Robert Schumann: „Myrthen“, op.25, ein musikalisches Hochzeitsgeschenk

  • Betr.: "Niemand", op.25, Nr.22. Anmerkungen zur Faktur der Komposition und zu ihrer liedmusikalischen Aussage

    (Einführung und Aufnahme zu diesem Lied am Ende der vorangehenden Seite)


    Im zweitaktigen Vorspiel lässt das Klavier, und dies forte, mit zwei- und dreistimmigen Akkorden im Diskant das melodische Grundmotiv erklingen, das von der Singstimme auf den ersten beiden Versen vorgetragen wird. Im Bass folgen Oktaven zunächst dieser Bewegung, im zweiten Takt beschreiben sie jedoch eine gegenläufige Bogenbewegung und verengen sich am Ende im Intervall erst zu einer Septe und dann zu einer Terz. Schon hier verrät die Liedmusik den großen Klavierkomponisten Schumann, und im Nachspiel geschieht dies auf wesentlich komplexerer Weise noch einmal. Das melodische Grundmotiv entfaltet in seiner strukturellen Einfachheit – und vielleicht ja gerade durch sie – große Eindrücklichkeit, und da die ganze Melodik ja im Grunde aus Variationen desselben besteht, vermag sie ihre Hörer regelrecht in Bann zu schlagen.

    Was die Struktur dieses melodischen Motivs anbelangt, so stellt sie sich dar als eine zweimalige, beim zweiten Mal um eine kleine Terz tiefer ansetzend Aufstiegsbewegung der melodischen Linie, der ein wellenartiger, dabei im Intervall sich verkleinernder Fall nachfolgt. Das Klavier folgt dieser Bewegung mit zwei- und dreistimmigen Akkorden im Diskant, die sich als Wiederkehr des Vorspiels darstellen, und die Harmonik beschreibt – wie dort – eine Rückung von F-Dur nach B-Dur und kehrt von dort über die Dominante C-Dur zur Tonika F-Dur zurück. Und was den Klaviersatz betrifft: Diesen Gestus, der melodischen Linie in ihren deklamatorischen Schritten im Diskant exakt zu folgen, behält das Klavier durchweg und bis zum Ende der Strophe bei.

    Bei den Worten „Nicht Hahnrei will ich sein, zum Hahnrei mach' ich Niemand“ beschreibt die melodische Linie in strukturell identischer Weise die Bewegung auf dem ersten Verspaar noch einmal. Die Variation besteht aber darin, dass sie, nun eine Sekunde tiefer ansetzend, den ersten Anstieg, also den auf „nicht Hahnrei“ über größere Intervalle (nun Quarte und Terz, statt Sekunden) vollzieht und der zweite nicht aus einem verminderten Sextfall, sondern nur aus einem über eine kleine Sekunde heraus erfolgt, was einen Aufstieg der melodischen Linie in deutlich höhere Lage und eine Steigerung ihrer Expressivität zur Folge hat. Und damit geht einher, dass die Harmonik sich nun auf der Grundlage der Dominante C-Dur entfaltet und bei der zweiten melodischen Aufstiegsbewegung sogar eine Rückung nach d-Moll beschreibt, die sie fast bis zum Ende dieser zweiten Melodiezeile beibehält. Erst bei dem Wort „Niemand“ am Ende ereignet sich eine Rückung von einem nun als Dominante fungierenden G-Dur nach C-Dur. Diese Moll-Harmonisierung der melodischen Grundfigur will wohl, so möchte man das verstehen, zum Ausdruck bringen, dass dieses lyrische Ich seine selbstbewussten Äußerungen in einer durchaus reflektierten Weise vorbringt.

    Wie bei den ersten beiden Verspaaren, so ereignet sich bei den nächstfolgenden der Strophe eine Wiederkehr der melodischen Linie in variierter, auf eine Steigerung der Expressivität abzielender Gestalt. Zudem stellt sie in der Figur, die sie nun beschreibt, eine Verwandte derjenigen dar, die auf dem ersten Verspaar liegt, ist gleichsam eine Fortführung derselben, was der Liedmusik die innere Geschlossenheit verleiht, wie sie typisch für die Volksliedstrophe ist. Nun setzt die Melodiezeile, und das ist neu, nicht mit einer zweifachen Anstiegsbewegung, sondern mit einer Tonrepetition ein, im Anschluss daran geht sie aber in genau den gleichen wellenartigen, in einem Auf und Ab sich vollziehenden Fall über, den sie schon bei ersten Verspaar beschrieben hat. Auf den Worten „Ein Säckchen Gold ist mein“ liegt eine dreifache Tonrepetition auf einem „A“ in mittlerer Lage, die danach, auf dem Wort „Gold“ in einen verminderten und leicht gedehnten Sekundanstieg übergeht, der sich in zwei weiteren, nun großen Sekundschritten fortsetzt. Wieder vollzieht das Klavier dies, nun mit Terzen, im Diskant mit, und die Harmonik beschreibt eine Rückung von D-Dur nach g-Moll.

    Bei den Worten „Doch dafür dank' ich Niemand“ senkt sie sich nach einem anfänglichen Terzsprung über eine Sekunde und eine verminderte Quarte bis zu einem „Fis“ in unterer Mittellage ab, um nach einem Terzsprung über einen Sekundfall auf einem „G“ in mittlerer Lage zu enden. Hier beschreibt die Harmonik erneut die Rückung von D-Dur nach g-Moll, und das gleich zwei Mal. Ganz offensichtlich hat Schumann ganz bewusst auf alle Verse, die auf das Wort „Niemand“ enden, die strukturell gleiche melodische Figur gelegt, und dies, um ihnen in ihrer Funktion als lyrischer Aussage-Kern den gebotenen Nachdruck zu verleihen. Und beim letzten Verspaar geschieht nun das gleiche wie beim zweiten: Die melodische Linie beschreibt ihre Bewegungen noch einmal, nun aber auf einer um eine Terz angehobenen Form und sowohl im Anstieg, als auch beim nachfolgenden wellenartigen Fall größere Intervalle in Anspruch nehmend. Ein für die Aussage durchaus gewichtiger Unterschied besteht zur Liedmusik auf dem zweiten Verspaar doch: Nun verbleibt die Harmonik durchweg im Bereich des Tongeschlecht Dur und beschreibt Rückungen auf der Basis der Grundtonart F-Dur hin zur Unter- und Oberdominante. Darin drückt sich die Entschiedenheit aus, die Schumann in den Äußerungen des lyrischen Ichs am Strophenende vernommen hat.

    Bleibt noch das Nachspiel. Im Unterschied zum Vorspiel nimmt es nicht nur zwei, sondern vier Takte in Anspruch, und es hat etwas anderes, durchaus eigenes zu sagen. Während das Vorspiel sich darauf beschränkt die melodische Grundfigur vorzugeben, will das Klavier – in typischem Schumann-Gestus - im Nachspiel die melodische Aussage kommentieren. Das geschieht in Gestalt einer kontinuierlichen Fallbewegung von Figuren aus bitonalen, sich im Intervall verengenden Achteln und Sechzehnteln, wobei sich fortlaufend harmonische Rückungen aus der Tonika zur Dominante und im letzten Stadium auch zur Subdominante ereignen. Dort geht das Klavier, das bislang im Bass mit Akkorden begleitete, nun auch, den Schluss der Diskant-Fallbewegung akzentuierend, zu einer gegenläufigen Achtelbewegung über.


