Ravel - Impressionismus in der Musik

  • Hallo,


    ich möchte mich in nächster Zeit etwas über Ravel auslassen, daher mein eigener Thread.


    In Wiki liest man:


    Als Musik des Impressionismus bezeichnet man eine Stilrichtung der Musik ungefähr von 1890 bis 1920, deren Hauptvertreter Claude Debussy und Maurice Ravel waren.


    Ebenso wie der Impressionismus in Malerei und Literatur versucht der musikalische Impressionismus Eindrücke von Augenblicken darzustellen. Aus diesem Grund liegt das Hauptaugenmerk der Komponisten nicht auf der Form der Musik, so wie es beispielsweise in der Wiener Klassik und Romantik der Fall war, sondern auf dem Klangbild.


    Dieses Klangbild hat, einem Bild der impressionistischen Malerei ähnlich, zur Aufgabe, dem Zuhörer die Stimmung und Atmosphäre eines Augenblickes zu vermitteln, wobei es um subjektive Eindrücke und nicht um konkrete materielle Eigenschaften geht.


    Es grüßt


    Karl

  • Aus diesem Grund liegt das Hauptaugenmerk der Komponisten nicht auf der Form der Musik,

    Was so pauschal allerdings nicht stimmt! Bei Ravel (und auch Debussy) gibt es klassizistische Tendenzen, die Rückorientierung auf das 18. Jhd. Beispiel: Le Tombeau de Couperin oder die Sonatine z.B.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Hallo Holger,


    das stimmt natürlich, erwischt.


    Aber mein Augenmerk zielt auf dieses Hauptgebiet ab.


    Es grüßt


    Karl

  • das stimmt natürlich, erwischt.

    Aber nein, Karl!

    Deine allgemein gehaltene Feststellung ist sehr wohl zutreffend, wenn man sie im Kontext liest und auffasst.

    Nicht so schnell zurückweichen vor als solche hier im Forum auftretenden Experten!


    Deine Feststellung ist wohl, weil ja erst mal nur als Einleitung gedacht, nur noch nicht hinreichend, den Sacherhalt präzise erfassend formuliert. Denn Du wolltest doch wohl sagen, dass für die Impressionisten von ihrer kompositorischen, primär auf die Klanglichkeit von Musik ausgerichteten Aussage-Intention her die traditionellen gattungspezifischen Formen und Regeln der Gestaltung von Musik aus ihrer vordem obligatorischen Funktion entlassen und zu einer eher leitenden umgewandelt wurden.

    Und darin hast Du natürlich sehr wohl recht.

  • das stimmt natürlich, erwischt.


    Aber mein Augenmerk zielt auf dieses Hauptgebiet ab.

    Lieber Karl,


    besonders in Frankreich ist Ravel gerade nicht primär als "Impressionist" rezipiert worden - und berühmte französische Pianisten wie Vlado Perlemuter (der Ravels Klavierwerk als erster ganz aufführte und mit Ravel befreundet war) oder Monique Haas haben ihn auch nicht "impressionistisch" gespielt. Eine große stilbildende Wirkung hatte hier Jean Cocteau, der Ravel weg von Debussy in die Nähe von Strawinsky rückte:


    "Ravel hat sozusagen die Kunst der großen impressionistischen Meister der Musik geläutert (...) Musik ohne >sauce>! Das bedeutet: kein Schleier, die Nacktheit der Rhythmen, die Trockenheit der Linie, die Kraft des Einsatzes und eine gelehrte Naivität des Tonfalls und der Akkorde."


    Wenn man dieses berühmte Cocteau-Zitat kennt, weiß man, warum Alfred Cortot die "Impressionisten" bisweilen so unimpressionistisch trocken spielt. :)


    Schöne Grüße

    Holger

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  • Hallo Helmut, hallo Holger,


    vieles zu und über Ravel liest man schon hier unter


    Ravel


    Wenn ich nun meine eigenen Eindrücke über diesen Komponisten und die verschiedenen Interpretationsversuche niederschreibe, soll das nur Anstoss für einen fruchtbaren Gedankenaustausch in der Sache sein.


    Man ist und bleibt neugierig, lernt sein Leben lang dazu, für mich der Grund, hier im Forum aktiv dabei zu sein.


