Liebe Opernfreunde,
man muss sich bei der Beurteilung der 'Sängerfilme' jener Jahre bewusst sein, dass sie in einer Zeit lange vor dem Beginn des 'Pantoffelkinos' (Fernsehen) entstanden und für sehr viele Opernfreunde oft die einzige Möglichkeit boten, ihre Lieblinge auch zu sehen und nicht nur zu hören. Dass man statt eines abgefilmten Opernabends oder Konzerts die Künstler im Rahmen eines Spielfilms präsentierte, entsprach dem damaligen Geschmack des Kinopublikums, das auch zusätzlich durch eine mehr oder weniger plausible Handlung unterhalten werden wollte. Allen diesen 'alten' Musikfilmen ist eine zeitgebundene Ästhetik zu eigen und mit diesem Wissen sollte man sie auch betrachten und beurteilen. (Wobei aus dramaturgischer Sicht diese Filme auch nicht schlechter sind als z. B. die „Herzkino“-Filme des ZDF am Sonntagabend; die Dialoge sind oft überraschend modern und eloquent, lediglich die Optik ist eine andere.)
Beniamino Gigli schrieb in seiner Autobiographie („Und es blitzten die Sterne“ - in der BRD 1957 veröffentlicht) mit feinem Humor folgendes: „Im Mai 1935 ging ich nach Berlin, um zum ersten Mal zu filmen. Natürlich war die etwas kitschige Handlung nur ein Vorwand, der mir möglichst viel Gelegenheit zum Singen bieten sollte. Da die Filmkritiker jeden meiner weiteren Filme mit einem Entsetzensschrei begrüßten, musste ich wohl daraus schließen, dass sie vom künstlerischen Gesichtspunkt aus betrachtet schlecht waren. Die Filme brachten mir aber nicht nur viel Geld ein, sie eroberten mir auch ein Publikum, das ich sonst nie erreicht hätte. In der ganzen Welt wurden sie in Städten und Dörfern gezeigt, die zu klein oder zu abgelegen waren, als dass ich sie bei einer Konzertreise hätte aufsuchen können und sogar in großen Städten brachten sie meinen Gesang solchen Leuten nahe, die aus diesem oder jenem Grund – aus Mangel an Geld, an Bildung oder an Interesse für Musik – nie einen Konzertsaal oder ein Operntheater von innen gesehen hatten.“ (Ähnlich argumentierten ja auch „Die drei Tenöre“ sechzig Jahre später – und auch sie hatten weltweiten Erfolg.)
Beniamino Gigli – der (analog der politischen Allianz dieser Jahre) die in deutsch-italienischer Produktion entstandenen Filme zweisprachig drehte, während die Stimmen der deutschen Schauspieler für Italien synchronisiert wurden - wirkte in 16 Spielfilmen mit, die ich in den folgenden Wochen ausführlich vorstellen werde. (Die mit * gekennzeichneten Filme habe ich auf Video.)
Erster Film:
„Vergiss mein nicht“* ('Non ti scordar di me') (Deutschland / Italien 1935 – Tobis Filmkunst GmbH / Itala-Film S. A.)
mit Magda Schneider, Hedda Björnson, Siegfried Schürenberg, Kurt Vespermann, Eric Ode, F. W. Schröder-Schrom, Peter Bosse u. a. / Regie: Augusto Genina. Liselotte Heßfeld (Schneider), die junge, unerfahrene Sekretärin des Geheimrats von Berneck, verliebt sich auf einer Atlantiküberquerung Hals über Kopf in den Ersten Offizier des Schiffes, Hellmut von Ahrens (Schürenberg). An Bord befindet sich auch Irene Hart (Björnson), die einmal mit Ahrens liiert war und eifersüchtig Liselottes junges Glück zerstört. In New York lernt Liselotte den verwitweten Sänger Enzo Curti und dessen kleinen Sohn (Bosse) kennen; kurze Zeit später wird sie Enzos Lebensgefährtin und dem Kind eine zweite Mutter. Ein Wiedersehen mit Ahrens stürzt sie in seelische Verwirrung, als er sie bittet, ihren Mann zu verlassen und mit ihm, der inzwischen den Dienst quittiert hat, in die Welt zu ziehen. Schließlich siegt die Vernunft und sie bleibt bei dem Mann, der ihr Zuflucht und Sicherheit gegeben hat, und bei dem Kind, das sie wie ihr eigenes liebt. (Die Außenaufnahmen wurden in Hamburg auf dem Überseedampfer „Bremen“ gedreht.)
Beniamino Gigli ist zu sehen und zu hören mit einem längeren Potpourri aus Opernarien („Rigoletto“, „L'elisir d'amore“, „La Favorita“, „Martha“, „Tannhäuser“ und „Il trovatore“) sowie dem 'Wiegenlied' von Franz Schubert („Mille cherubini in coro“), den Liedern „Non ti scordar di me“ und „Addio, bel sogno“ (beide von Ernesto De Curtis) und der von Alois Melichar für diesen Film komponierten „Serenata veneziana“. (Alois Melichar ist auch als Dirigent der „Euryanthe“-Ouvertüre mit der Staatskapelle Berlin zu sehen.) Die Konzertaufnahmen entstanden in der im Krieg zerstörten Berliner Philharmonie mit der Staatskapelle Berlin.
Dank des glaubhaften Drehbuchs von Ernst Marischka wurde Giglis erster Spielfilm ein durchschlagender Erfolg. Das komödiantische Talent des Tenors, sein 'Teddybär-Charme' und sein etwas hilfloses Deutsch nahmen das Filmpublikum auf Anhieb für ihn ein. Aber auch Magda Schneider und Peter Bosse, der damit zum Kinderstar des deutschen Films wurde, haben zum Gelingen des Films beigetragen. (1936 gab es in Großbritannien ein Remake des Films mit Beniamino Gigli, Joan Gardner und Ivan Brandt in der Regie von Zoltan Korda mit dem Titel „Forget Me Not“.) Und 1958 wurde der Stoff – als deutsch-italienische Coproduktion – von Arthur Maria Rabenalt und Giulio Del Torre noch einmal verfilmt: „Vergiss mein nicht“* ('Vento di primavera') mit Sabine Bethmann, Erich Winn und (in der Rolle, die Beniamino Gigli 1935 und 1936 gespielt hat) Ferruccio Tagliavini. Dessen Musikbeiträge – in deutsch: „Vergiss mein nicht“ (Ernesto De Curtis), „Tausend Englein im Chor“ (Franz Schubert), „Deine Liebe ist mein ganzes Leben“ (Willy Mattes) und in italienisch: „Vento di primavera“ (Cesare Andrea Bixio), „Maria Mari“ (Eduardo Di Capua), „Torna a Surriento“ (Ernesto De Curtis“), „O paese d'o sole“ (Libero Bovio) und „Volare“ (Domenico Modugno) - erschienen auf zwei EPs bei 'Ariola'. Die Opernarien aus „La sonnambula“, „L'elisir d'amore“ und „L'Africaine“), die Tagliavini im Film singt, wurden nicht auf Platten gepresst. (In allen Aufnahmen begleitete ihn das Orchester der Wiener Volksoper unter Nino Verchi.)
Viele Grüße!
Carlo