    Wie will dieser Nachspiel-Kommentar, der ja einer zu beiden Strophen ist, verstanden werden? Als Infrage-Stellen des forschen Selbstbewusstseins, mit dem das lyrische Ich gerade auftrat? Auch wenn die Fallbewegung der klanglichen Figuren das nahelegen könnte, man nimmt sie nicht so wahr. Dazu ist sie zu gradlinig und weist keinerlei harmonische Brechung auf.
    Es ist wohl eher als eine Art abschließende Bekräftigung der Haltung dieses lyrischen Ichs, was man da vernimmt.

  • „Im Westen“, op.25, Nr.23

    Ich schau' über Forth hinüber nach Nord:
    Was helfen mir Nord und Hochlands Schnee?
    Was Osten und Süd, wo die Sonne glüht,
    Das ferne Land und die wilde See?

    Aus Westen winkt, wo die Sonne sinkt,
    Was mich im Schlummer und Traume beglückt;
    Im Westen wohnt, der mir Liebe lohnt,
    Mich und mein Kindlein an´s Herz gedrückt!

    (Robert Burns, übersetzt von Wilhelm Gerhard)

    Sehnsüchtig-liebevolles Gedenken an den Liebsten im metaphorischen Spiel mit den Weiten des Himmels in seinen Richtungen bringen diese Verse zum Ausdruck, und das in einer schlichten, jegliche affektive Überladenheit meidenden und auf Direktheit ausgerichteten Sprachlichkeit, die sie zu einer gültigen poetischen Aussage werden lässt. Es lag für Schumann nahe, zu ihnen zu greifen, als er sich mit dem Gedanken trug, seiner geliebten Clara ein ganzes Lied-Opus zu widmen. Die musikalische Sprache, die er dafür fand, mutet wie ein vollkommen adäquates Pendant zu jener lyrischen Sprache an, in die Wilhelm Gerhard die Burns-Verse übertragen hat: Einfach und schlicht in ihrer deklamatorischen Struktur und klar und direkt in ihrer Aussage.

    Ein Sechsvierteltakt liegt der Liedmusik zugrunde, und Schumann hat es – ihren Charakter bedenkend – für geboten gehalten, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass sie „einfach“ vorgetragen werden muss. Harmonisiert ist sie, wie könnte es anders sein, im Tongeschlecht Dur, und zwar F-Dur, das sich in seiner Funktion als Grundtonart in seinen Rückungen auf die beiden Dominanten beschränkt. Aber da die Melodik in ihrer Struktur darauf ausgerichtet ist, das den lyrischen Aussagen immanente affektive Potential zu erfassen, kann das Tongeschlecht Dur mit dem ihm eigenen Ausdruckspotential nicht immer hinreichend sein. Und so tritt dort, wo das lyrische Ich die Himmelsgegend trotz ihrer naturhaften Schönheit als leer empfindet, weil in ihrer Ferne der Geliebte nicht weilt, das Tongeschlecht Moll in die Liedmusik.

    Das ist beim zweiten Verspaar der ersten Strophe der Fall. Die melodische Linie ist hier in a-Moll harmonisiert, das mehrfach Rückungen zu seiner Dominante E-Dur beschreibt. Und am Ende bewirkt das Bild von der „wilden See“ gar, dass der vorangehende und mit einem Crescendo versehene Anstieg der melodischen Linie in h-Moll harmonisiert ist, das anschließend nicht etwa über die Dominante E-Dur, sondern unvermittelt in das in diesen beiden Versen als Tonika fungierenden a-Moll übergeht.


  • Anmerkungen zur Faktur der Komposition und zu ihrer liedmusikalischen Aussage

    Bei all der, von Schumann ja regelecht explizit gemachten, „Einfachheit“ der Liedmusik deckt der Blick auf ihre Harmonik deren gar nicht so einfache Hintergründe auf. Und diese zeigen sich auch darin, dass Schumann, eben um die Komplexität der textlichen Aussage und das darin sich manifestierende emotionale Potential des lyrischen Ichs zu erfassen, der Komposition nicht nur kein Strophenlied-Konzept zugrunde gelegt, sondern die Liedmusik der zweiten Strophe sogar auf markante Weise von der der ersten abgesetzt hat, - dies freilich nicht in Gestalt eines Bruchs mit dieser, sondern im Sinne einer Erweiterung und Bereicherung durch ihre Fortführung in neue Dimensionen. Nicht nur die Melodik entfaltet sich nun auf der Grundlage neuer deklamatorischer Figuren, auch der Klaviersatz weist eine andere Struktur auf. Gleichwohl ist es das gleiche lyrische Ich, das sich hier äußert, und Schumann macht dies auf höchst subtile Weise sinnfällig: Das F-Dur fungiert zwar weiterhin als Tonika, dies jedoch unter der Regie der markant, nämlich in der Septimversion als Dominante auftretenden Tonart „C“. Die Melodik auf dem so anrührenden Schlussbild vom „Aufs-Herz-gedrückt-Sein“ erfährt in der Rückkehr zur Tonika auf diese Weise ganz besondere Eindringlichkeit.

    Was den Aspekt „Einfachheit“ anbelangt, so zeigt er sich darin, dass Schumann die melodische Linie in beiden Strophen sich periodisch aus einer Grundfigur entfalten und den Klaviersatz in akkordischer Gestalt ihr darin folgen lässt. Dies allerdings nur in der ersten Strophe, denn in der zweiten artikuliert sich das Klavier im Diskant in Achtelfiguren, die als arpeggienhafter Bogen und als Auf und Ab von bitonalen Akkorden und Einzeltönen angelegt sind. Ohne Vorspiel setzt die melodische Linie in Gestalt einer – vom Klavier mit Terzen im Diskant mitvollzogenen - auftaktigen Tonrepetition auf den Worten „Ich schau“ ein. Danach beschreibt sie sie bei „über“ in einen zweifachen Terzfall, und diese Bewegung vollzieht sie bei den nachfolgenden Worten „hinüber nach“ in der tonalen Ebene um eine Sekunde abgesenkt gleich noch einmal.
    Dieser Gestus des Sich-Wiederholens in der deklamatorischen Bewegung ist für die Liedmusik ganz typisch. Sie ereignet sich von Anfang bis Ende immer wieder, und man kann das sehr wohl als melodischen Niederschlag der Nachdrücklichkeit verstehen, mit der das lyrische Ich, so wie Schumann es in diesen Burns-Versen aufgefasst hat, seine um den fernen Geliebten kreisenden Gedanken und Gefühle zum Ausdruck bringt.

    Die auf den Worten „was helfen mir Nord“ liegende und aus einer Tonrepetition hervorgehende Aufstiegsbewegung der melodischen Linie wiederholt sich in leicht variierter Gestalt auf den Worten „und Hochlands Schnee“ noch einmal, und das gilt auch für die Worte „was Osten und Süd“ und „wo die Sonne glüht“. Es ist im Grunde die gleiche, in Sekundschritten sich vollziehende Anstiegsbewegung, nur dass sie sich nun auf einer um eine Terz angehobenen tonalen Ebene ereignet und nicht in der Tonika und ihrer Dominante, sondern nun in a-Moll mit Rückung nach E-Dur harmonisiert ist. Diese sich in nur geringfügiger Variation der gleichen Grundfigur ereignende Entfaltung der melodischen Linie hat durchaus ihre Berechtigung, denn das lyrische Ich bringt in den ersten drei Versen der ersten Strophe das immer Gleiche zum Ausdruck: Dass Nord und Süd und Ost ihm „nichts helfen“, da dort der Liebste nicht weilt.