    Es grüßt


    Karl

  • Wenn ich nun meine eigenen Eindrücke über diesen Komponisten und die verschiedenen Interpretationsversuche niederschreibe, soll das nur Anstoss für einen fruchtbaren Gedankenaustausch in der Sache sein.

    :thumbup:Wiel Du den Link, lieber Karl, zum Ravel-Thread gegeben hast als Anwort auf eine Frage, die dort auftaucht in Bezug auf Vlado Perlemuter:


    Die Nimbus-Gesamtaufnahme des Ravel-Werks (in Stereo) ist nicht identisch mit den älteren Mono-Aufnahmen bei Vox. Ich habe beide:



    81vSAZR073L._AC_UL300_.jpg


    Schöne Grüße

    Holger

  • Hallo,


    bevor ich mit Ravel anfange, braucht es einen Rückblick.
    Der Start in die klassische Musik begann für mich mit Bach, wahrscheinlich wegen der kirchlichen Orgelmusik, die einem schon als Kind mitteleuropäischer Herkunft vertraut ist.
    Danach folgten Bruckner und Wagner, große und mächtige Werke, die gerade den Anfänger stark beeindrucken.
    Der spätere Rutsch rüber zu Beethoven ist für mich auch leicht erklärbar.
    Energisch und kraftvoll, leidenschaftlich und auch heftig, da rockt die Klassik gelegentlich.
    Etwas beschwingter und lockerer als Ausgleich dazu ist in vielen seiner Werke für mich Mozart.
    Klassische Musik aus deutschem Lande, passend zum Satz: wie das Land, so die Leute.

    Ravel war für mich lange Zeit allein mit dem Bolero verknüpft, ein langatmiges Stück mit einem recht eigenartigen Charme. Aber unverwechselbar, wer es mal gehört hat, kennt es.
    Andere Werke Ravels habe ich wegen des sperrigen und teils auch kratzigen Klanges eher gemieden, da war bei den wenigen Hörversuchen schon nach wenigen Minuten Schluß.


    So ging es lange Zeit.


    Karl

  • Lieber Karl,


    danke für diesen sehr schönen Thread. Neben dem Bolero, der mich auch zuerst in den Bann geschlagen hat, habe ich Ravel auch durch dieses Stück zuerst schätzen und lieben gelernt:



    Die Pavante pour un infante défunte. Wikipedia erklärt den Titel:


    Ravel selbst beschrieb das Stück als „eine Erinnerung an eine Pavane, die eine kleine Prinzessin in alter Zeit am spanischen Hof getanzt haben könnte“; sie sei „keine Trauerklage für ein totes Kind, sondern eine Vorstellung von einer Pavane, wie sie vielleicht von so einer kleinen Prinzessin in einem Gemälde von Velázquez getanzt wurde“


    Da war natürlich für mich als Spanien-Liebhaber direkt ein Anknüpfungspunkt gegeben. Ich finde, das Stück zeigt auch sehr gut, wie schillernd und oszillierend Ravels Musik ist, und dass viele Kategorisierungen zu kurz greifen. Hier könnte man sowohl den Impressionisten festmachen, den Du beschreibst, dieses Ineinanderfließen der Orchesterfarben, dieses Malen mit Tönen unter Auflösung der Melodien und festen Rhythmen; genauso kann man jedoch auch hier, wie Holger ausführt, durchaus noch klar erkennbare, traditionelle Formen und Muster sehen, wunderschöne Melodien, Wiederholungen, einen deutlich spürbaren Rhythmus...

    Für mich ist Ravel zum Beispiel nicht ganz so impressionistisch wie Debussy zum Beispiel, der das Spiel mit den Nuancen bis zur höchsten Entfaltung getrieben hat in Tondichtungen wie "La Mer"; dennoch ist Ravel nicht nur ein Neoklasszist, wenn er sich auch immer wieder aus der Tradition speist, er ist modern angehaucht, ohne den ganz radikalen Bruch zu suchen. Er schillert, oszilliert, ist ungreifbar, zerrinnt einem wie Sand zwischen den Fingern, und dennoch ist seine Musik wie aus einem Guß und unverwechselbar.

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  • Hallo Don,


    zu diesem Stück werde ich noch was schreiben, da habe ich eine wunderschöne Einspielung gefunden.


