, hat am kommenden Sonntagabend die Gelegenheit, sich die Aufnahme nochmals im Radio zu hören:


    WDR 3 - Sonntag, 11.01.09 um 20:05 Uhr


    Der fliegende Holländer (Urfassung)
    von Richard Wagner



    Zitat

    Eine WDR 3-Produktion aus dem Jahr 2004, entstanden in der Essener Philharmonie. Bruno Weil, der die Cappella Coloniensis seit vielen Jahren leitet, spielte mit dem ehemaligen WDR-Orchester für historische Aufführungen zahlreiche preisgekrönte CDs ein.


    Hier hat er zum ersten Mal weltweit eine Oper von Richard Wagner auf Originalinstrumenten und in historischer Aufführungspraxis aufgenommen. Es handelt sich dabei um die 1843 in Paris entstandene Urfassung der Oper.


    Solisten:
    Franz Josef Selig, Baß (Donald, ein schottischer Seefahrer)
    Astrid Weber, Sopran (Senta, seine Tochter)
    Jörg Dürmüller, Tenor (Georg, ein Jäger)
    Simone Schröder, Alt (Mary, Sentas Amme)
    Kobie van Rensburg, Tenor (Der Steuermann Donalds)
    Terje Stensvold, Bariton (Der Holländer)


    WDR Rundfunkchor Köln
    Prager Kammerchor
    Chor-Einstudierung: Anton Marik; Jörg Ritter; Josef Pancík
    Cappella Coloniensis
    unter der Leitung von Bruno Weil


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

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  • Zitat

    Original von Walter Krause
    Arnold van Mill als Daland singt zum Teil wunderschön, aber etwas ungleichmäßig und nicht immer ganz so wortdeutlich wie die anderen. Was ich gegen diesen Daland einwende: Er wirkt stimmlich ausgesprochen sympathisch, was er eigentlich nicht soll.
    i


    Warum soll Daland nicht sympathisch klingen? Sicher, zurzeit hat sich auf der Bühne die Interpretation vom geldgierigen, spießbürgerlichen Kaufmann durchgesetzt. Das ist eine mögliche Sicht auf die Figur, aber die Rolle kann auch anders gesehen werden.


    Erik behauptet zwar Senta gegenüber, dass ihr Vater nur nach Schätzen geizt und sie reich verheiraten will und ihn daher als Schwiegersohn ablehnt, aber offensichtlich geht er davon aus, dass die Entscheidung noch immer bei ihr, also Senta selbst liegt, wen sie heiratet.


    Dass für Daland der Holländer als Schwiegersohn wegen seines Geldes interessant ist, ist eindeutig - eine gute Partie für seine Tochter. Alllerdings stellt er Senta im 2. Akt keineswegs vor vollendete Tatsachen, er hält es für notwendig, sie davon auch zu überzeugen, dass sie den Holländer heiraten soll. Daland als Vater, der in erste Linie seine Tochter gut versorgt sehen will, eine solche Sicht, finde ich, ist mit Blick auf Libretto und Musik ebenfalls möglich. Das sind zwar nicht gerade romantische Vorstellungen von einer Liebesheirat, aber für einen Elternteil, der seine Sorge für die Kinder ernst nimmt, eine zumindest verständliche Haltung. Interessant ist auch, dass Daland dem Holländer die Möglichkeit gibt, sich erst zu entscheiden, wenn er Senta gesehen, also sie persönlich kennen gelernt hat, offensichtlich ist ihm doch wichtig, dass beide auch miteinander gut auskommen werden.


    Für Daland spricht auch, dass er selbst seine Handelsfahrt als Kapitän unternimmt und zu seinen Angestellten (der Mannschaft) ein gutes Verhältnis hat wie sein nachsichtiges Verhalten gegenüber dem Steuermann zeigt, der auf der Wache eingeschlafen ist.


    Herzliche Grüße
    Waltrada

    Il mare, il mare! Quale in rimirarlo
    Di glorie e di sublimi rapimenti
    Mi si affaccian ricordi! Il mare, il mare!
    Percè in suo grembo non trovai la tomba?