    Erst mit dem letzten Vers geht die melodische Linie zu figural neuen Bewegungen über und entfaltet dabei gesteigerte Expressivität. Bei den Worten „das ferne Land“ beschreibt sie einen Fall aus oberer in mittlere Lage, der über zwei Terzen erfolgt und im ersten Schritt in gedehnter Gestalt und legato ausgeführt wird. Diese Bewegung ist in a-Moll harmonisiert und wird vom Klavier in Form von dreistimmigen Akkorden im Diskant mitvollzogen. Die Worte „und die wilde See“ beflügeln die melodische Linie dann aber zu einem – mit einem Crescendo versehenen – Anstieg erst über eine Sekunde, dann über eine Terz, wobei die Harmonik eine Rückung nach h-Moll beschreibt. Sie geht – und das nun ritardando – in einen gedehnten verminderten Quartfall über, der in a-Moll harmonisiert ist, und diesem folgt ein kleiner Sekundsprung nach, der in eine lange, weil mit einer Fermate versehenen Dehnung auf dem Wort „See“ mündet. Es ist ein „A“ in mittlerer Lage, und das wird vom Klavier mit einem ebenfalls fermatierten sechsstimmigen a-Moll-Akkord begleitet.

    Der Blick nach Westen erfüllt das lyrische Ich mit beglückenden Gefühlen. Um sie kreisen alle Verse der zweiten Strophe, und Schumann greift ihre Aussagen mit einer Liedmusik auf, die sich in der Beschwingtheit, die sie nun entfaltet, deutlich von der der ersten Strophe abhebt. Man meint in ihr die innere Beseligung und das tiefe Beglückt-Sein des lyrischen Ichs im Gedenken an den Geliebten zu vernehmen und fühlt sich angerührt davon. Vor allem die Melodik ist dafür verantwortlich, und in dem klanglichen Zauber, der von ihr ausgeht, wird sie vom Klavier von aus tiefer Lage in hohe ansteigenden und wieder fallenden Achtel-Arpeggien im Diskant und arpeggierten Akkorden unterstützt.

    Auch hier wendet Schumann das Prinzip der Wiederholung von melodischen Figuren an. Eine, die auf den Worten „aus Westen winkt“ erstmals erklingt, wird noch drei weitere Male deklamiert, nämlich auf den Worten „wo die Sonne sinkt“, „im Westen wohnt“ und „der mir Liebe lohnt“. Sie bringt eine den Geist innerer Beseligung ausdrückende Beschwingtheit in die Liedmusik, denn sie besteht aus einem auf eine Tonrepetition folgenden leicht gedehnten Legato-Sekundsprung, dem ein weiterer nachfolgt, der dann über einen Quintfall in eine lange Dehnung übergeht. Durch einen harmonischen Kunstgriff intensiviert Schumann die Anmutung von Beschwingtheit, die dieser melodischen Figur innewohnt: Sie ist in allen Fällen in der Septim-Version der Dominante, also der Tonart „C“, harmonisiert, die hinführt zu dem F-Dur, in das die zweite, die jeweils nachfolgende melodische Figur gebettet ist.

    Sie liegt auf den Worten des zweiten und des vierten Verses, wiederholt sich aber im Unterschied zur ersten nicht in identischer Gestalt. Vielmehr nutzt Schumann – und das wieder auf höchst kunstvolle Weise – hier die Möglichkeit, mit den Mitteln der Variation eine Steigerung der Expressivität in sie zu bringen, die dem lyrischen Schluss-Bild, jenem vom „ans Herz drücken“, hohe liedmusikalische Eindrücklichkeit verleiht. Beim zweiten Vers, also bei den Worten „Was mich im Schlummer und Traume beglückt“, beschreibt die melodische Linie eine zweimalige, in mittlerer Lage sich ereignende und beim zweit Mal eine Terz tiefer ansetzende ruhige, weil ausschließlich in Viertelnoten-Schritten erfolgende Anstiegsbewegung, die danach in ein ritardando vorzutragendes Auf und Ab mit Dehnung am Ende übergeht. Das Klavier begleitet das mit ebenfalls einem Auf und Ab von bitonalen Achtel-Akkorden und Einzelachteln im Diskant, und auch hier bewirkt die Harmonik eine Steigerung der Eindringlichkeit dieser melodischen Figur: Bei dem in eine Dehnung übergehenden Sekundfall auf dem Wort „beglückt“ vollzieht sie nämlich eine Rückung in die Dominante C-Dur.

    Beim letzten Vers erfährt diese melodische Figur eine bemerkenswerte, weil ihr hohe Expressivität verleihende Abwandlung. Aus dem Sekundanstieg, der im zweiten Vers auf den Worten „mich im“ und der ersten Silbe von „Schlummer“ liegt, wird nun einer, der sich über zwei deklamatorische Terzschritte über das Intervall einer Sexte erstreckt, die melodische Linie bei dem Wort „Kindlein“ in hohe Lage führt, und sie danach auf dessen zweiter Silbe in einen ausdrucksstarken Sextfall übergehen lässt.

    Eine zauberhafte, Volksliedgeist atmende melodische Figur folgt auf den Worten „ans Herz gedrückt“ nach. Die melodische Linie senkt sich zu „Herz“ hin um eine Terz ab, geht auf diesem Wort in eine lange, mit einer Fermate versehene Dehnung auf der Quinte zur Dominante C-Dur über und endet, nach einem Sekundfall und nun in der Tonika F-Dur harmonisiert, auf einer in eine Dehnung übergehenden Repetition des Grundtons auf dem Wort „gedrückt“, wozu das Klavier einen vierstimmigen gedehnten F-Dur-Akkord beiträgt.

    Ein Nachspiel gibt es nicht. Dieser Liedschluss ist zu vielsagend, als dass er noch eines benötigte.

  • „Du bist wie eine Blume“, op.25, Nr.24


    Du bist wie eine Blume,

    So hold und schön und rein;
    Ich schau’ dich an, und Wehmut
    Schleicht mir ins Herz hinein.

    Mir ist, als ob ich die Hände
    Aufs Haupt dir legen sollt’,
    Betend, daß Gott dich erhalte
    So rein und schön und hold.

    (Heinrich Heine)


    Diese Verse von Heine haben nicht ohne Grund viele Komponisten, etwa zweihundert sind es wohl, zu einer Vertonung geradezu herausgefordert. Nicht nur ihre lyrisch-sprachliche Klanglichkeit dürfte dafür verantwortlich sein, auch ihre metaphorische Zartheit wirkt geradezu verlockend. In vielen Fällen mündete sie in eine klanglich süßliche Liedmusik. Schumann ist dieser Verführung allerdings nicht erlegen. Es soll seine erste Liedkomposition überhaupt sein. Dies berichtet jedenfalls Johannes Brahms. An Clara schreibt er am 21. August 1854: „Ihr Mann hat dem Fräulein Remont in dem Schererschen Liederbuch alle Lieder gezeigt, die er früher komponiert hat. Unter anderem sagte er, das Lied <Du bist wie eine Blume< sei sein erstes gewesen. Dem ist ja so.“


    Was dieses Gedicht Heines zu wirklich großer Lyrik macht, das ist das subtile Spiel zwischen liebevoll lobpreisender Annäherung des lyrischen Ichs an das Du bei gleichzeitiger Scheu davor, die der verehrenden Haltung innewohnende Distanz aufzugeben. Die lyrischen Bilder preisen, und indem sie das mit äußerster Behutsamkeit tun, wird die Geliebte in geradezu mariologische Höhe eines blumenhaft zarten, schönen und letzten Endes fernen und unerreichbaren Wesens gesteigert. Bezeichnend ist, dass die einzige, im Gestus des handauflegenden Segnens erfolgende Imagination einer Annäherung in die sprachliche Form des fiktionalen „Als ob“ gestellt ist.