    Es grüßt


    Karl

  • Hallo,


    neu aufmerksam auf Ravel wurde ich durch eine Aufnahme des Trios und der Sonaten in einem Film:

    Zitat

    Beim Trio eine tiefe, doch zarte, zurückhaltende Melancholie. Die beiden Sonaten mit ihren funkelnden, gleichsam diabolischen Rhythmen.

    Hier paßte diese für mich doch so seltsam fremde Musik perfekt.


    Es grüßt


    Karl

  • aufmerksam auf Ravel wurde ich durch eine Aufnahme des Trios und der Sonaten in einem Film:

    Ich nehme an, Du meinst den Film "Un cœur en hiver" von Claude Sautet, in dem die wunderbare Emmanuelle Béart eine Violinistin verkörpert, die Werke von Ravel spielt. Dieser Film war auch für mich damals die erste Berührung mit der Kammermusik von Ravel (einige Orchesterwerke kannte ich schon vorher), und die CD mit den für den Film verwendeten Aufnahmen zähle ich noch heute zu meinen kostbarsten Stücken:



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    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ich nehme an, Du meinst den Film "Un cœur en hiver" von Claude Sautet, in dem die wunderbare Emmanuelle Béart eine Violinistin verkörpert, die Werke von Ravel spielt. Dieser Film war auch für mich damals die erste Berührung mit der Kammermusik von Ravel (einige Orchesterwerke kannte ich schon vorher), und die CD mit den für den Film verwendeten Aufnahmen zähle ich noch heute zu meinen kostbarsten Stücken:

    Das ist ein traumhaftes Stück, lieber Bertarido, - eins der schönsten Musikstücke überhaupt, in das man sich wirklich verliebt. :) Die Kantarov-Aufnahme ist finde ich die beste und ich habe sie auch.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Das ist ein traumhaftes Stück, lieber Bertarido, - eins der schönsten Musikstücke überhaupt, in das man sich wirklich verliebt. :) Die Kantarov-Aufnahme ist finde ich die beste [...]

    Zu beiden Aussagen 100% Zustimmung!


    Verliebt war ich nach dem Film nicht nur in die Musik, sondern auch in Emmanuelle Béart. :love:

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

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  • Impressionismus finde ich in der Musik ein sehr zweifelhaftes Attribut, besonders wenn man es nicht als einen Aspekt einiger Stücke (das ist eher unproblematisch, findet sich aber in vielen Epochen und Stilen, zB vielleicht Tschaikowsky mit dem textlosen Chor am Ende des ersten Nussknacker-Akts), sondern als "Schule" oder einigermaßen fest umrissene Stilrichtung (wie es in der Malerei angemessen sein mag) verwendet. Und die Anwendung auf Ravel noch zweifelhafter.


    Stimmung und Klang vor Form stimmt vielleicht bei Delius, aber wahrscheinlich in kaum einem Stück Ravels, sicher in keinem Kammermusikstück und auch in keinem der beiden Klavierkonzerte. Bei Daphnis und Chloe kann man vielleicht streiten, aber beim Ballett ist es dann auch nichts besonderes, nicht die rein-musikalische Form in den Vordergrund zu stellen.


    Auch in Ravels Klaviermusik habe ich weit häufiger den Eindruck des "gemeißelten", "kristallenen" als den der vagen, flirrenden Stimmungen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo Johannes,


    ohne daß es für mich von Bedeutung wäre, ob der Begriff "Impressionismus" bei Ravel tatsächlich zutreffend ist, muss ich nachfragen.


    So steht es bei Wiki nachzulesen:

    Zitat

    ...einem Bild der impressionistischen Malerei ähnlich, zur Aufgabe, dem Zuhörer die Stimmung und Atmosphäre eines Augenblickes zu vermitteln, wobei es um subjektive Eindrücke geht ...

    Du schreibst:

    Zitat

    ...habe ich weit häufiger den Eindruck des "gemeißelten", "kristallenen" als den der vagen, flirrenden Stimmungen.

    Wenn ich es recht verstehe, geht es um die musikalische Konvertierung des subjektives Eindruckes eines Augenblickes, dessen Stimmung und Atmosphäre ist allerdings in keinster Weise festgelegt.


