Josquin Desprez (* nach 1450 im Dörfchen Pres an der heutigen Grenze zwischen Frankreich und Belgien – † am 27. August 1521 in der Umgebung von Saint-Quentin) gehört zu den leuchtenden Gestalten der europäischen Musikgeschichte. Er war nicht nur ein Meister der Polyphonie, sondern ein Künstler von fast mythischem Rang – gefeiert zu Lebzeiten, bewundert über Jahrhunderte hinweg, und bis heute als Klangarchitekt der Hochrenaissance verehrt. Ob französischer oder franko-flämischer Herkunft: Josquin steht im Zentrum jener Schule, die die Vokalpolyphonie zur Vollendung führte und den musikalischen Ausdruck des 16. Jahrhunderts tiefgreifend prägte.
Sein Werk ist Brücke und Gipfel zugleich – es knüpft an die klanglichen Horizonte eines Guillaume Du Fay (ca. 1397–1474) und Johannes Ockeghem (ca. 1410–1497) an, überschreitet sie jedoch durch eine neue, menschlichere Rhetorik der Töne. Josquins Musik spricht in kunstvoller Imitation und klar gegliederter Textvertonung, aber auch in seelischer Unmittelbarkeit: Worte und Klänge verschmelzen in seinem Œuvre zu geistig durchdrungener Klangrede, getragen von einer feinsinnigen Balance zwischen mathematischer Struktur und lyrischer Empfindung.
Selbst als Sänger ausgebildet, schuf er ein nahezu ausschließlich vokales Werk – geistlich wie weltlich – das durch eindrucksvolle Klangarchitektur, innere Geschlossenheit und emotionale Tiefe besticht. Seine Messen, Motetten und Chansons gelten als Inbegriff der musikalischen Renaissance, durchdrungen von einem tiefen Verständnis für Text und Ton, für Theologie und Poesie.
Trotz der fragmentarischen Quellenlage lassen sich wesentliche Etappen seines bewegten Lebens rekonstruieren – ein Lebensweg, der ihn von den frankoflämischen Kathedralen über italienische Fürstenhöfe bis in den Dienst französischer Könige führte, ehe er schließlich als hochgeschätzter Propst und Komponist in Condé-sur-l’Escaut sein Lebenswerk beschloss.
Zwischen 1466 und 1475 fehlen direkte biografische Nachweise, doch aus einem Testament von Verwandten in Condé-sur-l’Escaut geht hervor, dass er dort Ländereien erbte – Besitz, der ihm Unabhängigkeit sicherte und an den er am Ende seines Lebens zurückkehrte. Vermutlich erhielt er seine musikalische Ausbildung in Cambrai, möglicherweise im Umfeld der Kathedrale, wo auch Guillaume Du Fay (um 1397–1474) gewirkt hatte.
Spätestens seit 1475 – belegt im April 1477 – war Josquin als Sänger an der Hofkapelle von René von Anjou (1409–1480) in Aix-en-Provence tätig. Der kunstliebende Herzog hatte seinen Hof zu einem kulturellen Zentrum ausgebaut. Nach dessen Tod (10. Juli 1480) fielen die Herzogtümer Anjou und Bar an die französische Krone. Es ist gut möglich, dass Josquin gemeinsam mit der Kapelle in die Sainte-Chapelle Ludwigs XI. (1423–1483) in Paris übernommen wurde. Als der König im September 1481 einen Schlaganfall erlitt (September 1481), stiftete er eine tägliche Messe, die auch von Josquin mitgestaltet wurde. In dieser Zeit entstand möglicherweise die Motette "Misericordias Domini in aeternam cantabo", die in fünfzig großformatigen Pergamentrollen abgeschrieben und im Schloss Plessis-lès-Tours aufgehängt wurde – ein musikalisches Denkmal königlicher Frömmigkeit.
