• Die beiden Tenöre Di Stefano und Carreras eint nicht nur der Vorname (auch wenn das aus dem Thread-Titel nicht gleich ersichtlich ist).

    Neben eindrücklich transportierter Emotionen und einem jeweils sehr charakteristischen Timbre, das in Glanzzeiten äußerst berückend war, bauten sie auch beide leider stimmlich viel zu früh ab.

    Doch wann genau setzte der Abbau der stimmlichen Ressourcen ein? Ab welchem Jahr konnte Di Stefano, konnte Carreras nicht mehr aus dem Vollen schöpfen? :/

    Da gehen die Meinungen bestimmt auseinander. Mich würde interessieren, wie die Taminos das sehen. Jahreszahlen wären schön. Vielleicht auch mit Argumenten versehen.

  • Bei Carreras war das incht erst seit seiner (oder durch seine) Leukämie-Erkrankung der Fall, sondern bereits Anfang der 1980er Jahre, als er meinte, für seine Stimme zu schwere Partien wie den Radames singen zu müssen.



    (hier zu hören ab 6:43)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich denke über die Stimme von Carreras wie der Stimmenliebhaber. Sobald eine Aufnahme aus den 80er-Jahren stammt, klingt die Stimme nicht mehr so voll. Sie schwingt nicht mehr richtig. Zumal, wenn es ein bisschen höher wird. Dann klingen seine Töne wie leere Notenhülsen. Und er muss mit sehr viel Kraftaufwand und Druck singen.

    Das ist schade, denn seine Mittellage und sein Ausdruck waren ja immer noch schön.


    Bei Di Stefano dachte ich ähnlich streng. Ab Mitte der 50er-Jahre, so war meine Ansicht, war er schon nicht mehr er selbst. Doch nun habe ich eine Live-Tosca aus Rom (1958) gehört, in der er mir sehr gut gefällt. Als Sängerpersönlichkeit hatte er da sogar noch zugelegt, auch wenn die Stimme vielleicht schon ein klein wenig angegriffen klang. Aber eine solche Freude an der Interpretation seines vermutlich 250. Cavaradossis gehört entsprechend respektiert.

  • Ich habe gestern abends von Di Stefano aus dem Jahr 1960 ein wirklich grossartiges "Dein ist mein ganzes Herz" gehört. Diese Aufnahme gehört zu den besten dieses so oft gesungenen Operettenliedes.


    Erich

  • von Di Stefano aus dem Jahr 1960 ein wirklich grossartiges "Dein ist mein ganzes Herz" gehört. Diese Aufnahme gehört zu den besten dieses so oft gesungenen Operettenliedes.

    Lieber Erich Ruthner,


    über Geschmack läßt sich ja bekanntlich nicht streiten, aber nach meinem Empfinden muß man schon ein hartgesottener Fan von "Pippo" sein, wenn man ein solches Urteil abgibt.

    Damit kein Zweifel aufkommt: Ich bin ein Verehrer von Giuseppe die Stefano, und es gibt von ihm eine Vielzahl von großartigen Aufnahmen, die bis heute nicht getoppt werden konnten, z.B. sein Cavaradossi in der TOSCA von 1953 unter Victor de Sabata (Columbia/EMI) oder den Tenor-Part in Verdis Requiem aus dem Jahr 1954, unter demselben Dirigenten. Vor allem sein "Hostias" ist zum Niederknien:hail::hail::hail:! Die meisten seiner Opern-Einspielungen mit Maria Callas sind fantastisch und in jeder guten Operndiskothek unverzichtbar.

    Es ist aber kein Geheimnis, daß di Stefano mit seinen Pfunden so gewuchert hat, daß schon Ende der 1950er seine Stimme matt, verbraucht, müde klang, und ab ca. 1960 ging es dann wirklich steil bergab. Das ist traurig, aber leider die bittere Wahrheit.

    Trotzdem habe ich heute früh bei Youtube sein von Dir gelobtes 1960er "Dein ist mein ganzes Herz" angehört, weil ich es nicht kannte. Ich will nicht ungerecht sein, aber "zu den besten" kann ich diese Darbietung selbst bei großzügigster Auslegung nicht zählen. Natürlich beherrscht er seine Gesangstechnik noch immer und kann damit manche Schwäche kaschieren, aber seine häufigen Atempausen, seine z.T. nur mühsam getroffenen Höhen sind nicht zu überhören. Er singt, schlicht und ergreifend gesagt, mit den Resten seiner einst herrlichen Tenorstimme. Wenn man dann anschließend noch dasselbe Lied aus Amsterdam von 1968 hört, so bleibt ein wehmütiges Gefühl zurück für einen Künstler, der zu lange und bedenkenlos aus dem Vollen geschöpft und sich dabei total übernommen hat.