    Es grüßt


    Karl

  • Hallo,


    nach dem Filmerlebnis besorgte ich mir den Soundtrack, musste aber feststellen, daß nur die Musik nicht die gleiche Wirkung entfalten konnte.


    Das Auge hört eben auch mit!


    Im Nachhinein ist mir schon klar, daß die Konzentration allein auf die Audiowiedergabe bei Ravel sehr hohe Ansprüche an die Qualität der HiFi Anlage stellt.


    Eigentlich die Messlatte für jede HiFi Anlage.


    Bei Ravel werden die Instrumente nicht selten bis zum Machbaren bearbeitet (oder darf man gequält sagen?), wobei die Grenze zum Gequietsche in der Regel nur dann überschritten wird, wenn die häusliche Wiedergabekette technisch limitiert ist. So zumindest meine Erfahrung.


    Die moderne Elektronik hat in den letzten 10 Jahren aber im digitalen Bereich viel dazu beigetragen, daß akustische wie zeitliche Fehler in der Wiedergabe reduziert werden konnten und der Wunsch nach einer möglichst natürlichen Reproduktion immer mehr Gestalt annimmt.


    Es ist - leider - so, echte Klangfarben und zeitlich exakte Ein- und Ausschwingvorgänge sind das Salz in der ravelschen (Audio-)Suppe.


    Es grüßt


    Karl

  • Hallo,


    es kann ja nie schaden, sich gelegentlich mal zu hinterfragen.

    So war das bei mir mit Ravel, was gefällt mir daran so besonders, was macht den Reiz aus?

    Der Grund, tiefer in das Leben und Wirken dieses Mannes einzusteigen. Woraus schöpfte er, wo waren seine Quellen?


    Die Mutter Baskin, der Vater Schweizer und von Beruf Ingenieur. Er, aufgewachsen in Paris, entwickelte sich zum Dandy, der in den dortigen Salons und Klubs Bekanntschaften zu Künstlern aller Gattungen pflegte.

    Dieser inspirierende und rege Gedankenaustausch wie auch seine Herkunft spiegeln sich in seiner Musik wieder. Spanische und französische Stilelemente in einem Kunterbunt an Einfällen, die aus einem tiefen Erleben des Momentes und einer Vielfalt von Eindrücken zu stammen scheinen. Eine Mischung aus lebhaftester Phantasie, Dichtung, aber auch Paradoxität und technischer Raffinesse, ein seltsames Miteinander von Einfachheit und Komplexität.


    Auf der anderen Seite fällt die Sparsamkeit der Orchestrierung gegenüber deutschen Komponisten auf. Gleiches gilt für die Kompositionen an sich:

    Oft stehen die Töne allein im Nirgendwo, konzentriert auf ihre Klangfarben.

    Ravel zwingt uns, genauer hinzuhören. Diese Musik fordert.


    Angefangen als begabter Klavierschüler am Pariser Konservatorium, hat er geschmissen und ist später in die Kompositionsklasse eingetreten.

    Das hat er späteren Pianisten gedankt, in dem er - ein Verehrer von Liszt - schwierigste technische Kompositionen für das Klavier niederschrieb.


    So bin ich zum Gaspard gekommen. Das habe ich gelesen, daß dieses Stück zu den schwierigsten seiner Gattung zählt. Das sollte man dann als Klassikliebhaber auch kennen.


    Es grüßt


    Karl

  • Hallo,


    eigentlich wollte ich nun mit dem Gaspard anfangen bzw. weitermachen, aber in der Zwischenzeit sind mir noch einige CDs und Bücher über Ravel dazwischengekommen. Das Lesen guter Literatur hat ja noch nie geschadet.


    So erfährt der Leser, wie die Zeitgeschichte starken Einfluss auf die musikalische Entwicklung in Frankreich zu Zeiten Ravels genommen hat.


    Da haben wir den verlorenen Krieg gegen Deutschland, die Kaiserkrönung der Siegermacht in Versailles und die übermächtige Stellung der Deutschen Klassik mit - kurzgesagt - Bach-Mozart-Beethoven-Wagner.


    Den musikalischen Triumph und Abschluß dieser Ära bildet dabei die Einleitung zu Tristan, eine Musik von göttlicher Eingebung, die selbst einen Ravel emotional zutiefst erschüttert.