Nach dem Tod Ludwigs XI. († 30. August 1483) verließ Josquin Frankreich. Um 1483 oder 1484 trat er in den Dienst Kardinal Ascanio Sforzas (1455–1505) in Mailand, eines kunstsinnigen und einflussreichen Würdenträgers. Als Ascanio 1484 nach Rom übersiedelte, folgte ihm Josquin und wurde Mitglied der päpstlichen Kapelle. Seine Anwesenheit dort ist für die Jahre 1486 bis mindestens 1495 belegt. Bereits 1489 scheint er vorübergehend an den Hof von Gian Galeazzo Sforza (1469–1494) zurückgekehrt zu sein. Es ist möglich, dass Josquin in dieser Zeit das höfische Leben und die Kunstszene Mailands miterlebte, in der auch Leonardo da Vinci (1452–1519) wirkte.
Nach dem Ausscheiden aus der päpstlichen Kapelle hielt Josquin vermutlich Verbindung zum Hof Philipps I. des Schönen (1478–1506) von Burgund. Eine Widmung seiner Motette "Stabat mater" an diesen Fürsten lässt darauf schließen. Zwischen 1501 und 1503 war er höchstwahrscheinlich in der französischen Hofkapelle Ludwigs XII. (1462–1515) tätig.
Im Jahr 1503 trat Josquin in den Dienst von Ercole I. d’Este (1431–1505), dem Herzog von Ferrara. Die Entscheidung für Josquin fiel nach eingehender Prüfung seiner und Heinrich Isaacs (ca. 1450–1517) Qualitäten. Ein Brief eines Höflings berichtet: "Isaac scheint mir besser geeignet zu sein, Eurem Herrn zu dienen (...) Josquin komponiert besser – aber nur, wenn er es will."
Trotz solcher Vorbehalte entschied sich Ercole für Josquin und bewilligte ihm das hohe Gehalt von 200 Dukaten jährlich – mehr als je einem Musiker des Hofes zuvor gewährt wurde.
Während seiner kurzen Zeit in Ferrara schuf Josquin einige seiner bedeutendsten Werke, darunter die tief empfundene Motette "Miserere mei, Deus", die auf eine Bußmeditation Girolamo Savonarolas (1452–1498) zurückgeht. Auch die Marienmotetten "Virgo salutiferi" und "O virgo prudentissima" sowie die berühmte "Missa Hercules Dux Ferrariae" dürften in dieser Phase entstanden sein. Die Messe, deren musikalisches Material aus dem Namen des Herzogs abgeleitet ist, wurde zum klingenden Zeugnis höfischer Selbstdarstellung.
Doch schon nach weniger als einem Jahr verließ Josquin Ferrara wieder – nicht aus Unmut, sondern aus Furcht vor der Pest, die 1503 in der Stadt ausbrach. Der Hof floh, und Josquin kehrte nach über tausend Kilometern Reise an den Ort seiner Herkunft zurück. Am 3. Mai 1504 traf er in Condé-sur-l’Escaut ein, wo ihn das Kapitel der Kollegiatkirche von Notre-Dame zum Propst ernannte. Dort fand er ideale Bedingungen für ein stilles, schöpferisches Leben: Besitz, Ansehen, musikalisches Umfeld. Er blieb bis zu seinem Tod am 27. August 1521.
In dieser letzten Lebensphase entstanden einige seiner reifsten Werke: die "Missa de Beata Virgine", die "Missa Pange lingua", Motetten wie "Inviolata", "Praeter rerum seriem", "Benedicta es" und das berühmte "Pater noster–Ave Maria". Auch seine Chansons wie "Mille regretz" oder "Plus nulz regretz" gehören in diese späte Phase, in der sich meisterliche Technik mit emotionaler Tiefe vereint.
Die Gestalt Josquins bleibt uns nur in Umrissen überliefert – doch in seinen Werken offenbart sich ein Geist von universaler Kraft. Theoretiker wie Heinrich Glarean (1488–1563) und Gioseffo Zarlino (ca. 1517–1590) feierten ihn als Inbegriff musikalischer Kunst, und im 20. Jahrhundert führten Forscher wie Albert Smijers (1872–1949), Helmuth Osthoff (1883–1949) und Edward Lowinsky (1911–1991) seine Musik erneut ins Zentrum musikwissenschaftlicher Aufmerksamkeit. Die internationale Josquin-Konferenz von 1971 und die weltweiten Gedenkfeiern zum 500. Todestag im Jahr 2021 unterstrichen: Josquin Desprez bleibt ein Fixstern der Musikgeschichte – dessen Strahlen bis heute reichen.