    Was Schumann, wie wohl all die anderen Komponisten, in Bann geschlagen und zur Vertonung herausgefordert haben dürfte, das ist Heines subtiles poetisches Spiel mit dem klanglichen Aspekt lyrischer Sprache. Die dunklen Vokale „u“, „o“ und der Diphthong „au“ treten in eine reizvolle Spannung zu dem „i“, das ihnen immer wieder, etwa in der Wortkombination „mir ist“ entgegentritt. Bei der Wortfolge „so hold und schön und rein“ ereignet sich eine klangliche Aufhellung des dunklen Vokals „o“ über den Umlaut „ö“ hin zum hellen Diphthong „ei“. Und durch die metrische Anlage der Verse können die für die lyrische Aussage maßgeblichen Worte, wie etwa „Wehmut“, ihre das semantische Potential bergende Klanglichkeit voll entfalten. Die frühen Publikationen des Liedes weisen übrigens einen Fehler auf, der Schumann, wie das Manuskript ausweist, im Zugriff auf Heines lyrischen Text unterlaufen sein muss. In der mir vorliegenden Kopie der Original-Ausgabe heißt es im zweiten Vers der ersten und im letzten Vers der zweiten Strophe unsinnigerweise, weil Heines Reimung verletzend: „so schön, so rein und hold“.


    Der Liedmusik liegt ein Zweivierteltakt zugrunde, und sie soll „langsam“ vorgetragen werden. Prägend für ihren, sie zur wohl beliebtesten Liedkomposition Schumanns machenden klanglichen Charakter sind die Häufigkeit melismatischer Figuren im Bereich der Melodik, die der melodischen Linie folgenden und ihr gleichsam ein klangliches Bett bereitenden Sechzehntel-Akkordrepetitionen im Klaviersatz, der dann doch in der zweiten Strophe in ein dialogisches Verhältnis zur Melodik tritt, und schließlich der Reichtum an harmonischer, beide Tongeschlechter einbeziehender Modulation. Dies alles aber, und eben darin die klangliche Faszination des Liedes ausmachend, in einer ihr kompositorisch-artifizielles Wesen ganz und gar verbergenden, weil in der Melodik kantabel-fließenden, in der harmonischen Modulation eng gebundenen und in der klanglichen Substanz des Klaviersatzes den dialogischen Kontrast meidenden Präsentation, - und eben darin die spezifische Metaphorik des lyrischen Textes auf geradezu vollkommene Weise im Raum und auf der Ebene der Liedmusik aufgreifend.





  • Anmerkungen zur Faktur der Komposition und zu ihrer liedmusikalischen Aussage

    Mit Sechzehntel-Akkordrepetitionen in der Grundtonart As-Dur setzt das eintaktige Vorspiel ein. Diese Akkordrepetitionen, die zumeist in Gestalt von Vierergruppen erfolgen, bilden die Grundstruktur des Klaviersatzes im Diskant, sie ereignen sich in der zweiten Strophe auch im Bass. Dort aber gibt das Klavier bei den letzten beiden Versen dieses Prinzip der Begleitung der Singstimme auf und tritt in Gestalt von Achtel- und Sechzehntel-Figuren in einen Dialog mit der melodischen Linie. Ohnehin besteht die Hauptfunktion des Klaviersatzes in diesem Lied zwar darin, der melodischen Linie der Singstimme ein sie tragendes klangliches Fundament zu bieten, darin erschöpft er sich aber nicht. Hinzu kommt, dass er ihre Aussage auch akzentuiert, indem die Akkorde ihren Bewegungen in die Lage folgen, in der sie die deklamatorischen Schritte vollzieht. Schließlich geht es dann auch dazu über, ihre Aussagen in ihren semantischen Dimensionen auszuloten, indem es bei der melodischen Linie auf den Worten „Betend, daß Gott dich erhalte / So rein und schön und hold“ mit einer gegenläufig angelegten Folge von Sechzehntel- und Achtelfiguren in Diskant und Bass die Innigkeit des Gebets klanglich evoziert und schließlich im viertaktigen Nachspiel auch noch kommentiert.

    Was die Melodik dieses Liedes so faszinierend und ergreifend macht, das ist die tiefe Innigkeit zum Ausdruck bringende Verhaltenheit der Emphase, die man in ihr vernimmt. Sie reflektiert auf überzeugende Weise die aus der Polarität von liebevoller Nähe und verehrend-lobpreisender Distanz hervorgehende Haltung des lyrischen Ichs gegenüber dem Du. Gleich die melodische Linie auf den ersten beiden Versen verkörpert das in exemplarischer Weise. Aus ihrem auftaktigen Einsatz geht sie mit einem Sekundfall in eine Dehnung auf Wort „bist“ über, die deshalb so große klangliche Eindrücklichkeit entfaltet, weil sie mit einer Rückung in die Subdominante Des-Dur verbunden ist und überdies auf einem lyrischen Wort liegt, das sich infolge der den Vokal „i“ erdrückenden Folge von Dental-Lauten eigentlich nicht für eine melodische Dehnung eignet. Schumann aber hat das Wesen dieses lyrisch-sprachlichen Operierens mit den Vokalen „i“ und „u“, wie Heine es hier als poetisches Ausdrucksmittel einsetzt, sehr wohl erfasst und reagiert liedkompositorisch in dieser Weise darauf.

    Aber um auf den Aspekt „klanglich faszinierend und ergreifend“ zurückzukommen. Diese melodische Dehnung ruht sich in ihrem Des-Dur erst einmal aus. Dann aber geht sie bei den Worten „wie eine Blume“ in einen melismatisch-triolischen Aufschwung mit nachfolgendem Sekundfall über, wobei sich – wiederum bewirkt durch die Harmonisierung – eine Steigerung des Ausdruckspotentials der Melodik dadurch einstellt, dass das Melisma in F-Dur harmonisiert ist, der Sekundfall auf „Blume“ aber in ein klanglich zärtlich wirkendes b-Moll mündet. Und das hat nun wiederum zur Folge, dass der sich nach einer Achtelpause ereignende und schon als solcher schon ausdrucksstarke Septfall auf den Worten „so schön“ eine Anmutung von Zärtlichkeit dadurch erfährt, dass er mit einer harmonischen Rückung in das nun als Dominante fungierende Es-Dur verbunden ist. Und so setzt die melodische Linie denn diesen Gestus der Verzückung und zarten Zuwendung ausdrückenden Entfaltung fort, indem sie, nun auf der Ebene des Septfalls einsetzend und in der Tonika As-Dur harmonisiert, bei den Worten „so rein“ erneut ein kleines Melisma beschreibt, am Ende aber zu dem Wort „rein“ hin nur noch einen in die Dominante mündenden Sekundsprung beschreibt.

    Wie überaus kunstvoll Schumann in der hochintensiven und auf Interpretation ausgerichteten Wortbezogenheit seiner Liedmusik das Zusammenspiel von Melodik und Harmonik handhabt, das ist an diesen beiden Melodiezeilen auf dem ersten Verspaar des Heine-Gedichts und an ihrem Ausklingen auf beeindruckende Weise zu vernehmen und zu erkennen. Nach den höchst subtilen Rückungen im Bereich der Harmonik lässt er die melodische Linie auf den Worten „so rein“ in einem Sekundsprung enden. Der tritt mit seiner Harmonisierung und seinem Aufstiegs-Gestus in einen bemerkenswerten Bezug zu dem Septfall auf dem Wort „so schön“ und bezieht daraus eine ganz eigene liedmusikalische Aussage: Neben die die Semantik des Wortes „schön“ reflektierende eminent-klangliche Sinnlichkeit des mit einer Rückung von b-Moll nach Es-Dur verbundenen Septfalls tritt nun der in die Klarheit und Offenheit einer Rückung von der Tonika in die Dominante gebettete schlichte Sekundsprung auf „rein“, - darin zum Ausdruck bringend, dass dieses Prädikat „rein“ des Du eines ist, das eher die Ratio anspricht.