    Wenn in der Musik noch etwas danach kommen soll, muss es anders, ganz anders sein.


    Anstatt hoher Komplexität und mächtiger Orchester ein Zurück auf das Wesentliche.


    Musik ohne Soße oder anders ausgedrückt: ein musikalischer Bauhausstil.


    So fängt Ravel an. Mit kleinen Stücken, voll Poesie, oft geschrieben für Kinder.


    So wird er bekannt, so wird er in Frankreich langsam berühmt, obwohl die knapp 20 Werke nicht mehr als 2 Stunden effektive Musik ausmachen.


    Es grüßt


    Karl

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  • Hallo,


    aus einem früheren Beitrag eines Forenten:

    Zitat

    An Ravel finde ich überhaupt nichts Transzendentes. Für mich ist das eher hochvirtuose und bis ins kleinste Detail sorgfältig konstruierte Musik. Ravel war sicherlich technisch gesehen einer der besten Komponisten, die jemals gelebt haben - aber gerade das Vergeistigte fehlt mir bei ihm völlig.

    Insbesondere nach Lesen des kleinen Büchleins von Jean Echenoz über Ravel kann ich dieser Feststellung für mich zustimmen.


    Ravel wirkt für seine Umgebung oft in sich gekehrt, ein recht kleiner, zurückhaltender und zugleich eitler Zeitgenosse, sehr stark geprägt von der Mode und dem Leben eines Künstlers und Dandys in der Weltstadt Paris.


    Der Vater Ravels stammte aus der Schweiz und war von Beruf Ingenieur. Sein Lieblingsprojekt, in das er viel Zeit und Geld investierte, war die Weiterentwicklung des Gasmotors. Ein Tüftler, von dem sich der kleine Maurice sicher auch einiges abschauen konnte.


    Sein Werdegang vom Pianisten zum Komponisten ist das letzte Puzzleteil dazu.


    Gelerntes Handwerk und bestehende Technik vermischt mit neuartigen Musikstilen auf eine weit höhere künstlerische Stufe in ausgesprochen individuellen Art und Weise zu transferieren mit dem Zweck der Einzigartigkeit, so kommt es mir bei Ravel oft vor.


    Es grüßt


    Karl

  • Hallo,


    das Sammeln und Sortieren in Sachen Ravel geht weiter.


    Notwendig halte ich die Doppel CD von Casadesus, die 10er Box von Perlemuter und diese 4 CD Historienaufnahme.


    Bei den französischen Interpreten war nicht sonderlich viel dabei, was ich für bemerkenswert halte.


    Aber natürlich wird man immer mal wieder überrascht, so bei einem italienischen Pianisten, der für mich die neue Referenz beim Gaspard geworden ist.


    Dazu später.


    Es grüßt


    Karl

  • Hallo,


    Ravel erschafft eine Musik, die es davor und danach so nicht gibt.


    Daher stelle ich mir immer wieder die Frage, was für ein Mensch dieser Ravel war. Sicher kein Normalbürger.


    Nach den Schilderungen seiner Zeitgenossen, die ihn näher kennenlernen durften, ein unverwechselbares Individuum, dessen Macken und Kanten nicht aufgesetzt sind, sondern unverfälscht und direkt aus dem Innersten kommen.


    Ravel verstellt sich nicht, Ravel ist Ravel. Diplomatie und Taktieren im Umgang mit anderen sind ihm fremd.


    Fast wie ein Kind sagt er direkt, was er denkt und fühlt. Das ist natürlich nicht jedermanns Sache.


    Er wirkt dadurch bei Fremden arrogant und blasiert, zynisch und kühl.


    Andererseits hat er ein sehr sehr enges Verhältnis zu den Eltern und dem einzigen Bruder.


    Erst nach dem Tod der Eltern und der Heirat des Bruders lebt er allein, in seinem kleinen Haus mit Garten etwas außerhalb Paris ist er aber gerne Gastgeber. Seine Interessen sind vielfältig, mancher der Besucher muss dabei enttäuscht feststellen, daß die Gespräche manchmal so rein gar nichts mit Musik zu tun haben.


    Zu seinen wenigen Freunden und guten Bekannten zählen Männer wie Frauen, eine Beziehung ist er jedoch nie eingegangen.