    Ich habe zum Vergleich dann einige in meiner Sammlung befindlichen Aufnahmen des Stücks aufgelegt, hier sind sie:

    Meine persönliche Wertung ist folgende:

    1) Richard Tauber :jubel::jubel::jubel::jubel::jubel: Aufnahme: 1929

    2) Helge Rosvaenge :jubel::jubel::jubel: Aufnahme: ca. 1930

    3) Joseph Schmidt :jubel::jubel::jubel::jubel: Aufnahme: 1928

    4) Peter Anders :jubel::jubel::jubel::jubel: Aufnahme: 1951

    4) Fritz Wunderlich :jubel::jubel::jubel::jubel::jubel:Aufnahme: 1963

    5) Nicolai Gedda:jubel::jubel::jubel::jubel: Aufnahme: 1967

    Und dann gibt es da noch eine ganz späte Aufnahme mit Richard Tauber, der am 5.6.1946 in Zürich mit seinem alten Freund Franz Lehár ein "Abschiedskonzert" veranstaltete, das von Radio Beromünster aufgezeichnet wurde:

    Es ist eine Live-Aufnahme, in guter Tonqualität. Da singt dieser einzigartige Tenor das Lied noch einmal, in stimmlich glänzender Verfassung, obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits an Lungenkrebs erkrankt war und an diesem Leiden am 8.1.1948 in seinem Londoner Exil verstarb.

    Sämtliche genannten Versionen lassen IMO Giuseppe di Stefano alt aussehen; erstens war es nicht sein Stammrepertoire, zweitens hatte er Probleme mit der deutschen Sprache, aber, und das ist entscheidend, seine Stimme hatte Glanz und Schmelz der Vergangenheit bereits weitgehend eingebüßt. Deshalb: eine Aufnahme nur für ganz spezielle Verehrer des Künstlers.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Ja, lieber Nemorino, in diesem Fall ist unser Geschmack doch etwas unterschiedlich. Mir gefällt von ihm nur diese Aufnahme des Liedes - was er später im Theater an der Wien produziert hat, war bereits unter aller Kritik. Die anderen Aufnahmen kenne bzw. besitze ich ebenfalls und schätze sie ebenfalls.


    Erich

  • in diesem Fall ist unser Geschmack doch etwas unterschiedlich

    Lieber Erich Ruthner,


    damit werden wir beide gut leben können, denke ich.


    Was Josè Carreras betrifft, so sind wir wiederum völlig auf einer Wellenlänge. Von seinen ganz frühen Aufnahmen abgesehen, hat mich keine seiner Einspielungen überzeugen können; vielleicht liegt es auch daran, daß ich - was Carreras angeht - die falschen angeschafft habe, als da sind: Verdi: DON CARLO (Karajan, EMI), AIDA (Karajan, EMI), SIMON BOCCANEGRA (Abbado, DGG), Messa da Requiem (Karajan, EMI). Die habe ich alle nicht wegen Carreras gekauft, sondern entweder des Dirigenten wegen (Karajan) oder den SIMON wegen Cappuccillis Simon und der Amelia von Mirella Freni. Ein Recital mit ihm habe ich mir nie gekauft.

    In den oben erwähnten Aufnahmen ist Carreras m.E. überfordert bzw. fehlbesetzt, ganz bestimmt ist er kein Radames. Und im Verdi-Requiem haben mich seine ersten Töne schon völlig abgeschreckt: KYRIE ELEISON (Herr, erbarme dich). Der Herr hat sich aber nicht erbarmt, und deshalb ging es in der ganzen Aufnahme ähnlich desatrös weiter. Da darf man wirklich nicht an Giuseppe de Stefano denken (bei Toscanini, 1951, oder erst recht in der heute morgen schon genannten Jahrhundert-Produktion unter Victor de Sabata). Beide Aufnahmen waren Sternstunden, wobei die Toscanini-Produktion leider klangtechnisch mager ausgefallen ist. Umso großartiger singt "Pippo" unter de Sabata; allein diese Aufnahme sichert ihm einen Platz im Plattenolymp!


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Lieber Nemorino,

    danke für die Antwort - denn bei "Bippo" habe ich - wie man so nett sagt - Kalt und Warm erlebt. Ein sehr mittelmäßiges Gastspiel als "Nemorino" (1965) und einen ausgezeichneten "Alvaro" (1966/67) mit einem lustigen Aussetzer: Die große Arie sang er sitzend vor einem großen Zelt, dann ertönt Kampfgetümmen, er nimmt sein Schwert, stürmt hinaus - aber leider auf die falsche Seite der Bühne. Der Bariton (Kostas Paskalis) kommt fechtend mit drei Statisten herein, sieht sich um sieht: KEINEN ALVARO! Die Statisten laufen davon und Paskalis steht allein auf der Bühne und wartet. Als "Bippo" atemlos auf der richtigen Bühnenseite auftaucht, gibt es zuerst Gelächter, und dann schließt man - wie vorgesehen Freundschaft.


    LG Erich