    Beim zweiten Verspaar der ersten Strophe ist es wieder die Struktur der melodischen Linie in ihrer spezifischen Harmonisierung, die die lyrische Aussage in ihrer genuinen Sprachlichkeit auf beeindruckende, weil den semantischen Gehalt voll erfassende Weise zum Ausdruck bringt. Die Aussage „ich schau dich an“ greift die melodische Linie, sozusagen die Gestik reflektierend, mit einer in einen Sekundsprung mündenden Tonrepetition auf, die mit einer Rückung in die Dominante verbunden ist. Bei den Worten „und Wehmut“ ereignet sich dann aber eine melodisch hochexpressive, weil in ges-Moll mündende und in einer Dehnung endende Kombination aus Sextsprung und Quintfall. Damit greift die Melodik das lyrisch-sprachliche Gewicht auf, das Heine dem Wort „Wehmut“ dadurch verliehen hat, dass er es ans Versende gesetzt hat. Und diese Sprung- und Fallbewegung über ein großes Intervall bringt es zusammen mit der Rückung von einem verminderten „Ges“ in die Subdominante „Des“ sogar mit sich, dass der semantische Gehalt dieses Wortes in seiner vollen Tiefe ausgelotet wird. Und bei den Worten „schleicht mir ins Herz hinein“ bewegt sich die melodische Linie erneut in einer, nun allerdings von einem Sekundfall unterbrochenen Tonrepetition. Sie ereignet sich aber auf einer um eine Terz angehobenen und in der Dominante angehobenen, also im Ausdruck gesteigerten tonalen Ebene und mündet nun in eine Kombination aus Sekundsprung und –fall. Es ist ja ein sanfter Vorgang, der sich hier ereignet.

    Wunderbar ist das lyrische Bild des ersten Verspaars der zweiten Strophe liedmusikalisch aufgegriffen und umgesetzt. Die melodische Linie setzt im Gestus des Liedanfangs ein, wiederholt also die Bewegungen auf dem ersten Vers, dies allerdings unter Begleitung durch einen klanglich intensivierten, weil nun aus synchronen Akkordrepetitionen in Diskant und Bass bestehenden Klaviersatz. Bei dem Wort „aufs Haupt“ ereignet dann wieder ein für diese Liedmusik so charakteristischer und ausdrucksstarker, mit einer harmonischen Rückung verbundener melodischer Fall, dieses Mal über eine auf einem hohen „F“ ansetzende Septe. Das Wort „Haupt“ erhält auf diese Weise einen klanglich höchst eindrücklichen Akzent. Und danach verbleibt die melodische Linie auf dieser tonalen Ebene, beschreibt aber, die Zärtlichkeit der segnenden Geste reflektierend, auf den Worten „dir legen sollt´“ erneut ein in As-Dur harmonisiertes kleines Melisma, das in einen mit einer Rückung in die Dominante verbundenen Sekundsprung mündet.

    Bei den Worten „Betend, daß Gott dich erhalte“ verharrt die melodische Linie, weil sie in ihrem lyrisch-sprachlichen Gehalt narrativ angelegt und frei von metaphorischem Gehalt sind, in schlichter deklamatorisch silbengetreuer Tonrepetition auf über einen Quartsprung um eine Sekunde angehobener tonaler Ebene in oberer Mittellage. Aber weil es da um ein „Beten“ geht, lässt das Klavier nun von seinen permanenten Akkordrepetitionen ab, und begleitet die Singstimme zunächst mit zwei gewichtigen siebenstimmigen Akkorden und geht danach, in Begleitung der melodischen Linie auf dem letzten Vers, zu mehrfach fallend angelegten und teilweise oktavischen Figuren aus Achteln und Sechzehnteln über. Aber vor allem die Harmonik reflektiert das semantische, immerhin das Wort „Gott“ beinhaltende Gewicht des zweitletzten Verses: Sie beschreibt eine ausdrucksstarke Rückung von As-Dur über F-Dur nach b-Moll.

    Heines Schlussworte „So rein und schön und hold“ (die in Schumanns Manuskript „so schön, so rein und hold“ lauten) erfahren durch die Liedmusik ein beeindruckendes Zur-Ruhe-Kommen in dem sich zuvor fast schon in Anbetung steigernden Lobpreis der Geliebten. Die melodische Linie beschreibt zunächst zwei Sprungbewegungen, die sich im Intervall von einer Sekunde zu einer Quarte steigern, was zur Folge hat, dass das Wort „schön“, das eine kleine melodische Dehnung trägt, gegenüber dem Wort „rein“ einen stärkeren melodischen Akzent erhält, zumal sich dabei eine Rückung vom anfänglich beibehaltenen b-Moll nach As-Dur ereignet. Und zu den Worten „und hold“ ereignet sich dann wieder eine jener mit einer harmonischen Rückung kombinierten Fallbewegungen über ein großes Intervall, die in diesem Lied eine so große Rolle spielen und allemal als Ausdruck von Innigkeit und Zärtlichkeit empfunden werden. Es ist ein Sextfall, bei dem die Harmonik in die Dominante rückt. Ihm folgt auf dem Wort „hold“ ein in der Grundtonart As-Dur harmonisierter Sekundsprung nach, der die Melodik des Liedes beendet.

    Im fünftaktigen Nachspiel lässt das Klavier einen Kommentar zur vorangehenden Liedmusik erklingen, der ihr Wesen in gleichsam verdichteter Weise auf den Punkt bringt: Aus den für den Klaviersatz so typischen Akkordrepetitionen ereignet sich eine Art emphatische Aufgipfelung, die mir einer Rückung vom vorangehenden Es-Dur nach C-Dur verbunden ist, und danach gehen Achtel und Sechzehntel in eine wehmütig-lieblich anmutende weil in f-Moll harmonisierte Fallbewegung über und finden über einen – hier bezeichnenderweise noch einmal erklingenden – melismatischen Aufschwung in einem As-Dur Akkord zur endgültigen liedmusikalischen Ruhe.

  • Aus den „Östlichen Rosen“, op.25, Nr.25

    Ich sende einen Gruß wie Duft der Rosen,
    Ich send' ihn an ein Rosenangesicht.
    Ich sende einen Gruß wie Frühlingskosen,
    Ich send' ihn an ein Aug´ voll Frühlingslicht.
    Aus Schmerzensstürmen, die mein Herz durchtosen,
    Send' ich den Hauch, dich unsanft rühr' er nicht!
    Wenn du gedenkest an den Freudelosen,
    So wird der Himmel meiner Nächte licht.

    (Friedrich Rückert)

    Ach, - wie entzückt blickt der Hörer, der den Liedern dieses Opus 25 gefolgt ist, an dieser Stelle auf. So beeindruckend Schumanns Liedmusik auf die Verse von Richard Burns auch sein mag, hier schwingt sie sich, beflügelt von dem hohen evokativen Potential der Verse von Rückert zu der zauberischen Klanglichkeit musikalischer Lyrik auf, zu der sie fähig ist. Dass er sich bei dem Griff nach diesem Ghasel aus den 1822 bei Brockhaus, Leipzig erschienenen „Östlichen Rosen“ von seinen um die geliebte Clara kreisenden Gedanken und Gefühlen leiten ließ, wie sich das ja bei vielen der vorangehenden lyrischen Texte als naheliegend erwies, lässt sich in diesem Fall sogar mit einem schriftlichen Zeugnis belegen. Auf dem Original-Manuskript der im April 1840 entstandenen Komposition findet sich die Notiz: „In Erwartung Claras“.