    War er dahingehend zu schüchtern, zu reserviert oder hat er sich dabei nur dumm angestellt, sicher ist, daß er zwar Interesse am weiblichen Geschlecht hatte, aber die einzige Frau in seinem Leben dürfte die Mutter gewesen sein.


    Ein enttäuschter Suchender wie Beethoven war er aber nicht, auch kein Einzelgänger.


    Ravel ist in ständiger Gesellschaft, er gehört zur Pariser Avantgarde, ein Pariser Intellektueller seiner Zeit.


    Aus diesen manigfaltigen Erfahrungen und kulturellen Strömungen in der Großstadt, die er aufnimmt und in seiner ganz eigenen Art und Weise verarbeitet, entsteht die neue Musik.


    Neben der Vielfalt im Stil ist es das Wissen um die Instrumente selbst, deren klangliche Möglichkeiten er untersucht und bis zum Außersten treibt.


    Und dann sitzt er da, spielt wenige Töne und überlegt, was er daraus machen kann. Und so kommt - oft über Jahre - erst eins zum anderen.


    So erklärt er es einmal auf die Frage, wie er denn komponiere.


    Es grüßt


    Karl

  • Hallo,


    ein kleines, knapp 6 Minuten langes Klavierstück soll nun den Anfang machen, es ist eines der Frühwerke Ravels aus dem Jahre 1899:


    Pavane pour une infante défunte


    Bei Wiki liest man dazu:

    Zitat

    Ravel selbst beschrieb das Stück als „eine Erinnerung an eine Pavane, die eine kleine Prinzessin in alter Zeit am spanischen Hof getanzt haben könnte“; sie sei „keine Trauerklage für ein totes Kind, sondern eine Vorstellung von einer Pavane, wie sie vielleicht von so einer kleinen Prinzessin in einem Gemälde von Velázquez getanzt wurde“. Später erklärte er jedoch, den Titel letztlich allein wegen der Assonanz gewählt zu haben

    Die lange Liste der Einspielungen dazu füllt mein CD Regal, es ist gut und notwendig, sich möglichst viele Interpretationen anzuhören, denn schon hier zeigt sich eine Eigenart der Ravelschen Werke sehr deutlich.


    Das Werk muss geistig tief durchdrungen und verstanden werden, um aus dem Noten ein schlüssiges Gesamtkonzept herauszuarbeiten.


    Bei Ravel scheitern für mich viele - auch hochgepriesene Künstler - nicht selten, weil sie der innewohnenden Seele der Stücke nicht nahekommen.


    Wie geht man Pavane pour une infante défunte nun an, damit dieses kleine Kunstwerk das Herz des Zuhöreres so seltsam zart berührt?


    Nicht durch dahinschwelgendes Getöns, weder flott noch zu stark im Ausdruck.


    Die Kunst liegt für mich in einer schwierigen Balance aus einem anrührendem Werk, das einen mit Kinderaugen zuhören läßt (klingt etwas schräg, aber wir haben ein vertontes Bild bzw. Geschehen vor uns), aber nie ins Kitschige oder Sentimentale abgleiten darf. Das ist für den Pianisten ein Ritt auf der Rasierklinge, da ist jeder Tastenanschlag genauestens abzuwägen, um Leichtigkeit mit Anmut und Schönheit herauszuarbeiten.


    Ich kenne bisher nur eine einzige Aufnahme, die diese Vorgaben für mich erfüllt, die von:


    Juan José Chuquisengo


    juanjoschuquisengo3qjkm.jpg

  • Hallo,


    das nächste Kleinod aus der Frühzeit Ravels (1901) ist das ca. fünfminütige Klavierstück


    Jeux d’eau (französisch für „Wasserspiele“).


    Man darf lesen: Eine sogar Franz Liszts Werk übertreffende Darstellung des Klangspektrums des modernen Konzertflügels, unter anderem durch Ausnutzung auch der extremen Register.


    Eleganz und Leichtigkeit führen uns durch das gewählte Motto:


    Über das ihn kitzelnde Wasser lachender Flussgott.


    Und wie spielt man das dann?


