Liebe Melomanen,
die Pionierarbeit, die der deutsche Rundfunk bei der musikalischen 'Volksbildung' geleistet hat, wird heutzutage kaum gewürdigt, wahrscheinlich auch, weil dieses Medium im Alltag der Menschen seine ursprüngliche dominante Rolle längst an das Fernsehen und das Internet verloren hat.
Erst mit Einführung der Langspielplatte (in der BRD seit 1952) war es möglich, komplette Bühnenwerke für den 'Hausgebrauch' zu konservieren; Tonbandgeräte in privatem Besitz zwecks Mitschneiden von Radiosendungen waren damals sehr selten. Während der Rundfunk schon seit den 30er Jahren über ein umfangreiches Archiv an Tonaufnahmen verfügen konnte, musste die Schallplattenindustrie erst einen entsprechenden 'Katalog' vollständiger Opern und Operetten aufbauen und bevorzugte natürlich gängiges, gut verkaufbares Repertoire. Der Nachkriegs-Rundfunk war von solchen Marktstrategien nicht abhängig und konnte so auch abgelegene Werke berücksichtigen, insbesondere solche, die im Dritten Reich boykottiert wurden.
Dafür benötigte man aber auch Sänger, die bereit waren, für wenig Geld und kaum Aussicht auf weitreichende Popularität ihre Partien speziell nur für diesen einen Zweck zu lernen. Denn die Aufnahmen wurden - bedingt durch die großflächige Aufteilung des westdeutschen Rundfunks in ursprünglich sieben Sendegebiete - nur ein paar Mal im lokalen Bereich gebracht, selten wurden Produktionen unter den Sendern ausgetauscht. Auch war der überregionale Mittelwellenempfang einzelner Sender trotz Antennenverstärkung bis in die späten 50er Jahre noch längst nicht störungsfrei. (Die Situation des ostdeutschen Rundfunks in der DDR kann ich nicht beurteilen.)
Einige bewährte und viel beschäftigte Kräfte wie z. B. Margot Guilleaume, Anneliese Rothenberger, Anny Schlemm , Herta Talmar, Christo Bajew, Franz Fehringer, Herbert Ernst Groh, Willy Hofmann, Helmut Krebs, Horst Günter, Heinz Maria Lins, Benno Kusche und Otto von Rohr wurden sogar zu speziellen Rundfunksängern und wurden mit ihren 'Haussendern' identifiziert. (Lediglich der Bayerische Rundfunk legte sich von Anfang an nicht auf bestimmte Künstler fest, was dessen Aufnahmen in der Rücksicht auch wegen dieser Besetzungspolitik sehr hörenswert macht.)
Die Schallplattenbranche verfolgte zwar das gleiche Ziel und bemühte sich, Sänger aufzubauen und sie in ihren (anfangs schmaleren) 'Katalog' zu integrieren. Allerdings erreichte man durch die feste Bindung einiger erfolgversprechender Künstler mittels Exclusivverträgen, dass in manchen Fällen deren aufkommende Popularität überschätzt wurde und sie durch ihre Omnipräsenz – und jederzeitige Verfügbarkeit via Schallplatte - für den Konsumenten, wenn er nicht gerade ein Verehrer des Sängers war, weniger interessant waren.
Zu den Stimmen, die Anfang der 50er Jahre in einigen interessanten Opern-Projekten des Rundfunks – hauptsächlich in München und Hamburg, gleichzeitig Orte ihrer Festengagements an den jeweiligen Opernhäusern – zu hören war, gehört auch der Sopran der Ungarin Valerie Bak. Geboren am 19. 7. 1914 als Valérie Korpás in Budapest und dort sechs Jahre lang an der Musikhochschule 'Franz Liszt' zur Opern- und Konzertsängerin und Gesangspädagogin ausgebildet, gab sie ihr Debüt 1944 an der Budapester Staatsoper.
Die Kriegsereignisse führten sie – zusammen mit ihrem Mann, dem Komponisten und Pianisten Ludwig (Lajos) Bak – nach München, wo sie ihr Gesangsstudium fortsetzte und 1946 schon erste Aufnahmen beim Bayerischen Rundfunk machte. Am Stadttheater Augsburg, dem damaligen 'Ludwigsbau', sang sie ab 1949 in zwei Jahren 14 Partien ihres Fachs, bevor sie 1951 Festverträge mit der Bayerischen Staatsoper München (bis 1953) und der Hamburgischen Staatsoper - zu deren Ensemble sie bis 1955 gehörte - abschloss. Nach einem umjubelten Auftritt als 'Königin der Nacht' 1953 in Düsseldorf unterschrieb sie dort zunächst einen Abendvertrag und blieb von 1957 bis zu ihrem Bühnenabschied 1971 Mitglied des Ensembles der Deutschen Oper am Rhein (wie man sich nach dem Zusammenschluss der Opernhäuser von Düsseldorf und Duisburg ab 1956 nannte), wo ich sie noch einige Male in (altersbedingt) kleineren Rollen gesehen habe.