    Lassen sich in der Art und Weise, wie diese Ghasel-Verse Rückerts in Liedmusik gesetzt wurden, die Emotionen vernehmen und erfassen, die durch ihre Metaphorik in Schumann dadurch geweckt wurden, dass er bei ihrer Rezeption in dem „Du“, an den dieser lyrische „Gruß wie Duft der Rosen“ gerichtet ist, Clara vor sich sah, sie gleichsam in sie hinein projizierte?

    Man kann es sehr wohl, wie ich meine. Es ist eine überaus zarte, durch ihre Untergliederung in kleine, an den Vers gebundene und durch relativ lange Pausen gerahmte Zeilen wie ein Blütenstrauß wirkende Melodik, die man hier vernimmt. Das Klavier liefert mit seinen durch den Bass-Fall eines Einzeltons graziös wirkenden Sechzehntel-Figuren in der Begleitung einen wesentlichen Beitrag dazu. Und das gilt auch für die Harmonik. Wie die, um deren Aussage mit ihren Mitteln zu erschließen, gleichsam nach den einzelnen Ghasel-Versen greifende Melodik, so greift auch sie auf der Basis der Grundtonart Es-Dur nach relativ weitab liegenden Tonarten und deren Moll-Version aus. Das aber immer punktuell, als wolle sie diesen melodischen Blüten noch einen Farbtupfer beigeben. Wie in exemplarischer, gleichsam einen Höhepunkt darstellender Weise erlebt man diese spezifische Eigenart der Liedmusik in ihrem Zusammenspiel von Melodik, Harmonik und Klaviersatz bei den Worten „dich unsanft rühr´ er nicht“.
    Und ist beeindruckt.

    Das ist ja, in dem durch die geradezu raffinierte Binnenspannung hochgradigen Potential seiner Metaphorik, ein höchst typischer Fall von Rückert-Lyrik, diese beiden Verse: „Aus Schmerzensstürmen, die mein Herz durchtosen, / Send' ich den Hauch, dich unsanft rühr' er nicht!“. Und so ist es denn gar kein Wunder, dass Schumann, sich aus persönlicher Betroffenheit in sie einfühlend, der Liedmusik an dieser Stelle eine sich steigernde Expressivität verleiht. Die vorangehende, fast zwei Takte einnehmende Pause und das eine harmonische Rückung nach c-Moll einleitende Zwischenspiel darin wirken, als wollten sie zu einer zweiten Strophe hinführen und auf diese Weise der nachfolgenden Liedmusik auf diese beiden Verse besonderes Gewicht verleihen. Und tatsächlich findet sie am Ende dann auch in der Wiederholung des letzten Verses zum Höhepunkt dessen, was sie mit ihren Mitteln zur lyrischen Aussage des ganzen Ghasels zu sagen hat.


  • Anmerkungen zur Faktur der Komposition und zu ihrer liedmusikalischen Aussage

    Ein nur kurzes Vorspiel in Gestalt einer mit einem Sextsprung einsetzenden und dann in die Tiefe fallenden Folge von Sechzehnteln eröffnet die Liedmusik. Die melodische Linie setzt darin auftaktig ein. Die Bewegungen die sie auf den Worten des ersten Verses beschreibt, wiederholt sie mitsamt dem zugehörigen Klaviersatz auf identische Weise beim dritten noch einmal, was ihrer Aussage besonderes Gewicht verleiht. Diese Wiederholung hat durchaus ihre Berechtigung, denn das lyrische Ich bringt in den Worten der ersten vier Verse ja zum Ausdruck, welche Absichten es mit dem an die Geliebte sich richtenden Gruß verbindet und welche Gedanken und Gefühle mit einhergehen.

    Die Melodik greift dies in der Weise auf, dass sie sich in mehrfachen Tonrepetitionen auf der Ebene der Quinte zum Grundton in mittlerer Lage entfaltet, mit nur einem Sekundsprung auf den Worten „einem“ und einem gedehnten, das Wort akzentuierenden auf „Gruß“, und erst am Ende, bei „Duft der Rosen“, bzw. „wie Frühlingskosen“, nach einem neuerlichen Sekundsprung in einen Quartfall mit nachfolgendem Rückkehr auf die Ausgangsebene übergeht. Diese melodische Figur verleiht der lyrischen Aussage starke Nachdrücklichkeit, und überdies bringt sie durch ihre Harmonisierung auch noch eine emotionale Komponente in sie ein. Denn am Ende, bei dem Wort „Rosen“ und dem Wortteil „-kosen“ also, beschreibt die Harmonik eine Rückung von der vorangehenden Tonika Es-Dur und ihrer Dominante nach f-Moll, die deshalb so ausdrucksstark ist, weil sie über ein vorgelagertes C-Dur erfolgt.

    Auch beim zweiten und vierten Vers wiederholt Schumann, darin die ihnen zugrundeliegende Aussage-Absicht des lyrischen Ichs berücksichtigend, die ihnen zugeordnete melodische Figur, greift aber, um die intendierte Aussage zu steigern, dieses Mal zum Mittel der Variation. Beim ersten Mal senkt sich die melodische Linie über eine zweimalige Sechzehntel-Sprungbewegung auf den Worten „an ein“ und auf dem Wortteil („Rosen-“) „angesicht“ aus mittlerer in tiefe Lage ab. Die Harmonik beschreibt dabei die gleichen Rückungen von Es-Dur, B-Dur und am Ende von C-Dur nach f-Moll wie bei der ersten Melodiezeile. Bei der Wiederholung geht die melodische Linie nun aber bei dem Sechzehntelsprung auf „an ein“ nicht in einen Fall, sondern in einen Sekundanstieg über und erhebt sich bei den Worten „ein Aug´ voll Frühlingslicht“ nach einem ritardando auszuführenden verminderten Quartfall über einen Sekundanstieg zu einer um eine Terz angehobenen tonalen Ebene. Diese Variante der zweiten Melodiezeile erfährt nun in dem ihr ohnehin schon innewohnenden höheren affektiven Gehalt noch dadurch eine Steigerung, dass die Harmonik bei ihr in ausdrucksstarker Weise von Es-Dur über D-Dur nach g-Moll rückt.

    Wie sehr Schumann darauf bedacht ist, liedmusikalisch die Identität des hier sich artikulierenden lyrischen Ichs zu wahren und seine Haltung dem grußweise angesprochenen Du gegenüber zum Ausdruck zu bringen, das zeigt sich daran, dass er die melodische Linie auf den Worten des fünften, eine für ihn zweite Strophe einleitenden Verses in der gleichen Weise einsetzen lässt wie in der ersten und der dritten Melodiezeile: Einer rhythmisierten, weil aus der Abfolge von deklamatorischen Achtel- punktierten Achtel- und Sechzehntelschritten bestehenden Tonrepetition. Nur dass diese sich nun bei den Worten „Aus Schmerzen stürmen“ auf einer um eine Terz abgesenkten tonalen Ebene ereignet und in c-Moll mit Zwischenrückung nach G-Dur harmonisiert ist. Bis zu den Worten „mein Herz“ verharrt sie auf dem „G“ in mittlerer Lage, auf dem sie mit den Worten „aus Schmerzen“ eingesetzt hat. Diesem verleiht sie allerdings einen Akzent in Gestalt einer Dehnung, und bei dem Wort „stürmen“ beschreibt sie, um den semantischen Gehalt zu erfassen, einen verminderten Sechzehntelsprung, um aber sofort wieder auf die tonale Ebene des „G“ zurückzufallen. Erst die affektiv stark aufgeladenen Worte „mein Herz durchtosen“ bewirken, dass sie erst einen Terzsprung beschreibt, bei dem sich die erwähnte Rückung nach G-Dur ereignet, danach wieder in eine Tonrepetition nun auf der Ebene eines „H“ übergeht und schließlich in einem Quartfall auf „-tosen“ endet.