    In meiner zwischenzeitlich recht ausufernden CD Sammlung über Ravel finde ich wiederum (wie bei

    Pavane pour une infante défunte) nur eine Aufnahme, die mich voll überzeut:


    Anne Queffelec


    annequeffelecmjkrz.jpg


    Diese Interpretation hat die Frische, Reinheit und Lebensfreude in sich, die ich mit klarem und sprudelndem Wasser gedanklich verbinde.


    Es grüßt


    Karl

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  • Hallo,


    nun komme ich zum Streichquartett in F-Dur.


    Maurice Ravel hat es seinem Lehrer Gabriel Fauré gewidmet.

    Ravel selber empfand sein erstes bedeutendes Kammermusikwerk als Abschluss der Studienzeit (1903), man darf es als sein "Gesellenstück" ansehen.


    Mit einer Dauer von knapp 30 Minuten stellt das Streichquartett seine bis dato auch umfangreichste Partitur dar.

    Der Komponist verläßt hier vertraute Pfade, der gelernte Pianist wendet sich den Streichinstrumenten zu. Es zeigt, wie selbstsicher und zuversichtlich der junge Ravel schon geworden ist, denn mit seiner Musik betritt er Neuland und darf nicht auf breite Zustimmung hoffen.


    Mit diesem Werk voller raffinierter Klangeffekte und rhythmischer Finesse bewirbt sich der 28-Jährige für den Prix de Rome. Es löst allerdings einen Eklat aus, weil es gegen tradierte Kompositionsnormen (an die Stelle eines zu erwartenden langsamen 2.Satzes tritt z.B. ein energisch-virtuoses Scherzo Assez vif – Très rythmé mit spanischem Flair) verstößt.


    Diese Rhapsodie ist ihrer Zeit ein Stück vorraus, obwohl Ravel weniger als Zerstörer, denn als Erneuerer traditioneller Formen und Techniken hervortritt.


    Heutzutage ein Klassiker für Streichquartette, dessen klangliche Schönheit zeitlos ist.


    Dazu 2 Anmerkungen:


    "Ravels Kunst strebte weder nach Leidenschaft noch nach Wahrheit, sondern wohl eher nach der ´Betrachtung des Schönen´, und zwar durch die Befriedigung des Geistes mittels der Freude des Hörens" (Arbie Orenstein).


    und


    "Ich erinnere mich an einen sehr schönen und guten Unterricht bei Herrn Kakuska vom Alban Berg Quartett vor vielen Jahren, wo er uns ausdrücklich gesagt hat - und das stimmt wirklich - dass man Ravel wie Mozart angehen muss, damit die Farben wirklich leuchten.

    Aber wieweit man in dem Stück runter gehen kann, wieweit man ausbrechen kann, dass kann man nur auf der Bühne ausprobieren, weil das wirklich Sachen sind, die man erfühlen und ausprobieren muss (Annette Reisinger)."


    Meine persönliche Empfehlung - bei einer Auswahl von 10 Einspielungen - ist:


    Cuarteto Casals



    cuartetocasalsnajz8.jpg


    Lebendigkeit und Spielfreude zeichnen die hervorragende Aufnahme aus, da können selbst die sonst bekannten Aufnahmen dieses Werkes nicht mithalten.


    Es grüßt


    Karl

  • Für mich sind das Ravel- und das Debussy-Quartett Juwelen! Keinerlei Spur von engem Streichquartett-Klang, sondern es gibt eine enorme orchestrale Farbigkeit. Deshalb sind beide Werke bestens geeignet finde ich, Hörer, die sonst das Streichquartett-Repertoire weniger mögen, dafür zu begeistern. Die Aufnahme des Cuarteto Casals interessiert mich auch, lieber Karl - nicht zuletzt wegen des Programms. Ich habe gestern mal so ein bisschen reingehört in ihre Aufnahmen. Sie spielen wirklich sehr mitreißend - manchmal vielleicht ein wenig zur Überengagiertheit neigend forciert - so jedenfalls mein Eindruck.


    Meine Lieblingsaufnahme ist die des Fine Arts-Quartetts- auch aufnahmetechnisch Top.