Bereits 1951 und 1952 gastierte Valerie Bak in London (Covent Garden); Auftritte in Birmingham, Glasgow, Dublin und Edinburgh (Gastspiel der Hamburgischen Staatsoper) folgten. In Italien (Venedig, Genua, Rom und Florenz), Barcelona und Lissabon war sie wie auch an vielen mitteleuropäischen Opernhäusern zu Gast; 1954 sang sie in Rio de Janeiro. Nur die Wiener Staatsoper, die Mailänder Scala und die Grand Opéra in Paris blieben ihr verschlossen.
Von 1969 an (ab 1974 als Professorin) gab sie am nach Robert Schumann benannten Konservatorium in Düsseldorf 21 Jahre lang ihr Wissen an Gesangsstudenten weiter. Am 9. 12. 2005 ist sie in der NRW-Landeshauptstadt gestorben und wurde dort auch an der Seite ihres Mannes beigesetzt. Ihren musikalischen Nachlass hat sie ihrer ungarischen Verwandtschaft in Szeged und Budapest vermacht.
Valerie Baks hell und jugendlich klingende Stimme – ein zwar nicht sehr individueller, aber virtuos geführter, lyrisch grundierter Koloratursopran, der bis in das dramatische Fach reichte - wurde ergänzt durch eine elegante Bühnenerscheinung und glaubwürdige Darstellung. Die Sängerin war neben ihren zahlreichen Auftritten als Konstanze (“Die Entführung aus dem Serail”), Königin der Nacht (“Die Zauberflöte”), Gilda (“Rigoletto”), Violetta Valéry (“La Traviata”) und Zerbinetta (“Ariadne auf Naxos”) auch eine gefragte Interpretin zeitgenössischer Musik. So hat sie nicht nur bei den Münchner Rundfunkaufnahmen von Werner Egks “Zaubergeige” und “Circe” mitgewirkt, sondern sie sang auch 1952 in der Erstaufführung seines “Peer Gynt” an der Bayerischen Staatsoper die Rolle der Solveig neben Hermann Uhde; in allen drei Opern stand der Komponist am Dirigentenpult. (Eine oft von Hörern des NDR gewünschte Aufnahme waren die “Koloratur-Variationen über ein altes Wiener Strophenlied”, das Werner Egk 1937 für Erna Berger als Einlage-Arie für den “Barbier von Sevilla” komponierte und das in Valerie Baks Interpretation auf YouTube zu hören ist.)
Zu den Dirigenten , mit denen die Sängerin musizierte, zählen u. a. Otto Ackermann, Eugen Jochum, Hans Knappertsbusch, Josef Krips, Bruno Maderna, Bernhard Paumgartner, John Pritchard, Wolfgang Sawallisch, Hermann Scherchen , Georg Solti und auch der junge Carlos Kleiber. Den allmählichen Wechsel ins lyrische Fach vollzog sie klug und erfolgreich mit Rollen wie der Pamina, der “Figaro”-Gräfin, der Fiordiligi, der Donna Elvira, der Mimi, der Nedda, Smetanas Marie in der “Verkauften Braut” und als Rosalinde in der “Fledermaus” sang sie den Csárdás natürlich in ihrer Muttersprache. Da die beiden großen Opern ihres Landsmannes Ferenc Erkel (“Hunyadi László” und “Bánk bán”) ausserhalb Ungarns leider kaum aufgeführt werden - sie enthalten dankbare große Frauenrollen – konnte Valerie Bak in ihren Konzerten lediglich mit der virtuosen 'Hochzeits-Arie' der Mária Gara (“Ah, szememben mámor, s öröm ragyog / Ah, das Auge strahlt vor Wonne”) aus der erstgenannten Oper glänzen. Auch für das Liedschaffen von Liszt, Bartok und Kodály hat sie sich eingesetzt. Und unvergessen ist die Sängerin auch durch die Hauptrolle in der ersten großen Operninszenierung des jungen westdeutschen Fernsehens: “La Traviata” im Jahre 1953.
Ab der kommenden Woche werde ich die mir bekannten Aufnahmen von und mit Valerie Bak auflisten.
Viele Grüße!
Carlo