    In den letzten vier Versen bringt das lyrische Ich in die an die Geliebte sich richtenden Grußworte seine eigene Seelenlage ein. Und das hat, wie schon der fünfte Vers vernehmen und erkennen lässt, eine Steigerung der liedmusikalischen Expressivität zur Folge. Sie setzt sich im fünften Vers fort und findet in der Wiederholung des letzten ihren Höhepunkt und Abschluss. Die Melodik auf dem sechsten und dem siebten Vers stellt bis auf die letzten deklamatorischen Schritte eine Wiederkehr derjenigen dar, die auf dem fünften liegt und vorangehend in ihrer Struktur beschrieben wurde. Die Variation am Schluss betrifft jeweils die Worte „rühr´ er nicht“ und „Freudelosen“. Im ersten Fall beschreibt die melodische Linie einen überaus ausdruckstarken, weil ritardando ausgeführten und mit einer harmonischen Rückung von c-Moll über F-Dur nach B-Dur verbundenen Achtel-Sechzehntel-Doppelschlag mit nachfolgendem Sekundanstieg, und im zweiten vollzieht sie auf dem Wortteil „Freude-“ einen gedehnten, mit einer harmonischen Rückung von Es-Dur nach C-Dur einhergehenden Quartfall, der in eine Aufwärtsbewegung über eine Sekunde und eine Terz übergeht, die, der Semantik des Wortes entsprechend, in f-Moll harmonisiert ist.

    Bei den Worten des letzten Verses lässt Schumann zunächst von den die vorangehenden Verse klanglich stark prägenden und ihnen Eindringlichkeit verleihenden Tonrepetitionen ab. Auf „So wird der Himmel“ beschreibt die melodische Linie einen in As-Dur harmonisierten, in hoher Lage einsetzenden und sich bis zu einem tiefen „F“ fortsetzenden Fall in Terzschritten, geht dann aber nach einem Sekundsprung in einen ruhigeren, weil nur in Sekundschritten und in Gestalt von Tonrepetitionen sich vollziehenden Fall zu einem tiefen „Es“ über. Das liegt auf dem Wort „licht“ und verbleibt dort in Gestalt einer langen Dehnung. Die Harmonik vollzieht, während das Klavier im Diskant eine ausdrucksstarke, aus einem Sprung in hohe Lage mit nachfolgendem Fall bestehende Sechzehntelfigur erklingen lässt, eine Rückung von dem in die Dominantseptvariante übergegangenen Es-Dur nach As-Dur.


    Und nun setzt die Singstimme auf diesem so lang gedehnten tiefen „Es“ an, um die Worte des letzten Verses erneut zu deklamieren. Das geschieht auf einer wieder mit einer, nun allerdings nur zweimaligen Tonrepetition, und sie melodische Linie beschreibt danach eine wunderbare Ruhe ausstrahlende, mit einem kleinen Sekundschritt einsetzende und sich in großen Sekundschritten fortsetzende Anstiegsbewegung, die bei „meiner“ noch einmal wie retardierend in die Verminderung übergeht, um dann aber, nach einem weiteren Sekundanstieg bei dem Wort „Nächte“ einen ausdruckstarken, weil gedehnten und ritardando ausgeführten Sextfall in tiefe Lage zu beschreiben, von dem aus sie dann schließlich über einen Sekundanstieg zur Ruhe auf dem Grundton findet.

    Das lyrische Ich hat in dem Licht, das mit dem imaginierten Seiner-Gedenken durch das geliebte Du in seine seelischen Nächte gekommen ist, zur Ruhe gefunden. Und das Klavier bringt das, die so eindrucksvolle Fallbewegung der Melodik am Ende nachspielhaft fortsetzend, zum Ausdruck, indem es die Achtel-Figuren, mit dem es die melodische Linie bislang durchweg begleitet hat, nun ihrerseits einen Fall beschreiben lässt, der sich in harmonischen Rückungen von Es-Dur, dessen Dominantseptversion, As-Dur, B-Dur und schließlich wieder Es-Dur vollzieht und schließlich in die Sechzehntel-Figur übergeht, mit der das Lied im Vorspiel eingesetzt hat.
    Die Liedmusik ist zu ihren Anfängen zurückgekehrt und kann nach einem triolischen Sechzehntel-Sekundanstieg in einem schlichten „Es“ in Bass und Diskant ausklingen.

  • „Zum Schluss“, op.25, Nr.26

    Hier in diesen erdbeklomm'nen
    Lüften, wo die Wehmut taut,
    Hab' ich dir den unvollkomm'nen
    Kranz geflochten, Schwester, Braut!
    Wenn uns droben Aufgenomm'nen
    Gottes Sohn' entgegenschaut,
    Wird die Liebe den vollkomm'nen
    Kranz uns flechten, Schwester, Braut!

    (Friedrich Rückert)

    Schumann hat der Komposition auf diese Rückert-Verse den Titel „Zum Schluß“ gegeben, und er knüpft damit ganz bewusst an das erste Lied dieses mit „Myrthen“ betitelten Lied-Opus an, gibt diesem gleichsam einen Rahmen, der die Intention offenlegt, die der Komposition zugrundliegt. Es ist „seiner geliebten Braut“ gewidmet, was durchaus nahelegt, dass die musikalische Aussage der einzelnen Lieder als an sie gerichtet aufgefasst werden darf und dass sie infolgedessen einen Gehalt an persönlichem Bekenntnis aufweist, der allerdings von Fall zu Fall unterschiedlich hoch ist und überdies, weil hier ja ein großer Komponist am Werk ist, die personale Ebene in Richtung existenzielle Allgemeingültigkeit zu transzendieren vermag.

    Rückerts Verse sind ja so zu verstehen. Mit dem sie einleitenden Bild von den „erdbeklommenen Lüften“ und der darin tauenden „Wehmut“ ist ihm zweifellos ein guter lyrischer Wurf gelungen. Ihm setzt er das von der „Erdbeklommenheit“ freie „Droben“ gegenüber, dabei geschickt offenlassend, ob es sich dabei um die himmlische Gotteswelt handelt oder um die höhere Sphäre, zu der die in Liebe sich entfaltende gemeinsame Existenz sich zu erheben vermag. Worauf die lyrische Aussage dabei abzielt, ist die hohe Kostbarkeit dieser Liebe, der kein auf dieser Erde geflochtener Kranz wirklich gerecht zu werden vermag. Erst in jenen transzendenten Sphären vermag ein Kranz die ihr angemessene Vollkommenheit zu finden, denn was die Beiden verbindet, ist die höchste Form, die Liebe anzunehmen vermag: Es ist die geschwisterliche, - diejenige, die in dem höchsten Grad an Gemeinsamkeit in allen Bereichen der Existenz gründet, sich daraus nährt und darin zu ihrer Vollendung zu kommen vermag.

    Es kann gar kein Zweifel bestehen, dass Schumann diese Verse Rückerts im Bewusstsein der spezifischen Eigenart, der hohen Werthaftigkeit und der daraus resultierenden Bedeutung seiner Liebe zu Clara gelesen hat und dies mit seiner Liedmusik ihr gegenüber zum Ausdruck bringen wollte. Aber in diesem personalen Bezug erschöpft sich die Liedmusik nicht. Der hohe affektive Gehalt, den sie der Semantik und Metaphorik des lyrischen Textes zu entnehmen vermag, erfährt durch den gewichtigen, gleichsam sakral anmutenden Grundton, in dem sie sich entfaltet, das evokative Potential der künstlerisch-kompositorischen Gestalt also, eine Ausweitung ihrer ursprünglich personalen Gültigkeit zu einer allgemeinen Aussage über das Wesen und den Wert persönlicher Liebe.