    Amazon-Link:


    [am]https://www.amazon.de/Debussy-…Ravel-Major/dp/B00DW0AXGG[/am]


    Ich habe das Scherzo des Debussy-Quartetts immer als Testtrack für Hifi-Komponenten dabei. :) Was mir bei dieser Aufnahme gefällt: Sie spielen ebenfalls sehr lebendig - aber ohne zu forcieren. Die Balance von französischem Esprit und Leben ("vif") und Klassizität stimmt.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Für mich sind das Ravel- und das Debussy-Quartett Juwelen!

    Dazu Theodor W. Adorno:

    Die Streichquartette Ravels und Debussys sind für ihn:

    "wesentlich koloristisch empfunden, kunstvoll paradoxe Übertragung von Farben, sei es der Orchesterpalette, sei es des Klaviers auf die vier Solostreicher. Ihr Formgesetz ist die statische Juxtaposition (Aneinanderfügung) von Klangflächen. Ihnen fehlt eben das, woran Kammermusik ihr Lebenselement hatte, die motivatorisch-thematische Arbeit oder ihr Nachhall, das, was Schönberg entwickelnde Variation nannte: der dialektische Geist eines sich aus sich heraus erzeugenden, negierenden, meist allerdings wiederum bestätigenden Ganzen."

    ("Einleitung in die Musiksoziologie", GS, Bd.14, S.275)

  • E

    Die Streichquartette Ravels und Debussys sind für ihn:

    "wesentlich koloristisch empfunden, kunstvoll paradoxe Übertragung von Farben, sei es der Orchesterpalette, sei es des Klaviers auf die vier Solostreicher. Ihr Formgesetz ist die statisc

    Diese sollte Chose redlicherweise ausführlicher zitiert werden: "... die weltberühmte gewordenen Quartette von Debussy und Ravel, Meisterstücke auf ihre Weise, fielen nicht eigentlich unter jenen nachdrücklichen Begriff. Das mag mag damit zusammenhängen,, daß sie selbst schon in einer Phase geschrieben wurden, in der er erschüttert war. Ihre Quartette sind wesentlich koloristisch.". etc. etc. etc..

    Denke über Ravels Quartett dockt m.E. an Ravel-Essay vor Weltkrieg II an:

    ".. Ravel hat zur Substanz, die ihm der Welt romantischen Scheins angehört, von Anbeginn das Zutraun verloren und atomisiert sie darum gar nicht erst [wie Debussy], sondern umgeht sie, umspielt sie, wendet sie neu und verflüchtet sie schließlich ins Nichts gleich einem Zauberkünstler. Darum kennt er in Wahrheit keine Entwicklung.... "

  • :D Gut, lieber Helmut, dass Du die Seite zitierst. Ich schaue mir das heute Abend bei Adorno mal an. Adorno ist mir hier aber einfach zu dogmatisch. Für ihn ist der Inbegriff des Streichquartetts offenbar die Tradition von Brahms und Schönberg, also die Tendenz zur Ersetzung musikalischer Architektonik durch musikalische Logik, d.h. ein dichtes Geflecht von "entwickelnder Variation", was das Formschema ausfüllt. (Dazu schrieb Schönberg ja auch seinen Aufsatz "Brahms der Fortschrittliche".) Ernsthaft müsste man sich da mit den klassizistischen Tendenzen auch im "Impressionismus" auseinandersetzen - und zu den Streichquartetten die Sonaten für Klavier und Violine, das Ravel-Trio etwa hinzunehmen. Adorno glaubte noch, man könne für eine Gattung ein ästhetisches Dogma aufstellen und dann quasi für die Musikkritik "vorschreiben" - da steht er in der Tradition von Eduard Hanslick. Nur: Was ist dann beispielsweise mit Stockhausens Helikopter-Quartett? Die Wege der Neuen Musik sind doch letztlich vielfältiger, als das sich Adorno vorstellte.


    Es gibt ja dazu die bezeichnende lustige Anekdote, als in Darmstadt Adorno den erkrankten Schönberg vertrat und die junge Generation ihre seriellen Werke aufführte. Adorno war irritiert und fragte: "Wo ist denn da Vordersatz und Nachsatz?". Darauf stand ein damals völlig unbekannter Musikstudent auf und antwortete: "Herr Professor, sie suchen nach dem Huhn im abstrakten Bild!". Der unbekannte Student war Karlheinz Stockhausen. :)


    Schöne Grüße

    Holger

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