  • Liebe Waltrada,


    Traditioneller Konvention des 19.Jahrhunderts entsprechend, ist Daland natürlich als guter Vater anzusehen. Nur will er nicht bloß seine Tochter gut versorgt sehen, sondern vor allem sich selbst. Erik hat schon recht. Die Schätze des Holländers lassen das sonst reichlich verdächtige Gehaben des Fremdlings als unwichtig scheinen. Natürlich will Daland, daß Senta freiwillig ja sagt, sonst überlegt es sich dieser großzügige Tausendsassa womöglich. Aber Daland läßt seine Tochter auch nicht im Zweifel, was er erwartet. Würde sie nicht zustimmen, gäbe es wohl Saures. Klar, er ist kein abgefeimter Bösewicht und besitzt auch seine gemütlichen Seiten. Aber als Identifikationsfigur hat ihn Wagner schwerlich verstanden wissen wollen.


    Um aber von einem umstrittenen Charakter wieder zu einer umstrittenen Einspielung zurückzukommen, erlaube ich mir, meine Einschätzung von Fricsays Aufnahme mit dem RIAS-Symphonieorchester aus dem Jahr 1950 zu erläutern. Sie ist bei mehreren Firmen erschienen:



    Von der Centurion Classics-Ausgabe, die ich selbst besitze, kann ich leider kein Coverbild finden. Wie ich aber in dieser Woche bemerkt habe, wird sie derzeit in Wien unter drei Euro angeboten. Das ist für einen "Holländer" zweifellos das unübertroffen beste Preis/Leistungs-Verhältnis!


    Ferenc Fricsay kann man sicher nicht als spezifischen Wagner-Dirigenten ansehen, aber er ist nun einmal ein phantastischer Musiker, der auch hier mit seiner präzisen, aber keineswegs blutleeren Interpretation und seiner elastischen Gestaltung packende Momente schafft. Man muß einräumen, daß dramatische Wucht nicht sein Fall ist, und das Dämonische zu kurz kommt. Friccsay biegt lieber in Richtung einer Art klassizistischer Noblesse um, was bei einer so romantischen Oper, die nach elementareSuggestion verlangt, nicht ideal ist. Andererseits: Wie er zum Beispiel das "Mögst du, mein Kind, den fremden Mann willkommen heißen" federnd begleitet, das muß man gehört haben!


    Josef Metternich ist stimmlich eher der edle Ritter als der rauhe Meeresahasver, aber diese Artikulationsgabe, diese faszinierende Musikalität und das herrliche Timbre überwältigen auch hier. Ein großartiger Holländer von der feineren Sorte (siehe Fischer-Dieskau!), die doch eine legitime Möglichkeit darstellt.


    Der dritte Pluspunkt ist der ungemein wortdeutliche und hochintelligent gestaltende Wolfgang Windgassen als Erik, der vierte der ihm gleichwertige Ernst Haefliger als Steuermann, der auch weit über dem Durchschnitt liegt und nur von wenigen (Wunderlich, Schock, Liebl etc.) übertroffen wird.


    Leider nur Mittelklasseeindrücke vermittelt Josef Greindl als Daland. Gewiß: Ordentlich gesungen, aber es fehlt der Saft. Elisabeths "zu bieder" trifft es genau.
    Nicht sehr glücklich bin ich auch mit Annelies Kupper als Senta, die sich zwar bemüht und sehr mit der Rolle kämpft, auch Teilerfolge erzielt, aber doch meist zu distanziert und kalt bleibt, mehr um die richtigen Töne besorgt ist (nicht immer ganz erfolgreich) als um Leidenschaft. Die Partie ist ihr zweifellos um eine Nummer zu groß. Im Duett mit Metternich und im Finale kommt sie schon ein bißchen mehr aus der Reserve, aber es bleibt letztlich eine achtbare Alltags-Senta.


    Als Mary oft bewährt und auch hier sehr gut anzuhören: Sieglinde Wagner. Auch dem Chor ist viel Gutes nachzusagen.


    Für das Entstehungsdatum ist die Tonqualität geradezu hervorragend, wären da nicht die unangenehmen Interrupte (man merkt, daß da Platten als Ausgangsspeicher dienten), die wiederholt ein paar Töne störend abzwicken.


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von Walter Krause
    ...