    Weil Schumann mit dem letzten Lied an das dieses Opus eröffnende anknüpfen wollte, wählt er zwar die gleiche Grundtonart, As-Dur also, setzt es aber in seinem musikalischen Grundton von diesem ab, und das deshalb, weil es ihm dabei um eine perspektivische Ergänzung und Bereicherung des alle Lieder des Opus 25 direkt und indirekt inspirierenden Themas „Liebe“ geht. Dem anfänglich hymnischen Ton setzt er nun einen besinnlichen, dem extrovertiert-expressiven einen introvertiert-reflexiven liedmusikalischen Gestus gegenüber.

    Bei „Widmung“ entfaltete sich die Liedmusik auf der Grundlage eines sie beschwingenden Dreihalbetakts „innig“ und „lebhaft“, wie die Vortragsanweisung lautet, in einer tatsächlich immer wieder lebhaft nach oben drängenden Bewegung, darin vom Klavier mit Arpeggien begleitet .Bei „Zum Schlusse“ tut sie das aber auf der Grundlage eines Viervierteltaktes mit der Tempoanweisung „Adagio“ und in einer Melodik, die sich, darin vom Klavier durchweg nur in deklamatorisch synchroner Weise mit Akkorden begleitet, in ruhiger, weil stark von Tonrepetitionen geprägter und auf fast ausschließlich mittlerer tonaler Ebene entfaltet. Der anrührende Zauber, den sie dabei aufweist, und die Vielgestaltigkeit der Aussagen, die sie hervorzubringen vermag, lassen sie aber sehr wohl zu einer großen werden.


  • Anmerkungen zur Faktur der Komposition und zu ihrer liedmusikalischen Aussage

    Ohne Vorspiel setzt die melodische Linie auftaktig ein und entfaltet sich, in As-Dur harmonisiert, bei den Worten „Hier in diesen erdbeklomm´nen“ fast ausschließlich in Tonrepetitionen auf der Ebene eine „C“ in mittlerer Lage, von der sie nur einmal in Gestalt eines Sekundsprungs mit Dehnung auf der Silbe „erd-“ abweicht. Das ist der deklamatorische Gestus, den sie bis zum letzten Verspaar beibehält.
    Erst mit den Worten „Wird die Liebe“ wandelt dieser sich. Hier beschreibt sie auf dem Wort „Liebe“ einen aus einem Terzsprung hervorgehende Kombination aus Legato-Terzfall und Sekundfall, der mit einer Rückung von der Dominante Es-Dur zur Tonika As-Dur verbunden ist. Und in einem weiteren Punkt weicht die Melodik hier von ihrem bisherigen Gestus ab. Erstmals bildet sie eine kleine Melodiezeile, denn es folgt, bevor die Singstimme im Vortrag der melodischen Linie auf den Worten „den vollkomm´nen Kranz uns flechten“ fortfährt, eine Achtelpause, die das Klavier mit einem lang gehaltenen Es-Dur-Akkord füllt.

    Es ist das affektiv hochgradig aufgeladene lyrische Bild von dem durch die Liebe geflochtenen „vollkomm´nen Kranz“, das diese vom repetierenden Gestus abweichenden, nach oben ausgreifenden deklamatorischen Figuren in die melodische Linie bringt. Und so wiederholt sich die Fallbewegung auf „Liebe“ auf dem Wort „vollkomm´nen“, nun allerdings um eine Terz abgesenkt, gleich noch einmal, geht allerdings dann über einen Terzfall bei „Kranz uns flechten“ in eine Tonrepetition über. Gleichwohl entfaltet sie auch hier gesteigerte Expressivität, denn hier Beschreibt die Harmonik eine Rückung von As-Dur nach Des-Dur, und der Quartsprung auf dem Wort „flechten“ ist in verminderte B-Harmonik gebettet.

    Den Worten „Schwester, Braut“ kommt im Rahmen der Aussage des lyrischen Textes besonderes Gewicht zu, charakterisieren sie doch die Besonderheit der Liebe, um die alle lyrischen Bilder kreisen. Es ist eine, die zwar auf gemeinsames Leben in ehelicher Verbundenheit ausgerichtet ist, in ihrem Kern vom lyrischen Ich aber als wesenhaft geschwisterlich erfahren wird. Rückert lässt deshalb die eine Einheit bildenden Vers-Vierergruppen beide Male in diese Worte münden, betont dabei den Ansprache-Charakter und setzt zwischen beide ein Komma, um die Gleichgewichtigkeit zu betonen.

    Bei Schumann fehlt dieses in der mir vorliegenden Notenausgabe allerdings, und das scheint mir kein Zufall zu sein. Die auf den beiden Worten liegende melodische Figur verrät in beiden Fällen, dass er dem Wort „Braut“ stärkeres Gewicht zukommen lassen will. Beim ersten Mal liegt auf „Schwester“ ein leicht gedehnter (punktiertes Viertel) Sekundfall, beim zweiten ein ebenfalls leicht gedehnter Sekundsprung. Das Wort „Braut“ trägt hingegen eine starke Dehnung in Gestalt einer halben Note, und sie erfährt eine Akzentuierung in Gestalt eines lang gehaltenen sechsstimmigen As-Dur-Akkords. Hinzukommt, dass sie auf der gleichen tonalen Ebene liegt (dem Grundton „As“), so dass der vorangehende Sekundfall, bzw. –sprung so wirkt, als führe er die melodische Linie zu dieser langen Dehnung auf „Braut“ hin. Es liegt nahe, dass Schumanns Absicht, das „Myrthen“-Opus zum Brautgeschenk werden zu lassen, hinter dieser Lesart des Rückert-Verses steht.

    Ein Vorspiel hat das Lied nicht, wohl aber – wie könnte es anders sein bei Schumann – ein immerhin fünftaktiges Nachspiel. Zweimal lässt das Klavier eine Figur erklingen, in der sich aus einem Akkord eine bogenförmige Achtelfigur zu einem zweiten Akkord spannt. Eine in Achtelsprünge sich auflösende Folge von bitonalen Akkorden schließt sich an und das Ganze wird abgeschlossen durch eine Folge von drei Akkorden, in der sich eine Rückung von der Dominante zur Tonika As-Dur ereignet. Sie ist so angelegt, dass sie wie eine Nachbildung der das Lied beschließenden melodischen Figur auf den Worten „Schwester, Braut“ wirkt. Nun aber trägt der Dominant-Es-Dur-Akkord eine lange Dehnung, und der abschließende As-Dur-Akkord ist mit Vorschlag versehen. Das wirkt wie eine Korrektur der Lesart, die der melodischen Figur zugrunde liegt.
    Schumanns Lied-Nachspiele haben es allemal in sich.

  • Das ist das letzte in diesem wahrlich überaus bunten Strauß von Liedern, - bunt in seiner Thematik, seiner Liedmusik, aber auch in deren kompositorischer Qualität. Es ist kein gestalterisch-stilistisches Konzept in ihm auszumachen, wie es etwa ein von einer professionellen Floristin gebundener Blumenstrauß aufwiese. Und eben darin scheint die Faszination zu gründen, die von ihm auf seine Hörer ausgeht.


    Aber ich will mich hier nicht auf eine rückblickende Betrachtung einlassen. Das übliche Schlusswort kann ich mir bei diesem Thread glücklicherweise sparen. Schumann hat es selbst gesetzt, - und viel, viel besser, als ich das jemals könnte.

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