    Traditioneller Konvention des 19.Jahrhunderts entsprechend, ist Daland natürlich als guter Vater anzusehen. Nur will er nicht bloß seine Tochter gut versorgt sehen, sondern vor allem sich selbst. Erik hat schon recht. Die Schätze des Holländers lassen das sonst reichlich verdächtige Gehaben des Fremdlings als unwichtig scheinen. Natürlich will Daland, daß Senta freiwillig ja sagt, sonst überlegt es sich dieser großzügige Tausendsassa womöglich. Aber Daland läßt seine Tochter auch nicht im Zweifel, was er erwartet. Würde sie nicht zustimmen, gäbe es wohl Saures. Klar, er ist kein abgefeimter Bösewicht und besitzt auch seine gemütlichen Seiten. Aber als Identifikationsfigur hat ihn Wagner schwerlich verstanden wissen wollen.
    ...


    Ich verstehe aber nicht, warum es traditionell ist, wenn Daland als guter Vater gesehen wird und ich finde es auch keineswegs modern, wenn er zweifelhalft rüberkommt.


    Für mich ist entscheidend, dass Libretto und Musik beide Sichtweisen auf Daland zulassen.


    Herzliche Grüße
    Waltrada

    Il mare, il mare! Quale in rimirarlo
    Di glorie e di sublimi rapimenti
    Mi si affaccian ricordi! Il mare, il mare!
    Percè in suo grembo non trovai la tomba?

  • Zitat

    Original von Waltrada


    Ich verstehe aber nicht, warum es traditionell ist, wenn Daland als guter Vater gesehen wird


    Weil es seinerzeit eben als "gut" galt, die Tochter materiell ordentlich zu versorgen, wobei deren zärtliche Gefühle eine ganz untergeordnete Rolle spielten - eine natürlich sehr einseitige Denkweise (die davon ausging, die Heirat sei das absolute Lebensziel der Frau, die allein entweder nicht existenzfähig oder, mit wenigen Ausnahmen, eine seltsame Figur - alte Jungfer, Blaustrumpf o.dgl - wäre). Daß man dagegen in der Praxis dauernd opponierte, zeigt sich darin, daß das Unterlaufen solcher Motive einer der wichtigsten Bühnenstandards war (und ist). Allerdings, im wirklichen Leben nützte das meist nichts. Die alleinbestimmenden Eltern/Väter behaupteten gerne, die Liebe komme in der Ehe schon mit der Zeit von selbst. Kommt auch heute noch vor. Ich erinnere mich an eine traurigen Fall, wo sich das Mädchen dem Familiendruck gebeugt hatte, aber dann Selbstmord beging.


    LG


    Waldi


  • Hallo Waldi,


    ich möchte auch eine Lanze brechen für diese Aufnahme.


    Ich habe sie in einer anderen Ausgabe (aber auch von Documents, wie ich grad sehe):



    Das mit dem "dämonischste[n] Holländer" unterschreibe ich blind!
    Die zahlreichen Hotter-Kritiker sollten sich mal diese Aufnahme zu Gemüte führen - keine Angst vor edlem Mono, und in diesem Falle ist das wörtlich gemeint, denn die Klangqualität ist geradezu sensationell für eine so alte Einspielung (1944).


    Ich finde die breit angelegten Tempi, die Maestro Krauss vorgibt, durchaus passend - gegen den Karajan-Sound sind sie noch harmlos. Im übrigen kann ich auch langsam die Kritik an der Karajan-Aufnahme nachvollziehen, doch dies nur am Rande.


    Mindestens genauso imposant wie den Holländer Hans Hotters finde ich Georg Hanns Darstellung des Daland! Das ist einfach perfekt. Nichts gegen Herrn Moll bei Karajan - aber dagegen sieht selbst er alt aus.


    Meinen Geschmack trifft auch Karl Ostertags Erik, der nicht nur Peter Hofmann unter Karajan um Längen hinter sich läßt.


    Sehr gut auch Luise Willner (Mary) und Franz Klarwein (Steuermann).


    Die vielgescholtene Senta, gesungen von Krauss' Ehefrau Viorica Ursuleac, mag bei so einem Ensemble in der Tat als "Fehlbesetzung" abfallen; aber - und dies bitte beachten: Was für eine "Fehlbesetzung"! Sicher kein Grund, diese tolle Aufnahme zu verschmähen. Sie trifft alle Töne und diese (über)dramatische Art passt zu der Rolle doch auch irgendwie, finde ich.


    Alles in allem eine klare Kaufempfehlung!


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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